fourword ist eine Publikation der Produktfamilie Deutscher AnwaltSpiegel & Bundesverband der Wirtschaftskanzleien

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Aktuelle Ausgabe

Referentenentwurf eines Gesetzes zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit

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Fazit

In Anbetracht der fortschreitenden Digitalisierung und der bereits bestehenden Verpflichtung für professionelle Anwender, digitale und sichere Übermittlungswege zu nutzen, erscheint es nur konsequent, auch der Bevölkerung entsprechende Möglichkeiten einzuräumen.

Daher begrüßt der BWD das Vorhaben der Bundesregierung, den überarbeiteten, annähernd inhaltsgleichen Entwurf aus der 20. Legislaturperiode (Stand: erste Lesung im Bundestag) aufzugreifen, um den Zugang zum Recht für die Bevölkerung zu verbessern und das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Justiz zu stärken. Allerdings begegnet auch der jetzige Referentenentwurf in Teilen Bedenken. Auf unsere Stellungnahme aus der 20. Legislaturperiode vom 11.07.2024 darf der Vollständigkeit halber verwiesen werden (siehe hier). Erfreulich ist, dass dortige Kritikpunkte in Teilen Einzug in den nunmehrigen Referentenentwurf gefunden haben.

Der jetzige Entwurf beschreibt die Anforderungen an ein einfaches, nutzerfreundliches, barrierefreies und digitales Gerichtsverfahren. Gerade mit Blick auf die Behandlung niedrigschwelliger Streitwerte wird er zur erheblichen Entlastung der Amtsgerichte beitragen. Viele Verfahren werden sich künftig strukturierter und effizienter erledigen lassen.

Der BWD ist Mitstreiter für eine moderne und digitale Justiz in Deutschland, die auch ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor ist. Dieser Gesetzentwurf öffnet die Tür für einen zeitgemäßen und effizienten Zugang zum Recht.

Der BWD empfiehlt jedoch, einzelne Punkte zu überarbeiten und sicherzustellen, dass das neue Verfahren das Ansehen der Justiz in der Öffentlichkeit stärkt.

Begründung

Die Durchführung von Online-Verfahren hat sich in anderen Ländern, wie beispielsweise Kanada, bereits seit vielen Jahren bewährt. In dortigen Online-Dispute-Resolution-Verfahren erfolgt die Schlichtung von Rechtsstreitigkeiten durch pensionierte Richterinnen und Richter, aber auch durch erfahrene Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, wie es in der Schiedsgerichtsbarkeit bereits in Deutschland praktiziert wird. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass bis zum Jahr 2030 etwa ein Drittel der derzeit aktiven Richterinnen und Richter in den Ruhestand gehen werden, während an den Universitäten nicht genügend Nachwuchs in den juristischen Fakultäten ausgebildet wird, ist die Initiative der Bundesregierung ein wichtiger und zeitgemäßer Schritt, jedenfalls bei der Einführung und Durchführung von Online-Verfahren.

Insbesondere Zahlungsklagen vor den Amtsgerichten, welche derzeit die Streitwertschwelle von 5.000 Euro, geplant 10.000 Euro (vgl. jüngst Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zuständigkeitsstreitwerts der Amtsgerichte zum Ausbau der Spezialisierung der Justiz in Zivilsachen sowie zur Änderung weiterer prozessualer Regelungen), nicht überschreiten, eignen sich für die Durchführung im Rahmen der Online-Verfahren. Bürgerinnen und Bürger können hier ihre Geldforderungen mit oder ohne anwaltliche Unterstützung durch nutzerfreundliche und vereinfachte Systeme geltend machen und voraussichtlich deutlich schneller als derzeit gewohnt durchsetzen.

Legal-Tech-Unternehmen dürften ihre bereits entwickelten Produkte zur Unterstützung der rechtsuchenden Öffentlichkeit erproben. Anwaltliche Hilfe wird auch zukünftig gefragt bleiben, um schwierige Konstellationen zu beraten.

Erprobung bei der Einführung von Online-Verfahren

Der Erprobungszeitraum von zehn Jahren erscheint nur auf den ersten Blick sehr lang. Die vorgesehene regelmäßige Evaluierung (§ 1134 ZPO-E) wird Korrekturen ermöglichen, wo dies erforderlich sein mag.

