Der Koalitionsausschuss der Regierungsparteien hat in seiner Sitzung am 25.08.2020 beschlossen, die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht teilweise fortzusetzen. Ausgesetzt wird weiterhin – und zwar (vorläufig) bis zum 31.12.2020 – die Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung. Es kommt also am 01.10.2020 der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit zurück.
Damit hat sich das in Fachkreisen vielfach geforderte Modell durchgesetzt, eine differenzierte Folgeregelung bei der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zu treffen. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht war durch das Covid-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) zunächst befristet bis zum 30.09.2020 eingeführt worden.
Was bedeutet die Rückkehr der Zahlungsunfähigkeit für Corona-gebeutelte Unternehmen?
Wer antragspflichtig ist, muss einen Insolvenzantrag spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit stellen (§ 15a Abs. 1 InsO). Unternehmen, die trotz staatlicher Hilfen in Liquiditätsschwierigkeiten sind, sollten daher umgehend prüfen, ob für sie eine Insolvenzantragspflicht besteht. Antragspflichtig sind grundsätzlich nur Geschäftsführer oder Vorstände von Kapitalgesellschaften (GmbH, AG, KGaA, SE) und von kapitalistischen Personengesellschaften (insbesondere GmbH & Co. KG). Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 InsO). Der BGH nimmt Zahlungsunfähigkeit darüber hinaus – verkürzt ausgedrückt – an, wenn der Schuldner eine Liquiditätslücke von 10% seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten hat und er diese nicht innerhalb von drei Wochen ausgleichen kann. Ob Zahlungsunfähigkeit vorliegt, kann mit Hilfe eines Liquiditätsstatus und einer Liquiditätsplanung festgestellt werden. Hierbei ist in der Regel professionelle Begleitung erforderlich, um die Besonderheiten des Insolvenzrechts zu berücksichtigen.
Haftungsgefahren ab dem 01.10.2020 wieder erheblich
Geschäftsführer und Vorstände machen sich zivilrechtlich und gegebenenfalls strafrechtlich haftbar, wenn sie einen erforderlichen Insolvenzantrag nicht rechtzeitig innerhalb der gesetzlichen Dreiwochenfrist seit Eintritt der Zahlungsunfähigkeit stellen.
Ein scharfes Schwert ist hier insbesondere das Verbot für Geschäftsführer und Vorstände, nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit Zahlungen zu leisten (§ 64 GmbHG, § 92 AktG, §§ 130a, 177a HGB). Ist eine Zahlung nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar, ist diese von dem Geschäftsführer aus seinem Privatvermögen an die Insolvenzmasse zurückzuerstatten. Der Begriff der Zahlung ist dabei denkbar weit zu verstehen. So können sogar Gutschriften zugunsten des Schuldners auf sein Kontokorrentkonto, das sich im Soll befindet, Zahlungen des Schuldners sein. Denn hiermit wird der Saldo gegenüber der Bank zurückgeführt (Zahlung an die Bank). Grundsätzlich bezieht sich der Erstattungsanspruch auf jede einzelne Zahlung. Das bedeutet, dass verbotene Auszahlungen nicht mit (entlastenden) Einzahlungen saldiert werden. Es kommt damit selbst bei vergleichsweise geringen Umsätzen schnell zu hohen Erstattungsansprüchen. Im Einzelnen ist die Rechtsprechung hochdifferenziert und komplex. In einer krisenhaften Alltagssituation ist die Beurteilung, ob eine Zahlung zulässig ist oder nicht, für die Geschäftsführer daher mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden.
Zwar hat das COVInsAG für Geschäftsführer im Bereich der Haftung für verbotene Zahlungen zunächst erhebliche Erleichterungen geschaffen. Soweit – aber auch nur soweit – die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ausgesetzt ist, gelten Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 COVInsAG). Diese Privilegierung hilft daher ab dem 01.10.2020 allein solchen Geschäftsführern, deren Unternehmen (nur) überschuldet sind. Weil die Privilegierung an die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht anknüpft, gilt sie nicht mehr, wenn die Insolvenzreife auf der Zahlungsunfähigkeit beruht. Denn hierfür ist die Antragspflicht sodann nicht mehr ausgesetzt.
Allen Geschäftsführern und Vorständen sei daher empfohlen, im gut verstandenen Eigeninteresse bei bekannten Liquiditätsproblemen noch vor dem 01.10.2020 die Situation zu analysieren, um rechtzeitig entweder außergerichtliche Sanierungsmaßnahmen einzuleiten oder in einem Insolvenzverfahren die gerichtlich beaufsichtigte Sanierung anzustreben. Die Erfahrung zeigt, dass rechtzeitiges Handeln und Begleitung durch fachlich qualifizierte Berater erheblich dazu beitragen, die Kontrolle über den Prozess zu behalten.
Überschuldung bleibt suspendiert
Für (nur) überschuldete Unternehmen wird vorerst bis zum 31.12.2020 die Pflicht zur Antragstellung suspendiert. Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich (§ 19 Abs. 2 InsO). Ansatz und Bewertung des Vermögens folgen dabei nicht den bekannten handelsbilanziellen Grundsätzen. Stattdessen ist die insolvenzmäßige Verwertbarkeit maßgeblich. Übersteigen die Schulden das Vermögen, kommt es darauf an, ob die Fortbestehensprognose positiv oder negativ ist. Die Fortbestehensprognose erfordert eine Liquiditätsplanung, die sich auf das laufende und das kommende Geschäftsjahr bezieht. Sie ist negativ, wenn im Prognosezeitraum die Zahlungsunfähigkeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eintritt. In diesem Fall liegt eine insolvenzrechtliche Überschuldung vor. Gerade die Planung ist gegenwärtig durch die erheblichen Corona-bedingten Unsicherheiten selten seriös zu erstellen. Niemand weiß, wie sich das Infektionsgeschehen entwickelt und welche Auswirkungen das auf die wirtschaftliche Betätigung der betroffenen Unternehmen haben wird. Vor diesem Hintergrund ist die Suspendierung der Überschuldung als verpflichtender Insolvenzantragsgrund zunächst auch ein praktischer Ausweg aus dieser Unsicherheit.
Fazit und Ausblick
Die Insolvenzverschonung wird in einem sehr entscheidenden Punkt zurückgenommen. Unternehmen, die ihre fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr bezahlen können, müssen sich ab dem 01.10.2020 wieder der Antragspflicht stellen. Damit wird der Marktbereinigungsmechanismus, der durch das Insolvenzrecht und seine Haftungsregelungen geschaffen wird, teilweise wieder hergestellt. Niemand kann Interesse an Zombieunternehmen haben, die faktisch nicht überlebensfähig sind. Bei der Beurteilung geht es auch um Lieferanten, Kunden, Arbeitnehmer, Kreditgeber und auch Wettbewerber, die für die Krise besser gerüstet waren. Gleichwohl ist die Differenzierung nach Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung richtig, denn Unternehmen, die (nur) überschuldet sind, werden vielfach den Turnaround schaffen können, wenn sie durch die Folgen der Coronapandemie in Schieflage geraten sind und sich eine wirtschaftliche Erholung abzeichnet.
Aber auch der 31.12.2020 ist schon sichtbar. Dann müssen auch bislang verschonte Unternehmen Farbe bekennen.