Bundesarbeitsgericht erweitert die personelle Reichweite des Auskunftsanspruchs nach dem Entgelttransparenzgesetz

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Die Lektüre war anstrengend, das Prüfprogramm erschöpfend. Auf 735 Randnummern bringt es die LAG-Entscheidung (dazu später). Und gleichwohl will der 8. Senat des BAG nun doch den Auskunftsanspruch aus § 10 Abs. 1 Satz 1 EntgTranspG auch auf arbeitnehmerähnliche Personen anwenden (siehe hier). Für Arbeitgeber*innen heißt das: Auskunftsbegehren nach Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) müssen in Zukunft noch sorgfältiger geprüft und dürfen nicht vorschnell abgelehnt werden.

Wie weit soll das noch gehen?
Das BAG setzte sich in dem Urteil mit der Reichweite des personellen Anwendungsbereichs des Entgelttransparenzgesetzes auseinander. Die Klägerin des Verfahrens verlangte von ihrer Arbeitgeberin, einer Fernsehanstalt des öffentlichen Rechts, Auskunft nach § 10 Abs. 1 Satz 1 EntgTranspG.
Das in der Berufung zuständige LAG Berlin-Brandenburg wies die unter anderem auf Auskunftserteilung gerichtete Klage ab. Es begründete seine Entscheidung damit, die Klägerin sei keine Arbeitnehmerin im Sinne des deutschen Arbeitsrechts und falle als arbeitnehmerähnliche Person nicht unter den Beschäftigtenbegriff des § 5 Abs. 2 EntgTranspG. Ihr stehe demnach kein Auskunftsanspruch aus § 10 Abs. 1 Satz 1 EntgTranspG zu (siehe hier).
Diese Auffassung teilt der mit der Revision befasste 8. Senat des BAG nicht. Er entschied, dass die Klägerin Arbeitnehmerin im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 1 EntgTranspG ist und als solche nach dem Entgelttransparenzgesetz Auskunft über die Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung verlangen kann. Ob ihr auch ein Anspruch auf Auskunft über das Vergleichsentgelt zusteht, konnte das BAG aufgrund der vom LAG getroffenen Feststellungen nicht entscheiden und verwies die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück.

Arbeitnehmerbegriff – national oder europäisch?
Einigkeit besteht darüber, dass Ziel des Entgelttransparenzgesetzes die Durchsetzung des in Art. 157 AEUV vorgegebenen und durch die Richtlinie 2006/54/EG konkretisierten Entgeltgleichheitsgebots für Frauen und Männer bei gleichwertiger Arbeit ist. Zu diesem Zweck sieht § 10 Abs. 1 Satz 1 EntgTranspG einen Auskunftsanspruch für Beschäftigte vor (siehe hier). Der Umfang des Anspruchs richtet sich nach den §§ 11 ff. EntgTranspG. In persönlicher Hinsicht ist die Beschäftigteneigenschaft erforderlich. § 5 Abs. 2 EntgTranspG regelt, wer Beschäftigter im Sinne des EntgTranspG ist, nämlich insbesondere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Nicht in § 5 Abs. 2 EntgTranspG genannt werden die arbeitnehmerähnlichen Personen. Damit stellte sich die Frage, ob arbeitnehmerähnliche Personen unter das Entgelttransparenzgesetz fallen.
Ihre Beantwortung richtet sich danach, ob die Begriffe Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in § 5 Abs. 2 Nr. 1 EntgTranspG dem nationalen Arbeitnehmerbegriff entsprechend oder unionsrechtskonform auszulegen sind.
Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist Arbeitnehmer, wer während einer bestimmten Zeit für eine andere Person nach deren Weisungen Leistungen erbringt, für die als Gegenleistung eine Vergütung erfolgt. Irrelevant sind die rechtliche Einordnung der Tätigkeit nach dem nationalem Recht oder die Bezeichnung (siehe hier). Hingegen ist nach der Rechtsprechung des BAG Arbeitnehmer im Sinne des § 611a Abs. 1 BGB, wer durch Arbeitsvertrag im Dienst eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist (siehe hier). Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestaltet und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Die Verpflichtung zur weisungsgebundenen Tätigkeit muss sich aus dem Arbeitsvertrag ergeben. Im Gegensatz zu Arbeitnehmern besteht bei arbeitnehmerähnlichen Personen eine wirtschaftliche und keine persönliche Abhängigkeit. Eine wirtschaftliche Abhängigkeit ist gegeben, wenn der Beschäftigte auf die Verwertung seiner Arbeitskraft und die Einkünfte aus der Tätigkeit für den Vertragspartner zur Sicherung seiner Existenzgrundlage angewiesen ist (siehe hier).
Das LAG als Vorinstanz vertrat in seiner Entscheidung die Auffassung, das Entgelttransparenzgesetz sei nicht auf arbeitnehmerähnliche Personen anwendbar. Bei § 5 Abs. 2 EntgTranspG handele es sich um eine abschließende Aufzählung. Arbeitnehmerähnliche Personen würden dort, anders als im AGG (§ 6 Abs. 1 Nr. 3), ausdrücklich nicht genannt. Auch aus dem Gebot der unionsrechtskonformen Auslegung ergebe sich diesbezüglich nichts anderes, da das AGG die Richtlinie 2006/54/EG ausreichend umsetze.
Das BAG teilte diese Auffassung nicht: Die Begriffe Arbeitnehmerin und Arbeitnehmer müssten unionsrechtskonform ausgelegt werden. Das Entgelttransparenzgesetz diene der Umsetzung der Richtlinie 2006/54/EG. Zweck der Richtlinie sei die umfassende Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Frauen und Männern in Arbeits- und Beschäftigungsfragen. Hierzu zähle insbesondere die Durchsetzung der Entgeltgleichheit. Um die erforderliche Umsetzung zu gewährleisten, sei die richtlinienkonforme Auslegung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 EntgTranspG zwingend geboten, so das BAG. Das Entgelttransparenzgesetz sei bislang das einzige nationale Gesetz, das Regelungen zur Entgeltgleichheit enthalte und Beschäftigten einen umfangreichen Auskunftsanspruch gegenüber ihrem Arbeitgeber gewähre. Das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz enthalte keine entsprechenden Regelungen. Legte man das Entgelttransparenzgesetz nicht unionsrechtskonform aus, käme es folglich zu einer nicht ausreichenden Umsetzung der Richtlinie.
Zuletzt hatte das BAG in einer anderen Entscheidung festgestellt, dass der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff immer dann maßgeblich ist, wenn eine unionsrechtliche Regelung angewandt oder nationales Recht richtlinienkonform ungesetzt wird (siehe hier). Dies ist bei den Regelungen des EntgTranspG der Fall, so dass die unionsrechtskonforme Auslegung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 ­EntgTranspG nur konsequent ist.