Die Einführung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs hat deutlich gemacht, dass die Einführung digitaler Kommunikationssysteme einen gewissen Zeitraum in Anspruch nimmt. Des Weiteren können erst nach einer gewissen Testphase verlässliche Werte gesammelt werden, die eine Beurteilung ermöglichen. Hierbei ist zu begrüßen, dass im jetzigen Entwurf die Evaluierung auf die neuen prozessualen Möglichkeiten erweitert wurde.

Unter Berücksichtigung des mit der Einführung verbundenen hohen Verwaltungsaufwands erachtet der BWD einen Zeitraum von zehn Jahren nicht nur für angemessen, sondern auch für erforderlich.

Zu begrüßen ist, dass die Länder an der Erprobung beteiligt werden, es obliegt ihnen zum Beispiel, diejenigen Amtsgerichte zu bestimmen, die an der Erprobung des Online-Verfahrens teilnehmen (§ 1123 Abs. 1 Nr. 1 ZPO-E). Tatsächlich stellt die Einführung digitaler Eingabesysteme durch den Bundesgesetzgeber einen mittelbaren Eingriff in die Ausstattung der Gerichte dar, mithin in die Kompetenz der Länder.

Errichtung zentraler Online-Gerichte

Nachvollziehbar und erforderlich erscheint die Möglichkeit für die Länder, die Zuständigkeit eines Amtsgerichts für die Bezirke mehrerer Amtsgerichte (auch über Landesgrenzen hinaus) für die Teilnahme an der Erprobung zu bestimmen, insbesondere auch für einzelne Sachgebiete. Damit wird eine begrüßenswerte Spezialisierung auf einzelne Sachgebiete vorangetrieben. Vor dem Hintergrund, dass die Kommunikation während des Verfahrens grundsätzlich digital geführt werden soll, teilt der BWD die im Referentenentwurf zum Ausdruck gebrachte Einschätzung, dass eine Ortsbindung für die Verfahrensbeteiligen von geringerer Relevanz ist als im herkömmlichen Zivilprozess.

Nichtberücksichtigung der Prozesskostenhilfe bei Online-Verfahren

Die Bundesregierung möchte die Bürgerinnen und Bürger ermuntern, die ihnen zustehenden Rechte einzufordern. Vor diesem Hintergrund erscheint die fehlende Einbeziehung der Prozesskostenhilfeoption weiterhin erstaunlich. Durch die erforderliche Einzahlung der Gerichtskosten durch die Forderungsinhaber sollen unernste Forderungen und Missbrauch vermieden werden können. Ohne dies ausdrücklich zu erwähnen, scheint dieser Feldversuch nicht auf eine Forderungsverfolgung unter Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe (PKH) angelegt zu sein. Der BWD regt an, diesen Punkt noch einmal zu überdenken. Gelingt die Einbeziehung der PKH nicht, könnte die für alle Bürgerinnen und Bürger beabsichtigte Beschleunigung der Rechtsverfolgung gefährdet sein. Gerade die erfolgversprechenden Forderungen der besonders bedürftigen Bürgerinnen und Bürger sollten von der digitalen Beschleunigung profitieren.

Der Umgang mit Prozesskostenhilfeverfahren bedarf einer ausdrücklichen Regelung (insbesondere zur Datenverarbeitung), zumal die Online-Verfahren insbesondere für Bürgerinnen und Bürger konzipiert werden, um deren Ansprüche vor den Amtsgerichten einfach und nutzerfreundlich geltend machen zu können.

Der BWD regt daher an, dass die Prozesskostenhilfeverfahren entweder ausdrücklich, aber auch mit überzeugender Begründung aus dem Anwendungsbereich der Online-Verfahren ausgeschlossen oder aber explizite Regelungen hierzu aufgenommen werden.

Erleichterungen bei den Identifizierungs- und Authentifizierungsmitteln und eine mögliche Formabsenkung bei Online-Verfahren

Gemäß § 1124 Abs. 1 ZPO-E besteht die Möglichkeit, die Klageeinreichung auf zwei unterschiedlichen Wegen zu vollziehen.

Die Übermittlung kann auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a Abs. 4 ZPO oder mittels einer Kommunikationsplattform gemäß § 1131 ZPO-E erfolgen. In Bezug auf § 1131 ZPO-E besteht wiederum die Möglichkeit, zwischen einer Eingabe und einer Übermittlung zu wählen. Ferner ist eine Kombination der beiden Alternativen zu einem späteren Zeitpunkt zulässig, wobei die Klageeinreichung über die Postfächer und für das weitere Verfahren die neuen Kommunikationsplattformen zu nutzen sind.

