Mit Urteil des OLG Frankfurt am Main vom 07.07.2021 (Az. 7 U 19/21) obsiegte der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Wirecard AG in einem viel beachteten Rechtsstreit gegen seinen D&O-Versicherer. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende hatte zuvor am LG Frankfurt am Main im Rahmen des einstweiligen Rechtschutzes erfolgreich erstritten, dass ihm der D&O-Versicherer vorläufigen Abwehrkostenschutz in Form der Erstattung von Anwaltshonoraren zu gewähren hat. Der D&O-Versicherer lehnte die Gewährung von vorläufigem Abwehrkostenschutz bis dahin unter anderem mit der Begründung ab, dass der Versicherungsschutz bei wissentlichen oder vorsätzlichen Pflichtverletzungen ausgeschlossen ist und der Versicherer bei Abschluss der D&O-Versicherung zudem arglistig getäuscht wurde. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits wegen des Verdachts der Bilanzfälschung in Milliardenhöhe, des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs, der Untreue, der Marktmanipulation etc. in Untersuchungshaft. Trotz dieses Umstands entschied das OLG Frankfurt am Main, dass der D&O-Versicherer dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden vorläufigen Abwehrkostenschutz zu gewähren hat, bis eine wissentliche oder vorsätzliche Pflichtverletzung durch ein rechtskräftiges Zivil- oder Strafurteil festgestellt ist. Das OLG Frankfurt am Main hat in diesem Zusammenhang auch klargestellt, dass es einem Versicherer bis dahin auch versagt ist, sich auf einen Ausschluss wegen arglistiger Täuschung zu berufen. Für den D&O-Versicherer dürfte dies eine unbefriedigende Entscheidung gewesen sein, da klar sein dürfte, dass im Fall einer späteren rechtskräftigen Feststellung des Versicherungsausschlusses die bis dahin vorläufig geleisteten – angesichts der Tragweite des Skandals sicherlich nicht unbeachtlichen – Anwaltshonorare von dem Vorstandsvorsitzenden faktisch nicht mehr zurückverlangt werden können.
In einem anderen Rechtsstreit hatte der BGH hingegen nur wenige Monate zuvor klargestellt, dass ein Rechtsschutzversicherer gerade nicht zur vorläufigen Kostenübernahme verpflichtet ist, wenn der Versicherungsschutz wegen der Begehung einer vorsätzlichen Straftat möglicherweise ausgeschlossen sein könnte. Aber wie passen diese beiden – auf den ersten Blick widersprüchlichen – Entscheidungen zusammen? Haben Versicherer nun bis zur rechtskräftigen Feststellung eines etwaigen Versicherungsausschlusses beziehungsweise bei Anhaltspunkten für Straftaten vorläufig Abwehrkostenschutz zu gewähren oder nicht?
OLG Frankfurt am Main: Vorläufige Leistungspflicht des D&O-Versicherers
Zunächst ist hervorzuheben, dass in D&O-Versicherungen üblicherweise – anders als bei Rechtschutzversicherungen – ausdrücklich geregelt ist, dass der D&O-Versicherer bis zur rechtskräftigen Feststellung einer wissentlichen oder vorsätzlichen Pflichtverletzung, etwa in Form eines rechtskräftigen Zivil- oder Strafurteils, vorläufigen Abwehrkostenschutz zu gewähren hat. Eine dahingehende Regelung findet sich auch in den Versicherungsbedingungen, die der Entscheidung des OLG Frankfurt am Main zugrunde lagen. Der D&O-Versicherer stützte sich daher – mangels einer Feststellung einer wissentlichen oder vorsätzlichen Pflichtverletzung in Form eines rechtskräftigen Straf- oder Zivilurteils – nicht ausschließlich auf den Deckungsausschluss wegen wissentlich oder vorsätzlich begangenen Pflichtverletzungen. Der D&O-Versicherer wendete vielmehr auch ein, dass das ehemalige Vorstandsmitglied bei der Vertragsverlängerung gefahrerhöhende Umstände verschwiegen und damit arglistig getäuscht habe.
