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Digitale Transformation: Von der technischen zur kulturellen Veränderung

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Die Digitalisierung verändert nicht nur Geschäftsmodelle, sondern auch die Arbeitsweise von Kanzleien grundlegend. GvW Graf von Westphalen hat diesen Wandel frühzeitig erkannt und sich mit einer umfassenden Digitalstrategie zukunftsfähig aufgestellt – von der Cloudmigration bis zur Etablierung einer modernen Legal-Tech-Infrastruktur. Im Interview mit dem Deutschen AnwaltSpiegel sprechen Ava A. Moussavi, Head of Legal Operations & Tech, und Dr. Robert Theissen, Managing Partner, über die Beweggründe für den Transformationsprozess, die technische Umsetzung sowie die kulturellen und strategischen Veränderungen, die damit einhergingen. Die Fragen stellte Dr. Thomas R. Wolf.

Deutscher AnwaltSpiegel: Frau Moussavi, Herr Theissen, welche Gründe gab es bei GvW, um über eine grundlegende Transformation nachzudenken?

Dr. Robert Theissen: Transformation liegt in den Genen von GvW. Unsere Kanzlei ist seit ihrer Gründung im Jahr 1948 kontinuierlich gewachsen, weil sie sich stets weiterentwickelt hat. Die Digitalisierung und die KI-Wende spielen derzeit eine maßgebliche Rolle. Deshalb haben wir einen besonderen Fokus auf die digitale Transformation gelegt. Wir sehen diese Zeit als eine Chance, unsere Marktposition weiter auszubauen. Kanzleien, die heute in moderne Technologien investieren, sichern sich langfristig einen Wettbewerbsvorteil. Daher haben wir frühzeitig entschieden, diesen Wandel aktiv zu gestalten und unsere Kanzlei zukunftssicher aufzustellen.

Ava A. Moussavi: Die digitale Transformation ist für uns kein Selbstzweck, sondern eine strategische Notwendigkeit. Eine moderne Infrastruktur ist essentiell, um mit der technologischen Entwicklung Schritt zu halten. Angesichts der fortschreitenden KI-Wende ist es unerlässlich, auf einem stabilen technologischen Fundament zu stehen. Dieses Fundament besteht aus verschiedenen Bausteinen, die wir heute nur noch in der Cloud sehen.

Deutscher AnwaltSpiegel: Was hat die Partner von einer Cloudstrategie und einem Wechsel zu einem cloudbasierten Document-Management-System (DMS) überzeugt?

Dr. Robert Theissen: Mehrere strategische Vorteile haben eine Rolle gespielt. Die zentralisierte Datenverwaltung unseres Anbieters sowie ihre automatisierten Back-ups ermöglichen ein höheres Maß an Sicherheit. Zudem war die Entlastung unserer IT ein entscheidender Faktor: Durch den Wegfall kostenintensiver Serverinfrastrukturen und Wartungsaufwände konnten wir IT-Kapazitäten und Budgets optimieren. Überzeugend waren auch die erhöhte Flexibilität sowie der ortsunabhängige Zugriff auf Dokumente, was unsere Effizienz und Reaktionsfähigkeit bei technischen Problemen verbessert. Ein weiterer Vorteil ist die Skalierbarkeit des Systems, die uns erlaubt, flexibel auf zukünftiges Wachstum zu reagieren.

Ava A. Moussavi: Wir befinden uns in einer Ära, in der Daten einen essentiellen Bestandteil von Unternehmen bilden. Um das volle Potential der Daten auszuschöpfen, müssen sie an der richtigen Stelle gespeichert werden – und das ist langfristig gesehen in der Cloud. Die Cloud macht uns agiler, flexibler und sicherer. Natürlich gibt es weiterhin Risiken, doch nach unserer Analyse ist die Cloud sicherer als unsere früheren Inhouseserver, die erhebliche IT-Ressourcen beanspruchen. Unsere Partner waren daher schnell überzeugt, dass es keinen Weg an der Cloud vorbei gibt.

Deutscher AnwaltSpiegel: Was waren die einzelnen Prozessschritte, und welche Herausforderungen waren dabei zu bewältigen?

Ava A. Moussavi: Folgende Schritte sind wir bei der Umsetzung gegangen:

  • Technische und organisatorische Vorbereitung: Die Herausforderung bestand in der Einrichtung eines neuen Benutzer- und Rollenkonzepts für die neue Umgebung.
  • Migration – Alpha- &-Delta-Migration der Dokumente: Hierbei war das Bandbreitenmanagement entscheidend, um den laufenden Betrieb nicht zu beeinträchtigen.
  • Sandbox/User Acceptance Testing (UAT): Die Testumgebung musste konsistent mit der Liveumgebung sein.
  • Go-Live: Ziel war ein reibungsloser Übergang ohne Ausfallzeiten.
  • Training: Die Schulungen wurden auf verschiedene Wissensstufen angepasst, um unterschiedliche Vorkenntnisse in der Kanzlei zu berücksichtigen.

