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Aktuelle Ausgabe

Mehr Wohnraum mit „Gebäudetyp E“ und „Bau-Turbo“

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Die Wohnraumkrise in Deutschland, insbesondere in Ballungszentren, hält an und verschärft sich weiter. Sie erfordert schnelle und wirkungsvolle Lösungen. Mit dem „Gebäudetyp E“ und dem sogenannten Bau-Turbo versucht die Politik, genau diese bereitzustellen. Bezahlbarer Wohnraum soll kurzfristig entstehen – durch beschleunigte Genehmigungsverfahren und vereinfachte baurechtliche Anforderungen.

Bleibt dabei – wie beispielsweise von einschlägigen Verbänden und Vereinen befürchtet – die Nachhaltigkeit auf der Strecke?

Wir haben die geplanten bzw. verabschiedeten Regelungen einmal aus rechtlicher Sicht unter diesem Aspekt eingeordnet:

Was bedeutet „Gebäudetyp E“?

Der Gesetzentwurf des „Gebäudetyp E“ („Einfaches und experimentelles Bauen“) wurde am 06.11.2024 vom (alten) Bundeskabinett beschlossen. Aufgrund des Endes der Legislaturperiode konnte das Gesetzgebungsverfahren jedoch nicht mehr abgeschlossen werden. Das Thema wurde aber in den aktuellen Koalitionsvertrag erneut aufgenommen.

Ziel ist es, für bestimmte Wohngebäude die technischen Anforderungen auf das „notwendige Maß“ zu reduzieren, um schneller und kostengünstiger bauen zu können. In der Bau- und Immobilienindustrie wurde der umfassende öffentlich-rechtliche und fachliche Normenkatalog – die allgemein anerkannten Regeln der Technik (aaRdT) – als einer der Kostentreiber identifiziert. Die aaRdT gelten derzeit in jedem Bau- und Werkvertrag – auch ohne ausdrückliche Erwähnung – als stillschweigend mitvereinbart. Entsprechend müssen Planer und Unternehmen ihre Ausführung daran ausrichten, um kein mangelhaftes Werk zu liefern und nicht Nacherfüllungs- und Schadensersatzansprüchen ausgesetzt zu sein (§§ 633 ff. BGB).

Diese Thematik greift die Politik auf: Unter bestimmten Voraussetzungen soll der „Gebäudetyp E“ künftig ermöglichen, von technisch nicht bauordnungsrechtlich relevanten Normen abzuweichen – ohne dabei die Qualität und Sicherheit der Gebäude zu beeinträchtigen.

Zentraler Leitgedanke des „Gebäudetyps E“ ist es, Planungs- und Baukosten zu senken – durch rechtssichere Abweichungen von den aaRdT und effizienteren Materialeinsatz, indem überzogene technische Anforderungen entfallen. Dazu zählen beispielsweise die Anzahl der Elektroinstallationen, Abweichungen beim Schallschutz (sofern diese nicht die Sicherheit oder Wohnungsgesundheit beeinträchtigen) oder eine Reduzierung der Heizkörper.

Kernstück auf öffentlich-rechtlicher Ebene ist § 67 der Musterbauordnung. Diese Regelung soll ermöglichen, dass Bauvorhaben auch bei Abweichungen von den aaRdT genehmigungsfähig sind und strebt zugleich eine Vereinheitlichung der Bauordnungen der Länder an. Unverhandelbar bleiben dabei Grundanforderungen wie Sicherheit, gesunde Lebensverhältnisse, Umweltschutz und Brandschutz. Die Abkehr vom überregulierten Bauwesen soll insbesondere nachhaltige und innovative Bauweisen fördern.

Auf zivilrechtlicher Ebene greift der Koalitionsvertrag auf, dass Regelungen, die lediglich Komfort und Ausstattung dienen, künftig nicht mehr als stillschweigend in Bau- und Werkverträgen mitvereinbart gelten sollen.

Zudem sind weitere Erleichterungen für „fachkundige Unternehmer“ vorgesehen.

Was versteht man unter „Bau-Turbo“?

Mit dem am 09.10.2025 vom Bundestag beschlossenen und am 17.10.2025 vom Bundesrat gebilligten Gesetz zur Beschleunigung des Wohnungsbaus („Bau-Turbo“) soll eine Deregulierung auf planungsrechtlicher Ebene erfolgen. Ziel ist es, dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum mit verschiedenen Instrumenten gezielt entgegenzuwirken. Mehrere Beschleunigungselemente werden dazu ins BauGB aufgenommen.

Im Mittelpunkt steht der neue § 246e BauGB, der es bis zum 31.12.2030 ermöglicht, zugunsten der Wohnraumschaffung von bauplanungsrechtlichen Vorgaben abzuweichen.

Die wesentlichen Rahmenbedingungen des „Bau-Turbos“ sind:

  • Es muss sich um ein Vorhaben zu Wohnzwecken – im Speziellen: (i) Neubau, (ii) Erweiterung, Erneuerung oder Änderung bestehender Gebäude, wenn dadurch neuer Wohnraum geschaffen oder wieder nutzbar wird, sowie (iii) Nutzungsänderungen bestehender Gebäude zu Wohnzwecken – handeln. Auch soziale und kulturelle Infrastruktur kann begünstigt werden.
  • Das Vorhaben muss im Innenbereich liegen, in bestimmten Fällen können jedoch auch Vorhaben im Außenbereich, die in räumlichem Zusammenhang mit bestehenden Bebauungsplänen oder dem unbeplanten Innenbereich stehen, erleichtert genehmigt werden.
  • Zustimmung der Gemeinde ist zwingend erforderlich (ggf. mit Bürgerbeteiligung, § 36a Abs. 2 BauGB), jedoch Zustimmungsfiktion nach zwei Monaten, um Verfahren zu beschleunigen (§ 36a Abs. 1 Satz 4 BauGB).
  • Berücksichtigung öffentlicher Belange, wie Umwelt- und Denkmalschutz, muss gewahrt bleiben. Eine Genehmigung oder Befreiung ist nur möglich, wenn keine erheblichen zusätzlichen Umweltauswirkungen entstehen. In begründeten Fällen sind ebenfalls Abweichungen von Lärmschutzvorgaben zulässig.

