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Nachhaltigkeit in der Corporate Governance

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Die Tätigkeit von Unternehmen hat nicht nur Auswirkungen auf die Wirtschaft, sondern auch auf Gesellschaft und Umwelt. Zunehmend werden sie deshalb auch in Sachen Nachhaltigkeit in die Verantwortung genommen. Umgesetzt wird diese unternehmerische Verantwortung mit Instrumenten der Corporate Governance.

Immer mehr gesetzliche ESG-Anforderungen

Dass die Corporate Governance eines Unternehmens die Prinzipien festlegt, nach denen es agiert, und damit die Grundlage für ein nachhaltiges Wirtschaften bildet, hat auch der (europäische) Gesetzgeber erkannt. Durch neue Vorgaben hat er das Thema Nachhaltigkeit in den vergangenen Jahren immer stärker in den Fokus der Unternehmensführung und -kontrolle gerückt. Unternehmen sehen sich daher seit Jahren mit einer stetig höheren ESG-Regelungsdichte konfrontiert. Auch wenn diese Tendenz jüngst von verschiedenen Seiten ins Kreuzfeuer genommen wird, besteht bei der Corporate Governance vieler Unternehmen insoweit noch Nachholbedarf.

Zu nennen ist hier zunächst das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) aus dem Jahr 2023. Das LkSG verpflichtet deutsche Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten dazu, menschenrechtliche und teils auch umweltbezogene Risiken in ihren Lieferketten zu analysieren und gegebenenfalls Maßnahmen zur Vermeidung oder Reduzierung dieser Risiken zu ergreifen. Hierfür ist ein sogenannter Menschenrechtsbeauftragter einzusetzen, über dessen Arbeit sich die Geschäftsleitung mindestens einmal jährlich zu informieren hat. Außerdem hat die Geschäftsleitung eine jährliche Grundsatzerklärung abzugeben. Daneben sind ein Risikomanagement und ein Beschwerdeverfahren einzurichten und die Zuständigkeiten im Einzelnen festzulegen. Rund 4.800 Unternehmen unterfallen diesem Regime derzeit.

Ähnliche Sorgfaltspflichten sieht die EU-Lieferkettenrichtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive – CSDDD) vor, die möglicherweise noch substantielle Änderungen erfahren wird. Sie wird nur für sehr große Unternehmen direkt gelten. Mittelbar werden allerdings auch kleinere Unternehmen voraussichtlich bis zu einem gewissen Grad in die Pflicht genommen werden. Der Anwendungsbereich ist sowohl hinsichtlich der Tiefe der Liefer- bzw. Aktivitätskette als auch hinsichtlich der zu beachtenden Menschenrechte und Umweltbelange wesentlich weiter als nach dem LkSG. Unmittelbar die Geschäftsleitung betreffende Regelungen enthält die CSDDD allerdings nicht. Die von der Europäischen Kommission hierzu im Entwurf der CSDDD noch vorgeschlagenen Vorgaben wurden im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens vollständig gestrichen.

Weniger prominent, aber ebenfalls nicht zu unterschätzen sind etwa die EU-Entwaldungsverordnung (EU Deforestation Regulation – EUDR) und die EU-Zwangsarbeitsverordnung (EU Forced Labor Regulation – EUFLR). Anders als bei LkSG und CSDDD liegt der Fokus bei der EUDR auf bestimmten Produkten. Wann immer Produkte irgendwo auf der Welt zur Entwaldung beigetragen haben, unterliegen sie nach der EUDR grundsätzlich einem Verkaufsverbot. Entscheidend ist dabei, ob die Produkte unter Verwendung eines der folgenden sieben Rohstoffe hergestellt wurden: Rinder, Ölpalmen, Kakao, Kaffee, Kautschuk, Soja und Holz. Die EUFLR verbietet das Inverkehrbringen, die Bereitstellung und den Export von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten.

