fourword ist eine Publikation der Produktfamilie Deutscher AnwaltSpiegel & Bundesverband der Wirtschaftskanzleien

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Aktuelle Ausgabe

Was der BWD von der Politik erwartet – und was die Politik vom BWD erwarten darf

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Am 02.09.2021, drei Wochen vor der Bundestagswahl, trafen sich die Managing Partner von 23 sehr unterschiedlichen Wirtschaftskanzleien in Deutschland zu einer Klausurtagung. Sollten die Wirtschaftskanzleien einen eigenen Verband gründen, um ihre Interessen formulieren zu können? Gab es eigene Themen, die von den existierenden Verbänden nicht behandelt werden? Konnte ein solcher Verband Gehör im Bundestag und in den Ministerien finden? Welchen Beitrag konnten die Wirtschaftskanzleien leisten, damit die Rahmenbedingungen für den Rechts- und Wirtschaftsstandort Deutschland attraktiv bleiben?

Am Ende einer mehrstündigen Diskussion war das Ergebnis eindeutig und einmütig. Alle 23 Kanzleien fanden das Projekt wichtig. Der Umbruch im Rechtsmarkt in den zwanziger Jahren werde erheblich sein und die Welt der Wirtschaftskanzleien erschüttern. Umso wichtiger wäre es, möglichst geschlossen die eigenen Vorstellungen zu ermitteln und für deren Umsetzung zu werben.

Am 29.03.2022 gründeten 31 Wirtschaftskanzleien den Bundesverband der Wirtschaftskanzleien in Deutschland (BWD) in Frankfurt. Seitdem ist der Verband auf 47 Mitgliedskanzleien mit etwa 7.000 Anwältinnen und Anwälten (allein in Deutschland) gewachsen. Die Mitgliedskanzleien produzieren einen kumulierten, auch in der Berliner Umgebung beachtlichen Umsatz von fast 3 Milliarden Euro. Unterstützt wird der BWD von über 40 namhaften General Counsels und fünf herausragenden Professoren, die sich mit dem Rechtsmarkt beschäftigen.

Der BWD hat sich schnell etabliert mit seinem konstruktiven Ansatz, die Politik zu unterstützen. Vielversprechende Initiativen werden gefördert. Es wird nicht gemeckert. Vorschläge der Politik werden frühzeitig kommentiert (ohne Lamento über zu kurze Fristen). Der gute Wille wird stets unterstellt. Keine Kritik ohne einen positiven Vorschlag, wie das (meist unstreitige) Problem aus der Sicht des BWD und seiner Mitgliedskanzleien gelöst werden könnte. Die Mitglieder des Advisory Boards werden einbezogen, so dass der Verband sich nicht nur auf die eigene Expertise der Kanzleien, sondern auch auf die Zustimmung ihrer Mandanten verlassen kann. Der Cross-Border-Ansatz über die eigenen Interessen überzeugt auch andere Verbände, die die Zusammenarbeit mit dem BWD suchen.

In der durch das vorzeitige Aus der Ampelkoalition verkürzten Legislaturperiode produzierten die Task Forces des BWD zahlreiche Positionspapiere, vom Hinweisgeberschutzgesetz zur (geplanten) Novellierung des Arbeitszeitgesetzes, vom Rahmen für Internal Investigations zur Reform der Schiedsgerichtsbarkeit, von der Restrukturierung zur verbesserten Prozessführung vor staatlichen Gerichten.

Vieles ist erreicht, aber die wirklichen Herausforderungen warten jetzt auf den Rechts- und Wirtschaftsstandort Deutschland. Seit dem Frühjahr 2025 bemüht sich die neu gewählte Bundesregierung um ein deutlich beschleunigtes Tempo. Der Weg zurück zur Spitze soll durch eine entschlossene Regierung angeführt werden. Der BWD ist wie alle Verbände gefragt, seine Expertise schneller als bisher einzubringen, damit das, was den Partnern der ersten Klausurtagung im September 2021 bereits bewusst war, gelingen kann. Der Umbruch ist da!

Ob der Rechts- und Wirtschaftsstandort Deutschland zu den Gewinnern des Umbruchs gehört, entscheidet sich jetzt – in dieser Legislaturperiode. Die gute Nachricht ist, dass Deutschland zwar verlieren kann, aber nicht verlieren wird, wenn der Tatendrang der Bundesregierung gefördert wird durch die klugen Ideen, die die Wirtschaftskanzleien dieses Landes schon immer ihren Mandanten zukommen ließen. Ohne gute Berater hätten die deutschen Wirtschaftsunternehmen den weltweiten Erfolg nicht erzielt. Auch die Hidden Champions profitieren von der Klasse ihrer rechtlichen Berater. Unter den rechtlichen Beratern gibt es ebenfalls viele Hidden Champions, die erst auf den zweiten Blick erkannt werden. Für die Top-Kanzleien wie für die Hidden-Champions-Kanzleien sollte der BWD die natürliche Heimat sein. Denn die Themen, die vor uns liegen, sind so gewaltig, dass sie ohne gemeinsame Anstrengung nicht bewältigt werden können.