Folgen für die Praxis
Die Entscheidung darf keinesfalls als Pauschalisierung verstanden werden. Ob freien Mitarbeitern/­Mit­arbeiterinnen ein Auskunftsanspruch zusteht, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Diese müssen nach den vom EuGH entwickelten Kriterien für eine Arbeitnehmereigenschaft sprechen. Sowohl nach europäischen als auch nach nationalem Verständnis erfordert die Arbeitnehmereigenschaft eine Weisungsgebundenheit. Auswirkungen entfalten die Unterschiede aber für Tätigkeiten, die zwar weisungsgebunden erfolgen, denen es aber an der Fremdbestimmtheit oder der persönlichen Abhängigkeit fehlt.
Die Entscheidung des BAG hat daher nicht nur für freie Mitarbeiter*innen Bedeutung. Sie bringt Klarheit für alle Beschäftigungsverhältnisse, die nicht dem engen innerstaatlichen Arbeitnehmerbegriff unterliegen. So können beispielsweise auch GmbH-Geschäftsführer*innen einen Auskunftsanspruch haben, sofern sie unionsrechtlich als Arbeitnehmer*innen gelten.
Für Arbeitgeber*innen hat die Entscheidung zur Folge, dass Auskunftsbegehren nicht vorschnell mit der Begründung abgelehnt werden sollten, die antragstellende Seite sei kein/e Arbeitnehmer*in im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 1 EntgTranspG. Insbesondere die Ablehnung unter Verweis auf die Bezeichnung im Arbeitsvertrag dürfte nicht ausreichend sein.
Und dann sollten nicht tarifgebundene oder nicht tarifanwendende Arbeitgeber*innen die Dreimonatsfrist des ­§ 15 Abs. 3 EntgTranspG beachten. Kommen Arbeitgeber*innen dem Auskunftsverlangen nicht fristgerecht nach, tragen sie gemäß § 15 Abs. 5 EntgTranspG die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen das Gebot der Entgeltgleichheit besteht. Zwar sieht das Entgelttranspa­renz­gesetz selber keine Sanktionen für Entgeltungleichbehandlungen vor, den Beschäftigten können aber Ansprüche auf Schadensersatz und Entschädigung aus ­§ 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG zustehen. Im Fall der gerichtlichen Geltendmachung käme dann die Beweiserleichterung des § 22 AGG einer Durchsetzung des Anspruchs zugute

lelley@buse.de

 

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