In einem solchen Projekt ist es entscheidend, den richtigen Partner an seiner Seite zu haben, der jeden Schritt begleitet. Alleine wäre das für eine Kanzlei schwer zu bewältigen. Wir hatten mit Morae einen starken Partner, mit dem wir das gesamte Vorhaben umgesetzt haben, und sind dankbar für ihre Unterstützung.

Deutscher AnwaltSpiegel: Inwieweit hat die zunehmende Bedrohung durch Cyberangriffe Ihre Entscheidung beeinflusst, und wie wurden die rechtlichen Anforderungen insbesondere im Hinblick auf Datenschutz und Compliance umgesetzt?

Dr. Robert Theissen: Nachdem wir uns für eine Cloudstrategie entschieden hatten, erlebten wir 2023 selbst einen Sicherheitsvorfall. Diese Erfahrung bestätigte für uns, dass die Entscheidung für die Cloud der richtige Weg war – und wir haben die Umsetzung mit Hochdruck vorangetrieben.

Ava A. Moussavi: Zum Datenschutz: Unser IT-Compliance-Team, das aus IT-Rechtlern unserer TMC-Praxisgruppe zusammengestellt ist, prüft alle Technologien, die wir einführen möchten. Ein Vorteil dieses Projekts war, dass wir bereits zuvor mit iManage gearbeitet hatten und eine cloudbasierte Komponente nutzten. Dadurch waren die vertraglichen Rahmenbedingungen sowie die erforderlichen Sicherheitszertifikate bereits bekannt, was den Prüf- und Freigabeprozess beschleunigte.

Deutscher AnwaltSpiegel: Oft wird der Einwand vorgebracht, dass eine Cloudnutzung für Mandantendaten bei Berufsgeheimnisträgern gemäß § 203 StGB nicht zulässig sei. Wie haben Sie dieses Problem für sich gelöst?

Dr. Robert Theissen: Unser IT-Compliance-Team prüft alle Cloudlösungen und gibt diese erst nach eingehender Bewertung frei. Unter anderem müssen unsere Dienstleister sich vertraglich verpflichten, die gesetzlichen Anforderungen für Berufsgeheimnisträger gemäß § 203 StGB einzuhalten, bevor sie von uns beauftragt werden.

Deutscher AnwaltSpiegel: Wie hat sich der Transformationsprozess auf die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Teams und Standorten ausgewirkt, und welchen Mehrwert konnten Sie daraus für die Mandatsarbeit generieren?

Ava A. Moussavi: Die digitale Transformation von GvW hat soweit die standortübergreifende Zusammenarbeit erheblich vorangebracht. In der virtuellen Arbeitsumgebung sind alle Kolleginnen und Kollegen gewissermaßen unter einem Dach – unabhängig vom physischen Standort. Unsere Cloudstrategie unterstützt diese neue Form der Zusammenarbeit und stärkt uns in der Mandatsberatung.

Deutscher AnwaltSpiegel: Zurück zu Ihrem DMS-Projekt: Wurden Ihre Erwartungen an ein derart komplexes System bis zum jetzigen Zeitpunkt erfüllt, und welche Weiterentwicklungen der IT-Infrastruktur sind für die Zukunft geplant?

Dr. Robert Theissen: Ja, unsere Erwartungen wurden erfüllt. Wir hatten einen Puffer von vier Wochen für den Umzug eingeplant, den wir letztlich nicht benötigt haben, da die Migration frühzeitig abgeschlossen war. Seitdem gab es lediglich kleinere Anpassungen, aber insgesamt läuft das System reibungslos. Nun kann sich unser Head of IT Frank Möller darauf konzentrieren, die Serverlandschaft weiter zu reduzieren und damit auch potentielle Angriffsflächen zu minimieren – eine Entwicklung, die uns sehr freut.

Deutscher AnwaltSpiegel: Wie ist die Akzeptanz des implementierten DMS-Systems bei den Anwendern, und was würden Sie anderen Kanzleien raten, die vor einer vergleichbaren Transformationsentscheidung stehen?

Dr. Robert Theissen: Bleiben Sie technologisch auf dem neuesten Stand und investieren Sie rechtzeitig in essentielle Zukunftstechnologien.

Ava A. Moussavi: Die Akzeptanz unter den Anwendern war hoch, da sich die Cloudlösung kaum von der bisherigen On-Premise-Version unterscheidet. Es gibt daher keinen Grund, den Wechsel aufzuschieben – je früher, desto besser.

Deutscher AnwaltSpiegel: Frau Moussavi, Herr Theissen, vielen Dank für Ihre spannenden Einblicke in diesen Transformationsprozess. 

Autor

Ava A. Moussavi, LL.M. (London) GvW Graf von Westfalen, Berlin Head of Legal Operations & Tech, Rechtsanwältin

Ava A. Moussavi, LL.M. (London)

GvW Graf von Westphalen, Berlin
Head of Legal Operations & Tech, Rechtsanwältin


a.moussavi@gvw.com
www.gvw.com


Autor

Dr. Robert Theissen, LL.M. GvW Graf von Westfalen, Hamburg Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht Managing Partner

Dr. Robert Theissen, LL.M.

GvW Graf von Westphalen, Hamburg
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht Managing Partner


r.theissen@gvw.com
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