Mit einem Augenzwinkern – und dem Körnchen Wahrheit: Im neuen Jahr ist wieder die Zeit gekommen, persönliche, aber auch berufliche High- und Lowlights des vergangenen Jahres zu reflektieren und sich neue Ziele zu setzen. Für viele Anwälte heißt das ganz konkret: Wie erreiche ich 2023 endlich mein großes Ziel, Partner zu werden?
Was viele vielleicht nur unterbewusst wahrnehmen: Meistens liegt es nicht an der eigenen fachlichen Qualifikation und dem eigenen Engagement, dass man beruflich stagniert und nicht weiterkommt. Insbesondere in Kanzleien, die in einem Oben-unten-Denken arbeiten und eine Pyramidenstruktur haben. Aus Erfahrung können wir relativ pauschal sagen: Anwälte, die sich selbst zutrauen, Partner zu werden, haben auch das Zeug dazu. Sie sind gut ausgebildet, haben Erfahrung in einer oder mehreren Kanzleien gesammelt und sind bereit, eine große Verantwortung zu tragen. Warum wissen wir das? Die sogenannten Senior Associates und Counsels führen die Mandate häufig (fast) eigenverantwortlich, sind die Ansprechpartner der Mandanten und organisieren die Abläufe im Team. Sie und ihre Arbeit tragen letztlich die Kanzleien.
Was nicht passt, sind oftmals Faktoren, die man selbst nur sehr schwer ändern kann. Jetzt heißt es, diese Faktoren zu erkennen und sich über die eigenen Prioritäten klarzuwerden. Andernfalls klappt es auch 2023 wieder nicht und man wird in der Partnerrunde übergangen. Bei der eigenen Analyse kann eine Betrachtung der folgenden sechs Faktoren helfen, die entscheidend sind angesichts von Schwierigkeiten auf dem Weg in die Partnerschaft.
① Sie arbeiten in einer althergebrachten Großkanzlei – oder: Festgefahrene Strukturen
Klassische Kanzleistrukturen entsprechen nicht mehr dem Zeitgeist. In den vergangenen Jahren hat sich wenig bis gar nichts in der Arbeitsweise vieler Großkanzleien geändert. Erkenntnisse aus der digitalen Arbeitswelt und Abläufe aus den Pandemiejahren 2020 und 2021, die der Flexibilisierung hinsichtlich Arbeitszeit und Arbeitsort dienen, sind im Jahr 2022 häufig sogar wieder zurückgefahren worden. Ob in puncto Diversität, bei Arbeitszeitmodellen oder Teamkonstellationen in der klassischen Pyramide – diese oftmals antiquierte Unternehmenskultur ist wenig zukunftsweisend, kostet Mandanten durch den massiven Overhead viel Geld und bremst ambitionierte Anwälte aus.
② Sie sind eine Frau – oder: Fehlt es an Gleichberechtigung?
Jeder Frauenquote zum Trotz: Was bisher mehr gefühlte Realität war, beweist die größte Anwaltsstudie Deutschlands [durchgeführt von JUVE in Zusammenarbeit mit der London School of Economics and Political Science (LSE)] aus dem Jahr 2022: Nur 16% der Partner in deutschen Wirtschaftskanzleien sind Frauen. Anwältinnen haben eine ungleich geringere Chance auf den Aufstieg zur Partnerin. Je „senioriger“ der Titel, desto geringer wird der Frauenanteil in den Kanzleien. Da ist es auch kein Wunder, wenn die weiblichen Vorbilder für junge Anwältinnen fehlen. Unser Vorschlag ist natürlich nicht, dass Sie daran etwas ändern sollten; wir fordern ein Umfeld, das nicht länger auf Abgrenzung und Ausgrenzung als Vorteil ausgelegt ist. Suchen Sie sich daher ein Umfeld, das nicht mit dem modern gewordenen Begriff „toxisch“ zu bezeichnen ist.
