Es werde Grün
Die Europäische Kommission hat ein klares Ziel definiert: Bis 2050 soll nach dem Pariser Klimaabkommen eine europaweite Reduktion der CO2-Emissionen auf null erreicht werden. Unternehmen werden jetzt mit einer wahren EU-Gesetzeswelle konfrontiert: Von der „Corporate Social Responsibility“-Richtlinie über die Disclosure- bis zur Taxonomie-Verordnung. Die Regularien haben eines gemeinsam: Unternehmen ab einer bestimmten Größe haben besondere Berichts- und Veröffentlichungspflichten. Eine „Sustainable Corporate Governance“, wonach Unternehmen zu einer nachhaltigen Unternehmensleitung verpflichtet werden, gibt es allerdings noch nicht. Auf EU-Ebene ist zwar ein Gesetzgebungsverfahren zur nachhaltigen Unternehmensführung geplant. Ob konkrete Nachhaltigkeitsziele auf EU-Ebene aufgestellt werden, ist jedoch offen. Ein Novum an zu beachtenden Sorgfaltspflichten durch die Unternehmensleitung wird das nationale Lieferkettengesetz sein. Es verpflichtet Unternehmen ab einer bestimmten Größe zur Beachtung von Menschenrechten und Umweltstandards in der gesamten Lieferkette. Ein Entwurf dazu soll dem Bundestag noch in dieser Legislaturperiode zur Beschlussfassung vorgelegt werden.
Die Unternehmensleitung zwischen Legalität und Legitimität
Aktuell stellt sich für Leitungsorgane die Frage, inwieweit sie zu einer nachhaltigen Unternehmenspolitik berechtigt und verpflichtet sind. Auf der einen Seite ist Nachhaltigkeit nicht nur ein politisches Thema, sondern dringt auch zunehmend in das Bewusstsein von Investoren und Verbrauchern. Die Berücksichtigung nachhaltiger Aspekte wirkt sich daher auf Reputation und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen aus. Auf der anderen Seite ist der Gesellschaftszweck von Unternehmen, die ein Handelsgewerbe betreiben, in der Regel die Gewinnmaximierung. Dürfen nachhaltige Aspekte auf Kosten der finanziellen Interessen der Shareholder berücksichtigt werden? Die Antwort an die Unternehmensleitung vorab: Bei Überschreiten der Grenzen zur Legalität oder Legitimität drohen nicht nur eine Abberufung, sondern unter Umständen auch Schadensersatzansprüche des Unternehmens gegenüber der Unternehmensleitung.
Rechtlicher Rahmen für die Unternehmensleitung
Ausgangspunkt für Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft sind die Regelungen nach §§ 76 I, 93 I 1 AktG. Demnach müssen die Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anwenden. Das Pendant im GmbH-Gesetz findet sich für Geschäftsführer einer GmbH in § 43 I GmbHG. Im Gegensatz zu GmbH-Geschäftsführern leitet der Vorstand die Aktiengesellschaft nach § 76 I AktG allerdings unter eigener Verantwortung. Entscheidungsbefugnis und Verantwortung für die Berücksichtigung von nachhaltigen Aspekten liegen damit beim Vorstand. Grundsätzlich gilt das zwar auch für den GmbH-Geschäftsführer. Jedoch sind in einer GmbH die Gesellschafter die „Herren der Gesellschaft“ und können dem Geschäftsführer nach § 37 I GmbHG jederzeit Weisungen erteilen.
Die zu beachtende Sorgfaltspflicht in Sachen Nachhaltigkeit umfasst zunächst die strikten Legalitätspflichten. Die Geschäftsführungstätigkeit muss im Einklang mit der Rechtsordnung ausgeübt werden. Hierzu zählen etwa Vorgaben aus den Umweltgesetzen, die Berichtspflichten nach § 289b f. HGB oder die Pflichten aus den unmittelbar geltenden EU-Verordnungen wie die Disclosure-Verordnung. Zudem müssen sich nachhaltige Maßnahmen im Rahmen des satzungsmäßigen Unternehmensgegenstands halten. Überschreitet die Unternehmensleitung die Vorgaben des Unternehmensgegenstands, führt das zur Pflichtwidrigkeit der Maßnahmen. Daraus ergibt sich möglicherweise ein Haftungsfall für die Unternehmensleitung.