Der BWD lehnt eine schleichende, an den Amtsermittlungsgrundsatz erinnernde Aufklärungspflicht durch das Gericht ab. Richter sollen nicht ermitteln, ob und ggf. wie die Ansprüche der Bürgerinnen und Bürger alternativ zum Erfolg geführt werden können.«

Der BWD vertritt die Auffassung, dass ein angemessenes Maß an Identifizierung auch künftig sowohl bei der Einreichung neuer Klagen als auch im Nachgang erforderlich ist. Daher ist zu begrüßen, dass der nunmehrige Entwurf stets eine sichere Identifizierung verlangt, entweder über die sicheren Übermittlungswege nach § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, 3 oder 4 ZPO oder bei Klageerhebung über die Kommunikationsplattform durch die neu geschaffenen Anforderungen von § 1132 Abs. 1 ZPO-E. Während Rechtsanwälte sich über das besondere elektronische Anwaltspostfach identifizieren werden (§ 1132 Abs. 1 Nr. 1 ZPO-E), soll den anderen Verfahrensbeteiligten das Verfahren über ein Nutzerkonto nach § 2 Abs. 5 i.V.m. § 3 Abs. 4 des Onlinezugangsgesetzes offenstehen.

Einführung einer digitalen Kommunikationsplattform

Die Einführung einer digitalen Kommunikationsplattform, die unter anderem eine kollaborative Zusammenarbeit an Dokumenten ermöglicht, ist als sinnvoll zu erachten. Eine solche Plattform erleichtert auch den Arbeitsalltag der Rechtsanwälte.

Digitale Strukturierung des Streitstoffs

§ 1126 Abs. 2 Nr. 1 ZPO-E eröffnet dem Gericht zwei Möglichkeiten zur Strukturierung des Streitstoffs mit Hilfe digitaler Eingabesysteme: Das Gericht kann anordnen, dass die Parteien ihren jeweiligen Vortrag demjenigen der anderen Partei in digitaler Form gegenüberstellen oder in einem digitalen Dokument ergänzen. Beide Möglichkeiten sind im Grundsatz geeignet, die Parteien zu einem konzentrierten und stringenten Vortrag anzuhalten und so zu einer effizienten Verfahrensführung beizutragen. Ob dies in der Praxis gelingen wird, hängt maßgeblich von der Qualität der digitalen Eingabesysteme ab. Nach Auffassung des BWD sollte ein besonderes Augenmerk auf intuitive und einfache Handhabung gelegt werden. Außerdem sollte für Rechtsanwälte eine einfach zu handhabende Möglichkeit eröffnet werden, den Vortrag vor Eingabe in das digitale Eingabesystem mit der Mandantschaft abzustimmen, etwa durch die Möglichkeit des Exports einer Entwurfsfassung o.ä.

Pflicht zur Übermittlung strukturierter Datensätze durch Rechtsanwälte

Die Pflicht für Rechtsanwälte zur Einreichung von Anträgen und Erklärungen im Wege von strukturierten Datensätzen bewertet der BWD als sinnvoll. Auch hier weisen wir jedoch darauf hin, dass bei der Erstellung entsprechender Programme darauf zu achten sein wird, dass eine vorherige Abstimmung des Vortrags mit der Mandantschaft ohne großen Aufwand ermöglicht werden muss. Hierzu ist insbesondere erforderlich, dass strukturierte Datensätze ferner zur weiteren Bearbeitung in einer für den Menschen lesbaren Form darstellbar sind.

Befürchtung einer schleichenden Aufweichung des Beibringungsgrundsatzes durch Verfahrenserleichterungen

Die Online-Verfahren sehen in den §§ 1124 ff. ZPO-E erhebliche Erleichterungen im Verfahren an sich vor.

§ 1128 Abs. 1 ZPO-E eröffnet die Möglichkeit, in Abweichung von § 128 ZPO auch ohne mündliche Verhandlung zu einer Entscheidung zu gelangen. Diese Beschleunigungsmöglichkeit wird ebenso wie die Ausweitung von Videoverhandlungen begrüßt.

Die Regelung § 1128 Abs. 5 ZPO-E wird vom BWD jedoch kritisch bewertet. Der Kläger ist verpflichtet, die zum Erfolg seiner Ansprüche erforderlichen Tatsachen vorzutragen und die Beweismittel vorzulegen.