③ Sie sind gerade Associate Partner geworden – oder: Hinhaltetaktik dank kreativer Berufstitel
Ob Associate Partner, Assoziierter Partner, Counsel, Local Partner, Director oder Managing Associate: Die Anzahl der möglichen Berufstitel für Anwälte wächst stetig. Dabei sind der Kreativität kaum Grenzen gesetzt. Allen Positionsbezeichnung gemeinsam ist die Tatsache, dass sie im Kern eine Aussage enthalten: nicht Partner! Und die Mandanten wissen das auch. Vielmehr soll die Vergabe solcher Titel ambitionierte Anwälte möglichst lange auf ihrem Weg an die Spitze der Pyramide hinhalten. Ob das zeitgemäß ist?
④ Sie haben (k)eine Persönlichkeit – oder: Kommunikation ist entscheidend
Bei einer begrenzten Zahl an Partnerslots ist es wichtig, dass man die Spielregeln in der jeweiligen Kanzlei kennt, in der man Gesellschafter werden möchte. In einer Konkurrenzsituation darf man das eigene Licht nicht unter den Scheffel stellen, um wahrgenommen zu werden. Gleichzeitig ist überdrehtes oder zu angepasstes Auftreten kontraproduktiv. Aktiv und authentisch zu kommunizieren ist das A und O: Was kann ich als Person der Kanzlei als Mehrwert bieten? Und trotzdem sollte sich jeder am Ende die Frage stellen, ob sie oder er überhaupt Lust auf dieses Spiel hat.
⑤ Sie möchten ein flexibles Arbeitszeitmodell – oder: 60 bis 80 Stunden Anwesenheit
In großen Wirtschaftskanzleien sind 60 oder gar 80 Stunden im Büro keine Ausnahme, sondern die Regel. Das liegt vor allem daran, dass viele Großkanzleien die geleisteten Stunden in Rechnung stellen und daher der Hebel für den Gewinn der Partner in der Zeit liegt, die die Associates aufschreiben (Billable Hour). Dazu kommt ein durch die Unternehmenskultur geschürter Konkurrenz- und Anwesenheitsdruck, der ein flexibles Arbeiten kaum möglich macht. Angehende Partner sollten sich deshalb fragen, ob sie dieses Leben führen wollen und ob digitale oder flexible Lösungen nicht längst auch in Anwaltskanzleien Standard sein sollten. Zudem gilt doch der Satz: Eine halbe Stunde meiner Zeit kann um ein Vielfaches wertvoller sein, als man jemals für
30 Minuten abrechnen könnte.
⑥ Sie wünschen sich eine Familie und planen Kinder – oder: Fehlt es an Vereinbarkeit von Familie und Beruf?
Schwangerschaft und Elternzeit verlängern die Wartezeit bis zur Ernennung zum Partner für weibliche Anwälte oft automatisch. Nicht selten werden sie in dieser Zeit von den Männern in der Kanzlei überholt. Aber auch Väter, die Elternzeit nehmen oder Teilzeit arbeiten möchten, geraten in klassischen Kanzleimodellen schnell auf das Abstellgleis. Denn solange viel Zeit in der Kanzlei mit viel Umsatz einhergeht, kann eine Kanzlei kein Interesse daran haben, dass Teilzeitmodelle eingeführt werden. Aber gerade mit Blick auf das Privatleben ist die junge Anwaltsgeneration nicht mehr bereit, zurückzustecken und die Familie hintanzustellen. Auch hier gilt: Das starre Konzept der Oben-unten-Betrachtung muss aufgebrochen werden, um junge, fähige Talente anzuwerben und langfristig zu halten.
Fazit
Die für einen persönlich zutreffenden Faktoren zu analysieren ist der erste Schritt in Richtung Partnerschaft. Denn, wie aussichtslos die Situation auch scheint, es gibt Lösungen und Wege, die allen offenstehen. Das ist die gute Nachricht. Die Branche befindet sich am Beginn eines Wandels, die Bewegung kommt langsam auch hier an. Neue Unternehmensmodelle mit flexiblen Arbeitszeiten und flachen Hierarchien bieten ungeahnte Möglichkeiten für angehende Partner. Es lohnt sich deshalb, den eigenen Horizont zu erweitern und die für die eigene Situation passende Kanzlei zu suchen.
clemens.engelhardt@trustberg.com
christopher.hahn@trustberg.com