EuGH: Rechtswahrung durch Zustellung außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland
Von Dr. Michael Weigel und Alexander Druckenbrodt
In seinem Urteil vom 11.11.2015 (Az. C-223/14) hatte sich der EuGH mit der Frage auseinanderzusetzen, ob sich natürliche und juristische Personen des Privatrechts zur Zustellung eines Schriftstücks außerhalb eines Gerichtsverfahrens – im konkreten Fall die Geltendmachung eines Handelsvertreterausgleichsanspruchs – gemäß Artikel 16 des Verfahrens nach der Europäischen Zustellungsverordnung (EuZVO) bedienen können, wenn die Zustellung im Ausland bewirkt werden soll.
Sachverhalt
Im zugrundeliegenden Fall hatte der Urkundsbeamte des vom Anspruchsteller angegangenen spanischen Gerichts dies verneint. Auf Beschwerde legte das Gericht dem EuGH in Ermangelung einer einschlägigen Entscheidung die Frage vor, ob ein rein privates Schriftstück, das im Ausland zur Rechtswahrung zugestellt werden soll, als „außergerichtliches“ Schriftstück i.S.v. Artikel 16 der EuZVO angesehen werden kann, und warf in diesem Zusammenhang ferner die Fragen auf, ob es der Erfüllung eines dahingehenden Zustellungsersuchens entgegenstehe, wenn der Anspruchsteller weitere Ausfertigungen des betreffenden Schriftstücks bereits auf anderem Wege versandt und etwa auch über einen Notar zugestellt hat, sowie, ob in jedem Fall die Prüfung und Bejahung grenzüberschreitender Bezüge und der Erforderlichkeit der Durchführung des Verfahrens für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts notwendig sei.
Entscheidungsgründe
In Anknüpfung an eine frühere Entscheidung vom 25.06.2009 (Az. C-14/08), in der der EuGH die Zustellung einer notariellen Urkunde nach Maßgabe der EuZVO für zulässig erklärt hatte, bejaht das Gericht in seinem Urteil vom 11.11.2015 die Anwendbarkeit des Verfahrens gemäß EuZVO nunmehr für alle Fälle, bei denen die förmliche Übermittlung eines privaten Schriftstücks an einen im Ausland ansässigen Empfänger zur Geltendmachung, zum Beweis und zur Wahrung eines Rechts oder Anspruchs in Zivil- und Handelssachen erforderlich ist. Zur Begründung zog der EuGH in Ermangelung einer gesetzlichen Definition des Begriffs „außergerichtliche Schriftstücke“ und des ungenauen Wortlauts des Art. 16 in der Verordnung zum einen den Zusammenhang dieses Artikels und die Ziele, die mit dieser Verordnung verfolgt wurden, und zum anderen dessen Entstehungsgeschichte heran. Dabei stellte er zunächst fest, dass aus dem Gesetzeszweck, der zum einen den Aufbau eines Mechanismus für die innergemeinschaftliche Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen zur schrittweisen Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und zum anderen die Verbesserung der Übermittlung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke zwischen den Mitgliedstaaten sicherstellen soll, kein entscheidender Hinweis auf die Tragweite des Begriffs zu entnehmen sei. Anders sei dies hinsichtlich der Entstehungsgeschichte. Zwar sei etwa im Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABl. 1997, C-261, S. 26), das vom Rat am 26.05.1997 angenommen wurde, der Begriff ebenfalls nicht definiert. In dem Erläuternden Bericht zu diesem Übereinkommen aufgrund von Art. K 3 des Vertrags heißt es jedoch, man könne davon ausgehen, dass es sich auch um Schriftstücke handelt, deren Art es rechtfertigt, sie dem jeweiligen Empfänger nach einem offiziellen Verfahren zuzuleiten und zur Kenntnis zu bringen.
Zwar wurde dieses Übereinkommen nicht ratifiziert, es war gleichwohl Grundlage der Verordnung (EG) 1348/2000. Auch diese Verordnung enthielt keine Definition des Begriffs, ein von der Kommission in Abstimmung mit den Mitgliedstaaten erstelltes Glossar über die Schriftstücke, die zugestellt werden können (vgl. Anhang II zur Entscheidung 2001/781/EG der Kommission vom 25.09.2001 [ABl. L 298, S. 1 und – Berichtigung – ABl. 2002, L 31, S. 88, und ABl. 2003, L 60, S. 3], der durch die Entscheidung 2007/500/EG der Kommission vom 16.07.2007 geänderten Fassung [ABl. L 185, S. 24]), erstreckte sich aber auch auf private Schriftstücke, denen in der betreffenden Rechtsordnung besondere Bedeutung zukam. Der EuGH hielt entsprechend an einer weiten Auslegung des Begriffs fest.
