Die Compliancefunktion und das Thema Compliance insgesamt haben in Unternehmen und Kanzleien inzwischen einen Reifegrad erreicht, der vor einigen Jahren noch undenkbar war. Reine Kontrolle, interne Schadensvermeidung und Schadensaufklärung – das war gestern. Heute rücken strategische Fragestellungen und zunehmend die Einbindung neuer Technologien – KI ist auch hier ein Gamechanger – in den Blickpunkt. Neue Rollen entstehen, Compliance wird bereits vielfach als Instrument der Unternehmensführung und -steuerung gesehen. Das ist ein spannender Prozess. Thomas Wegerich sprach darüber mit Isabell Stoffers, Partnerin bei Indigo Headhunters und eine der besten Kennerinnen der Complianceszene.
ComplianceBusiness: Welche Veränderungen im Anwaltsmarkt erkennen Sie derzeit mit Blick auf das Recruiting in der Complianceszene?
Isabell Stoffers: Der Markt hat sich spürbar weiterentwickelt. Während früher vor allem klassische Themen, wie interne Untersuchungen oder die Beratung bei Sanktionsverstößen, im Vordergrund standen, geht es heute stärker um zukunftsgerichtete Bereiche. Dazu gehören unter anderem ESG, Datenschutz, KI-Regulierung oder Lieferkettenverantwortung. Damit einher geht ein deutlich verändertes Anforderungsprofil. Wir beobachten, dass zunehmend Persönlichkeiten gefragt sind, die nicht nur fachlich überzeugen, sondern auch unternehmerisch denken, technologische Entwicklungen verstehen und komplexe Zusammenhänge verständlich kommunizieren können.
Auch auf Kanzleiseite hat sich das Recruiting spürbar verändert. Wir sehen weniger breit angelegte Einstellungsrunden, dafür eine stärkere Fokussierung auf erfahrene, strategisch denkende Juristinnen und Juristen – vor allem im Bereich Counsel oder mit Perspektive auf die Partnerschaft.
Ich nehme außerdem wahr, dass sich neben den bekannten Einheiten zunehmend spezialisierte Kanzleistrukturen behaupten, die oft näher am Mandat arbeiten und Bewerberinnen und Bewerbern mit dem Wunsch nach Eigenverantwortung und Gestaltungsfreiheit interessante Alternativen bieten. Insgesamt zeigt sich: Die Complianceberatung ist heute viel stärker strategisch ausgerichtet als noch vor einigen Jahren – und das spiegelt sich sehr deutlich in den Anforderungsprofilen wider.
ComplianceBusiness: Und wie schätzen Sie die Situation inhouse ein?
Isabell Stoffers: Wir sehen auch im Inhousebereich eine klare Weiterentwicklung. Die Aufbaujahre, in denen Compliancefunktionen häufig erst geschaffen werden mussten, liegen hinter uns. Heute geht es stärker um die strategische Verankerung und Verzahnung mit anderen Bereichen, wie Nachhaltigkeit, Governance oder Datenschutz.
Ich beobachte, dass viele Unternehmen Compliance inzwischen als aktiven Teil der Unternehmenssteuerung verstehen – nicht mehr als reine Kontrollfunktion. Damit verändern sich auch die gesuchten Profile: Neben rechtlicher Expertise zählen zunehmend Kommunikationsfähigkeit, unternehmerisches Denken und die Fähigkeit, verschiedene Interessen zusammenzuführen.
Besonders im regulierten Umfeld oder im internationalen Mittelstand entstehen spannende, interdisziplinäre Rollen mit hoher Sichtbarkeit. Wir stellen fest, dass Unternehmen nicht mehr nur klassisch juristisch ausgebildete Fachkräfte suchen, sondern verstärkt auch Personen mit Hintergründen in Risk-, Audit- oder ESG-Themen. Compliance wird breiter gedacht – und das zeigt sich sehr deutlich in den Recruitingprozessen.
ComplianceBusiness: Ganz konkret: KI nimmt im Rechtsmarkt einen immer größeren Stellenwert ein. Können Sie beobachten, dass Kanzleien und Complianceabteilungen im Vergleich zu den Hochzeiten in der Branche in den letzten Jahren weniger Einstellungen vornehmen?