Der Safe Harbour und die nachhaltige Unternehmensführung
Solange keine Gesetze, die Satzung oder Beschlüsse die Unternehmensleitung lenken, wird ihr bei der unternehmerischen Tätigkeit ein weiter Handlungsspielraum zugebilligt. Vorstand und Geschäftsführer können hinsichtlich des „Ob“ und „Wie“ der Tätigkeit nach eigenem Ermessen entscheiden. Eine Schranke der Ermessensausübung ist die Pflicht der Unternehmensleitung, für den Bestand des Unternehmens und für dauerhafte Rentabilität zu sorgen. Gewählte Maßnahmen müssen sich ökonomisch rechtfertigen lassen. Langfristig sollen Gewinnaussichten und der Unternehmenswert oder zumindest die Reputation und die soziale Akzeptanz der Gesellschaft gesteigert werden. Es gibt allerdings zunehmend Stimmen, die eine ökonomische Rechtfertigung nicht für zwingend erforderlich erachten, solange die dauerhafte Rentabilität der Gesellschaft nicht gefährdet wird.
Grundsätzlich „darf“ die Unternehmensleitung nachhaltigkeitsorientiert handeln. Erst recht dürfen, oder müssen, nachhaltige Aspekte berücksichtigt werden, wenn sie dem Unternehmen Vorteile bringen. Selbst wenn sich nachhaltigkeitsorientierte Maßnahmen kurzfristig ergebnisbelastend auswirken, überschreitet die Unternehmensleitung ihren Handlungsspielraum nicht zwingend. Wenn sich die Maßnahmen erst langfristig positiv auf das Unternehmen auswirken und damit zur dauerhaften Rentabilität beitragen, sind sie gerechtfertigt. Nachhaltigkeitsorientierte Maßnahmen können sich aber auch dauerhaft ergebnisbelastend auswirken und sich ex post als Fehlentscheidungen herausstellen. Andererseits kann ein wirtschaftlich unmittelbar vorteilhaftes Geschäft unter Außerachtlassung von nachhaltigen Aspekten zu langfristigen Nachteilen wie Reputationsschäden oder Wettbewerbsnachteilen für das Unternehmen führen.
Aber nicht jede Fehleinschätzung oder Fehlentscheidung, die Nachteile für das Unternehmen verursacht, führt zu einer Pflichtverletzung des Vorstands oder der Geschäftsführer. Leitungsorganen wird ein Haftungsfreiraum gewährt. Überschritten wird der Handlungsspielraum, wenn es an einem am Unternehmenswohl orientierten und auf sorgfältiger und angemessener Informationsgrundlage beruhenden unternehmerischen Handeln im Sinne der Business Judgement Rule nach § 93 I 2 AktG fehlt. Sorgfalt in der Vorbereitung von Entscheidungen ist also wichtig. Die Unternehmensleitung hat die Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf die Unternehmensreputation zu prüfen. Voraussichtliche Vorteile eines Geschäfts sind gegen die zu erwartenden Reputationsschäden abzuwägen. Aber auch nachhaltige Geschäfte, die sich erkennbar gewinnminimierend auswirken, bedürfen einer eingehenden Prüfung und Abwägung, die auf einer hinreichenden Informationsgrundlage basieren. Divergierende Interessen, etwa die finanziellen Interessen der Aktionäre einer Aktiengesellschaft und der Gesellschafter einer GmbH und die Interessen der Allgemeinheit, müssen gegeneinander abgewogen, angemessen berücksichtigt und in Ausgleich gebracht werden.
Ohne vorherige Identifizierung und Abschätzung der Folgen kann sich die Unternehmensleitung mangels angemessener Informationsgrundlage nicht auf den Schutz der Business Judgement Rule berufen. Wenn die Unternehmensleitung sich allerdings hinreichend kundig gemacht hat und dabei zu dem Ergebnis gelangt ist, dass das nachhaltige oder nicht nachhaltige Geschäft für die Gesellschaft vorteilhaft ist, dürften die Voraussetzungen des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG (analog) regelmäßig erfüllt sein.
Nachhaltig oder nicht nachhaltig – ist das eine Frage?
Leitungsorgane treffen aufgrund der EU-Gesetzeswelle zur Nachhaltigkeit immer mehr Pflichten. Auch Investoren und Verbraucher achten zunehmend auf nachhaltige Unternehmen. Das hat Konsequenzen für die Unternehmensleitung. Sie muss zunehmend nachhaltige Aspekte bei ihren Entscheidungen und Pflichten berücksichtigen. Das voraussichtlich kommende Lieferkettengesetz wird die Unternehmensleitung vieler Unternehmen zu vermehrten Sorgfaltspflichten zwingen. Ob die Unternehmensleitung will oder nicht, der Trend geht zu einer nachhaltigen Unternehmensführung.