Anmerkung zum Urteil des OLG Köln vom 21.11.2023, Az. 9 U 206/22

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Seit einem Urteil des BGH im Jahr 2016 war im Grundsatz bereits geklärt: Nimmt eine Gesellschaft, die zugunsten ihrer Organmitglieder eine D&O-Versicherung abgeschlossen hat, ein Organmitglied wegen pflichtwidrigen Handelns auf Schadensersatz in Anspruch und begründet damit den Versicherungsfall unter der D&O-Versicherung, kann das Organmitglied (nachfolgend: versicherte Person oder vP) seinen Freistellungsanspruch gegen den D&O-Versicherer (nachfolgend: VR) an die Gesellschaft (nachfolgend: Versicherungsnehmerin bzw. VN) abtreten. Der Freistellungsanspruch der vP wandelt sich durch die Abtretung in einen unmittelbaren Zahlungsanspruch der VN gegen den VR. Die VN muss also nicht zunächst einen Haftungsrechtsstreit gegen die vP führen, sondern kann den Haftungs- und den Deckungsanspruch in einem einzigen sogenannten Direktprozess klären lassen. Trotz dieses vermeintlichen Vorteils kommt es bislang wohl nicht allzu häufig zu derartigen Abtretungen, was unter anderem an einigen bislang nicht geklärten Folgefragen liegen mag.

In der Literatur höchst umstritten und bisher noch nicht höchstrichterlich geklärt ist die Frage der Beweislastverteilung im Direktprozess gegen den VR. Das OLG Köln hat hierzu nun mit Urteil vom 21.11.2023 (Az. 9 U 206/22) in einem Obiter Dictum entschieden, dass der VR im Fall der Abtretung des Freistellungsanspruchs an die Stelle der vP tritt. Dies bedeutet, dass nunmehr der VR darzulegen und zu beweisen hat, dass die vP pflichtgemäß gehandelt hat.

Zudem hat sich das OLG Köln dahingehend geäußert, dass der Freistellungsanspruch im Fall seiner Abtretung stets bestehen bleibt, unabhängig davon, ob er erfüllungshalber abgetreten wird (der Haftungsanspruch der Versicherungsnehmerin gegen die vP besteht dann fort) oder an Erfüllungs statt (wodurch der Haftungsanspruch erlischt).

Sachverhalt: Vorwurf der Unterversicherung

Haftungsrechtlich warf die VN der vP vor, dass sie beim Abschluss eines Feuer- und Betriebsunterbrechungsversicherungsvertrags eine zu niedrige Versicherungssumme vereinbart hatte. Hierauf wies der Versicherungsmakler die vP auch explizit hin. Die vP ging davon aus, dass die VN einen Totalschaden ohnehin nicht überstehen würde. Zudem habe sie die Versicherungssumme auf Weisung des Allein­gesellschafters der VN nicht angepasst. Später kam es bei der VN zu einem Großbrand. Der Sachversicherer regulierte den Schaden aufgrund der zu niedrigen Versicherungssumme nur teilweise.

Die VN machte daraufhin wegen des unzureichenden Sachversicherungsschutzes Haftungsansprüche gegen die vP geltend. Die vP trat ihren Freistellungsanspruch gegen den VR sodann an die VN ab. Im Gegenzug vereinbarte die VN mit der vP ein sogenanntes Stillhalteabkommen („pactum de non petendo“), das nicht explizit zeitlich befristet oder auflösend bedingt war. Etwaige Haftungsansprüche der VN gegen die vP sollten hiernach nicht weiterverfolgt werden.

Schließlich verklagte die VN den VR aus abgetretenem Recht auf Ersatz des von der Sachversicherung nicht gedeckten Schadens.

Klageabweisung in beiden Instanzen

Das LG Köln wies die Klage der VN in erster Instanz ab. Die Abtretung sei nicht erfüllungshalber, sondern an Erfüllungs statt erfolgt. Damit liege keine ernsthafte Inanspruchnahme der vP und damit auch kein bedingungsgemäßer Versicherungsfall mehr vor. Dieser Auffassung schloss sich das OLG Köln nicht an. Es wies die Berufung der VN aber im Ergebnis trotzdem − aus anderen Gründen − zurück.