In diesem Zusammenhang ebenfalls zu nennen ist die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Damit wird die bisherige nichtfinanzielle Berichterstattung für Unternehmen ab einer bestimmten Größe zur umfassenden Nachhaltigkeitsberichterstattung ausgebaut. Um nicht die Verweigerung des Testats durch den Abschlussprüfer zu riskieren, müssen Unternehmen ihre Corporate Governance so anpassen, dass sie alle für die Berichterstattung erforderlichen Daten – und das sind viele – erheben, prüfen, bewerten und überwachen können. Die Umsetzung durch ein nationales Gesetz steht zwar immer noch aus; es steht jedoch zu erwarten, dass dies zügig nachgeholt werden wird, sobald eine neue Bundesregierung die Arbeit aufgenommen haben wird.

Inhaltlich gibt es zwischen diesen Gesetzen vielfältige Überschneidungen. Sie unterscheiden sich jedoch in ihren Anwendungsbereichen, Regelungsansätzen und sowieso in vielen Einzelheiten. An einem ESG-Compliance-Management-System führt daher kein Weg mehr vorbei. ESG-Erwägungen werden somit aufgrund der verstärkten gesetzgeberischen Aktivitäten immer wichtiger. Die Entscheidungsprozesse im Unternehmen und damit seine Corporate Governance müssen dem Rechnung tragen. Dies gilt besonders, soweit ESG-bezogene Gesetze wie etwa das LkSG spezifische Vorgaben an die Corporate Governance enthalten, die zwingend umzusetzen sind.

Freiwillige Ausrichtung der Corporate Governance auf Nachhaltigkeit als Chance

Unternehmen können Nachhaltigkeitsbelange selbstverständlich auch dann in ihrer Corporate Governance berücksichtigen, wenn sie dazu nicht gesetzlich verpflichtet sind. So können sie etwa, auch wenn sie nicht vom Anwendungsbereich der genannten Gesetze erfasst sind, ein Lieferkettenmanagement implementieren. Sie können auch über das gesetzliche Pflichtenprogramm hinausgehen. Damit können sie gegebenenfalls resilienter werden, sich auf künftige Regulierung vorbereiten und sich mit einer positiven ESG-Reputation Wettbewerbsvorteile bei Investoren, Kunden, Mitarbeitenden und Geschäftspartnern verschaffen.

Zur Umsetzung kommen verschiedene rechtliche Instrumente in Betracht. Besonders einschneidend ist die Aufnahme von Nachhaltigkeitsbelangen in den satzungsmäßigen Unternehmenszweck oder Unternehmensgegenstand. Der Unternehmenszweck liegt regelmäßig schlicht in der Gewinnerzielung. Es ist aber durchaus möglich, zusätzlich einen übergeordneten Zweck wie beispielsweise die Förderung des Klimaschutzes durch den Ausbau erneuerbarer Energien vorzusehen. Im Gegensatz zum Unternehmenszweck meint der Unternehmensgegenstand die Mittel, mit denen der Unternehmenszweck erreicht werden soll. Wichtig ist dabei, dass die Regelungen hinreichend bestimmt sind. Bei Aktiengesellschaften darf überdies die Leitungsautonomie des Vorstands nicht durch zu kleinteilige Vorgaben beeinträchtigt werden.

Der Vorteil einer solchen Regelung liegt darin, dass damit an der Spitze der Corporate Governance angesetzt wird und sich die gesamte Geschäftstätigkeit sowie alle internen Regelwerke des Unternehmens hieran ausrichten müssen. Die Gesellschafter dürfen sich darauf verlassen, dass die Geschäftsleitung diese Vorgaben als absolut verbindlich betrachtet und nicht etwa unter Berufung auf ein sogenanntes Business Judgment andere, aus ihrer Sicht möglicherweise attraktivere Aktivitäten entfaltet. Denn bei einer Verletzung dieser Vorgaben drohen der Geschäftsleitung außerordentliche Kündigung und persönliche Haftung. Zugleich werden die Nachhaltigkeitsambitionen des Unternehmens damit auch nach außen besonders eindrücklich kommuniziert. Die Kehrseite liegt in der damit verbundenen Rigidität, die situationsbezogene Flexibilität verhindert.

