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Aktuelle Ausgabe

Nach der Ampel: Vorhang zu und alle Fragen offen?

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Einleitung

Wenn eine Koalition so auseinandergeht wie die Ampel, wenn es gegenseitige Beschimpfungen und schwerwiegende persönliche Vorwürfe einschließlich „ehrabschneiderischer“ Behauptungen gibt, wenn es einen veritablen Rosenkrieg von zwei politischen Parteien gibt, die beide ohnehin befürchten, ihre besten Zeiten hinter sich zu haben, dann wünscht man sich als Außenstehender, der Streit möge bald vorübergehen, und mit ihm, dem Streit, auch dessen Apologeten, von denen sich offenbar keiner im Griff hat. Einen Blick für das, was diese Formation politisch erreicht hat, ist erst mal nicht möglich, es gibt zu viel Pulverdampf, der die Sicht verstellt. Das ist schade, denn die Ampel war viel besser als ihr Ruf (auch wenn sie sich nach Kräften bemüht hat, ihren Ruf zu rechtfertigen).

Der folgende Beitrag beschränkt sich auf die Arbeit der Ampel zum Thema Rechtsmarkt und Rechtspflege.

Justizminister und die Rechtspflege

Ob ein Justizminister ein „großer“ Vertreter des Amtes war, lässt sich erst mit einigen Jahren Abstand sagen. In der Liste der Amtsinhaberinnen und Amtsinhaber findet man bedeutende Frauen und Männer, etwa Thomas Dehler, Gustav Heinemann, Hans-Jochen Vogel, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Herta Däubler-Gmelin.

Man könnte das fortsetzen, und mit allen sind ­große ­politische Vorhaben verbunden – aber wenn es um Rechtspflege und Rechtsmarkt geht, fällt einem kein Name ein, der prägend gewesen wäre. Blickt man auf wesent­liche Gesetzgebungsprojekte der letzten 20 Jahre – BRAO-Novellierung 1994, RDG 2007, Syndikusanwälte 2013, PartGmbB 2016, große BRAO-Reform 2022 –, wird kaum jemand die Namen der jeweils verantwortlichen Amtsinhaber nennen können. Aber das ist o.k. Immerhin haben sich die jeweiligen Amtsinhaber ihren Fachabteilungen sowie den Verbänden, die Sachkenntnis (und ­Interessen) haben, nicht in den Weg gestellt. Das ist keine Kritik, im Gegenteil: Manchmal muss man es laufen lassen, und man kann es auch, wenn man ein so exzellent besetztes Ministerium wie das BMJ (beziehungsweise BMJV zwischen 2013 und 2021) hat.

Die Ampel und der Rechtsmarkt

Man muss der Ampel zunächst mal zugutehalten, dass sie das BMJ jemandem übertragen hatte, der das auch wirklich wollte. Marco Buschmann, Rechtsanwalt, war keine Verlegenheitslösung, im Gegenteil. Das kann man von den Vorgängerinnen nicht behaupten: Christine Lambrecht war eine SPD-Notlösung (aber sehr effektiv, denn sie schob unter anderem die BRAO-Reform durch das Parlament), nachdem Katharina Barley, vorher SPD-Generalsekretärin, dann Familienministerin, zusätzlich noch Arbeitsministerin, das Amt im März 2018 übernahm, sich jedoch nach einigen Monaten Amtstätigkeit auf ihre Europakarriere konzentrierte und das BMJ links liegen ließ. Das ist ihr vielleicht auch leichtgefallen. mit Buschmann anders: er wollte Justizminister sein, und er war es gern. Sein Bedauern über die vorzeitige Ablösung klingt echt.

Die Ampel hatte sich im Bereich Rechtspflege insbesondere Maßnahmen in der Digitalisierung, in der Modernisierung der Justiz sowie in der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft der Anwaltschaft vorgenommen.

Im Koalitionsvertrag, überschrieben mit „Mehr Fortschritt wagen“, heißt es zur Justiz (S. 106):

„Gerichtsverfahren sollen schneller und effizienter ­werden: Verhandlungen sollen online durchführbar sein, Beweisaufnahmen audio-visuell dokumentiert und mehr spezialisierte Spruchkörper eingesetzt werden. Kleinforderungen sollen in bürgerfreundlichen digitalen Verfahren einfacher gerichtlich durchgesetzt werden können. (…) Gerichtsentscheidungen sollen grundsätzlich in ­anonymisierter Form in einer Datenbank öffentlich und maschinenlesbar verfügbar sein.“

Man kann mäkeln und das als Sammlung von Selbstverständlichkeiten rügen, aber was hilft’s. Wichtig ist ja, dass es mal geschieht. Für die Anwaltschaft hieß es auf S. 112:

„Wir erweitern den Rechtsrahmen für Legal-Tech-Unternehmen, legen für sie klare Qualitäts- und Transparenz­anforderungen fest und stärken die Rechtsanwaltschaft, indem wir das Verbot von Erfolgshonoraren modifizieren und das Fremdbesitzverbot prüfen.“
Für nicht wenige klang das wie eine Drohung, allein der Begriff „Fremdbesitzverbot“ ist geeignet, jede Debatte über die Anwaltschaft zu sprengen.