Das LG Frankfurt am Main hatte in erster Instanz die vorläufige Kostentragung des D&O-Versicherers bejaht. Das LG Frankfurt am Main begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der D&O-Versicherer in seinen Versicherungsbedingungen die Gewährung eines vorläufigen Abwehrkostenschutzes bis zur Feststellung einer wissentlichen oder vorsätzlichen Pflichtverletzung in Form eines rechtskräftigen Straf- oder Zivilurteils ausdrücklich zugesagt hat. Eine arglistige Täuschung durch den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden lehnte das LG Frankfurt am Main mangels entsprechender Glaubhaftmachung ab. Das Gericht erachtete es als nicht ausreichend glaubhaft gemacht, dass oder inwieweit der ehemalige Vorstandsvorsitzende zum Zeitpunkt der Vertragsverlängerung Kenntnisse von den Umständen des Wirecard-Skandals hatte und insoweit arglistig getäuscht hat.
Das OLG Frankfurt am Main wies die Berufung des D&O-Versicherers mit Urteil vom 07.07.2021 zurück und bestätigte damit die Entscheidung der Vorinstanz. Nach Auffassung des OLG Frankfurt am Main gewähre der D&O-Versicherer durch seine Versicherungsbedingungen einen weitreichenden Versicherungsschutz. Dieser entfalle erst dann, wenn eine rechtskräftige Entscheidung oder ein Geständnis vorliege, aus dem sich eine wissentliche oder vorsätzliche Pflichtverletzung ergebe. Bis dahin hat der D&O-Versicherer vorläufig die Verteidigungskosten zu tragen. Die Rechtsschutzverpflichtung, die Abwehrkosten zu übernehmen, sei eine Hauptpflicht des D&O-Versicherers. Die Erwägungen des OLG Frankfurt am Main basierten vor allem auf der Auslegung der Versicherungsbedingungen nach Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Systematik, wobei die Versicherungsbedingungen im zu entscheidenden Fall sogar so weit gehen, dass der D&O-Versicherer selbst im Fall einer rechtskräftigen Verurteilung keine Rückzahlung der bereits bezahlten Anwaltshonorare verlangen kann.
Auf diesen Überlegungen basierend entschied das OLG Frankfurt am Main ferner, dass sich der D&O-Versicherer dementsprechend erst dann auf einen Ausschluss wegen arglistiger Täuschung berufen könne, wenn eine rechtskräftige Entscheidung hierzu vorliegt. Andernfalls würde der Versicherungsschutz der D&O-Versicherung unterlaufen. Denn die Versicherungsbedingungen gingen bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung grundsätzlich von einem redlichen Versicherten aus. Bis dahin sei also kein Raum für einen Ausschluss wegen Arglist. Hierauf könne sich der Versicherer erst nach Abschluss der Haftpflichtprozesse stützen.
Festzuhalten ist, dass das LG und das OLG Frankfurt am Main gerade deshalb von einer vorläufigen Leistungspflicht des D&O-Versicherers ausgingen, da der D&O-Versicherer innerhalb seiner Versicherungsbedingungen die Gewährung von Abwehrkosten bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen Feststellung einer wissentlichen oder vorsätzlichen Pflichtverletzung ausdrücklich zugesagt hatte.
BGH: Keine vorläufige Leistungspflicht des Rechtsschutzversicherers
Genau in letzterem Punkt unterscheidet sich die BGH-Entscheidung vom 20.05.2021, Az. IV ZR 324/19, von dem Fall, den das OLG Frankfurt am Main entschied. In dem Rechtsstreit vor dem BGH war die vorläufige Kostenübernahme durch den Rechtsschutzversicherer gerade nicht in den Versicherungsbedingungen geregelt. Der BGH hatte vielmehr die bis dahin umstrittene Frage zu klären, wie der allgemeine Vorsatzausschluss in der Rechtsschutzversicherung – „Rechtsschutz besteht nicht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen […], soweit […] ein ursächlicher Zusammenhang mit einer von Ihnen vorsätzlich begangenen Straftat besteht. Stellt sich ein solcher Zusammenhang im Nachhinein heraus, sind Sie zur Rückzahlung der Leistungen verpflichtet, die wir für Sie erbracht haben.“ – auszulegen ist und welche Rechtsfolgen hieran anknüpfen.
Die Vorinstanzen hatten noch entschieden, dass die Rechtsschutzversicherung zumindest vorläufig unter Vorbehalt leisten müsse.