 

Fortbestehen des Freistellungsanspruchs sowohl bei Abtretung „erfüllungshalber“ als auch „an Erfüllungs statt“

Das OLG Köln stellte zunächst klar, dass es seines Erachtens irrelevant ist, ob die Abtretung des Freistellungs­anspruchs erfüllungshalber oder an Erfüllungs statt erfolgt ist.

In der Regel erfolgt die Abtretung des Freistellungsanspruchs gegen den VR erfüllungshalber. Dafür sprechen beispiels­weise die Abrede, dass der Bestand der abgetretenen Forderungen durch die Abtretung nicht berührt wird, oder die Offenhaltung sämtlicher Verteidigungsmöglichkeiten der vP. Die VN ist damit sowohl Anspruchs­inhaber des Haftpflicht- als auch des Deckungsanspruchs. Sie kann die vP weiterhin in Anspruch nehmen. Ihr Haftungs­anspruch erlischt bei einer Abtretung erfüllungshalber nicht. Es tritt lediglich eine Stundung der ursprünglichen Forderung ein. Erfolgt die Abtretung des Freistellungsanspruchs hin­gegen an Erfüllungs statt, erlischt der Haftungsanspruch qua Erfüllung. Die VN kann die vP dann nicht mehr in Anspruch nehmen, selbst wenn sich im Direktprozess herausstellt, dass zwar ein Haftungs­anspruch gegen die vP, aber kein Freistellungsanspruch gegen den VR besteht (zum Beispiel wegen wissentlicher Pflichtverletzung der vP).

Nach Auffassung des OLG Köln entfällt der Freistellungsanspruch bei einer Abtretung an Erfüllungs statt nicht, auch wenn der Haftungsanspruch damit erlischt. Dies ergebe sich mittelbar aus § 105 VVG: Hiernach ist eine Vereinbarung, nach welcher der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet ist, wenn ohne seine Einwilligung der Versicherungsnehmer beziehungsweise die vP den Dritten befriedigt oder dessen Anspruch anerkennt, unwirksam. Im Umkehrschluss bleibt der Versicherer zur Leistung verpflichtet, wenn die vP die geschädigte VN durch Abtretung des Freistellungsanspruchs an Erfüllungs statt befriedigt (das OLG Köln spricht hier von einer fortbestehenden Leistungspflicht des Versicherers, wenn der Versicherungsnehmer den Haftpflichtanspruch durch Abtretung an Erfüllungs statt befriedigt, wobei unklar bleibt, ob sich das OLG dabei auf Konstellationen bezieht, in denen Ver­sicherungsnehmer und versicherte Person nicht ausein­anderfallen – was bei der D&O-Versicherung aber der Fall ist). Der abgetretene Freistellungsanspruch wandelt sich endgültig in einen Zahlungsanspruch um (ohne dass dies dogmatisch als Verschmelzung von Deckungs- und Haftpflichtanspruch zu deuten ist). Auch wenn damit nicht mehr entscheidungserheblich, stellte das OLG Köln zudem – anders als die Vorinstanz – im Wege der Auslegung fest, dass die Abtretung im konkreten Fall nur erfüllungshalber erfolgt war.

 

Deckungsrechtlicher Einwand wissentlicher Pflichtverletzung verfängt nicht

Das OLG Köln wies ferner darauf hin, dass die vP ihre Pflichten nicht wissentlich verletzt habe und daher der entsprechende Deckungsausschluss nicht gegeben sei. Für die Annahme einer wissentlichen Pflichtverletzung ­müsse feststehen, dass der Versicherte die Pflichten zutreffend ­gesehen hat und das Bewusstsein hatte, pflichtwidrig zu handeln. Der vP sei aber nur eine fahrlässige Fehleinschätzung vorzuwerfen, weil sie davon ausgegangen sei, dass die VN ­einen Totalschaden wirtschaftlich ohnehin nicht überstehe.

 

Geltend gemachte Haftung scheitert aber an Weisung des Alleingesellschafters

Allerdings konnte der VR in haftungsrechtlicher Hinsicht beweisen, dass die vP vom Alleingesellschafter der Mutter­gesellschaft angewiesen worden war, den Sachversicherungsvertrag nicht anzupassen. Ein Geschäftsführer haftet jedoch grundsätzlich nicht für ein Verhalten, zu dem ihn der Alleingesellschafter beziehungsweise die Gesellschafter­versammlung angewiesen hat.