Wollte man nur anhand dieser Zitate bewerten, wie weit die Ampel gekommen ist, würde man beim Fremdbesitz immerhin konstatieren, dass das BMJ sich um eine Klärung der Vox populi bemüht hatte und in einer methodisch nicht einwandfreien Umfrage ermitteln konnte, dass es keinesfalls die Mehrheit der Anwaltschaft ist, die sich solche Dinge wünscht. Umgesetzt wird natürlich nichts mehr, man weiß nicht einmal, was in den BMJ-Schubladen insoweit alles schlummert. Aber das Thema bleibt erhalten, denn für den 19.12.2024 ist die Verkündung der EuGH-Entscheidung angesetzt (vgl. dazu die Beiträge von Markus Hartung, Deutscher AnwaltSpiegel 17/2024 ­(siehe hier) sowie von Bastian Finkel und Dr. Jonathan Prill, fourword 3/2024 (siehe hier), demnächst wird ein größeres Gutachten dazu vorgestellt. Bezogen auf das BMJ lautet das Ergebnis insoweit: angefangen, aber stecken­geblieben.

Buschmanns Schwerpunkte

Der Justizminister hatte unter anderem die Schwerpunkte Bürokratieabbau und Digitalisierung. Bei Ersterem gab es immerhin ein Bürokratieabbaugesetz (allerdings: das vierte in einer Reihe von drei vorangegangenen und offenbar wirkungslosen Bürokratieabbaugesetzen, wofür aber der Minister nichts kann), und weiterhin kann man feststellen, dass die Justiz in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte in Sachen Digitalisierung gemacht hat. Bereits 2020, noch zu Zeiten der Vorgängerregierung Merkel IV, hatte eine Arbeitsgruppe der OLG-Präsidentinnen und -Präsidenten und der BGH-Präsidentin ein Thesenpapier zur Reform der Justiz vorgelegt. Dazu gehörte auch die Infragestellung des Telefax als Übermittlungsweg, was damals, 2020, geradezu umstürzlerisch wirkte. Seit 2020 hat sich aber bei der Digitalisierung der Justiz sehr viel getan, ungleich viel mehr als in den Jahrzehnten davor. Buschmann förderte das. Natürlich ging das nicht ohne Streit ums Geld ab, denn Justiz (einschließlich Digitalisierung der Justiz) ist Ländersache, die Länder brauchen aber viel mehr Geld, als sie zur Verfügung stellen können oder wollen, sie schauten mit großen und verlangenden Augen nach Berlin. Geld gab es auch, geknüpft an konkrete Bedingungen, was nicht jedem gefiel. Weiterhin wurde eine Reformkommission mit Vertretern von Bund und Ländern installiert mit dem Auftrag, Vorschläge für eine ZPO der (digitalisierten) Zukunft zu unterbreiten (Transparenzhinweis: Der Verfasser ist Mitglied dieser Kommission). Der Abschlussbericht soll im Januar/Februar 2025 vorgelegt werden, so dass Marco Buschmann den nur noch als einfacher Abgeordneter miterleben wird.

Insgesamt hat sich das Mindset in der Justiz gewandelt. Öffentlich wird die Justiz inzwischen nach außen geprägt von den sehr innovativen Präsidentinnen und Präsidenten der OLGe sowie der Präsidentin des BGH, die eine klare Agenda erkennen lassen, und sie finden in der Justiz viele Richterinnen und Richter, für die die Digitalisierung selbstverständlich ist und die mit viel Energie (und überwiegend guter Laune, Stichwort Mindset) an die Themen gehen. Das Thema KI wird mit verschiedenen Pilotverfahren bearbeitet, und auch wenn die Justiz von außen manchmal noch wie der Lordsiegelbewahrer einer analogen Vergangenheit wirkt (viele Begründungen für Verweigerungen von Videoverhandlungen atmen schon noch einen sehr gestrigen Mundgeruch), ist sie tatsächlich viel weiter.