Einen weiteren Ansatzpunkt, um Nachhaltigkeit prominent in der Unternehmensverfassung zu verankern, bietet die Gewinnverteilung. Regelmäßig erfolgt diese schlicht nach der Kapitalbeteiligung. Es ist jedoch auch möglich, vorzusehen, dass ein Teil des Gewinns für bestimmte Nachhaltigkeitsziele zu verwenden ist.

In der Praxis verbreitet sind die Benennung eines Nachhaltigkeitsbeauftragten und die Einrichtung eines Nachhaltigkeitsausschusses. Hiermit können für dieses Querschnittsthema Berichtswege jenseits der Linie etabliert werden und Kompetenzen, etwa für die Vorbereitung interner Regelwerke und Prozesse, strukturiert gebündelt werden. Auch Zustimmungsvorbehalte für unter Nachhaltigkeitsaspekten wichtige Entscheidungen sind verbreitet. Sinnvoll sind diese zum einen, um die Geschäftsleitung in wesentliche Entscheidungen einzubinden, zum anderen aber auch, um den Aufsichtsrat bzw. die Gesellschafter ins Boot zu holen. Gegenstand können etwa sein: Maßnahmen mit einer bestimmten Treibhausgasintensität oder bestimmten Umweltauswirkungen; Investitionen in Länder mit hohen menschenrechtlichen Risiken; Abschluss von Verträgen mit Geschäftspartnern, die nicht mindestens einem bestimmten Nachhaltigkeitsprofil entsprechen; Personalentscheidungen, die Gender- oder andere Diversitydimensionen besonders berühren. Flankiert werden können solche Zustimmungsvorbehalte in den entsprechenden Geschäftsordnungen auch durch originäre Pflichten der Geschäftsleitung, etwa zur Erarbeitung und periodischen Anpassung der Nachhaltigkeitsstrategie oder zum Reporting über die Erreichung bestimmter – gegebenenfalls auch vergütungsrelevanter – Kennzahlen.

Entscheidend ist eine passgenaue Nachhaltigkeitsstrategie

Entscheidend ist bei der Implementierung von ESG-Erwägungen in die unternehmenseigene Corporate Governance stets die Erarbeitung einer passgenauen Nachhaltigkeitsstrategie. Als Ausgangspunkt bietet sich hierfür die im Anwendungsbereich der CSRD ohnehin geforderte doppelte Wesentlichkeitsanalyse an. Also: Welche wesentlichen Auswirkungen haben Umwelt- und andere Nachhaltigkeitsaspekte auf das Unternehmen (Outside-In-Perspektive)? Und welche wesentlichen Auswirkungen hat das Unternehmen auf Umwelt- und andere Nachhaltigkeitsaspekte (Inside-Out-Perspektive)? Die daraus resultierende Matrix zeigt auf, an welchen Stellen es sich für das eigene Unternehmen lohnt, aktiv zu werden. Darüber hinaus ist selbstredend der für das jeweilige Unternehmen gesetzlich vorgeschriebene Corporate-Governance-Rahmen zu ermitteln. Wie die Corporate Governance davon ausgehend im Einzelnen angepasst werden soll und wie ehrgeizig das Unternehmen dabei auch unter Berücksichtigung der damit verbundenen Kosten sein möchte, kann dann auf einer angemessenen Informationsgrundlage diskutiert und letztlich entschieden werden. 

Autor

Dr. Philipp Koch CMS Hasche Sigle, Hamburg Rechtsanwalt, Counsel

Dr. Philipp Koch

CMS Hasche Sigle, Hamburg
Rechtsanwalt, Counsel


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