Der Verlauf der Pandemie in Deutschland gibt derzeit Hoffnung auf eine positivere Entwicklung. Maßgeblichen Einfluss hat Corona indes auf die Recruitingprozesse in Sozietäten und Rechtsabteilungen genommen. Thomas Wegerich sprach dazu mit Hellmuth Wolf, langjähriger Kooperationspartner des Deutschen AnwaltSpiegels und einer der führenden Personalberater im Rechtsmarkt.
Deutscher AnwaltSpiegel: Bitte geben Sie uns einen Überblick, wie sich das Thema „Recruiting im Rechtsmarkt“ seit Beginn der Coronakrise verändert hat.
Wolf: Beim Recruiting im Rechtsmarkt haben sich während der Coronapandemie insbesondere die Prozesse dahingehend verändert, dass sowohl persönliche Interviews als auch Präsentationen von Kandidaten bei den Mandanten zunächst ausschließlich virtuell durchgeführt wurden. Das war zu Beginn der Krise eine echte Herausforderung, da bei Gesprächen zwischen Kandidaten und ihren potentiellen neuen Arbeitgebern die persönliche Ebene eine entscheidende Rolle spielt und diese durch Videokonferenzen nicht ausreichend Berücksichtigung finden konnte. Mittlerweile hat sich das dahingehend eingependelt, dass die meisten meiner persönlichen Interviews sowie auch spätestens die Zweitgespräche bei unseren Mandanten wieder physisch stattfinden – wenn auch unter Einhaltung der Hygienemaßnahmen.
Deutscher AnwaltSpiegel: Welche Erfahrungen haben Sie mit virtuell durchgeführten Bewerbungsverfahren gesammelt? Wie reagieren die Kandidaten und die Personaler/Partner in Kanzleien und Rechtsabteilungen?
Wolf: Bei den virtuell durchgeführten Gesprächen fehlt der persönliche Kontakt.
Zu Beginn der Pandemie kam es häufiger auch zu technischen Problemen, wie etwa dem Einfrieren von Bildern oder Tonstörungen, was sich dann auch auf die Qualität der Gespräche ausgewirkt hat. Generell ist jedoch Folgendes festzuhalten: Da Videokonferenzen lange Zeit alternativlos waren, mussten sich alle, also sowohl Kandidaten als auch Partner in den Kanzleien und Personalverantwortliche in den Rechtsabteilungen, auf die neue Situation einstellen – und haben es letztendlich auch getan.
Deutscher AnwaltSpiegel: Nach der Zusage für eine neue Position ist vor dem Start im neuen Team. Bitte schildern Sie unseren Lesern, ob und wie remotes Onboarding von neuen Mitarbeitern gelingt. Was ist zu beachten? Welche Dos and Don’ts gibt es?
Wolf: Da wir bei meinen Projekten spätestens das Zweitgespräch beim Mandanten physisch durchgeführt haben, konnten sich alle Parteien im Vorfeld vor der Vertragsunterschrift persönlich kennenlernen. Mit Beginn der neuen Position konnte es Führungskräften passieren, dass ihr Team im Home-Office war und dieser Umstand natürlich die Einarbeitungszeit vor größere Herausforderungen gestellt hat. Es gab dabei tatsächlich einige Fälle, wo beispielsweise ein General Counsel die neuen Teammitglieder in den ersten drei Monaten persönlich überhaupt nicht treffen konnte. Dem wurde teilweise entgegengewirkt, indem die Teams in wöchentlichem Wechsel zwischen Büropräsenz und Home-Office aufgeteilt wurden. Aber auch damit kann man mittlerweile umgehen, weil sich alle Beteiligten an die Situation angepasst haben und anpassen mussten – es gab keine Alternative.
Deutscher AnwaltSpiegel: Welche Auswirkungen haben die inzwischen eineinhalb Jahre der Pandemie nach Ihrer Einschätzung auf die mittel- und langfristige Karriereentwicklung und die Karrierechancen von Anwälten? – Konkret gefragt: Wie kann der Ausbau eines Business-Case für Partnerkandidaten unter den jetzigen Bedingungen gelingen?
Wolf: Im vergangenen Jahr konnten sicherlich nicht alle Karrierepläne von Anwälten umgesetzt werden, da eben viele Jahresgespräche nicht persönlich, sondern digital stattfinden mussten oder auch teilweise verschoben wurden. Ich gehe aber davon aus, dass die meisten Karriereoptionen in diesem Jahr nachgeholt werden und speziell bei Partnerkandidaten wieder mehr Aussagekraft für deren Business-Case gegeben ist. Auch die Karriereentwicklung von erfahrenen Senior Associates hin zu Partnern wird allenfalls verschoben, aber in aller Regel nicht aufgehoben – sie ist weiterhin gegeben. In dem Kontext ist zu erwähnen, dass viele Anwaltskanzleien in ihren jeweiligen Kernsegmenten, wie Corporate, M&A, Real Estate, Infrastructure oder Tax trotz der Pandemie ein sehr gutes Geschäftsjahr verzeichnen konnten.
Deutscher AnwaltSpiegel: Viele Sozietäten sind bislang wirtschaftlich sehr erfolgreich durch die Krise navigiert. Lassen Sie uns einmal in die Glaskugel schauen: Welche Entwicklungen im Rechtsmarkt erwarten Sie aus Ihrer Sicht als Personalberater in den nächsten ein bis zwei Jahren? Bitte berücksichtigen Sie dabei auch die Stichworte Home-Office, Teamstrukturen und Diversity.
Wolf: Viele Sozietäten sind wirtschaftlich erfolgreich durch die Krise gekommen, und es ist zu erwarten, dass sich dort der wirtschaftliche Aufschwung fortsetzen wird. Zahlreiche Kanzleien sind auch langsam dabei, die Mitarbeiter wieder vermehrt in Büros zu integrieren. Vor diesem Hintergrund gehe ich davon aus, dass in Zukunft den Mitarbeitern auf Wunsch mehr Home-Office-Möglichkeiten gewährt werden als vor der Krise. Die Büropräsenz wird sich allerdings wieder deutlich erhöhen. Dies ist im Übrigen auch der Wunsch vieler Führungskräfte und Mitarbeiter, die doch die sozialen Kontakte im Büro, die Gespräche in der Kaffeeküche bis hin zu gemeinsamem Fitnesstraining und Sport sehr vermissen und diese Möglichkeiten sehr gerne wieder in Anspruch nehmen möchten. Es kann sogar sein, dass sich nach der langen Abstinenz durch die Pandemie auch die Teamstrukturen verbessern und das Miteinander noch mehr geschätzt wird als vor der Pandemie. Beim Thema Diversity versuchen natürlich alle Kanzleien, diesem Anspruch gerecht zu werden, beklagen sich aber teilweise in Hintergrundgesprächen, dass sie nicht immer wissen, wie sie das entsprechende Personal rekrutieren sollen. Das Thema wird aber vor allem bei der Einstellung von Berufseinsteigern und mittleren Ebenen weiter an Bedeutung gewinnen. Bei der Verpflichtung von Equity-Partnern wird auch in Zukunft der Business-Case eine dominante Rolle spielen.