Dem Justizminister wird man daher zugestehen können, dass unter seiner kurzen Ägide das Klima deutlich innovationsfreudiger und digitaler war als jemals vorher. Er suchte das Gespräch mit Start-ups im Rechtsbereich und war sehr interessiert. Natürlich war er in den Social ­Media präsent, insgesamt war er ein Minister von heute und morgen, nicht von gestern. Insoweit wird man ihn vermissen.

Auch bei den traditionellen Anwaltsverbänden war er willkommen – immerhin ein Kollege. Er brachte eine weitere Gebührenerhöhung für die Anwaltschaft auf den Weg, die allerdings über den Status des Referenten­entwurfs nicht hinausgekommen ist (man munkelt, die SPD habe auf der Bremse gestanden). Mehr Geld wird es also in dieser Legislatur nicht mehr geben.

Nicht in allen Themen konnte er über den Schatten seiner Partei springen: Eine der Hauptursachen für die teilweise dramatischen Zustände bei der Justiz, nämlich den Misfit zwischen Massenklagen, Verfahrensordnungen und Justizausstattung, hat er nicht beseitigt. Es gibt nach wie vor keine wirklich gute Klageart zur kollektiven Rechtsverfolgung. Das von ihm verspätet eingebrachte Verbraucherrechtsdurchsetzungsgesetz (VDuG) hat sich seit Inkrafttreten im Oktober 2023 noch nicht als ideale Lösung erwiesen. Allerdings muss man sagen, dass es auch der SPD nie gelungen ist, für vernünftigen Verbraucherschutz und dessen Durchsetzung zu sorgen. Das Thema ist den politischen Parteien einfach nicht wichtig genug.

Dafür gab es unter seiner Ägide das Leitentscheidungs­verfahren, das der BGH gleich nach Verabschiedung ­genutzt hat, um im Facebook-Datenleck-Komplex Pflöcke einzuschlagen.

Ausblick

Was kommt? Wer weiß. Die Digitalisierung der Justiz ­sowie die Modernisierung der Verfahrensordnungen, ­insbesondere der ZPO, müssen fortgesetzt werden. Bürokratieabbau ist ein Dauerthema. Anwaltschaft: Mehr Geld und bessere Strukturen, denn beim bisherigen Status quo des Fremdbesitzverbots wird es nicht bleiben. Und das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG)? Das spielte keine Rolle, aber angesichts der sinkenden Anwaltszahlen und steigenden Rechtsberatungsbedürfnisse kommt man gar nicht um eine Lockerung des RDG herum. Warum ­keine regulierten Rechtsdienstleister unterhalb der Anwaltschaft für außergerichtliche Verbraucherberatung?

Epilog

Betrachtet man die Reihe der Justizminister und ‑ministerinnen der Bundesrepublik seit 1949 (siehe hier), dann fällt auf, dass von den 25 Amtsinhaberinnen und Amtsinhabern nur drei von der Union kamen. Dabei herrschte bei der Union damals wie heute nicht nur kein Mangel an Juristen, sondern es gab und gibt viele Unionspolitiker, die von ihrem Profil her gut gepasst hätten. Ist das BMJ nicht wichtig genug? Oder lag es daran, dass die bisherigen Unionsminister keine Glücksgriffe waren? Fritz Schäffer (1957–1961), erster bayerischer Ministerpräsident nach dem 2. Weltkrieg und später Finanzminister, wurde vorgeworfen, zu großzügig gegenüber ehemaligen NSDAP-Mitgliedern gewesen zu sein und Wiedergut­machungsleistungen bevorzugt an alte Nazis gezahlt zu haben („Affäre Schäffer“). Karl Weber (nur kurz im Amt von April bis Oktober 1965) war Rechtsanwalt und ­Kammerfunktionär. Für die Bundestagswahl 1965 ­wurde er von seiner Partei nicht mehr nominiert, warum auch immer, er wurde dann Präsident der BRAK von 1967–1974. Der letzte Unionsvertreter war Richard Jaeger (Oktober 1965 bis November 1966), der sich für die Wiedereinführung der Todesstrafe ausgesprochen hatte und dafür von dem damaligen Fraktionsvorsitzenden der SPD, Herbert Wehner, den Spitznamen „Kopf-ab-Jaeger“ erhielt. Diesen Namen wurde er nicht mehr los.

Die Union hat also keinen guten Track-Record, was Justiz­minister betrifft. Aber das muss ja nicht so bleiben.

Autor

Markus Hartung Rechtsanwalt, Gründer und Senior Fellow am Bucerius Center on the Legal Profession, Mitglied des Berufsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins, Berlin markus.hartung@me.com www.markushartung.com

Markus Hartung
Rechtsanwalt, Gründer und Senior Fellow am Bucerius Center on the Legal Profession, Mitglied des Berufsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins, Berlin
markushartung@me.com
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