Das Sorgfaltspflichtengesetz – ­ein Regelwerk ohne Zähne?

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Einleitung
Am 12.02.2021 stellten die Minister für Arbeit und Soziales, Wirtschaft und Energie sowie für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in einer gemeinsamen Pressekonferenz ihren Kompromiss für ein Sorgfaltspflichtengesetz vor.
Bundesminister Heil hob hervor: „… das ist bislang das stärkste Gesetz in Europa im Kampf für Menschenrechte und gegen Ausbeutung. Es geht um klare Regeln und klare Pflichten. Denn wir haben auch festgestellt, Freiwilligkeit allein reicht nicht aus“ (siehe hier). Dem Ganzen war ein wochenlanges Tauziehen um die in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallenden Unternehmen sowie deren mögliche zivilrechtliche Haftung vorausgegangen.
Die Einigkeit war jedoch nur von kurzer Dauer. Schon wenige Tage später gab es erneuten Streit zwischen den beteiligten Ministerien über Inhalte eines vorab geleakten Entwurfs des Gesetzes.

Inhalte des Gesetzentwurfs
Das Gesetz soll der Verbesserung der internationalen Menschenrechtslage dienen, indem es Vorgaben für unternehmerische Sorgfaltspflichten entlang globaler Lieferketten festlegt.
Ab dem 01.01.2023 soll es zunächst nur für Unternehmen gelten, die (i) ihre Hauptverwaltung, ihre Hauptniederlassung oder ihren Sitz im Inland haben und (ii) in der Regel mehr als 3.000 Arbeitnehmer beschäftigen. Für die Berechnung der Arbeitnehmerzahl werden auch die Beschäftigten in Tochterunternehmen im In- und Ausland berücksichtigt. Ab dem 01.01.2024 soll der Schwellenwert dann bei nur noch 1.000 Mitarbeitern liegen.
Schutzgegenstand des Gesetzes ist ein Katalog von abschließend aufgeführten Menschenrechten und umweltbezogenen Pflichten, die auf internationalen, von der Bundesrepublik ratifizierten, Abkommen beruhen. Dabei wird den Unternehmen jedoch nicht die Pflicht auferlegt, die im Gesetzestext einzeln aufgelisteten Rechtspositionen, wie beispielsweise den Schutz von Kindern gegen wirtschaftliche und soziale Ausbeutung oder den Schutz vor Zwangsarbeit, vollumfänglich zu garantieren oder zu gewährleisten, dass in der Lieferkette keine Menschenrechte verletzt werden. „Die Sorgfaltspflichten begründen eine Bemühens- und keine Erfolgspflicht.“ (Kommentierung zu § 3 Abs. 1).
Die Unternehmen sollen vielmehr ein angemessenes und wirksames Risikomanagement einführen, „um Risiken zu erkennen, Verletzungen geschützter Rechtspositionen oder Verstößen gegen umweltbezogene Pflichten vorzubeugen, sie zu beenden und zu minimieren“ (§ 4 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzentwurfs).
Das beinhaltet eine jährliche beziehungsweise anlassbezogene Risikoanalyse sowie die Weitergabe der Ergebnisse dieser Analyse an die maßgebenden Entscheidungsträger, etwa den Vorstand oder die Einkaufsabteilung. Falls die Analyse zu dem Ergebnis kommt, dass gegen einzelne oder mehrere der nicht abschließend aufgeführten menschenrechtlichen Rechtspositionen oder gegen die genannten umweltrechtlichen Pflichten in schwerwiegender Weise verstoßen wird und die Rechtswidrigkeit des Tuns oder Unterlassens offensichtlich ist, sind Präventionsmaßnahmen einzuleiten.
Zu den Präventionsmaßnahmen soll unter anderem die Verabschiedung einer Menschenrechtserklärung durch die Geschäftsleitung zählen. Gegenstand dieser Erklärung sollen die festgestellten Menschenrechtsrisiken, die Gegenmaßnahmen sowie die Erwartungen sein, die das Unternehmen an seine Beschäftigten und Zulieferer in der Lieferkette im Hinblick auf seine Menschenrechtsstrategie richtet.
Die Lieferkette „umfasst alle Schritte im In- und Ausland, die zur Herstellung der Produkte und zur Erbringung der Dienstleistungen erforderlich sind, angefangen von der Gewinnung der Rohstoffe bis zu der Lieferung an den Endkunden…“(§ 2 Abs. 5 Satz 2 des Gesetzentwurfs). Dies soll das Handeln im eigenen Geschäftsbereich, aber auch das Handeln der unmittelbaren und mittelbaren Zulieferer umfassen.

