Digitale Transformation ist längst schon unternehmerische Realität: Während viele Unternehmensbereiche auf digitale Lösungen setzen, hinkt das Compliancemanagement häufig noch hinterher. Studien wie „Next Generation Compliance“ (WTS Legal, KI Park e.V., Arthur D. Little, Januar 2024, siehe hier) zeigen: In kaum einem anderen Bereich ist der digitale Reifegrad so niedrig ausgeprägt – und das, obwohl gerade hier Effizienz, Transparenz und Nachvollziehbarkeit essentiell sind.
Einer wachsenden Anzahl von neuen Gesetzesinitiativen im nationalen und internationalen Bereich ausgesetzt, besteht insbesondere in der Compliancefunktion das Dilemma, wie sich Effizienzgewinne realisieren lassen, ohne den Anspruch an rechtssichere und integre Abläufe zu kompromittieren. Gerade Compliancetools müssen höchsten Anforderungen genügen, da sie direkt zur Einhaltung gesetzlicher Vorgaben und interner Richtlinien sowie zum Reporting beitragen und somit ein Höchstmaß an Verlässlichkeit und Rechtskonformität sicherstellen müssen.
Der Druck auf die Complianceorganisationen wächst somit: Sie müssen mehr leisten – mit weniger Ressourcen. Die rapide Entwicklung und Verbreitung digitaler Technologien in den letzten Jahren hat das Geschäftsumfeld grundlegend verändert. Unternehmen müssen sich diesen digitalen Veränderungen anpassen, um wettbewerbsfähig zu bleiben und dabei gleichzeitig ihre Compliancerisiken zu minimieren.
Automatisierung im Compliancebereich erscheint vor diesem Hintergrund nicht nur als Option, sondern als strategische Notwendigkeit. Digitale Tools – von Hinweisgebersystemen über automatisierte Kontrollen bis hin zu Analyseplattformen – ermöglichen eine effizientere, transparentere und revisionssichere Gestaltung von Complianceprozessen. Dabei kommen moderne Technologien wie KI, Datenanalyse, Automatisierung und Cloud-Computing gezielt zum Einsatz.
Der gezielte Einsatz digitaler Technologien kann Complianceorganisationen auf ein neues Niveau heben: Moderne Werkzeuge helfen nicht nur dabei, Compliancerisiken frühzeitig zu identifizieren und wirksam zu steuern – sie ermöglichen auch eine dynamischere, datenbasierte Umsetzung von Compliancestrategien. Damit zahlen sie direkt auf zentrale Zielsetzungen eines wirksamen Compliance-Management-Systems (CMS) ein: Sie erhöhen die Revisionssicherheit in kritischen Geschäftsprozessen, reduzieren Haftungsrisiken für Unternehmen und Führungskräfte und schaffen die Grundlage für eine systematische, transparente Überwachung gesetzlicher und interner Anforderungen. Kurz gesagt: Wer Digitalisierung im CMS klug nutzt, kann die bloße Pflichterfüllung in einen Wettbewerbsvorteil umwandeln.
Bei aller Euphorie über die Potentiale digitaler Werkzeuge im Compliancealltag dürfen die Herausforderungen ihrer Implementierung nicht unterschätzt werden. Denn nicht alles, was technologisch machbar ist, ist auch rechtlich und ethisch vertretbar. Insbesondere bei der Verarbeitung sensibler Compliancedaten sind Datenschutz, Mitbestimmungsrechte und die Einhaltung von Gesetzen und internen Richtlinien zwingend zu berücksichtigen.
Hinzu kommt die wachsende Komplexität bei der Konzeption: Unternehmen stehen vor strategischen Grundsatzentscheidungen – etwa zwischen einem zentralen, integrierten CMS-Tool, das alle Anforderungen abdeckt, oder einem flexiblen Verbund spezialisierter Einzellösungen. Beide Ansätze haben Vor- und Nachteile, doch ohne eine klare Digitalstrategie droht die Gefahr von System- und Medienbrüchen oder blinder Toolvielfalt. Komplex wird es auch bei der Integration in bestehende Systemlandschaften, der Anpassung an individuelle Geschäftsprozesse und der Einhaltung regulatorischer Anforderungen über verschiedene Jurisdiktionen hinweg. Die technologische Vielfalt und die schnelle Innovationsgeschwindigkeit erhöhen zusätzlich den Entscheidungsdruck – und erschweren die gezielte Auswahl passender Lösungen.
Auch technische Ausfälle oder Serviceeinschränkungen können die Wirksamkeit des CMS erheblich beeinträchtigen. Nicht zuletzt können fehlende digitale Daten und Prozesse oder eine zu stark isolierte Betrachtung einzelner CMS-Komponenten die notwendige Gesamtperspektive entlang der Compliance-, Risiko- und Kontrollprozesse gefährden.
