Was plant die Ampel-Koalition?

Artikel als PDF (Download)

Das Thema „Sustainable Finance“ hat – was vor vier Jahren undenkbar gewesen wäre – Eingang in den Koalitionsvertrag der neuen Regierung gefunden. Hierauf schauen nicht nur deutsche Marktteilnehmer, sondern auch die Policy Maker in Brüssel mit großem Interesse. Nicht zuletzt hängt von der Positionierung des größten EU-Mitgliedstaats ab, in welchem Tempo und mit welchen Prioritäten sich die ESG-Regulierung in den kommenden vier Jahren entwickeln wird. Grund genug, auf die zentralen Aussagen im Koalitionsvertrag einen kritischen Blick zu werfen.

Der Begriff „Nachhaltigkeit“ findet sich im Titel des Koalitionsvertrages von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP („Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“) ebenso wie in der Überschrift des der Finanzpolitik gewidmeten Kapitels VIII. (Zukunftsinvestitionen und nachhaltige Finanzen). Wenig überraschend wird deshalb auch der Transformation der Finanzmärkte hin zu mehr Nachhaltigkeit Raum im Koalitionsvertrag gewährt So gibt der Koalitionsvertrag unter der Unterüberschrift „Sustainable Finance“ (S. 170 f.) Einblick in die Schwerpunkte, die das Regierungsbündnis in den kommenden Jahren auf diesem Gebiet setzen will. Was also darf man erwarten?

Deutschland als führender ESG-Standort…

Am Beginn stehen das Bekenntnis und der Anspruch, Deutschland zum führenden Standort nachhaltiger Finanzierung in Europa zu machen. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass ein Wettbewerb der europäischen Finanzplätze, um das „gelbe Trikot“ des Spitzenreiters in Sachen ESG entbrannt ist. Frankfurt konkurriert hier mit Paris, Amsterdam und Luxemburg. Frankfurt darf insoweit auf breite politische Rückendeckung aus Berlin hoffen. Dass es gelungen ist, das International Sustainability Standards Board (ISSB) nach Frankfurt zu holen, dürfte ein wichtiges Ausrufezeichen sein.

… aber nicht auf Kosten der Finanzstabilität

Gleichzeitig weist der Koalitionsvertrag ausdrücklich darauf hin, dass sich die Koalition am Leitprinzip der Finanzstabilität orientieren will. Dies deutet auf die Handschrift der FDP hin. Finanzpolitische Abenteuer um der Nachhaltigkeit willen werden demnach mit der neuen Regierung nicht zu machen sein. Dementsprechend bekennt sich der Koalitionsvertrag zwar dazu, dass es sich bei Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken um Finanzrisiken handelt. Gleichzeitig werden aber nicht-risikogerechte Eigenkapitalregeln abgelehnt. Dies dürfte insbesondere für Erleichterung in der Kreditwirtschaft sorgen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn man die Passage im Koalitionsvertrag als eine Absage an die in Brüssel immer wieder diskutierte ESG-Bonus- und Malus-Regelungen bei der Eigenmittelunterlegung nach der CRR versteht.

Für eine Regulierung von ESG-Ratings…

Mit Blick auf nachhaltige Finanzprodukte lässt sich dem Koalitionsvertrag nur so viel entnehmen, dass sich die neue Regierung für eine „angemessene Rahmenbedingung“ einsetzen will. Was man da herauslesen will, mag dem Standpunkt des jeweiligen Betrachters überlassen bleiben. Insgesamt hätte man von der neuen Regierung eine etwas enthusiastischere Befürwortung der umfassenden EU-Regulierungsvorhaben erwartet. Auch hier scheint die Regierung jedenfalls mit Augenmaß vorgehen zu wollen. Interessanter ist ein weiterer Aspekt: Die neue Bundesregierung will europäische Mindestanforderungen im Markt für ESG-Ratings ebenso unterstützen wie die verbindliche Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken in Kreditratings. Zumindest mit dem erstgenannten Punkt liegt sie auf der Linie der europäischen und internationalen Wertpapieraufsichtsbehörden (ESMA und IOSCO). Man darf gespannt sein, ob die EU-Kommission dieses Regulierungspetitum aufgreifen und in 2022 einen Vorschlag für eine europaweite harmonisierte Beaufsichtigung von ESG-Ratings vorschlagen wird.

