Die Coronapandemie konfrontiert Arbeitgeber wie Arbeitnehmer mit mannigfaltigen Rechtsfragen. Dies beginnt bei Fragen der Einführung von Kurzarbeit, betrifft Verhaltenspflichten wie das Gebot, „Maske“ zu tragen, Home-Office und Vergütungsfragen. Das LAG Düsseldorf bezog nun Stellung (Urteil vom 30.03.2021 – 8 Sa 674/20) zur Frage des Betriebsrisikos hinsichtlich einer durch behördliche Schutzanordnung herbeigeführten beziehungsweise verordnungsbedingten Betriebsschließung. Ist der Arbeitgeber in derartigen Fällen zur Lohnzahlung verpflichtet, wenn der Betrieb geschlossen werden muss, ein Arbeitnehmer aber seine Leistung anbietet? Oder bedeutet keine Arbeit auch keinen Lohn?
Das Urteil, von dem es bislang nur eine Pressenotiz gibt, schafft Klarheit. Gleichwohl hat das LAG die Revision zugelassen, so dass auch eine höchstrichterliche Entscheidung folgen mag. Die Frage des Vergütungsanspruchs ist vor allem dann relevant, wenn das Instrument der Kurzarbeit nicht eingesetzt werden kann wie zum Beispiel bei geringfügig Beschäftigten.
Die gesetzliche Ausgangslage
„Ohne Arbeit kein Lohn“ ist einer der einprägsamsten arbeitsrechtlichen Grundsätze. Im Ausgangspunkt bedeutet dies, dass die Vergütung durch den Arbeitgeber erst nach Verrichtung der Dienste des Arbeitnehmers (§ 614 Satz 1 BGB) zu entrichten ist. Dieser Grundsatz wird jedoch durch zahlreiche gesetzliche Lohnfortzahlungsbestimmungen durchbrochen. Muss der Arbeitgeber aufgrund einer behördlich angeordneten Maßnahme seinen Betrieb vorübergehend stilllegen, profitiert der Arbeitnehmer von der Regelung aus § 615 Satz 1, Satz 3 BGB. Danach trägt der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls, das allgemeine Betriebsrisiko. Er bleibt zur Fortzahlung des Lohns verpflichtet, wenn sich dieses Risiko realisiert und er sich mit der Annahme der Dienste in Verzug befindet.
§ 615 BGB modifiziert zugunsten des Arbeitnehmers insoweit die gesetzliche Regelung aus § 323 Abs. 1, 2 BGB, wonach bei einer beidseitig nicht zu vertretenden Unmöglichkeit der Leistungserbringung (was bei einer behördlichen Anordnung der Fall sein dürfte) die Vergütungspflicht des Arbeitgebers wie die Verrichtungspflicht des Arbeitnehmers entfallen.
Die Abgrenzung, wann sich ein Betriebsrisiko des Arbeitgebers realisiert und wann ein Arbeitsausfall dem allgemeinen Lebensrisiko des Arbeitnehmers zuzuordnen ist, hat die Rechtsprechung in vielen Fällen ausgeformt. Danach gehören Störungen, bei denen von außen auf Betriebsmittel eingewirkt wird, sowie Fälle höherer Gewalt typischerweise zum Betriebsrisiko. Beispiele sind der Ausfall der Energieversorgung, Mangel an Rohstoffen, Naturkatastrophen, Überschwemmungen, Brände oder extreme Witterungsverhältnisse.
Die Entscheidung des LAG Düsseldorf
Eine Arbeitnehmerin war vom 01.04.2016 bis zum 30.04.2020 in einer Spielhalle auf Mindestlohnbasis beschäftigt. Die Arbeitgeberin war zunächst aufgrund einer behördlichen Allgemeinverfügung sowie später nach § 3 Abs. 1 Nr. 6 der Coronaschutzverordnung NRW dazu verpflichtet, ab dem 16.03.2020 ihren Betrieb geschlossen zu halten. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund des Eintritts der Arbeitnehmerin in den Ruhestand am 01.05.2020. Sie war sie während der Schließung der Spielhalle nicht berechtigt, Kurzarbeitergeld zu beziehen.
Die Arbeitnehmerin forderte von ihrer Arbeitgeberin Annahmeverzugslohn für insgesamt 62 ausgefallene Arbeitsstunden im April 2020. Ihrer Ansicht nach trage die Arbeitgeberin auch in der Pandemie das Betriebsrisiko. Dem widersprach die Arbeitgeberin. Der Lohnausfall gehöre zum allgemeinen Lebensrisiko der Arbeitnehmerin. Schließlich habe sie – die Arbeitgeberin – die Arbeitskraft aufgrund der behördlich veranlassten Betriebsschließung nicht annehmen können.
Das LAG Düsseldorf sprach nun der Klägerin – ebenso wie die Vorinstanz, das ArbG Wuppertal – die Vergütung für die ausgefallenen 62 Arbeitsstunden, bestehend aus Grundvergütung, Nacht- und Sonntagszuschlägen für die geplanten Schichten, zu.
