Die Weltwirtschaft wird von immer mehr und immer heftigeren Krisen erschüttert. Risiko- und Business-Continuity-Management werden zu zentralen Herausforderungen. Welche Rolle und welchen Beitrag kann das Legal-Department dabei spielen?
Empfindliche globale Abläufe
Noch nie war die weltweite Vernetzung größer als heute. Global-Sourcing- und Just-in-time-Konzepte für Produktion und Lieferketten prägen das Wirtschaftsleben. Wie empfindlich diese Strukturen sind, konnten wir in den vergangenen zwei Jahren auf vielfältige Weise erleben: Ein Containerschiff im Suezkanal sorgt für Lieferengpässe bei Mikrochips. Schutzmaßnahmen im Kontext der Covid-19-Pandemie in Kombination mit den Folgen des Brexits lassen englische Tankstellen austrocknen. Die temporäre Stilllegung von Kohlekraftwerken in China, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren, macht Magnesium zur Mangelware, lässt die Aluminiumpreise explodieren und die Weltwirtschaft stottern.
Die Liste lässt sich mit Störungen durch politische Krisen – man denke an kriegführende Autokraten wie Putin sowie Populisten wie Trump und Johnson – und solche, die aus dem Klimawandel resultieren, beliebig verlängern.
VUKA löst Globalisierung ab
All diesen tatsächlichen und/oder potentiellen Störungen ist gemein, dass sie zu einer deutlich höheren Volatilität – also einer größeren Schwankungsbreite von Preisen, Zinsen, Kursen und Mengen pro Zeiteinheit – und zu einem deutlichen Mehr an Unsicherheit führen können und werden. Gleichzeitig sind sich fast alle Experten einig, dass die Komplexität der Wirtschaftsabläufe durch die zunehmende Digitalisierung (Internet der Dinge, IoT), digitale Fabriken und Infrastrukturen (IIoT, Blockchain/Smart Contract) nochmals signifikant ansteigen wird. In dieser Welt wird eine eindeutige Beurteilung, welche Maßnahmen welche Effekte auslösen, kaum mehr möglich sein. Das Akronym VUKA soll verdeutlichen, dass die Zukunft von Volatilität (Volatility), Unsicherheit (Uncertainty), Komplexität (Complexity) und Ambiguität (Ambiguity) gekennzeichnet sein wird. Damit löst VUKA das Paradigma von Wachstum und Globalisierung ab.
Risikomanagement war wichtig und wird an Bedeutung zunehmen
Klimawandel, Brexit und Covid-9-Pandemie sind Belege dafür, dass die VUKA-Zukunft bereits Gegenwart geworden ist. Allen drei Krisen ist gemein, dass sie massive Störungen oder sogar Unterbrechungen der Betriebsabläufe sowie Wertschöpfungs- und Produktionsketten verursacht haben. Der Geschäftsbetrieb konnte nicht oder nicht mehr in vollem Umfang aufrechterhalten werden. Analysiert man die Folgen der Störungen, dann ist wenig verwunderlich, dass Unternehmen, die über ein gutes Risikomanagement und, darunter subsumiert, ein geeignetes Business-Continuity-Management (BCM) verfügen, bei Krisen schneller und gezielter reagieren konnten und oft deutlicher besser abgesichert waren als solche, die zuvor Risikomanagement als das leidige Abhaken von Checklisten und Ausfüllen von Formularen verstanden haben. Interessanterweise sagen neun von zehn Unternehmen (eigene Stichprobe mit 36 Teilnehmern), dass sie in Bezug auf ihr Risk- und Business-Continuity-Management erheblichen Verbesserungsbedarf sehen. Eine vollständige (systematische) Erfassung der Folgen einer Betriebsstörung und eine bessere Ab- oder Versicherung für den Fall, dass Schäden eintreten, wurden an erster Stelle genannt.
