Angleichung an die international üblichen Best Practices

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Schiedsverfahren spielen gerade bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten mit Bezug zur Volksrepublik China (VR China) eine große Rolle. Hier stellen Schiedsverfahren oft die einzig realistische Option dar, Ansprüche gegen chinesische Parteien durchzusetzen. Grund genug, sich einmal mit dem chinesischen Schiedsverfahrensrecht auseinanderzusetzen, das aktuell eine große Änderung erfahren soll.

Das derzeit geltende chinesische Schiedsgesetz stammt aus dem Jahr 1994 und wurde in den letzten 26 Jahren seiner Geltung nur zwei Mal marginal geändert. Anders als in vielen Rechtsordnungen basiert das chinesische Schiedsgesetz nicht auf dem UNCITRAL-Modellgesetz über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit (UNCITRAL-Modellgesetz). Es enthält daher nach wie vor einige Bestimmungen, die nicht im Einklang mit den Standards der internationalen Schiedspraxis stehen.

Dies soll sich nun zeitnah ändern: Am 30.07.2021 hat die chinesische Regierung ihre Vorschläge zur Überarbeitung des Schiedsgesetzes der VR China (Entwurf) zur öffentlichen Konsultation freigegeben. Ziel ist es, das derzeitige Schiedsgesetz an die praktischen Bedürfnisse der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit anzupassen.

Die wichtigsten Änderungen seien hier im Folgenden zusammengefasst:

Einbindung von ausländischen Schiedsinstitutionen und Ad-hoc-Schiedsverfahren

Das chinesische Schiedsgesetz sieht in Art. 16 bislang vor, dass die Parteien nicht nur übereinstimmend deutlich machen müssen, dass sie zukünftige Streitigkeiten vor einem (institutionellen) Schiedsgericht und nicht vor den staatlichen Gerichten austragen lassen wollen. Vielmehr müssen die Parteien auch zwingend eine konkrete Schiedsinstitution benennen. Die nicht hinreichend klare Bezeichnung der Schiedsinstitution führte in vielen Fällen zur Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung. Auch Ad-hoc-Schiedsverfahren, die ohne Unterstützung einer Institution stattfinden, sind unzulässig. Zudem ist es ausländischen Schiedsinstitutionen grundsätzlich nicht gestattet, Schiedsverfahren mit Schiedsort in China zu administrieren, da Schiedsinstitutionen in China von der zuständigen Lokalregierung eingerichtet und bei der Justizverwaltung auf Provinzebene registriert werden müssen.

Diese Einschränkungen in Bezug auf die Wahl einer innerchinesischen Schiedsinstitution gelten jedenfalls für „innerchinesische“ Streitigkeiten ohne Auslandsbezug, worunter jedoch auch Streitigkeiten zwischen in China gegründeten Tochterunternehmen, also deutsch-chinesische Joint Ventures, mit chinesischen Geschäftspartnern zählen.

Mit dem neuen Entwurf von 2021 wird der Anwendungsbereich des Schiedsgesetzes erweitert: Die exakte Bezeichnung der gewählten Schiedsinstitution ist nicht länger erforderlich. Des Weiteren ermöglicht der Entwurf in Art. 91 nun explizit Ad-hoc-Schiedsverfahren bei handelsrechtlichen Streitigkeiten mit Auslandsbezug. Für Streitigkeiten ohne Auslandsbezug besteht zwar nach wie vor ein Verbot der Durchführung von Ad-hoc-Schiedsverfahren, ausländische Ad-hoc-Schiedssprüche werden jedoch ohnehin in der Regel für vollstreckbar erklärt. Auch die Beschränkungen für ausländische Schiedsinstitutionen, die in der VR China ansässige Schiedsverfahren verwalten, werden weiter gelockert. Art. 12 des Entwurfs sieht vor, dass es ausländischen Schiedsinstitutionen ausdrücklich gestattet ist, in der VR China eine Niederlassung zu gründen, um Schiedsverfahren mit Auslandsbezug durchzuführen. Außerdem wird ausländischen Schiedsinstitutionen gestattet, sich bei der Justizverwaltung auf Provinzebene registrieren zu lassen. Ausländisch investierte Unternehmen könnten damit in Zukunft in Verträgen mit chinesischen Vertragspartnern auch eine Streitbeilegung durch eine nichtchinesische Schiedsinstitution vorsehen.

Anerkennung des Schiedsorts

Nach den meisten nationalen Schiedsgesetzen können die Parteien den Schiedsort selbst wählen oder dies der Schiedsinstitution oder dem Schiedsgericht überlassen. Der Schiedsort ist von dem tatsächlichen Tagungs- und Verhandlungsort zu unterscheiden. Er entscheidet nicht nur über das anwendbare Recht, sondern auch über die Zuständigkeit staatlicher Gerichte für unterstützende Maßnahmen. Der Schiedsort bestimmt auch die Nationalität eines Schiedsspruchs, die wiederum den anwendbaren Rechtsrahmen für die Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs festlegt.