Die Irrelevanz anderweitiger Zustellungsversuche, die in dem Urteil vom 11.11.2015 ebenfalls festgestellt wird, leitete der EuGH daraus ab, dass in der Verordnung nur zwei Umstände vorgesehen seien, unter denen die Zustellung eines Schriftstücks nach Maßgabe der Verordnung ausgeschlossen sei, nämlich entweder bei unbekanntem Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt des Empfängers oder wenn dieser einen Zustellungsbevollmächtigten benannt hat. Dies stehe weiteren Ausnahmen entgegen, zumal in der Verordnung die Beschreitung verschiedener Übermittlungswege gleichrangig vorgesehen sei. Die Überprüfung und Feststellung eines grenzüberschreitenden Bezugs und der Erforderlichkeit der Zustellung zur Förderung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts im Einzelfall erklärt der EuGH schon wegen der dahingehenden Zweckbestimmung der Verordnung für entbehrlich.
Auswirkungen für die Praxis
Im Hinblick auf die vorangegangene Entscheidung des EuGH vom 25.06.2009 über die Zustellbarkeit notarieller Urkunden und deren Begründung ist das jetzige Ergebnis nicht überraschend. Trotzdem bringt das Urteil des EuGH mehr Rechtssicherheit für all diejenigen, die sich zur Wahrung von Rechten der Notwendigkeit gegenübersehen, privatrechtliche Willenserklärungen fristgerecht an einen ausländischen Empfänger zu übermitteln und dies auch dokumentieren zu können. Darüber hinaus wird auch der in der deutschen Literatur hierzu ausgetragene Streit (für die Einbeziehung von Privaturkunden etwa: Halfmeier in Prütting/Gehrlein, ZPO, 7. Aufl. [2015], Art. 16 VO 1393/2007, Rn. 1 / dagegen: Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, Art. 16 EuZVO, Rn. 1, Sujecki EuZW 2009, 358) erledigt.
Das deutsche Recht stellt in § 130 BGB für das Wirksamwerden einer Willenserklärung auf den Zeitpunkt des Zugangs beim Empfänger ab. Im Hinblick auf die dem Empfänger zustehende Möglichkeit, den Zugang zu bestreiten und dessen Dokumentation durch Erteilung einer Quittung zu verweigern, sieht § 132 BGB ersatzweise die Zustellung unter Zuhilfenahme eines Gerichtsvollziehers vor. Bei dessen Einschaltung ist auch die Zustellung durch die Post im Wege einer Postzustellungsurkunde möglich. Dies gilt jedoch nur im Inland.
Für den Fall einer Auslandszustellung ist sogar streitig (vgl. Möller, NJW 2003, 1571-1573 / a.A. MüKo/Häublein, ZPO, 4. Aufl. [2013], § 191 ZPO Rn. 3), ob eine Zustellung unter Zuhilfenahme eines deutschen Gerichtsvollziehers im Wege des Einschreibens mit Rückschein möglich ist, was wiederum eine Kooperation des Empfängers durch Unterzeichnung des Rückscheins voraussetzen würde. Ob die direkte Beauftragung eines ausländischen Gerichtsvollziehers den Anforderungen des § 132 BGB genügt, ist offen. Im Übrigen setzt dies die Einschaltung eines ausländischen oder zumindest eines mit ausländischen Gepflogenheiten sehr gut vertrauten inländischen Anwalts voraus. Demgegenüber ist die Zustellung nach Maßgabe der EuZVO sicherlich der einfachere Weg. Diese setzt lediglich die Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks – gegebenenfalls mit einer Übersetzung in die Sprache des Empfängers – an die zuständige Stelle voraus. Hierfür ist gemäß Art. 23 EuZVO i.V.m. § 1069 Abs. 1 Nr. 2 ZPO das Amtsgericht am Wohnsitz des Absenders benannt.
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