Isabell Stoffers: Ja, das ist tatsächlich der Fall. Wir erleben aktuell eine gewisse Zurückhaltung bei Neueinstellungen, sowohl auf Kanzlei- als auch auf Unternehmensseite. Der technologische Fortschritt – insbesondere im Bereich digitaler Tools und KI – verändert Arbeitsprozesse nachhaltig. Aufgaben, die früher ressourcenintensiv waren, lassen sich heute deutlich effizienter bearbeiten. Das betrifft zum Beispiel Screeningprozesse, Trainings oder die Analyse regulatorischer Anforderungen.
Ich höre in Gesprächen mit Mandanten oft, dass man nicht weniger Compliance braucht – aber eine andere. Es werden gezielt neue Rollen geschaffen, die digitale Kompetenzen mitbringen und vorhandene Systeme strategisch weiterentwickeln können.
Insgesamt beobachten wir, dass Neueinstellungen heute sehr viel gezielter erfolgen. Es geht nicht mehr um Headcount-Aufbau, sondern um Qualität, strategische Passung und Zukunftsfähigkeit. Das verändert auch die Erwartung an Bewerberinnen und Bewerber: Technologisches Verständnis, Changekompetenz und interdisziplinäres Denken sind gefragter denn je.
ComplianceBusiness: Wenn Sie mit jüngeren Bewerbern bzw. Kandidaten der NextGen sprechen: Hat sich deren Einstellung und Erwartungshaltung im Vergleich zu früheren Juristengenerationen verändert?
Isabell Stoffers: Ganz klar – ich erlebe diese Veränderung fast täglich in Gesprächen mit jungen Juristinnen und Juristen. Die neue Generation bringt andere Prioritäten mit. Karriere ist nach wie vor wichtig, aber nicht mehr die alleinige Leitplanke. Viele Bewerberinnen und Bewerber wünschen sich sinnstiftende Tätigkeiten, transparente Kommunikation und echte Entwicklungsmöglichkeiten.
Compliance wird dabei oft als besonders relevantes Feld wahrgenommen, weil es die Schnittstelle zwischen Verantwortung, Integrität und Unternehmenspraxis bildet. Gleichzeitig erwarten junge Talente heute mehr Flexibilität, eine offene Teamkultur und Raum für persönliche Entfaltung.
Wir stellen fest, dass Arbeitgeber, die auf Augenhöhe kommunizieren, klare Perspektiven bieten und Offenheit für neue Arbeitsmodelle zeigen, bei dieser Generation deutlich besser ankommen. Es reicht nicht mehr, nur mit Gehalt und Prestige zu überzeugen. Ich glaube, wer die neuen Erwartungen versteht und ernst nimmt, wird langfristig erfolgreicher rekrutieren.
ComplianceBusiness: Der Blick in die Glaskugel: Wo sehen Sie den Compliancemarkt aus Ihrer Executive-Search-Sicht in zwei und in fünf Jahren?
Isabell Stoffers: In zwei Jahren wird Compliance noch stärker mit strategischen Unternehmenszielen verknüpft sein. Ich erwarte, dass viele Organisationen die Funktion weiter professionalisieren und breiter aufstellen – insbesondere an den Schnittstellen zu ESG, Digitalisierung und Governance. Wir sehen bereits heute Mandate, in denen nicht nur rechtliche Expertise gefragt ist, sondern auch Prozessverständnis, IT-Affinität und kommunikative Stärke.
In fünf Jahren wird sich die Funktion noch stärker differenzieren. Ich gehe davon aus, dass sich spezialisierte Rollen etablieren werden – etwa im Bereich datenbasierter Risikoanalyse, ESG-Reporting oder Hinweisgeberschutz. Gleichzeitig wird die persönliche Integrität und Führungskompetenz von Complianceverantwortlichen an Bedeutung gewinnen.
Wir erleben schon jetzt, dass Unternehmen nicht nur Regelkonformität erwarten, sondern eine aktive Rolle in der werteorientierten Steuerung ihres Handelns einfordern. Wer Compliance in diesem Sinne versteht – als Haltung, nicht nur als System –, wird künftig eine zentrale Rolle in der Unternehmensführung spielen.
ComplianceBusiness: Vielen Dank für die sehr guten Einblicke in das aktuelle Marktgeschehen, liebe Frau Stoffers. Wir werden die Entwicklung der Complianceszene auch weiterhin redaktionell eng begleiten.