Diese im UNCITRAL-Modellgesetz verankerte Verbindung des Schiedsverfahrens mit dem nationalen Schiedsrecht über den Schiedsort wurde in die meisten nationalen Schiedsgesetze übernommen, hat aber bis jetzt keinen Eingang in das chinesische Schiedsgesetz gefunden. Vielmehr richtet sich die Nationalität eines Schiedsspruchs in der VR China nach dem Sitz der Schiedsinstitution: Ein Schiedsspruch, der in einem von einer ausländischen Schiedsinstitution verwalteten Schiedsverfahren erlassen wurde, wird als ausländischer Schiedsspruch (foreign award) qualifiziert – der Schiedsort findet keinerlei Berücksichtigung. Dies führt zu dem seltsamen Szenario, dass auch ein Schiedsspruch, der in einem von einer ausländischen Schiedsinstitution verwalteten Schiedsverfahren mit Schiedsort in der VR China erlassen wird, nach chinesischem Prozessrecht als ausländischer Schiedsspruch angesehen würde, der nach dem New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vollstreckt werden müsste.

Der Entwurf öffnet sich nun dem in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit weit verbreiteten Territorialitätsgrundsatz: Im neuen Art. 27 des Entwurfs gilt ein Schiedsspruch als am Schiedsort ergangen; die Parteien können den Schiedsort in der Schiedsvereinbarung festlegen. Der Sitz der Schiedsinstitution ist damit nicht mehr ausschlaggebend für die Qualifikation der Nationalität eines Schiedsspruchs. Nur, wenn in der Schiedsklausel kein Schiedsort vereinbart wurde, tritt der Sitz der Schiedsinstitution an die Stelle des Schiedsortes.

Kompetenz-Kompetenz light

Wichtige Änderungen wurden auch in Bezug auf die materiellen Aspekte von Schiedsverfahren vorgenommen. Eine davon ist die Aufnahme des Grundsatzes der Kompetenz-Kompetenz für Schiedsverfahren, die in der VR China verwaltet werden.

Nach dem in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit etablierten Grundsatz der Kompetenz-Kompetenz kann ein Schiedsgericht über seine eigene Zuständigkeit entscheiden. Dieser Grundsatz gewährleistet die Effizienz des Schiedsverfahrens und begrenzt die staatliche Einmischung. Der Gedanke der Kompetenz-Kompetenz wird im derzeitigen Schiedsgesetz der VR China nicht anerkannt: Ein Schiedsgericht ist nicht befugt, seine eigene Zuständigkeit zu bestimmen, wenn eine Partei die Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung anzweifelt. Bei Streitigkeiten über die Gültigkeit einer Schiedsvereinbarung können sich die Parteien gemäß Art. 20 an die verwaltende Schiedsinstitution oder das zuständige chinesische Gericht wenden, wobei die Entscheidung des Gerichts Vorrang hat.

In Art. 28 des neuen Entwurfs findet sich der Grundsatz der Kompetenz-Kompetenz teilweise berücksichtigt: Hiernach ist das Schiedsgericht für die Entscheidung über Einwände gegen seine Zuständigkeit zuständig. Allerdings kann die Entscheidung des Schiedsgerichts vor dem staatlichen Gericht überprüft werden – auch wenn sich das Schiedsgericht für unzuständig hält – und ist damit voll reversibel.

Sonstiges

Neben diesen dargestellten Änderungen wurde in Art. 1 des Entwurfs der Begriff „gleichberechtigte Parteien“ durch „natürliche Personen, juristische Personen und andere Organisationen“ ersetzt. Dies soll der Möglichkeit Rechnung tragen, Investor-Staat-Schiedsverfahren in der VR China durchzuführen.

Der überarbeitete Entwurf sieht zudem Änderungen in Bezug auf die Schiedsrichterbenennung vor. Der Entwurf stellt klar, dass die Schiedsrichterliste lediglich Empfehlungscharakter hat und die Parteien auch Schiedsrichter außerhalb von Schiedsrichterlisten der jeweiligen Institution wählen (Art. 50) können.

Darüber hinaus wird das Schiedsrecht an die spätestens seit COVID herrschenden Zeiten angepasst, indem der Entwurf nunmehr elektronische Methoden für die Übermittlung von Dokumenten (Art. 34) und die Durchführung des Verfahrens (Art. 30) zulässt.

Schließlich sollen nach dem Entwurf künftig auch Schiedsgerichte – und nicht nur staatliche Gerichte – einstweilige Maßnahmen treffen können, was erneut die Kompetenzen der Schiedsgerichte stärkt (Art. 43 ff.).

Fazit

Mit dem Entwurf für eine Reform des Schiedsgesetzes vom 30.07.2021 gehen weitreichende Änderungen des chinesischen Schiedsrechts einher. Die Änderungen führen zu einer Angleichung des chinesischen Schiedsgesetzes an die international üblichen Best Practices der Handelsschiedsgerichtsbarkeit und spiegeln die wachsende Bedeutung der in der VR China durchgeführten Schiedsverfahren wider. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie diese Änderungen in der Praxis umgesetzt werden und ob ausländische Parteien künftig tatsächlich häufiger die VR China als Schiedsort ihrer Streitigkeiten wählen.

katharina.klenk@luther-lawfirm.com

madeleine.martinek@luther-lawfirm.com

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