Künstliche Intelligenz

Das Geschäftsmodell aller Dienstleistungen wird durch die rasante Entwicklung der künstlichen Intelligenz komplett verändert. Standardisierbare Rechtsprüfung wird zukünftig nicht mehr von jungen Juristen „wie am Fließband“ erbracht. Eine Massenarbeitslosigkeit junger Juristen ist aber nicht zu befürchten. Junge Juristen mit einem Verständnis für den technologischen Fortschritt werden immer nachgefragt sein. Was auf den ersten Blick nur die Binnenbeziehung zwischen Mandanten und ihren externen rechtlichen Beratern zu beeinflussen scheint, hat aber massive Auswirkungen im Übrigen.

Novellierung der Zivilprozessordnung

Die Konferenz der Justizminister der Länder hat die Vorschläge aus der Praxis durch ein hochkarätig besetztes Gremium evaluieren lassen. Die Reformkommission hat nicht nur die Vorschläge ausgewertet, sondern in einem zweiten Schritt konkrete Formulierungsvorschläge erarbeitet. Die Bundesregierung sollte diese Vorschläge nicht nur als „Impulse“, wie es im Koalitionsvertrag heißt, nutzen, sondern sie übernehmen, wenn sie nicht – und das werden nur wenige Ausnahmen sein – schnell bessere Vorschläge unterbreiten kann. Die Bundesländer haben sich auf das Modell EfA (Einer für alle) verständigt. Wie die Musketiere soll jedes Bundesland Reformen in der Praxis testen, sogenannte Reallabore. Verlaufen die Tests nachweislich erfolgreich, sollen sie bundesweit ausgerollt werden. Schaut man auf den Wettbewerb, dem Deutschland auch mit Blick auf den Rechtsstandort ausgesetzt ist, wird schnell deutlich, dass viele der Ideen in anderen Ländern bereits umgesetzt werden. Diese Ideen sind hierzulande häufig unbekannt, aber wer zu den Besten gehören will, sollte von den Besten lernen. Die international tätigen Wirtschaftskanzleien (und ihre Mandanten) können die Erfahrungen, die andere Rechtsstandorte (aus den OECD-Staaten) machen, zur Verfügung stellen. Die Politik (in Bundestag und Ministerium) sollte von diesem Angebot Gebrauch machen.

Anwalt der Zukunft – und seine Voraussetzungen

Der Rechtsstaat ist stolz auf seine Traditionen. Die Rhetorik eines Cicero, die Überlegungen eines Platon, die Philosophie eines Hegel zählen zu Recht auch heute noch zum juristischen Curriculum deutscher juristischer Fakultäten. Nur wer die Vergangenheit versteht, wird die Zukunft gewinnen können. Aber ohne die Vermittlung zeitgemäßer Tools und Kenntnisse werden die Nachwuchsjuristen den Herausforderungen heute nicht mehr gerecht. Die Justizministerkonferenz (JuMiKo) hat zur großen Überraschung aller Marktteilnehmer die Qualität der juristischen Ausbildung heute positiv bewertet und den Reformvorstellungen einer jüngeren Generation (www.iurreform.de) eine Absage erteilt.

Diese Absage sollte dringend überdacht werden. Sie ist falsch. Der Erfolg der jüngeren rechtswissenschaftlichen Fakultäten gründet sich auf die Erkenntnis, dass sich die Spezialisierung und die Beschäftigung mit anderen Fähigkeiten (etwa Sprachtraining in Passau und Münster oder betriebswirtschaftliche Erkenntnisse in Bayreuth) oder der hochkonzentrierte Zugang zum Recht in kleiner Gruppe an der Bucerius Law School auszahlen. Wem an der Bewahrung des Rechtsstaats liegt, wird sich jetzt öffnen für die notwendigen Reformen. Die Grund- und Menschenrechte, die Erfolge des Rechtsstaats in der effizienten Schlichtung der Streitigkeiten seiner Bürger und die Gewaltenteilung werden bleiben und Vorbildwirkung entfalten, wenn sie sich im Alltag bewähren. Der Bürger braucht keine Schnelljustiz, aber eine schnelle und effiziente Justiz, der er vertrauen kann. Ohne intelligente Digitalisierung der Justiz und der Verwaltung wird dies nicht gelingen (siehe dazu den Beitrag von Stefanie Otte in dieser Ausgabe von fourword).

Der demographische Wandel

Der Fachkräftewandel ist überall spürbar, aber für den Rechtsmarkt ist Zuwanderung nicht die Lösung, weil die Kenntnis des deutschen Rechts im Ausland nicht vermittelt wird. Die Kinder und Enkel der Zuwanderer für den Rechtsstaat zu gewinnen sollte jedoch jede Anstrengung wert sein. Die Hürden zur Ausbildung (zur Fachangestellten und zum Fachangestellten) und zum Jurastudium sollten gesenkt werden, die unsichtbaren Fallstricke für Aus- und Weiterbildung sollten durch Mentorenprogramme wie „Arbeiterkind.de“ gemeistert werden. Eine neue Willkommenskultur ist überfällig. Der BWD hat die Beachtung und Förderung von „Diversity“, „ESG“ und „Sustainable Perfomance“ in seinem Leitbild verankert. Ganz bewusst haben sich die Managing Partner der Mitgliedskanzleien dazu in diesem Frühjahr erneut bekannt. Mit dem Strom schwimmen ist einfach. Haltung und einen aufrechten Gang beweist man dann, wenn es Gegenwind gibt. Der begehrte Nachwuchs schaut sehr genau hin, wem er vertrauen kann.