Verträge als Grundlage für eine systematische Darstellung der Risikofolgen
Bei der vollständigen Erfassung und systematischen Darstellung der Risiken kann das Legal-Department einen zentralen Beitrag leisten. Kommt es zu einer Betriebsstörung, ist das gleichbedeutend damit, dass man keine neuen „Verträge“ mit Kunden abschließen sowie bestehenden Verpflichtungen nicht oder nicht mehr im zugesicherten Umfang nachkommen kann. Betrachtete man obige Fälle, dann waren meist zuerst Kunden, dann Lieferanten und Partner, danach Beschäftigte und letztlich die Share- und Stakeholder betroffen. Eine vollständige Erfassung aller Verträge und eine systematische Darstellung, welche wirtschaftlichen Folgen die Nichteinhaltung der vertraglich zugesicherten Leistungen hat, könnte ein erster wichtiger Beitrag der Rechtsabteilung zum Business-Continuity-Management und zum Risikomanagement sein. Dieser Darstellung lässt sich gut gegenüberstellen, welche Maßnahmen im Rahmen des Risikomanagements getroffen wurden, zu treffen sind, und auch, wie die Absicherung für das Eintreten des Störfalls aussieht. So werden Handlungsfelder und auch etwaige Lücken in der Absicherung transparent. Dieser systematische Ausweis der Risikomaßnahmen und der Abgleich auf die notwendige Absicherung wird zunehmend von den Versicherungsgesellschaften gefordert, um überhaupt eine Absicherung zu bekommen. Eine systematische Aufbereitung stärkt die Verhandlungsposition und reduziert die Prämien deutlich.
Vertragsanalyse macht Wechselwirkungen und Klumpenrisiken transparent
Die systematische Erfassung von Verträgen kann genutzt werden, um Klumpenrisiken transparent werden zu lassen. Ein Klumpenrisiko tritt immer dann auf, wenn man zwar unterschiedliche Risikoträger hat, die Einzelrisiken aber stark korreliert sind und/oder gemeinsame Ursachen haben. Ein gutes Beispiel sind verschiedene Logistikpartner, die alle den gleichen Transportweg oder gar den gleichen Containerfrachter nutzen. Um diese Risiken transparent zu machen, ist es erforderlich, die Produktions- und Wertschöpfungsketten mit den bestehenden Verträgen in Verbindung zu setzen. Nach unserer Erfahrung ein Vorgehen, das bisher (zu) selten stattfindet.
Liefernetzwerke und Resilienz
Bei der Analyse der Lieferketten, besser Liefernetzwerke, gilt es den Detailgrad der Analyse sorgfältig abzuwägen. Je stärker man Abhängigkeiten zwischen Partnern berücksichtigt, umso höher wird der Informationsbedarf, um zu Abschätzungen und Aussagen zu kommen. Sehr schnell läuft man in die Sackgasse, dass sich aus der Betrachtung der Einzelrisiken und der Analyse der Wechselwirkungen keine Aussagen mehr ableiten lassen.
Dem Problem kann man dadurch begegnen, dass man die Resilienz eines Netzwerks oder Systems als Ganzes heranzieht und versucht, dieses zu beurteilen. Vereinfacht, bedeutet Resilienz, dass ein System in der Lage ist, auf eine Störung zu reagieren, diese im besten Fall auszugleichen oder sich auf die neuen Rahmenbedingungen einzustellen. Dabei kommt es vor allem darauf an, die Anpassungszeiten zu beurteilen und einzuschätzen.
Entsprechend, kann man den Anpassungszeiten dann, zeitlich gegliedert, Vorsorge- sowie allgemeine Risikomanagementmaßnahmen gegenüberstellen.
Veränderte Verträge und partnerschaftliche Zusammenarbeit
Das Bewusstsein für die Störanfälligkeit von Liefernetzwerken und Produktionssystemen sowie die Resilienz dieser Systeme sollten sich zukünftig in Verträgen widerspiegeln – vor allem im Hinblick auf die Regelung der Folgen einer Nichterfüllung. Es wird wenig helfen, die eigene Verhandlungsmacht zu nutzen, um dem Vertragspartner Risiken aufzubürden, die dieser bei einer Störung des Gesamtsystems gar nicht auffangen oder ausgleichen kann. In Zukunft werden Zusammenarbeit und Plattformlösungen zentral sein, um den Herausforderungen der VUKA-Welt zu begegnen.
juergen.erbeldinger@escriba.de