 

Beweislastverteilung im Direktprozess wie im Haftungsprozess

Auch wenn es darauf im Ergebnis mithin nicht mehr ankam, hat sich das OLG Köln sehr intensiv mit der Beweislast­verteilung im Direktprozess auseinandergesetzt.

Im Fall einer Inanspruchnahme durch die VN muss die vP im Haftungsrechtsstreit darlegen und beweisen, dass sie ihren Sorgfaltspflichten nachgekommen ist, sie kein Verschulden trifft oder der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten entstanden wäre. Der VR muss im nachfolgenden Deckungsrechtstreit gegebenenfalls Deckungseinwände wie zum Beispiel den Einwand der wissentlichen Pflichtverletzung und die damit einhergehende Leistungsfreiheit dar­legen und beweisen. In der Literatur höchst umstritten und noch nicht höchstrichterlich geklärt ist die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Pflichtverletzung der vP im Direktprozess zwischen der geschädigten VN und dem VR.

Eine Ansicht in der Literatur vertritt, dass sich die Dar­legungs- und Beweislast infolge der Abtretung zu Lasten der VN ändert. Begründet wird dies mit der vergleichsweise größeren Sach- und Beweisnähe der VN im Vergleich zum VR. So wird von Teilen der Literatur übrigens auch bei Versterben der vP und Fortsetzung des Rechtsstreits mit ihren Erben argumentiert. In der vorliegenden Konstellation greift das Argument der Sachnähe aus Sicht des OLG Köln aber deshalb nicht, weil die vP weiterhin umfassende Auskunftsobliegenheiten gegenüber dem VR hat und ihm zudem als Zeuge zur Verfügung steht.

Das OLG Köln hat sich daher der gegenläufigen Ansicht in der Literatur angeschlossen, der zufolge die Beweislast­umkehr nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG auch im Direktprozess gegen den VR (analoge) Anwendung findet. Das bedeutet im Ergebnis, dass die der vP im Haftungsprozess obliegende Darlegungs- und Beweislast bei Abtretung des Freistellungsanspruchs und nachfolgendem Direktprozess quasi auf den VR „übergeht“, und zwar ohne dessen Mitwirkung. Allerdings wird darauf verwiesen, dass sich durch die Abtretung des Freistellungsanspruchs die Rechtsstellung des Versicherers nicht verändere, da ein Freistellungsanspruch ohnehin nur besteht, wenn nach Maßgabe des § 93 AktG auch ein Haftungsanspruch besteht (beziehungsweise vor der Abtretung des Freistellungsanspruchs an Erfüllungs statt bestand). Das OLG Köln führt daher aus, dass sich „die Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage des Haftungs­anspruchs, der im Deckungsprozess inzident zu prüfen ist“, durch die Abtretung nicht ändern.

Etwas verwirrend ist dabei allerdings der Hinweis des OLG Köln darauf, dass dies grundsätzlich bei jeder Abtretung ­einer Forderung der Fall sei, da lediglich der Gläubiger ausgetauscht wird und das Schuldverhältnis ansonsten unverändert fortbesteht. Denn vorliegend geht es um die Abtretung des Freistellungsanspruchs der vP. Die Frage der Beweislast­umkehr gemäß § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG stellt sich dem­gegenüber originär im Rahmen des Haftungsanspruchs der VN gegen die vP. Dieser Anspruch wird nicht abgetreten, sondern erlischt bei Abtretung des Freistellungsanspruchs an Erfüllungs statt. Weiter verweist das OLG Köln dann ­darauf, dass der VR im Direktprozess nicht schlechter gestellt sei, weil er auch bei getrennter Führung der Prozesse an die ­Ergebnisse des Haftungsrechtsstreits gebunden ist, ohne dass er überhaupt an dem Haftungsrechtsstreit beteiligt ist. Im Direktprozess könne er demgegenüber selbst Einfluss auf die Haftungsfrage nehmen.

