Der 02.06.2025 ist ein sommerlicher Abend im politischen Berlin, auf das dieser Tage die deutsche Wirtschaft und ihre Partner noch intensiver schauen als normalerweise. Denn die Koalition aus CDU und SPD nimmt unter dem Arbeitstitel „Verantwortung für Deutschland“ mit einer Agenda ihre Arbeit auf, die zahlreiche Reformen zur Stärkung von Justiz und Wirtschaft vorsieht. Ein perfekter Zeitpunkt für den vierten parlamentarischen Abend des BWD, der traditionell im ehrwürdigen Kaisersaal der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin stattfand.
Gegen 18.00 Uhr begrüßte Stefan Rizor, der Vorstandssprecher des BWD, die Gäste herzlich, ehe er das Wort an seinen Stellvertreter Thomas Wegerich übergab, der den Abend moderierte.
Impulse aus der Politik
Als Schirmherr begleitete der langjährige Bundestagsabgeordnete für die CDU und Obmann des Rechtsausschusses, Carsten Müller, den Abend. In seinem Impulsvortrag widmete er dem BWD anerkennende Worte – der Verband sei nach kurzer Zeit ganz im rechtspolitischen Berlin angekommen. Müller schätzt besonders den sachlichen Diskurs und das Engagement der Wirtschaftskanzleien. Außerdem wisse er die praxisnahe Expertise des Verbands sehr zu schätzen, unterbrach er einst doch selbst seine Zeit als Abgeordneter und arbeitete vier Jahre in einer Kanzlei. Müller nannte Projekte, die Priorität bei der neuen Regierung genießen. Etwa die Digitalisierung, eine weitreichende Reform des Zivilverfahrensrechts und die Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Ein bunter Strauß an Themen, der sich mit dem Handlungsbedarf deckt, den der BWD sieht, wie Thomas Wegerich anmerkte.
Außerdem bereicherte Anette Kramme, die Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Justiz und Verbraucherschutz, den Saal mit ihrer Anwesenheit und einem Grußwort. Die Fachanwältin für Arbeitsrecht zeigte sich voller Vorfreude auf ihre Arbeit im BMJ. Sie äußerte sich begeistert über die Vorhaben des Ministeriums und betonte den Anspruch der neuen Bundesregierung, einen großen Teil der geplanten Justizreformen auf den Weg zu bringen. Auch Staatssekretärin Kramme betonte, dass ihr Haus sehr an einer Zusammenarbeit mit dem BWD interessiert ist.
Die Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland durch zeitgemäße Gesetzgebung und Justiz
Das erste Schwerpunktthema des Abends war das Arbeitszeitgesetz, dessen für die Wirtschaftspraxis handhabbare Reform ein Kernanliegen des BWD darstellt (die zahlreichen Stellungnahmen und Positionspapiere des Verbands finden Sie hier. Lesen Sie dazu auch den Beitrag von Christof Kleinmann in dieser Ausgabe von fourword). – Zur Erinnerung: Am 13.09.2022 stellte sich das BAG hinter das „Stechuhr-Urteil“ des EuGH, nach welchem Arbeitgeber in der EU verpflichtet sind, die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten elektronisch und lückenlos zu erfassen. Wohl kaum ein Redner, der mehr geeignet wäre, ließe sich zu diesem Thema finden als das Mitglied des Scientific Boards des BWD, Prof. Dr. Gregor Thüsing, der gegenüber dem Ausschuss für Arbeit und Soziales seitdem mehrfach als Sachverständiger fungierte. In ebenjener Funktion stellte Thüsing bereits die Vereinbarkeit einer lückenlosen Arbeitszeiterfassung mit der Realität der modernen Arbeitswelt in Frage. Das tat er am Parlamentarischen Abend erneut. Etablierten Arbeitsmodellen, wie der Vertrauensarbeitszeit und besonders dem Homeoffice, werde das BAG-Urteil schlichtweg nicht gerecht. Denn insbesondere in wissensintensiven Berufsfeldern stehe dem Konzept eine nicht unwesentliche Frage gegenüber: Was ist überhaupt Arbeit? Bereits eine vermeintlich bahnbrechende, arbeitsrelevante Idee während des nachmittäglichen Spazierganges mit der eigenen Mutter? Die Grenzen sind unscharf, weshalb die Umsetzbarkeit der noch aktuellen Vorschrift des Arbeitsgesetzes aus den 1990er Jahren bereits der Umsetzbarkeit entbehre. Anstatt nun eine noch starrere Reform auf den Weg zu bringen, wie sie der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) zu Zeiten der Ampelkoalition vorsah, bedürfe es deshalb einer Flexibilisierung. Diese sei überfällig und könne einen Beitrag zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland leisten, die die Bundesregierung zu einer Kernaufgabe dieser Legislaturperiode erklärt hat. Damit dies gelingt, erachtet Thüsing außerdem konkret die Ausweitung der werktäglichen Höchstarbeitszeit des deutschen Arbeitsgesetzes auf den europäischen wöchentlichen Höchstrahmen für notwendig.
