Im Blickpunkt: Unterschiede bei der Schadensbewertung in internationalen Schiedsgerichtsverfahren
Von Gulnara Kalmbach und Dr. Michael Hammes
Der Schaden – zwischen immens und nicht existent
Bei großen und komplexen Streitfällen greifen Schiedsgerichte zur Schadensermittlung auf die von den Parteien berufenen Gutachter oder auch auf einen durch das Schiedsgericht (zusätzlich) eingesetzten Sachverständigen zurück. Wie eine 2015 von PwC durchgeführte Auswertung von 95 internationalen Schiedssprüchen zeigt, kommen Gutachter jedoch häufig zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen.
Ein gutes Beispiel hierfür ist der Fall „Tenaris SA and Talta gegen die Bolivarische Republik Venezuela“ (ICSID ARB/12/23). Obwohl die Gutachter beider Parteien die gleiche Bewertungsmethode verwendeten, hätten die Ergebnisse kaum unterschiedlicher ausfallen können: Während der Gutachter des Klägers einen Schaden in Höhe von 239 Millionen US-Dollar ermittelte, kam der Gutachter des Beklagten zu dem Ergebnis, dass kein Schaden feststellbar sei.
Die Wurzel des Übels – rechtliche Instruktionen und gutachterliche Interpretationen
Wie sind solche Unterschiede trotz gewissenhafter Ausübung der Gutachter- und Sachverständigenrolle zu erklären?
Zunächst sind die Gutachter regelmäßig angewiesen, den Schaden anhand der typischerweise voneinander abweichenden Rechtsauffassungen ihrer Parteien zu ermitteln. Bei der Enteignung eines Vermögensgegenstands mag eine Partei von einer rechtmäßigen Enteignung, die Gegenseite jedoch von einer rechtswidrigen Enteignung ausgehen. Entschädigungsmaßstab einer rechtmäßigen Enteignung ist der Verkehrswert des enteigneten Vermögensgegenstands zum Zeitpunkt der Enteignung. Demgegenüber ist bei einer unrechtmäßigen Enteignung eine vollständige Wiedergutmachung des durch die Enteignung entstandenen Schadens zu leisten. Somit kann über den Verkehrswert zum Enteignungszeitpunkt hinaus auch ein Folgeschaden oder auch eine bis zum Zeitpunkt der schiedsgerichtlichen Entscheidung eintretende Wertsteigerung des Vermögensgegenstands in die Schadensbewertung einbezogen werden.
Oft sind die Gutachter gehalten, ihre Bewertungen auf der Grundlage strittiger Fakten und Annahmen durchzuführen, deren Feststellung Gegenstand der schiedsgerichtlichen Beweisaufnahme ist. So könnten die Eigentumsverhältnisse an einem Vermögensgegenstand strittig sein. Der Kläger könnte seinen Gutachter anweisen, den Schaden unter der Annahme zu ermitteln, dass der Anteil des Klägers am zu bewertenden Unternehmen 100% beträgt. Hingegen könnte der Beklagte seinen Gutachter anweisen, dass er von einem Anteil des Klägers am zu bewertenden Vermögensgegenstand zum maßgeblichen Bewertungszeitpunkt von nur 60% ausgehen solle.
Darüber hinaus können die Sachverständigen unterschiedliche Bewertungsmethoden (etwa den Barwert zukünftiger Zahlungen oder historische Anschaffungskosten) anwenden oder bei Verwendung der gleichen Bewertungsmethode unterschiedliche Annahmen für die maßgeblichen Bewertungsparameter vertreten (etwa die Höhe der zukünftigen Cashflows oder des Diskontierungszinssatzes). Im Fall „Occidental Petroleum vs. Ecuador“ (ICSID ARB/06/11) legten Kläger und Beklagte jeweils eigene Gutachten über die in Frage stehenden Erdölreserven vor. Während der Gutachter des Klägers zum Bewertungsstichtag Erdölreserven von 228,6 Millionen Barrel ermittelte, errechnete der Gutachter der Beklagten 132,8 Millionen Barrel.