Konsequenzen für die Praxis

Das Urteil des OLG Köln ist zwischenzeitlich rechtskräftig ­geworden. Eine Revision hatte es mangels entscheidungs­erheblicher Rechtsfragen nicht zugelassen. Eine höchstrichterliche Entscheidung des BGH zu den vom OLG Köln eingenommenen Positionen steht damit weiter aus. Es bleibt damit der sicherste Weg, eine Abtretung des Freistellungsanspruchs nur erfüllungshalber auszugestalten. Unter Inkaufnahme des Risikos einer abweichenden Entscheidung durch andere Oberlandesgerichte oder den BGH kommt mit Blick auf die Entscheidung des OLG Köln aber auch eine Abtretung an ­Erfüllungs statt als Gestaltungsoption in Betracht. VN und vP könnten also (nach erfolgter Inanspruchnahme) einen isolierten Haftungsvergleich schließen, bei dem die vP ihren Freistellungsanspruch an die VN an Erfüllungs statt ­abtritt und die VN im Gegenzug auf ihren Haftungsanspruch gegen die vP verzichtet. Bei Aktiengesellschaften bleibt hierbei aber § 93 Abs. 4 Satz   AktG zu beachten, da ein Verzicht nur unter bestimmten Voraussetzungen vereinbart werden kann (erst drei Jahre nach Anspruchsentstehung und nur mit Zustimmung der Hauptversammlung). Die VN kann sich in einem nachfolgenden Direktprozess gegen den VR jedenfalls nach Auffassung des OLG Köln weiterhin auf die Beweislasterleichterung in § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG berufen und sich damit darauf beschränken, ein möglicherweise pflichtwidriges Handeln der vP darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Es obliegt dann dem VR, darzulegen und zu beweisen, dass die vP pflichtgemäß gehandelt hat. Hierzu kann der VR die vP als Zeuge benennen, da diese anders als im Haftungsrechtsstreit keine Partei ist.

Bei einem Direktprozess der VN gegen den VR fallen auf Seiten der versicherten Personen jedenfalls prima facie ­weniger Abwehrkosten an, die von dem VR im Fall eines Haftungsrechtsstreits zu erstatten wären und die für die Erfüllung eines etwaigen Freistellungsanspruchs zur Verfügung stehende Versicherungssumme reduzieren würden. Die Rechtsverfolgungskosten der VN können unter Umständen ebenfalls geringer ausfallen, insbesondere wenn sich die VN durch entsprechende Vereinbarungen die Inanspruchnahme von mehreren versicherten Personen erspart. Allerdings übernimmt die VN im Fall eines umfassenden Haftungsverzichts das Risiko des Eingreifens von Deckungsausschlüssen mit der Folge, dass die versicherten Personen gerade bei wissentlichen Pflichtverletzungen nicht mehr in Anspruch genommen werden könnten.

Inwieweit und unter welchen Bedingungen sich vor diesem Hintergrund im Einzelfall eine Abtretung des Freistellungsanspruchs an Erfüllungs statt als vorzugswürdige Vor­gehensweise darstellt, wird daher weiterhin maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls abhängen. Ob die Entscheidung des OLG Köln daher künftig zu einer höheren Zahl von Abtretungen und Direktprozessen gegen D&O-Versicherer führen wird, lässt sich daher momentan noch schwer abschätzen.

Fazit

Die Abtretung von Freistellungsansprüchen der versicherten Person an die geschädigte Versicherungsnehmerin hat sowohl Vor- als auch Nachteile. Bislang werden Organhaftungs­fälle in der Praxis häufig in einem einheitlichen Haftungs- und Deckungsvergleich unter Beteiligung des D&O-Versicherers gegen Zahlung eines Vergleichs­betrags einvernehmlich beendet. Ob es infolge des OLG Köln zu einer vermehrten Abtretung von Freistellungs­ansprüchen und in der Folge auch zu einer vermehrten Zahl von Direktprozessen gegen D&O-Versicherer kommen wird oder im Ergebnis weiterhin ein Vergleich (auch) mit dem D&O-Versicherer das Mittel der Wahl bleibt, wird sich in der Zukunft zeigen.

 

Autor

Dr. Daniel Walden ADVANT Beiten, München Rechtsanwalt, Partner daniel.walden@advant-beiten.com www.advant-beiten.com

Dr. Daniel Walden
ADVANT Beiten, München
Rechtsanwalt, Partner

daniel.walden@advant-beiten.com
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Autor

Valerie Hoffmann ADVANT Beiten, München Rechtsanwältin, Senior Associate valerie.hoffmann@advant-beiten.com www.advant-beiten.com

Valerie Hoffmann
ADVANT Beiten, München
Rechtsanwältin, Senior Associate

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