Doch nicht nur die Gesetzgebung ist in der Lage, Stellschrauben der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eines Aufschwungs zu bewegen. Auch die Justiz hat den Mehrwert einer weitreichenden Reform erkannt: Stefanie Otte, seit 2018 Präsidentin des OLG Celle, war Mitglied der Reformkommission der JuMiKo (Justizministerkonferenz). Sie berichtete von den Ergebnissen der Kommission, die Maßnahmen zur vielseits angestrebten Reform der Zivilprozessordnung entwickeln sollte. Gegenüber den Gästen aus der Wirtschaft betonte sie den Anspruch der ordentlichen Zivilgerichte, neben privaten Schiedsgerichten weiterhin als zuverlässige Instanz wahrgenommen zu werden. Dieser Anspruch begründe sich auch darin, dass Zivilgerichte als Austragungsort wirtschaftsrechtlicher Streitigkeiten der Prägung und Stärkung der Wirtschaftsordnung dienen. Ebenso stellte sie klar, dass die Wünsche der Justiz großenteils nicht denen der Wirtschaft widersprechen. Sie umfassen Maßnahmen zur effizienteren und schnelleren Verfahrensführung wie etwa die gezielte Fortbildung und Spezialisierung der Richterschaft, die außerdem Kompetenzen zur Verfahrensstrukturierung erhalten soll. Dadurch werde bereits in frühzeitigen Verfahrenskonferenzen Transparenz geschaffen, so der Plan der Kommission. Otte fügte an, dass selbstverständlich auch der Zugang zu digitaler Verfahrensführung – die es in der Schiedsgerichtsbarkeit bereits gibt – diesem Wunsch zuträglich sein werde. Die Bundesregierung wolle insbesondere hinsichtlich der Bewältigung von Massenverfahren auf die Arbeitsergebnisse der Kommission zurückgreifen.
Internal Investigations: Wirtschaftsstrafrechtlicher Alltag ohne Rechtsgrundlage
Das abschließende Podiumsgespräch behandelte ein Thema, das keine Berücksichtigung im Koalitionsvertrag von Union und SPD gefunden hat: Internal Investigations, also unternehmensinterne Untersuchungen, die trotz ihrer zunehmenden Relevanz bisweilen noch ohne Rechtsgrundlage auskommen müssen. Auf der Agenda des BWD stehen sie qua wirtschaftsrechtlicher Relevanz jedoch schon seit einer Weile, so dass Anfang März ein Positionspapier der Task Force „Compliance & Internal Investigations“ entstand, das konkrete Maßnahmen zur Rahmensetzung solcher Untersuchungen fordert (siehe dazu hier). Das hochkarätige Panelistenquartett aus Elisabeth Baier (Danckert, Bärlein & Partner Rechtsanwälte), Tobias Eggers (PARK | Wirtschaftsstrafrecht), Dr. Philippe Litzka (Westphal Spilker Wastl Rechtsanwälte Partnerschaft mdB) und Dr. Björn Boerger (Knauer Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB) gehört der Task Force an und kam über die Forderungen der Task Force ins Gespräch. Moderation führte dabei kein Geringerer als Marcus Jung, langjähriger Wirtschaftsredakteur der F.A.Z. und ausgezeichneter Kenner des deutschen Rechtsmarkts.
Einen großen Teil der Diskussion beanspruchte die Forderung nach einem Beschlagnahmeschutz für Arbeitsprodukte aus internen Untersuchungen. Den Leitern dieser Untersuchungen, meist Kanzleien, sei, so der Konsens unter den Rednern, ein weitreichender Beschlagnahmeschutz zu gewähren. Aktuell bestehe für Arbeitsprodukte aus internen Untersuchungen von rein vorbeugender Natur und Arbeitsprodukte im Kontext nicht-strafrechtlicher Vorwürfe noch kein Schutz. Auf strafrechtlicher Ebene hingegen bestehe zwar ein Schutz, allerdings entfalle er regelmäßig, wenn die Kanzleien in einem Konzern operieren. Dabei gleicht in letzterem Fall die Situation des Rechtsanwalts der eines Strafverteidigers, der eigene Ermittlungen anstellt. Doch der Beschlagnahmeschutz des Rechtsanwalts entfällt, während die Rechtsprechung ihn dem Strafverteidiger zugesteht. Eine Unterscheidung, bemerkte Philippe Litzka, die in anderen Ländern, wie Österreich, überhaupt nicht besteht.
Die Problematik sei demnach ein Ausfluss der Veränderung des Anwaltsbildes. Denn das Konzept der Internal Investigations fuße doch bereits auf dem Verständnis des Rechtsanwalts als eines unabhängigen Aufklärers beziehungsweise Sachverständigen. Auf Sicht sei deshalb eine Neudefinition des Anwaltsbildes durch den Gesetzgeber zu prüfen.
Mit Nachdruck sprachen sich die vier Redner für ein Aussageverweigerungsrecht für Mitarbeiter bei internen Untersuchungen aus. Denn Arbeitnehmer sähen sich häufig in einer Zwickmühle zwischen arbeitsrechtlichen Konsequenzen im Fall ihres Schweigens und einer Kündigung oder gar strafrechtlichen Konsequenzen im Falle einer Aussage gefangen.
Diese Forderung könne außerdem durch ein Verwertungsverbot für Aussagen von Mitarbeitern aus internen Untersuchungen ergänzt werden. Etwa in einem Modell, das Mitarbeitern in Situationen ähnlich der eines Beschuldigten ein Aussageverweigerungsrecht gewährt und die Aussagen übriger Mitarbeiter von der Beweisverwertung ausschließt.
Womöglich ein notwendiger Zusammenhang, wie sich zeigte, als Marcus Jung die Redner abschließend bat, je einen einzigen Wunsch bezüglich der Forderungen zu äußern. Denn anstatt die gewünschte Priorisierung vorzunehmen, so merkte Tobias Eggers an, funktioniere die gesetzliche Normierung interner Untersuchungen nur als Konzept. Die Umsetzung eines einzelnen Aspekts sei daher nicht zielführend.
Im anschließenden Get-together nutzten die Gäste die Gelegenheit, angeregt von den spannenden Impulsen miteinander ins Gespräch zu kommen. In dem wunderbaren Ambiente der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft machten sie davon bis in die späten Abendstunden hinein Gebrauch.