Die Vorteile des „Bau-Turbos“ sind damit vor allem auf beplanten und unbeplanten Innenbereich sowie auf Standardkonstellationen ohne erhebliche Dritteinwirkungen oder -auswirkungen ausgerichtet. Der „Bau-Turbo“ kann nicht angewendet werden, wenn durch die Abweichung erhebliche zusätzliche Umweltauswirkungen zu erwarten sind, sich das Vorhaben im Außenbereich außerhalb eines räumlichen Zusammenhangs zur bestehenden Bebauung befindet oder wenn die Grundzüge der kommunalen Entwicklung durch das Vorhaben beeinträchtigt werden.

Nachhaltigkeit als nachrangiges Ziel?

Wesentlicher Kritikpunkt am „Bau-Turbo“ ist die erleichterte Zersiedlung und ein erhöhter (Neu-)Flächenverbrauch insbesondere im Außenbereich durch den im Vergleich zur Nachverdichtung erheblich geförderten Neubau.

Diese These kann aus rechtlicher Sicht nicht bestätigt werden. In § 246e BauGB n.F. werden zunächst Neubauvorhaben gleichberechtigt neben Umnutzungen und Nachverdichtungen gestellt (§ 246e Abs. 1 Nr. 1–3 BauGB n.F.). Auch bleibt der Außenbereich weiterhin besonders geschützt (§ 246e Abs. 3 BauGB n.F.). Die Erleichterungen sind rechtlich daher auf den bereits zusammenhängend bebauten Bereich ausgerichtet und damit auf eine klassische Umnutzung, Nachverdichtung sowie Schließung von Baulücken.

Auch sind die öffentlichen Umweltbelange weiterhin maßgeblich zu berücksichtigen. Von den (erleichterten) Verfahren und Befreiungen kann nur Gebrauch gemacht werden, wenn keine erheblichen Umweltauswirkungen zu erwarten sind. Umweltrechtliche Vorgaben – wie das Bundes-Immissionsschutzgesetz, das Wasserhaushaltsgesetz und das Naturschutzrecht – bleiben unverändert und setzen dem „Bau-Turbo“ ebenfalls enge Grenzen. Bei der Bauausführung sind zudem das Gebäudeenergiegesetz (GEG) sowie die EU-Richtlinien zur Energieeffizienz weiter einzuhalten.

Im Rahmen des „Gebäudetyp E“ sollen die zu vereinfachenden Normen vor allem dem Bereich „Komfort und Ausstattung“ entstammen. In den aktuellen Diskussionen wird der Nachhaltigkeitsaspekt als weiteres maßgebliches Entscheidungskriterium geführt. Nicht auszuschließen – vor dem Hintergrund der dadurch entstehenden Kosten vielmehr eher zu erwarten – ist jedoch, dass auch Vorgaben aus dem Nachhaltigkeitsbereich durch die Vereinfachung entfallen werden. Rechtlich ist dies auf der bisher diskutierten Basis durchaus möglich. Aktuelle Tendenzen zeichnen sich derzeit jedoch nicht ab.

Davon unabhängig bleibt ein maßgeblicher Treiber der Nachhaltigkeitsvorgaben und deren Anforderungskatalog unverändert: Die Förderprogramme, etwa der KfW, oder Vorgaben von Kreditgebern im Allgemeinen haben in der Praxis den größten Einfluss auf die Einhaltung von Nachhaltigkeitsanforderungen in der Bauwirtschaft. Sie sind als mögliches Korrektiv in diesem Zusammenhang nicht zu unterschätzen.

Ausblick und Fazit

Rein rechtlich betrachtet, stehen die Zielrichtungen und Möglichkeiten nebeneinander: Sowohl der „Gebäudetyp E“ in der bislang diskutierten Form als auch die im Rahmen des „Bau-Turbos“ vorgesehenen Maßnahmen bieten Ansätze zur Bekämpfung der Wohnungsnot, die rechtlich Raum für nachhaltiges Handeln lassen und dies laut Begründung auch ausdrücklich unterstützen. Wie gut das Zusammenspiel von „schnell und günstig“ einerseits und „nachhaltig“ andererseits tatsächlich funktioniert, wird sich jedoch erst in der praktischen Umsetzung und insbesondere in der weiteren Entwicklung und Ausgestaltung des Gebäudetyps E zeigen. 

Autor

Marvin Rochner Oppenhoff, Köln Partner, Rechtsanwalt

Marvin Rochner

Oppenhoff, Köln
Partner, Rechtsanwalt


marvin.rochner@oppenhoff.eu
www.oppenhoff.eu


Autor

Julia Höyng, LL.M. Oppenhoff, Köln Associate, Wirtschaftsjuristin

Julia Höyng, LL.M.

Oppenhoff, Köln
Associate, Wirtschaftsjuristin


julia.hoeyng@oppenhoff.eu
www.oppenhoff.eu