ESG-Compliance bleibt für viele Unternehmen eine große Herausforderung. Der „Omnibus-Paket I“-Vorschlag der EU-Kommission, dem mittlerweile vom Europäischen Parlament zugestimmt wurde, soll spürbar entlasten – es bestehen aber weiter viele Fragen bezüglich der konkreten Umsetzung. Gleichzeitig nehmen erfolgreiche Klimaklagen zu und erhöhen den Druck. Umso wichtiger ist es jetzt, ESG-Compliance-Prozesse stabil zu halten und gezielt zu optimieren.
Die Entwicklung der gesetzlichen Vorschriften
Wenn vom Begriff ESG die Rede ist, wird damit in der Regel eine Reihe von Vorschriften umschrieben, die einen Bezug zu Umwelt- und Menschenrechtsaspekten haben. Im Folgenden beschränkt sich die Betrachtung auf die beiden prominentesten Beispiele, die Nachhaltigkeitsberichterstattung und die Lieferkettensorgfaltspflichten.
Nachhaltigkeitsberichterstattung
Maßgebliches regulatorisches Rahmenwerk für die Nachhaltigkeitsberichterstattung auf europäischer Ebene ist die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die durch die zugehörigen European Sustainability Reporting Standards (ESRS) konkretisiert wird. Dort werden die einzelnen Berichtspunkte detailliert aufgeführt, die durch die CSRD selbst nur grob vorskizziert werden. Insbesondere die Fülle dieser Berichtspunkte führte zu der Forderung, die Nachhaltigkeitsberichterstattung deutlich zu entschärfen. Im Zuge dessen schlug die EU-Kommission im Februar 2025 das „Omnibus-Paket I“ vor, das mehrere europäische Verordnungen dahingehend ändern soll, bürokratischen Aufwand für Unternehmen zu reduzieren und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Zur Debatte stehen unter anderem die Verschiebung der Anwendungszeiträume, um Unternehmen mehr Vorbereitungszeit zu geben, eine Anhebung der Schwellenwerte für die Berichtspflicht sowie eine umfassende Überarbeitung der ESRS mit dem Ziel, die Zahl der Berichtspunkte zu reduzieren und die Berichterstattung zu vereinfachen. Außerdem soll der Vorschlag verhindern, dass kleine, nicht unmittelbar berichtspflichtige Unternehmen durch Informationsanforderungen entlang der Liefer- und Wertschöpfungsketten faktisch doch in die Berichtspflicht geraten (sogenannter „Trickle-Down-Effekt“).
Am 22.10.2025 scheiterte der Vorschlag der EU-Kommission noch im Europäischen Parlament (siehe hier) und hinterließ große Rechtsunsicherheit für die betroffenen Unternehmen. Am 13.11.2025 wurde dann ein entscheidender Schritt zur Vereinfachung der Nachhaltigkeitsberichterstattung gemacht: Das Europäische Parlament einigte sich auf eine Verhandlungsposition. Die Berichtspflichten gemäß CSRD und die Sorgfaltspflichten nach der CSDDD sollen auf große Unternehmen beschränkt und das Verfahren deutlich entbürokratisiert werden (siehe hier). Bis diese Änderungen in Kraft treten, sind allerdings noch weitere Verhandlungsrunden mit der Kommission und den Mitgliedstaaten notwendig.
Einzig in Kraft getreten ist bislang die schon im April 2025 beschlossene Verschiebung der CSRD-Anwendungszeitpunkte [Richtlinie (EU) 2025/794]. Das bedeutet: Unternehmen, die nach bisheriger Rechtslage ab dem Geschäftsjahr 2025 beziehungsweise 2026 zur Berichterstattung verpflichtet gewesen wären, müssen nun erst für die Geschäftsjahre 2027 oder 2028 berichten. Für Unternehmen, die bereits seit 2024 berichten, ergeben sich hingegen keine Änderungen.
Die CSRD gilt in Deutschland nicht unmittelbar, sondern muss in nationales Recht umgesetzt werden. Ursprünglich hätte die CSRD bis zum 06.07.2024 in deutsches Recht umgesetzt werden müssen. Diese Frist ließ die Vorgängerregierung allerdings verstreichen (siehe hier). Am 03.09.2025 ist ein neuer Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der CSRD in Deutschland veröffentlicht worden, der bereits zentrale Elemente des „Omnibus-Pakets I“ enthält.
Lieferkettensorgfaltspflichten
Auch bei den Lieferkettensorgfaltspflichten besteht weiterhin erhebliche Unsicherheit – in Deutschland gleich doppelt. Zum einen ist offen, wie genau es mit der europäischen Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) weitergeht, solange die vorgeschlagenen Änderungen noch nicht in Kraft sind. Auch bei der CSDDD ist einzig eine Verschiebung der Anwendungszeiträume bereits beschlossen (Richtlinie (EU) 2025/794). Zum anderen steht in Frage, ob die geplanten Änderungen am deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) mit EU-Recht vereinbar sind. Die vom Kabinett am 03.09.2025 vorgeschlagenen Anpassungen sehen weitreichende Erleichterungen und sogar das nachträgliche Streichen von Berichtspflichten vor. Ob das europarechtskonform ist, bleibt offen. Unternehmen müssen daher auch bei den Lieferkettensorgfaltspflichten auf europäischer und auf deutscher Ebene mit weiteren Anpassungen und Veränderungen rechnen.