Die Arbeitgeberin habe sich aufgrund der behördlich angeordneten Schließung des Spielhallenbetriebs im Annahmeverzug befunden. Nach der gesetzlichen Wertung des § 615 Satz 3 BGB trage der Arbeitgeber das Betriebsrisiko. Hierunter seien Ursachen zu fassen, die von außen auf den Betrieb einwirken und die Fortführung des Betriebs verhindern. Das LAG wertete die pandemiebedingte behördliche Anordnung als einen Fall höherer Gewalt und erlegte das Betriebsrisiko der Arbeitgeberin auf. Mangels klarer Abgrenzbarkeit sei es auch nicht erheblich, ob die Schließung eine gesamte Branche, die zunächst als solche abzugrenzen wäre, oder nur einzelne Betriebe dieser Branche, gegebenenfalls bundesweit, nur in einzelnen Ländern oder aber örtlich begrenzt erfasse.
Ausblick
Da auch bisher behördlich angeordnete Betriebsschließungen gerichtlich dem Betriebsrisiko des Arbeitgebers zugeordnet worden sind, stellt die Entscheidung keine große Überraschung dar. Sie ist nichtsdestotrotz mit Vorsicht zu behandeln. Unabhängig davon, dass das BAG die zur Revision zugelassene Entscheidung abändern könnte, sollte aus ihr im Übrigen nicht der generalisierende Schluss gezogen werden, eine pandemiebedingte Betriebsschließung falle stets in das Betriebsrisiko des Arbeitgebers. Die Entscheidung basiert auch auf der Tatsache, dass die Klägerin ihre Dienste angeboten hat und grundsätzlich in der Lage gewesen wäre, diese zu erbringen. Im Fall, dass der Arbeitnehmer aufgrund behördlicher Verfügungen gehindert wäre, die Ausübung seiner Arbeit überhaupt anzubieten, könnte sich die Rechtslage anders gestalten. Bestünde für den Arbeitnehmer zum Beispiel aufgrund einer umfangreichen allgemeinen Ausgangssperre insgesamt keine Möglichkeit mehr, seine Arbeitskraft zu verwerten, könnte dieser Umstand als allgemeines Lebensrisiko einzustufen sein.
Auch zu berücksichtigen bleibt, dass das Grundprinzip des Betriebsrisikos vereinzelt dann keine Anwendung findet, wenn das die Betriebsstörung herbeiführende Ereignis den Betrieb wirtschaftlich so schwer träfe, dass bei Zahlung der vollen Löhne die Existenz des Betriebs gefährdet wäre (vgl. BAG, Urteil vom 09.03.1983 – 4 AZR 301/80). Im Hinblick auf die pandemiebedingte wirtschaftliche Schädigung vieler Branchen könnte diese Ausnahme in künftigen Entscheidungen Bedeutung erhalten.
Letztlich lenkt die Entscheidung auch das Augenmerk auf arbeitsrechtliche Vertragsgestaltungen. Durch die nach wie vor bestehende Pandemielage und die damit verbundenen Handlungskompetenzen der Behörden liegt ein vertragliches Regelungsbedürfnis im Hinblick auf § 615 BGB nahe. Die Regelungen aus § 615 BGB können grundsätzlich vertraglich abbedungen werden (BAG vom 09.07.2008 – 5 AZR 810/07). Ist im Arbeitsvertrag geregelt, dass „Vergütung nur für geleistete Arbeit gezahlt wird“, ist zu prüfen, ob damit lediglich die Rechtslage fehlerhaft beurteilt oder ein Anspruch nach § 615 Satz 1 und 3 BGB ausgeschlossen wird. Die Auslegung ergibt im Zweifel keinen Verzicht auf gesetzliche Ansprüche (§ 305c Abs. 2 BGB). Jedenfalls muss der Ausschluss von Ansprüchen gemäß § 615 BGB aus Annahmeverzug und/oder bei Arbeitsausfall klar und deutlich geregelt werden. Zu erwägen wären auch Regelungen, die die Vergütungshöhe in dieser Situation absenken, wobei jedoch die Grenze des Mindestlohns zu berücksichtigen ist. In Betracht kommt auch – als letztes Mittel – eine betriebsbedingte Änderungskündigung zur Vergütungshöhe, wenn die Höhe der Vergütungen existenzbedrohend ist.
Fazit
Die Entscheidung des LAG Düsseldorf wirkt sich insbesondere auf viele Arbeitnehmer mit geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen aus wie zum Beispiel im Handel und der Gastronomie. Bis zur möglichen Entscheidung durch das BAG müssen Arbeitgeber grundsätzlich jedoch damit rechnen, bei einer behördlichen Stilllegungsmaßnahme zur Lohnfortzahlung verpflichtet zu sein. Über die Anpassung von Vertragsmustern sollte jedenfalls nachgedacht werden.
Hinweis der Redaktion:
Der Autor dankt Assessor Jonas Anders, Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der kallan Rechtsanwaltsgesellschaft, für die Vorbereitungen zu diesem Beitrag.
christian.bloth@kallan-legal.de