Der BGH stellte hingegen klar, dass der Vorsatzausschluss einen Risikoausschluss darstelle, über dessen Eingreifen – wie bei jedem anderen Risikoausschluss auch – grundsätzlich im Deckungsprozess gestritten werden muss. Die Klausel biete aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers keinen Anhaltspunkt dafür, dass außerhalb eines Deckungsprozesses stehende Umstände (wie etwa Ergebnisse aus dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren oder aus dem Ausgangsprozess) für den Deckungsumfang von Bedeutung sein könnten. Die Regelung bei Unklarheiten i. S. v. § 305c Abs. 2 BGB sei nicht anzuwenden. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer erkenne auch so, dass der Risikoausschluss nicht an strafrechtliche Ermittlungen anknüpft, so dass auch die Feststellungen aus solchen Ermittlungen nicht Voraussetzung der Leistungspflicht sein könnten.
Von einer vorläufigen Leistungspflicht des Versicherers und der Bindungswirkung eines externen Verfahrens sei, laut BGH, nur dann auszugehen, wenn dies ausdrücklich und eindeutig geregelt werde. Eine vorläufige Leistungspflicht ergebe sich nach dem BGH auch nicht aus der Rückzahlungsverpflichtung des Versicherungsnehmers. Die in der Klausel ausdrücklich vorbehaltene Rückzahlungspflicht für den Fall, dass sich im Nachhinein ein ursächlicher Zusammenhang mit einer vorsätzlichen Straftat herausstellt, betreffe nach ihrem erkennbaren Sinn und Zweck lediglich den Fall, dass der Versicherer zunächst in Unkenntnis des Vorwurfs einer Vorsatztat Deckung gewährt habe, jedoch im Nachhinein, etwa aufgrund einer unvollständigen Information durch den Versicherungsnehmer, Kenntnis von Umständen einer Vorsatztat erlangt habe. In einem solchen Fall wolle der Versicherer nicht an seine ursprüngliche Deckungszusage gebunden bleiben.
Nach dem Sinn und Zweck der Regelung könne der Versicherte davon ausgehen, dass er die Versichertengemeinschaft nicht belasten kann, wenn nach objektiver Sachlage ein kriminelles Verhalten vorliege. Bei vorläufiger Leistung bestehe die Gefahr einer Zahlungsunfähigkeit des Versicherten beziehungsweise Versicherungsnehmers, also dass die Versicherung ihre Zahlungen nicht mehr zurückerlange. Dieses Insolvenzrisiko spreche ebenfalls gegen die Annahme einer vorläufigen Leistungsverpflichtung.
Der BGH verneinte daher eine vorläufige Leistungspflicht des Rechtschutzversicherers.
Fazit
Die Entscheidungen des BGH und des OLG Frankfurt am Main mögen auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen. Bei genauer Betrachtung sind sie es jedoch nicht. Die unterschiedlichen Entscheidungen erklären sich durch die unterschiedlichen Versicherungsarten und Versicherungsbedingungen.
Das OLG Frankfurt am Main ging gerade deshalb von einer vorläufigen Leistungspflicht des D&O-Versicherers aus, da der D&O-Versicherer innerhalb seiner Versicherungsbedingungen die Gewährung von Abwehrkosten bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen Feststellung einer wissentlichen oder vorsätzlichen Pflichtverletzung ausdrücklich zugesagt hatte.
In dem vom BGH zu entscheidenden Fall fehlte hingegen eine dahingehende Regelung in den Versicherungsbedingungen. Eine vorläufige Leistungspflicht ließ sich auch nicht durch Auslegung der Versicherungsbedingungen herleiten. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass der BGH über eine Rechtschutzversicherung (und keine D&O-Versicherung) zu entscheiden hatte und die Grundsätze einer Haftpflichtversicherung nicht ohne Weiteres auf eine Rechtschutzversicherung übertragbar sind.
Wie häufig kommt es daher auf den Einzelfall und die zugrundeliegenden Versicherungsbedingen an. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich in der Praxis, die Versicherungsbedingungen stets genaustens zu prüfen, sei es bei Vertragsabschluss oder bei konkreten Deckungsfragen.
florian.weichselgaertner@advant-beiten.com
valerie.hoffmann@advant-beiten.com