Bei den Präventionsmaßnahmen unterscheidet der Entwurf zwischen denen im eigenen Geschäftsbereich und denen gegenüber einem unmittelbaren Zulieferer.
Im eigenen Geschäftsbereich sind unter anderem die in der Grundsatzerklärung dargelegte Menschenrechtsstrategie umzusetzen, geeignete Beschaffungs- und Einkaufsstrategien zu entwickeln und zu implementieren sowie Schulungen durchzuführen. Die Strategie ist durch geeignete risikobasierte Kontrollmaßnahmen zu überprüfen.
Gegenüber einem unmittelbaren Zulieferer sollen verschiedene Präventionsmaßnahmen ergriffen werden. So sollen die unternehmenseigenen menschenrechtsbezogenen Erwartungen bei der Auswahl eines unmittelbaren Zulieferers einfließen. Des Weiteren soll das Unternehmen seine Partner auf der Grundlage seines Lieferantenkodexes verpflichten, identifizierten menschenrechtlichen Risiken vorzubeugen oder diese zu minimieren. Der Kodex sollte auch vorsehen, dass diese Pflichten entlang der Lieferkette weitergereicht werden. So sollen angemessene vertragliche Kontrollmechanismen sowie Schulungen und Weiterbildungen zur Durchsetzung der Erwartungen vertraglich vereinbart werden. Diese sollen anhand von risikobasierten Kontrollmaßnahmen überprüft werden.
Falls die Verletzung einer geschützten Rechtsposition im eigenen Geschäftsbereich oder bei einem unmittelbaren Zulieferer schon eingetreten ist, „soll das Unternehmen unverzüglich angemessene Gegenmaßnahmen ergreifen, um diese Verletzung oder diesen Verstoß zu verhindern, zu beenden oder zu minimieren“ (§ 7 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzentwurfs). Im eigenen Geschäftsbereich muss die Abhilfemaßnahme zu einer Beendigung der Verletzung führen. Bei unmittelbaren Zulieferern sieht der Entwurf ein abgestuftes Verfahren vor, wenn dieser die Verletzung nicht in absehbarer Zeit beenden kann. Wie in den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen von 2011 vorgegeben, soll der Abbruch einer Vertragsbeziehung auch bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen u.a. nur dann in Erwägung gezogen werden, falls kein anderes milderes Mittel zur Verfügung steht (§ 7 Abs. 3 Nr. 3 des Gesetzentwurfs).
Unternehmen sollen einen unternehmensinternen Beschwerdemechanismus einrichten. Alternativ können sie sich auch an einem unternehmensübergreifenden, etwa von einem Branchenverband getragenen, Mechanismus beteiligen. Ein solches Hinweisgebersystem sollte nicht nur den eigenen Arbeitnehmern, sondern allen Personen offenstehen, deren Rechtsposition(en) durch die wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmens unmittelbar oder mittelbar beeinträchtigt sein könnten oder die Kenntnis von einer möglichen Verletzung haben.
Die Zielgruppen des Beschwerdemechanismus sollten bei der Gestaltung des Beschwerdeverfahrens konsultiert werden, und jegliche Zugangshindernisse für potentielle Nutzer sind auszuschließen.
Das Beschwerdeverfahren soll ebenso wie die Präventionsmaßnahmen und die Abhilfemaßnahmen mindestens einmal im Jahr oder anlassbezogen auf seine Wirksamkeit hin überprüft werden.
Gegenüber mittelbaren Zulieferern sieht der Entwurf dagegen nur abgestufte Sorgfaltspflichten vor. So muss das Unternehmen nur bei substantiierter Kenntnis von Verletzungen oder Verstößen tätig werden (§ 9 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzentwurfs).
Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen sollen die Ansprüche von Betroffenen im Rahmen der Prozessstandschaft geltend machen können. So sollen aber nur inländische Gewerkschaften oder einschlägig bekannte, nicht gewerbsmäßige Nichtregierungsorganisationen Verletzungen der überragend wichtigen Rechtspositionen Leib und Leben von Betroffenen infolge eines Verstoßes gegen eine unternehmerische Sorgfaltspflicht geltend machen können. Letztlich soll so Betroffenen ermöglicht werden, auf der Grundlage ihres lokalen Rechts Ansprüche in Deutschland mit Hilfe der genannten Prozessstandschafter durchzusetzen.
Neben den Sorgfaltspflichten haben die Unternehmen noch Dokuments- und Berichtspflichten zu erfüllen. Wie in anderen ausländischen Gesetzen, beispielsweise dem französichen „Loi de Vigilance“ oder dem niederländischen Gesetz gegen Kinderarbeit („Wet Zorgplicht Kinderarbeid“), sollen die Unternehmen die Erfüllung der Sorgfaltspflichten fortlaufend dokumentieren und die Dokumentation für sieben Jahre aufbewahren. Zusätzlich sollen sie einen jährlichen Bericht auf der Internetseite des Unternehmens veröffentlichen. In diesem sind die identifizierten Risiken, die Präventions- und Abhilfemaßnahmen sowie ein Ausblick auf zukünftige Maßnahmen im Bereich der unternehmerischen Sorgfaltspflichten zu geben. Auch das Nichtvorhandensein von Risiken soll plausibel dargelegt werden.
Der Bericht ist beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) elektronisch einzureichen.