Zwischenfazit
Sowohl auf europäischer als auch auf deutscher Ebene besteht die grundsätzlich zu begrüßende Absicht, Bürokratie abzubauen und Unternehmen zu entlasten. Es bleiben aber weiterhin Unsicherheiten hinsichtlich der konkreten Umsetzung.
Entwicklungen in der Rechtsprechung
Auch die Rechtsprechung trägt nicht zur Klärung der Unsicherheiten für Unternehmen bei. Im Gegenteil: Gutachten, Beschlüsse und Urteile häufen sich, die Staaten und Unternehmen, zumindest mittelbar, zu mehr Klimaschutz verpflichten sollen.
Besonders prominent waren dabei in jüngerer Zeit das Urteil des OLG Hamm im Fall Lliuya gegen die RWE AG (OLG Hamm Urteil vom 28.05.2025, Az. 5 U 15/17) und ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs zu den staatlichen Verpflichtungen in Bezug auf den Klimawandel. Das OLG Hamm machte deutlich, dass es eine unternehmerische Haftung für – nach nationalem Recht genehmigte – ausgestoßene CO2-Emissionen für möglich hält und den Anspruch des peruanischen Landwirts und Bergführers Saul Lliuya gegen die RWE AG im Ergebnis nur aufgrund einer nicht hinreichend konkreten Flutgefahr für sein Grundstück abgelehnt hat. Ein vergleichbarer Fall läuft derzeit in der Schweiz. Dort klagen Inselbewohner der Insel Pari gegen den Schweizer Zementkonzern Holcim und fordern Schadensersatz und eine Reduzierung der Emissionen des Unternehmens (siehe hier). Ein Urteil hierzu steht noch aus.
Demgegenüber reiht sich das Gutachten des IGH (Internationaler Gerichtshof, Beratungsgutachten OC 23/17) in eine ganze Reihe jüngerer Rechtsprechung ein, die dem Klimaschutz als Menschenrecht eine sehr gewichtige Rolle zuspricht. In eine ähnliche Richtung ging auch schon der sogenannte Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts [(BVerfG, Erster Senat), Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20], der im Jahr 2021 in Deutschland für viel Aufsehen sorgte. Diese Entscheidungen haben eines gemeinsam:
Anders als Gesetze entfalten sie für Unternehmen keine unmittelbare Wirkung. Gleichwohl ist ihre mittelbare Wirkung nicht zu unterschätzen. So sollte eine potentielle Haftung für ausgestoßene CO2-Emissionen in der Regel dazu führen, dass Unternehmen ihre Emissionen noch besser dokumentieren und versuchen, den Verbrauch bestmöglich zu reduzieren, um Prozessrisiken zu minimieren. Entscheidungen, die Klimaschutz eine menschenrechts- oder grundrechtsähnliche Stellung einräumen, liefern Klägern gute Argumente, warum Gerichte Klimaschutzaspekte in ihren Urteilen berücksichtigen müssen und können zu einem erheblichen Anstieg von Klagen gegen Unternehmen mit Klimaschutzbezug führen.
Fazit und Handlungsempfehlungen
Unternehmen werden derzeit von mehreren Seiten mit Unsicherheiten bezüglich ihrer ESG-Compliance konfrontiert. Auch wenn die Politik grundsätzlich einen Ansatz verfolgt, der auf Deregulierung und Bürokratieabbau zielt, herrscht aufgrund ungewisser politischer Mehrheiten weiter Rechtsunsicherheit. Selbst wenn alle Vorschläge des „Omnibus-Pakets I“ im weiteren Prozess angenommen werden, ist damit längst nicht der vollständige Wegfall aller regulatorischen Pflichten verbunden. Die Ziele des European Green Deals sollen trotz Reduzierung und Vereinfachung der Berichtspflichten weiterhin erreicht werden (vgl. Hassel/Kompaniets: Omnibus I – Echter Bürokratieabbau? Eine kritische Analyse ESG 2025, 323). Die geplante Erleichterung durch temporäre Deregulierung ändert nichts an der grundsätzlichen Pflicht zur Achtung von Menschenrechten und entsprechenden Umweltstandards.
Die Gerichte positionieren sich immer häufiger für die Einhaltung und Implementierung von Klimaschutzvorgaben. Damit gehen für Unternehmen schwer absehbare Prozessrisiken einher. Sie sollten daher im Bereich der ESG-Compliance weiterhin wachsam sein; die genaue Beobachtung der Entwicklungen sowohl im Bereich der Gesetzgebung in Deutschland und der EU als auch der Rechtsprechung bleibt unerlässlich. Darüber hinaus sollten bestehende Compliancestrukturen nicht abgebaut, sondern allenfalls optimiert werden. Gut durchdachte und ausgebaute Compliancestrukturen sind in unsicheren Zeiten besonders wichtig, um rechtliche Risiken zu minimieren.