… und ein klares Bekenntnis zur CSRD

Der Reigen der im Koalitionsvertrag abgehandelten Regulierungsthemen setzt sich fort mit einem deutlichen Signal zugunsten europaweit einheitlicher Transparenzstandards für Nachhaltigkeitsinformationen von Unternehmen. Dies betrifft zunächst die zum 01.01.2022 in Kraft tretenden Non-Financial-Reporting-Pflichten von großen kapitalmarktorientierten Unternehmen nach Art. 8 Taxonomie-Verordnung. Hier ist die Messe indes schon gesungen: Sowohl Level 1 als auch Level 2 von Art. 8 Taxonomie-VO haben bereits das europäische Gesetzgebungsverfahren passiert. Deutlich mehr Einfluss wird Deutschland noch auf die Integration von ESG-Faktoren in die bestehenden Rechnungslegungsstandards nehmen können. Dasselbe gilt in noch höherem Maße für den Richtlinienvorschlag der EU-Kommission für eine „Corporate Sustainability Reporting Directive“ (CSRD). Der hat es in sich: So gehen Experten von einer Erweiterung des Kreises berichtspflichtiger Unternehmen auf EU-Ebene um das 4-fache (auf 49.000 Unternehmen) und in Deutschland sogar um das 30-fache (auf 15.000 Unternehmen) aus. Gegenstand der Berichtspflicht sollen unter anderem die Inkorporierung von Nachhaltigkeitszielen in Geschäftsmodell und Geschäftsstrategien, die wichtigsten nachteiligen ESG-Auswirkungen der Geschäftstätigkeit entlang der Wertschöpfungskette, ESG Due-Diligence-Mechanismen und eine ESG-„Wesentlichkeitsanalyse“ sein. Da überrascht es nicht, dass das Richtlinienvorhaben auf deutliche Vorbehalte vor allem in der Realwirtschaft stößt. Umso erfreulicher dürfte es aus Brüsseler Sicht sein, dass das Richtlinien-Vorhaben im Koalitionsvertrag ausdrücklich positiv konnotiert wird. Wie die Position der Koalition zu der demnächst zu erwartenden EU-Richtlinie im Bereich Sustainable Corporate Governance sein wird, lässt sich aus dem Koalitionsvertrag leider noch nicht ablesen.

Stärkung des Sustainable-Finance-Beirats

Die neue Bundesregierung will es indes nicht bei einem rein europäischen ESG-Engagement belassen. Auch auf nationaler Ebene soll auf Basis der Empfehlungen des beim BMF eingerichteten Sustainable-Finance-Beirats (SF-Beirat) eine „glaubwürdige Sustainable Finance Strategie mit internationaler Reichweite implementiert“ werden. Den SF-Beirat will die Regierung als unabhängiges und effektives Gremium fortführen. Dies dürfte inhaltlich konkret an das vom SF-Beirat verfolgte Projekt einer „Nachhaltigkeitsampel“ anknüpfen. Hierbei handelt es sich um ein Kennzeichnungssystem für nachhaltige Finanzprodukte, das – jenseits der reinen Transparenzanforderungen von SFDR und Taxonomie-VO – inhaltliche Qualitätsstandards für nachhaltige Finanzprodukte setzen will. Der SF-Beirat dürfte sich in seinen Bemühungen insoweit ebenso gestärkt sehen wie die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die parallel an einer Richtlinie für nachhaltige Investmentvermögen arbeitet. Dieses Vorhaben ist – wohl nicht zu Unrecht – unter den deutschen Marktteilnehmern umstritten. Nicht zuletzt wird die BaFin darauf zu achten haben, dass sie hier nicht auf die europäische Spielwiese gerät und Sachverhalte reguliert, die einer Harmonisierung durch den europäischen Gesetzgeber vorbehalten sind. Dass die deutsche Aufsicht aber jedenfalls eigene Impulse setzen darf und soll, wird man dem Koalitionsvertrag durchaus entnehmen können.

Was bleibt als Fazit?

Sustainable Finance wird als ein so wichtiges Thema wahrgenommen, dass es mit einem eigenen Abschnitt Eingang in den Koalitionsvertrag der neuen Regierung gefunden hat. Bereits dies ist für sich genommen bemerkenswert. Inhaltlich setzt sich die neue Regierung mit dem Bekenntnis zu Deutschland als führendem ESG-Standort sowie der Unterstützung zentraler europäischer Reformvorhaben im Bereich Sustainable Finance (insbesondere der CSRD) wichtige Ziele. Die ausdrückliche Erwähnung von Finanzstabilität und Angemessenheit bei allen Reformbemühungen lässt aber darauf vertrauen, dass man hier auch nicht zu viel des Guten tun will. Letztlich wird es darauf ankommen, wie die programmatischen Leitsätze des Koalitionsvertrags in der Praxis insbesondere des von der FDP geführten Finanzministeriums geprägt werden. Ein tauglicher Rahmen scheint hierfür durch den Koalitionsvertrag immerhin gesetzt zu sein. Ob Deutschland damit auch EU-weit zum Vorreiter in Sustainable Finance wird, bleibt allerdings abzuwarten.

birkholz@lindenpartners.eu

roeh@lindenpartners.eu

Aktuelle Beiträge