Im Blickpunkt: Arbeitsrechtliche Perspektiven 2020

Von Dr. Christian Bloth

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Mit dem Jahreswechsel beginnt auch ein neues Jahrzehnt, was schon aus der Magie der Zahl heraus dazu veranlasst, sich mit der Frage zu beschäftigen, welche Themen uns nicht nur im neuen Jahr beschäftigen werden, sondern auch darüber hinaus. Dabei beginnen wir nicht bei „null“, sondern die Themen aus dem vergangenen Jahr setzen sich fort. Die Herausforderungen, die sich aus dem Arbeitsleben ergeben, sind bekannt. Daraus erwachsen auch arbeitsrechtliche Themen.
Das Voranschreiten der Digitalisierung wird bekannte Fragen weiter in den Vordergrund schieben: Qualifikation der Arbeitnehmer, Umgang mit Daten der Arbeitnehmer. Oder: die sich entwickelnden Möglichkeiten, das Arbeitsleben flexibler zu gestalten – eine sich in räumlicher und zeitlicher Hinsicht „entgrenzende“ Arbeit. Diese Veränderungen gelten nicht für alle Arbeitnehmer gleichermaßen. Häuser werden zwar mit Hilfe der IT geplant, aber nicht durch sie errichtet. Für den Bauarbeiter ist die Frage der Flexibilisierung durch Homeoffice und Laptop ein Nicht-Thema. Im Zusammenhang mit diesen großen Linien stehen konkrete gesetzgeberische Vorhaben.

Der Koalitionsvertrag – der unvollendete Teil
Spätestens im Jahre 2021 steht eine Bundestagswahl bevor. Es ist anzunehmen, dass bis dahin der im Arbeitsrecht „unvollendete Teil“ des Koalitionsvertrags abgearbeitet sein soll: Befristungsrecht, mobile Arbeit und Änderungen im Betriebsverfassungsrecht. Laut Auskunft des Bundesarbeitsministeriums wird an Referentenentwürfen gearbeitet – somit dürfte uns eine gesetzgeberische Debatte erwarten, gegebenenfalls ein Inkrafttreten zum nächsten Jahreswechsel.

Befristung
Das Befristungsrecht spielte seitens der SPD eine große Rolle im Wahlkampf – beinahe konnte man den Eindruck gewinnen, das befristete Arbeitsverhältnis sei der Regelfall. Dafür ist es seit Bildung der Koalition recht still geblieben. Änderungen sollen die sachgrundlose wie auch die „Kettenbefristung“ eingrenzen. Die sachgrundlose Befristung soll auf eine Höchstdauer von 18 Monaten beschränkt sein mit einmaliger, statt bisher dreimaliger Verlängerungsmöglichkeit. „Arbeitgeber“ mit mehr als 75 Beschäftigten dürfen nicht mehr als 2,5% der Belegschaft sachgrundlos befristet beschäftigen. Ferner sollen zur Eingrenzung von Kettenbefristungen Befristungen allgemein, also auch mit Sachgrund, nicht mehr möglich sein, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits ein oder mehrere Arbeitsverhältnis(se) mit einer Gesamtdauer von fünf Jahren bestanden haben. Eingerechnet werden unbefristete sowie befristete Arbeitsverhältnisse, aber auch Leiharbeit. Wie es sich mit Unterbrechungen verhält, ist nicht ganz erkennbar. Nach einer „Karenzzeit“ von drei Jahren soll eine erneute Befristung wieder möglich sein. Die vom BAG seinerzeit eingeführte Karenzzeit von drei Jahren im Rahmen der Zuvorbeschäftigung bei sachgrundloser Befristung scheint nun gesetzgeberisch legitimiert in anderem Zusammenhang zurückzukehren.
Die Herausforderungen liegen auf der Hand: Wie soll ein Großunternehmen mit mehreren Standorten die Einhaltung der 2,5-%-Grenze überprüfen, wenn befristete Arbeitsverhältnisse lokal begründet werden. Hier wird es Anforderungen an die IT geben, den aktuellen Stand der Beschäftigung nachzuhalten und gegebenenfalls befristete Einstellungen zu blockieren. Nicht beneidenswert ist auch die prozessuale Situation des Arbeitgebers bei einer Entfristungsklage. Er muss dem Gericht umfangreiches Material bezüglich der 2,5-%-Grenze zur Verfügung stellen. Die Karenzzeit von drei Jahren birgt ebenfalls Herausforderungen und setzt unter anderem eine saubere Dokumentation der Vorbeschäftigungen voraus. Zwischenzeitliche Veränderungen durch gesellschaftsrechtliche Vorgänge oder Änderungen des Namens des Arbeitnehmers sind Stichworte.

Mobiles Arbeiten
Auch die Absicht, mobiles Arbeiten zu fördern, hat Eingang in den Vertrag gefunden – in Form eines Rechts des Arbeitnehmers, die Begründung einer Ablehnung zu erfahren. Einen Rechtsanspruch auf mobile Arbeit wird es nicht geben – aber eine gesetzliche Basis, diese Möglichkeit prüfen zu lassen. Eine umfassende Regelung dieser Arbeitsform steht nicht zu erwarten, so dass die Praxis auf Basis des erprobten arbeitsrechtlichen Instrumentariums im Vertragsrecht und im Arbeitsschutzrecht Wege finden muss, auf denen die jeweiligen Interessen in Ausgleich zu bringen sind.