Überwachung der Gesetzesvorgaben
Die behördliche Durchsetzung des Gesetzes obliegt dem BAFA. Dieses kann unter anderem die einzureichenden Berichte stichprobenartig überprüfen. Das Amt soll aber auch auf Antrag von schutzwürdigen Personen, etwa ausländischen Kleinbauern, die Überprüfung der Nichterfüllung von unternehmerischen Sorgfaltspflichten vornehmen, wenn die antragstellende Person substantiiert geltend macht, dass sie in einer Rechtsposition verletzt ist oder eine solche Verletzung unmittelbar bevorsteht.

Sanktionierung bei Nichterfüllung der Gesetzesvorgaben
Der Gesetzentwurf sieht umsatzabhängige Geldbußen von bis zu 2% des durchschnittlichen Jahresumsatzes des Unternehmens vor (§ 24 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzentwurfs). Des Weiteren sollen Unternehmen bis zu drei Jahre von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden (§ 22 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzentwurfs).

Schlussfolgerungen und Ausblick
Entgegen den Wünschen der Bundesminister Heil und Müller sieht der Gesetzentwurf keine eigene Rechtsgrundlage für eine zivilrechtliche Haftung von Unternehmen vor, die gegen Sorgfaltspflichten zum Schutz der Menschenrechte verstoßen.
Es wird sich zeigen, ob sich die im Gesetzentwurf vorgesehene Prozessstandschaft zum Einfallstor für Schadensersatzprozesse von im Ausland lebenden Betroffenen entwickelt. Die Ermittlung ausländischer Rechtsnormen sowie die von deren Reichweite dürften ohne aufwendige Rechtsgutachten so gut wie ausgeschlossen sein.
Strafrechtliche Sanktionen bei Verstößen gegen unternehmerische Sorgfaltspflichten, wie noch im sogenannten Rechtsgutachten für ein Wertschöpfungskettengesetz im Frühjahr 2019 für die Geschäftsleitung oder den Compliance-Officer vorgeschlagen, sieht der Entwurf nicht vor.
Was die Durchsetzung des Gesetzes anbelangt, bleibt abzuwarten, ob das BAFA mit seinen hierfür vorgesehenen 65 Planstellen ab 2023 die behördliche Kontrolle und Umsetzung des Gesetzes für etwa 3.500 Unternehmen bewältigen kann. Vorteilhaft ist dabei, dass sich das Bundesamt risikobasiert zunächst auf Fälle mit den schwersten Risiken konzentrieren kann.
Ob dies ausreicht und das Gesetz sein Ziel erreicht, soll die Bundesregierung spätestens sechs Monate nach Verabschiedung einer Verordnung oder einer Richtlinie der Europäischen Union über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten evaluieren. Dies könnte schon Ende 2022, also vor Wirksamwerden des Gesetzes, der Fall sein.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt werden die Unternehmen wissen, ob sie mit dem Gesetzentwurf nur in ein vorübergehendes „Trainingslager“ zwecks Vorbereitung auf strengere Vorgaben aus Brüssel geschickt worden sind oder ob sie zukünftig die Vorgaben von zwei unterschiedlichen Gesetzen umsetzen müssen.
Unabhängig davon wird der Gesetzentwurf für viele Unternehmen, insbesondere außerhalb der Finanz- und Versicherungsbranche, eine große Herausforderung darstellen. Das Monitoring des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) im vergangenen Jahr hat gezeigt, dass die wenigsten Unternehmen die weniger engen und freiwilligen Vorgaben des NAP und die meisten nicht einmal die Vorgaben für die geforderte Risikoanalyse erfüllten. Zukünftig werden die umfassenden Compliancevorgaben des Sorgfaltspflichtengesetzes verbindlich, dokumentations- und berichtspflichtig, und bei Nichtbeachtung können auch umsatzabhängige Bußgelder verhängt werden.

michael.wiedmann.ext@nortonrosefulbright.com

nicolas.daamen@nortonrosefulbright.com

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