Der BWD lehnt weiterhin eine schleichende, an den Amtsermittlungsgrundsatz erinnernde Aufklärungspflicht durch das Gericht ab. Richter sollen nicht ermitteln, ob und ggf. wie die Ansprüche der Bürgerinnen und Bürger alternativ zum Erfolg geführt werden können. Der rechtsuchende Bürger sollte in diesen Fällen stets auf das Angebot der Anwaltschaft zurückgreifen. Die Schaffung einer Erwartung, dass die Richter den allgemeinen Hinweisen der Kläger nachgehen und eigene Ermittlungen anstellen, steht mit wichtigen Prinzipien des Zivilprozesses, insbesondere dem Beibringungsgrundsatz, im Widerspruch. Im Übrigen besteht die Gefahr, dass die richterliche Ermittlungspflicht den beabsichtigten zeitlichen Effekt schnellerer Verfahren aufhebt.

Schließlich ist die Grenzziehung (erkennbar über die Möglichkeit, Hinweise nach § 139 ZPO zu geben, hinaus) problematisch. Welcher Aufwand ist dem Richter noch zuzumuten, wenn es beispielsweise um Auskünfte aus ausländischen Registern, Website-Recherchen und anderem mehr geht? Welche Rechtspflichten ergeben sich für das Gericht, deren Nichtbeachtung durch die benachteiligte Partei beanstandet werden können? Die Einbeziehung allgemein zugänglicher Recherchequellen schließt prima facie das gesamte Internet ein, zumal selbst kostenpflichtige Angebote nicht ausgenommen sein sollen.

Schließlich drohen die Aufgabe der Neutralität der Richterschaft und das Risiko einer erheblich steigenden Zahl von Befangenheitsbeschwerden, wenn die Fürsorglichkeit zugunsten des Anspruchstellers zukünftig zu den gesetzlichen Pflichten der Richter zählen würde.

Der BWD empfiehlt nachdrücklich, die bewährten Grenzen des § 139 ZPO nicht aufzuweichen.

In diesem Kontext sei erneut auf die bestehende Regelungslücke bezüglich des Umgangs mit Anträgen auf Prozesskostenhilfe hingewiesen. Es drohen zusätzliche Beschwerden, falls die Gerichte nicht nur die Erfolgsaussichten prüfen, sondern dabei auch weitere öffentlich zugängliche Informationen recherchieren und einbeziehen müssten. Kurzum: Die Rollenverteilung der Unterstützung der Kläger und die neutrale Prüfung seiner Ansprüche sollten nicht vermischt werden. Erfahrene Richter empfehlen den Antragstellern in solchen Fällen in der Praxis häufig, doch einmal zu überlegen, ob die weitere Verfolgung der Ansprüche nicht erfolgreicher sein könnte, wenn kundige Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sie unterstützen.

Telefonische Befragung von Zeugen

Die in § 1129 ZPO-E vorgesehene Möglichkeit der telefonischen Befragung von Zeugen lehnt der BWD ab.

Die Glaubwürdigkeit eines Zeugen, der nur telefonisch wahrgenommen wird, ist kaum zu prüfen. Daher sollte der in aller Regel bestehenden Option eines Videocalls, in dem nicht nur die Aussage, sondern auch die Mimik des Zeugen in Bild und Ton beobachtet werden kann, der Vorzug gegeben werden. Die Belehrung des Zeugen, die Möglichkeit, die Identität des Zeugen mit überzeugender Sicherheit festzustellen und dessen Glaubwürdigkeit umfassend beurteilen zu können, sind hohe Rechtsgüter, die nicht preisgegeben werden sollten.

Die mit der Möglichkeit der Videovernehmung gemäß § 128a ZPO einhergehenden Erleichterungen sind als ausreichend zu beurteilen.

Anwendung auf Massenverfahren

Auch eine Nutzungspflicht bei Massenverfahren erscheint sinnvoll und stellt insbesondere für Gerichte ein Mittel dar, diese Streitigkeiten künftig effizient und strukturiert zu bewältigen.

Für die BWD-Task-Force „Schnelle und effiziente Justiz“:

Autor

Dr. Simon Kubiak BLD Bach Langheid Dallmair, Köln Rechtsanwalt, Partner

Dr. Simon Kubiak

BLD Bach Langheid Dallmayr, Köln
Rechtsanwalt, Partner


simon.kubiak@bld.de
www.bld.de


Autor

Dr. Thiemo Schäfer, LL.M. Forvis Mazars Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Köln Rechtsanwalt, Partner

Dr. Thiemo Schäfer, LL.M.

Forvis Mazars Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Köln
Rechtsanwalt, Partner


thiemo.schaefer@forvismazars.com
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