Arbeitszeit
Das Arbeitszeitrecht steht seit jeher im Fokus – im Vertragsrecht und im Arbeitsschutzrecht. Nicht nur der Bundesgesetzgeber, sondern auch europäisches Recht spielt eine Rolle, insbesondere der EuGH. Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) wird durch die werktägliche Arbeitszeit von acht Stunden geprägt, die in spezifischen Fällen Ausnahmen zulässt. Der Vertrag verspricht die „Schaffung einer Tariföffnungsklausel, um mehr selbstbestimmte Arbeitszeit der Arbeitnehmer und mehr betriebliche Flexibilität zu erproben“. Durch Betriebsvereinbarungen sollen Wochenarbeitszeiten flexibler gestaltet werden. Somit wird ermöglicht, sich von dem Konzept des „Acht-Stunden-Tages“ zu lösen, soweit eine maximale regelmäßige Wochenarbeitszeit von vermutlich vierzig Stunden nicht überschritten wird. Dies ist sinnvoll. Es stört jedoch, dass dieses „Privileg“ zum einen an Tarifverträge anknüpft, zum anderen Betriebsvereinbarungen voraussetzt. Unternehmen, die nicht tarifgebunden sind und in denen keine Betriebsräte bestehen, bleiben außen vor. Hierunter fallen viele innovative IT- und Hightechunternehmen.
Ein anderes Thema hat der EuGH gesetzt. Seine Entscheidung vom 14.05.2019 (Az.: C-55/18) wurde unter dem Stichwort „Rückkehr der Stechuhr“ aufgegriffen. Sie verpflichtet den Gesetzgeber zum Handeln. Anders als bisher in § 16 Abs. 2 ArbZG geregelt, sieht der EuGH die Umsetzung der Arbeitszeitrichtlinie nur als richtig an, wenn nicht nur Mehrarbeit, sondern die gesamte tägliche Arbeitszeit, auch Ruhezeiten, erfasst werden. Daher sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, „ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“. Die konkreten Modalitäten können dabei den „Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs oder Eigenheiten bestimmter Unternehmen Rechnung tragen“. Dies dürfte das in der Praxis relevanteste Thema sein, da es jeden Arbeitgeber betrifft. Die zwingende Mitbestimmungspflicht bei Arbeitszeitregelungen bietet zusätzlich „Zündstoff“. Andererseits darf nicht verkannt werden, dass es in vielen Unternehmen IT-basierte Zeiterfassungen gibt, auf die aufgesetzt werden kann. Das Konzept der Vertrauensarbeitszeit ohne Dokumentation dürfte sich jedoch erledigt haben.

Betriebsverfassung
Auch die Umsetzung der Einführung des vereinfachten Wahlverfahrens zum Betriebsrat steht auf der Agenda: Anstelle von Betrieben mit bis zu 50 soll es dann in Betrieben mit bis zu 100 Arbeitnehmern Anwendung finden, wahlweise auch in Betrieben mit bis zu 200 Arbeitnehmern. Betriebsräte sollen Initiativrechte zur ­Beratung von Berufsbildungsmaßnahmen erhalten. Im Fall der Nichteinigung soll ein Moderator eingeschaltet werden können – was jedoch keine Einigungsstelle bedeutet. Es ist anzunehmen, dass diese Veränderung noch vor den Betriebsratswahlen im Jahre 2022 umgesetzt wird.

Vorgaben aus der EU
Im Oktober 2019 wurde die sogenannte Whistleblower-Richtlinie beschlossen – zwei Jahre hat der Gesetzgeber Zeit, diese zu transformieren. Nicht nur Großunternehmen, die im Rahmen ihrer „Code of Conduct“-Regelungen bereits Whistleblower-Regelungen eingeführt haben, sondern auch Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten oder einem Umsatz von mehr als 10 Millionen Euro müssen entsprechende Systeme etablieren. Der Gesetzgeber hat Vorgaben für ein Meldesystem umzusetzen, die den „Melder“ schützen, aber auch die Befassung mit der Meldung sicherstellen. Für die fristgerechte Umsetzung müssen zeitnah erste Gesetzgebungsschritte erfolgen. Da dies die erste gesetzliche Regelung eines solchen Meldesystems sein wird, steht auch hier eine Debatte zu erwarten. Aus Unternehmenssicht spricht nichts dagegen, sich schon jetzt mit diesen Fragen zu beschäftigen und Grundlagen zu schaffen. Es besteht die Chance, erstmals für „Melder“ einen Rahmen zu schaffen, den die gerichtliche Praxis nicht entwickelt hat und auch nicht entwickeln kann, wenn sie sich etwa mit der Rechtmäßigkeit von Kündigungen infolge von Meldungen zu befassen hat.

Ausblick
Aus den genannten Punkten ergibt sich, dass dem Arbeitsrecht kein „themenloses Jahr“ bevorsteht. Da die Entwicklungen des Arbeitslebens nicht auf den Gesetzgeber warten, sondern fortschreiten, wäre es wünschenswert, wenn Regelungen zur örtlichen und zeit­lichen Flexibilisierung, aber auch zum Whistleblowing nicht zu lange auf sich warten lassen. Es ist Aufgabe
der arbeitsrechtlichen Praxis, diese Planungen zu begleiten, um die Gesetzgebung zu unterstützen. Ein Forum dafür bietet auch in diesem Jahr der Deutsche Anwalt­Spiegel.

Hinweis der Redaktion:
Der Autor dankt Frau Rechtsreferendarin Laura Deichmann für ihre Unterstützung zur ­Vorbereitung dieses Beitrags.

christian.bloth@kallan-legal.de

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