Von Bifurkation bis Sensitivitätsanalyse – vielfältige Abhilfe ist möglich
Wie kann man solche Bewertungsunterschiede verhindern oder wenigstens begrenzen?
Eine Möglichkeit besteht in der Zweiteilung des Verfahrens (Bifurkation). Das Verfahren wird derart gestaltet, dass zunächst nur die Verantwortlichkeit des Beklagten für den behaupteten Schaden geprüft und erst nach Feststellung einer Schuld des Beklagten in einer zweiten Phase die Höhe des behaupteten Schadens untersucht wird. Hierdurch werden zwar die rechtlichen Grundlagen und der zugrunde zu legende Sachverhalt für die Gutachter eindeutig festgestellt, jedoch verhindert dies nicht, dass die Gutachter verschiedene Bewertungsmethoden anwenden oder relevante Bewertungsparameter unterschiedlich einschätzen. Hierfür bieten sich folgende Handlungsoptionen an:
Den Gutachtern könnten durch das Schiedsgericht in Abstimmung mit den Parteien Anweisungen für die Schadensermittlung aufgegeben werden. Dabei können die Schiedsgerichte die Schlüsselfaktoren identifizieren, die ihnen beim Fällen einer Entscheidung helfen. Im Fall
„Tidewater Investment vs. Venezuela“ (ICSID ARB/10/5) ordnete das Schiedsgericht beispielsweise an, dass die Gutachter eine tabellarische Übersicht zur Auswirkung der unterschiedlichen Annahmen auf ihre Berechnungen zu erstellen hätten, um sich ergebende Bewertungsunterschiede transparenter zu machen. Dies bewirkte auch eine deutlich größere Annäherung der Bewertungsergebnisse, als dies in den bislang vorgelegten Gutachten zum Ausdruck kam.
Hilfreich können auch Sensitivitätsanalysen sein, die von Schiedsgerichten als Hilfsmittel nutzbar sind, um die Bedeutung verschiedener Eingabeparameter der verwendeten Bewertungsmodelle und deren Auswirkungen auf die Schadensberechnung besser zu verstehen. Dadurch können Schiedsgerichte in die Lage versetzt werden, eine sachgerechte Entscheidung über das Bewertungsmodell und die maßgeblichen Parameter zu treffen.
Auch können die Gutachter gemeinsame Stellungnahmen anfertigen. Gemäß Art. 5.4 der „Rules on the Taking of Evidence“ der International Bar Association können Schiedsgerichte die Gutachter anweisen, sich über die wesentlichen Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten zwischen ihren Gutachten zu verständigen oder die wesentlichen Gründe für unterschiedliche Sichtweisen darzulegen.
Zusätzlich können die Gutachter in der mündlichen Verhandlung zeitgleich durch das Schiedsgericht befragt werden. Dies bietet den Schiedsgerichten die Gelegenheit, besser zu verstehen, in welchen Punkten die Gutachter übereinstimmen oder abweichende Meinungen oder Annahmen vertreten und was die Gründe hierfür sind.
Weiterhin kann das Schiedsgericht zusätzlich zu den parteiernannten Gutachtern einen eigenen Sachverständigen berufen. Dieses Vorgehen zieht allerdings das Verfahren in die Länge und erhöht die Verfahrenskosten. Natürlich könnte auch von vorneherein auf Parteisachverständige zugunsten eines schiedsgerichtlichen Sachverständigen verzichtet werden. In der Praxis trifft dies jedoch nicht auf große Zustimmung. Laut einer Umfrage von White & Case und der School of International Arbitration der Queen Mary University of London (2012) werden schiedsgerichtliche Sachverständige in internationalen Schiedsgerichtsverfahren nur in 10% der Fälle bestellt. 43% der Befragten bevorzugen parteiernannte Gutachter, während 31% der Befragten vom Schiedsgericht ernannte Sachverständige präferieren.