Alternativen zur staatlichen Justiz

Schiedsgerichte sind weltweit eine bewährte Alternative der Wirtschaft, um Streitigkeiten nicht nur im grenzüberschreitenden Handel durch spezialisierte Richter entscheiden zu lassen. In vielen Ländern ist die Justiz so überlastet, dass sie dankbar ist, wenn nicht auch noch die wirtschaftsrechtlichen Streitigkeiten vor den staatlichen Gerichten entschieden werden müssen. Deutschland war immer sehr stolz darauf, dass die staatliche Justiz wettbewerbsfähig war, so dass die deutschen Unternehmen eine echte Wahl hatten. Dieser Wettbewerb ist fruchtbar. Er sollte fortgesetzt werden. Die Commercial Courts werden dann sehr erfolgreich sein, wenn sie zusätzlich zur sprachlichen Kompetenz der Richter auch noch Spezialisierung der Richter ermöglichen. Der Erfolg der Commercial Courts wird umso größer ausfallen, wenn die Schiedsgerichtsbarkeit als Alternative zur staatlichen Justiz nicht als unliebsame Konkurrenz, sondern als echter Treiber im Wettbewerb betrachtet wird. Zudem haben Rechtsanwälte, Professoren und (pensionierte) Richter in vielen Fällen bewiesen, dass sie der Aufgabe gewachsen sind, wie ein staatlicher Richter in Schiedsgerichtsverfahren Recht zu sprechen. Auch sie sollten als wertvolle Ressource genutzt werden. Online-Dispute-Resolutions haben sich in Nordamerika bereits sehr bewährt. Sie sollten auch in Deutschland nicht nur für die staatlichen Gerichte, sondern auch als Ergänzung und Entlastung staatlicher Gerichte genutzt werden. Die „Dieselgate“-Verfahren haben gezeigt, wo die Grenzen der Justiz liegen. Hätte hier ein Sondergremium die Masse der erstinstanzlichen Verfahren abarbeiten können, hätte der Rechtsstaat seine Stärken in besonderer Weise beweisen können. Wir kennen nicht die Themen der Zukunft, aber dass sich eine außergewöhnliche Belastung der Justiz durch Massenverfahren wiederholen wird, wissen wir bereits jetzt. Wir sollten dementsprechend heute Vorsorge treffen.

Zugang zum Recht

Die Prozessfinanzierung durch die Gewährung von Prozesskostenhilfe und die weite Verbreitung von Rechtsschutzversicherungen sorgen dafür, dass jede Bürgerin und jeder Bürger in Deutschland den Weg zu Gericht finden kann. Die Unterstützung durch Jurastudierende in Law Clinics ist nicht erforderlich. Die Helfer zum Zugang zum Recht sollten daher nicht kritisiert werden, sondern als wertvolle Stützen des Rechtsmarkts gewürdigt werden. Das gilt auch für die Prozessfinanzierer, die sich um die Durchsetzung berechtigter Ansprüche kümmern. Ihnen einen verlässlichen Rahmen in Deutschland zu bieten, würde dem internationalen Ruf deutscher Gerichte helfen. Wer „Law – made in Germany“ fördern möchte, sollte dafür sorgen, dass deutsche Gerichte wie Gerichte in London oder New York internationalen Standards genügen. Das wäre auch ein guter und extrem kostengünstiger Beitrag zur Stärkung der Attraktivität der Justiz.

Der Rückstand in der Digitalisierung der Justiz ist erheblich. Nach einer Studie der Bucerius Law School, des Legal Tech Verbands und der BCG (Boston Consulting Group) beträgt der Rückstand auf Kanada oder Singapur 16 Jahre. Der Rückstand entspricht aber nicht 16 Runden im Leichtathletikstadion. Ein energischer und koordinierter Zwischenspurt kann dafür sorgen, dass Deutschland als Rechtsstandort in vier Jahren zur Spitze zählt. „Einfach mal machen“, lautet das nur auf Anhieb flapsige Motto der Bundesregierung. Wenn sie die Schwarmintelligenz im Rechtsmarkt clever nutzt, kann der Rechtsstandort Deutschland ein Leuchtturm werden. Der BWD und seine Experten stehen als Unterstützer bereit. Lasst uns einfach mal machen.

Autor

Stefan Rizor, LL.M. (McGill) Bundesverband der Wirtschaftskanzleien in Deutschland (BWD) e.V., Berlin Vorstandssprecher

Stefan Rizor, LL.M. (McGill)

Bundesverband der Wirtschaftskanzleien in Deutschland (BWD) e.V., Berlin
Vorstandssprecher


stefan.rizor@bundesverband-wirtschaftskanzleien.de
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