Der Mensch im Zentrum der digitalen Compliance
So technisch der Wandel auch ist – ohne den Menschen funktioniert Digitalisierung nicht. Wer digitale Complianceprojekte initiiert, muss berücksichtigen: Die erfolgreichste Technologie bleibt wirkungslos, wenn die beteiligten Fachkräfte nicht mitgenommen, qualifiziert und befähigt werden. Der Mensch ist und bleibt das Bindeglied zwischen regulatorischer Verantwortung und technischer Umsetzung.
Digitale Grundkompetenz in der Compliance ist heute essentiell: Compliance-Professionals müssen verstehen, was hinter KI, Big Data, Automatisierung oder Blockchain steckt – nicht auf Codeebene, aber im Hinblick auf Risiken, Potentiale und Wirkzusammenhänge. Auch Datenkompetenz wird unverzichtbar – von der Analyse bis zur Interpretation von Mustern und Risiken. All das ist eine Voraussetzung, um moderne Tools sinnvoll nutzen zu können.
Ebenso gefragt sind Anpassungsfähigkeit und Agilität: Regulatorische und technologische Veränderungen erfordern flexible Prozesse und kontinuierliches Lernen. Compliance ist längst interdisziplinär – die enge Zusammenarbeit mit IT, Recht, Datenschutz, Risiko- und Kommunikationsbereichen muss gestärkt und systematisch gepflegt werden.
Fazit: Die digitale Transformation in der Compliance verlangt nicht nur moderne Werkzeuge – sondern auch moderne Menschen. Unternehmen sind daher gut beraten, gezielt in die Weiterentwicklung ihrer Complianceteams zu investieren – mit Schulungen, interdisziplinären Trainings und dem Mut, neue Rollenbilder zu denken.
Handlungsempfehlungen: Digitale Tools mit Substanz statt Selbstzweck
Der erfolgreiche Einsatz digitaler Werkzeuge im Compliancemanagement beginnt nicht mit der Technologie, sondern mit einer klugen Strategie. Zentrale Voraussetzung ist ein grundlegendes IT-Verständnis im Complianceteam. Wer digitale Geschäftsmodelle nicht durchdringt, kann deren Risiken nicht adäquat bewerten – und ist auch bei der Auswahl, Einführung und Betreuung digitaler Tools im Nachteil.
Bevor Systeme implementiert werden, empfiehlt sich eine fundierte Ist-Analyse der verfügbaren Daten: Welche Daten liegen vor, sind sie aktuell, valide und für die Zielstellung geeignet? Nur auf dieser Basis kann ein digitales Tool so konzipiert werden, dass es echten Mehrwert stiftet – statt nur Altprozesse in neuer Verpackung abzubilden. Oder wie es Thorsten Dirks, damaliger CEO von Telefónica Deutschland, drastisch formulierte: „Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiß digitalen Prozess.“
Darum gilt: Denken Sie radikal neu und verzichten Sie auf One-size-fits-all-Lösungen, die im Anschluss wieder ressourcenintensiv an die Unternehmensrealität zu adaptieren sind. Achten Sie auf Details in der Implementierung: Datenschutz, Rollenrechte, Schnittstellen, Nutzerführung und ein entsprechendes Changemanagement sowie eine gute Awareness bei den Compliance-Officers und eine adäquate Kommunikation in Richtung der Stakeholder im Unternehmen entscheiden über die spätere Wirksamkeit.
Compliance ist Teamsport – und das gilt besonders in der digitalen Transformation. Fördern Sie die Zusammenarbeit über Abteilungsgrenzen hinweg und integrieren Sie angrenzende Assurancefunktionen wie Risk-Management, Datenschutz oder Audit. Nur so entstehen ganzheitliche und zukunftsfähige CMS-Strukturen, die mit der Komplexität moderner Unternehmensrealitäten Schritt halten können.
Digitale Compliance braucht eine Strategie – und den Mut zur Anpassung
Die Frage nach dem Einsatz digitaler Tools im Compliancemanagement ist längst keine Frage des „Ob“, sondern des „Wie“. Angesichts wachsender regulatorischer Anforderungen, internationaler Geschäftsmodelle und des zunehmenden Fachkräftemangels führt kein Weg an der Digitalisierung vorbei. Wer sich hier verweigert, riskiert die Abkopplung vom operativen Geschäft und gefährdet die Wirksamkeit der eigenen Funktion.
Doch Standardlösungen greifen zu kurz. Der Erfolg digitaler Compliance hängt von maßgeschneiderten Konzepten ab, die sowohl technologische als auch organisatorische und kulturelle Voraussetzungen berücksichtigen: Datenverfügbarkeit, Toollogik, Schnittstellen, aber auch Schulungsbedarf, Changemanagement und die Einbindung angrenzender Funktionen wie Audit, Riskmanagement, Cybersecurity oder den Datenschutz.
Compliance der Zukunft erfordert deshalb eine ehrliche Standortbestimmung, eine klare Zieldefinition und ein Verständnis für die eigene Rolle im digitalen Wandel. Denn nur wer Strategie, Technologie und Organisationskultur in Einklang bringt, wird digitale Lösungen so einsetzen können, dass sie echten Mehrwert stiften – für die Complianceperformance und damit für das Unternehmen als Ganzes.