Denkbar ist auch, einen Ökonomen oder Finanzexperten als Schiedsrichter zu berufen. Dies könnte die parteiernannten Gutachter dazu zwingen, plausiblere Schadensberechnungen zu vertreten und die Unterschiede ihrer Bewertungsergebnisse von vorneherein zu verringern.
Abschließend ist noch auf das sogenannte „Expert-Teaming“ hinzuweisen. Hierbei sollen die jeweiligen Vorteile des schiedsgerichtlich bestellten und der parteiernannten Gutachter kombiniert werden. Beide Parteien sind aufgefordert, Gutachter zu benennen. Das Schiedsgericht wählt aus diesen Vorschlägen jeweils einen Kandidaten aus und benennt diese gemeinsam als Sachverständige. Somit können die Parteien auf die Auswahl des Gutachters Einfluss nehmen, gleichzeitig haben beide Gutachter einen gemeinsamen Auftrag, den sie als Team bearbeiten, so dass unterschiedliche Sichtweisen bereits innerhalb des Teams kooperativ diskutiert und abgewogen werden.
„Splitting the Baby“ – eine Fiktion
Was lässt sich aus der schiedsgerichtlichen Praxis im Hinblick auf die Höhe des zugesprochenen Schadensersatzes entnehmen?
Häufig wird diesbezüglich die Wahrnehmung geäußert, dass Schiedsgerichte dem Leitmotiv „Splitting the Baby“ folgten und dem Kläger 50% des geforderten Schadens zusprächen. Allerdings zeigt die Auswertung internationaler Schiedssprüche, dass Schiedsgerichte den Klägern nur in 18% der betrachteten Fälle einen Ersatz zwischen 40% und 60% des geforderten Schadens zugesprochen haben. Somit scheinen Schiedsgerichte in der Praxis dem Kläger in der Regel einen Betrag zuzusprechen, der näher an einer der Parteipositionen liegt. Auch deutet die Auswertung der Schiedssprüche darauf hin, dass in Fällen, in denen Schiedsgerichte sich am mittleren Wertebereich orientiert haben, sie begründete Argumente für solche Entscheidungen hatten.
Diese Feststellungen bestätigen erneut, dass Schiedsgerichte sich mit der Schadensbewertung zunehmend besser auseinandersetzen (vgl. den methodenorientierten Beitrag in DisputeResolution 2/2016 – HIER) und eben nicht eine einfache Lösung („Splitting the Baby“) verfolgen.
Schiedsgerichtliche Führung und Einflussnahme bei der Schadensermittlung notwendig
Für eine sachgerechte Ermittlung des entstandenen Schadens sind in internationalen Streitfällen oftmals komplexe ökomische Sachverhalte abzubilden. Dabei ist der Einsatz von Gutachtern unabdingbar. Die in internationalen Schiedsgerichtsverfahren bevorzugte Vorgehensweise, parteiernannte Gutachter einzusetzen, birgt die Gefahr, dass diese zu sehr unterschiedlichen Bewertungsergebnissen kommen, was deren Nutzen für das Schiedsgericht in Zweifel ziehen kann. Diese Unterschiede zu begrenzen oder aber transparent und greifbar zu machen sollte eine wesentliche Aufgabe im Eigeninteresse der Schiedsgerichte sein. Ohne Fokus auf diese Problemstellung ist eine effiziente Verfahrensführung schwerlich zu bewerkstelligen. Expert-Teaming erscheint in diesem Zusammenhang als innovativer Ansatz. Es bleibt abzuwarten, ob sich dieser Ansatz als ernsthafte Alternative zu vornehmlich parteiernannten Gutachtern oder dem hin und wieder eingesetzten schiedsgerichtlichen Sachverständigen etablieren kann.
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