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Kann Defense „sozial“ sein …

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Kaum ein anderes Thema bewegt derzeit die Gemüter in der Nachhaltigkeitscommunity so stark wie die Frage, ob Investitionen in militärische Verteidigungstechnik (englisch: Defense oder kurz „D“) als nachhaltig angesehen werden können. Die Diskussion wird vor allem politisch und mit gewichtigen Argumenten auf beiden Seiten geführt. Dabei tritt in den Hintergrund, wie die Frage nach geltendem Recht juristisch zu bewerten ist – also ob und unter welchen Bedingungen die derzeit geltenden aufsichtsrechtlichen Vorgaben zulassen würden, die Finanzierung von militärischer Verteidigungstechnik als „nachhaltige Investition“ zu qualifizieren. Der nachfolgende Beitrag unternimmt insoweit den Versuch einer rechtlichen Annäherung sowie eines rechtpolitischen Ausblicks.

Worum geht es?

Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten sehen sich derzeit einer militärischen Bedrohungslage ausgesetzt, die es seit Ende des Kalten Kriegs nicht gegeben hat. Spätestens seit Beginn des Angriffskriegs der Russischen Föderation auf die Ukraine und den unverhohlen artikulierten Ambitionen Russlands für eine weitere imperiale Expansion in (Ost-)Europa wird diese Bedrohung von der EU, den NATO-Staaten und weiteren Verbündeten als real wahrgenommen. Nach der Einschätzung von Verteidigungsexperten befinden sich die westlichen Demokratien auf dem Gebiet der Cybersicherheit bereits heute zum Teil in einem faktischen Kriegszustand mit Russland.

Ideologisch ist dieser Konflikt vor allem dadurch geprägt, dass Russland unter der Führung Wladimir Putins den auf individuellen Grundfreiheiten und Rechtsstaatlichkeit beruhenden westlichen Wertekanon ablehnt und durch ein autokratisches Gesellschafts- und Herrschaftssystem russischer Prägung ablösen will. Strategisch wird dieses Ziel durch eine Mischung von militärischen Drohszenarien und einer gesellschaftlichen Destabilisierung der westlichen Demokratien verfolgt.

Gleichzeitig können sich die EU-Mitgliedstaaten nicht mehr auf die Beständigkeit der Politik ihres amerikanischen Partners verlassen, dessen Schutz- und Verantwortungsübernahme unter der neuen US-Administration rückläufig ist. Dies führt dazu, dass in der EU – insbesondere in Deutschland – die Erkenntnis Raum gewinnt, in erheblich höherem Maße als bisher in die eigene militärische Verteidigungsfähigkeit und Sicherheit der Bevölkerung investieren zu müssen, um die Errungenschaften der freiheitlichen Demokratie und der darin lebenden Individuen zu sichern.

Neue Bedrohungslagen ergeben sich zudem in technischer Hinsicht. Dies zeigt sich zum einen „real im Feld“, und zwar vor allem im Gefechtsfeld in der Ukraine. Hier werden unter hohem existentiellen Druck technische Innovationen entwickelt und eingeführt, die effektive Kriegsführung schnell verändern und Schwachstellen in alten, langfristig entwickelten Waffensystemen identifizieren und ausnutzen (Stichwort Drohnen). Neue Bedrohungslagen entstehen aber auch durch – äußerlich neutrale – Deep-Tech-Entwicklungen, soweit sie in die falschen Hände geraten und dann für militärisch aggressive Zwecke genutzt werden (Stichworte Quantencomputing und Dual-Use). Um hierauf angemessen zu reagieren, sind aus Sicht westlicher Verteidigungsexperten technische Entwicklungen zu Defensezwecken massiv und schnell voranzutreiben. Und das muss finanziert werden.

Ähnlich wie bei der Bekämpfung des Klimawandels können sektoral gegliederte öffentlichen Haushalte diese Aufgabe nicht bewältigen. Staatliche Sondervermögen sind darauf ausgerichtet, den Bedarf der Streitkräfte zu formulieren und dann fertig entwickelte Verteidigungssysteme für die Streitkräfte auszuschreiben und anzukaufen, nicht aber den Markt potentiell relevanter Innovationen zu screenen, in die relevanten Entwicklungen zu investieren, um damit die Verfügbarkeit für die eigene Sicherheit sicherzustellen.

Vor diesem Hintergrund wird derzeit die Frage diskutiert, ob Investitionen in die militärische Verteidigungsfähigkeit oder Unternehmen, deren Entwicklungen hierzu einen Beitrag leisten können (Dual-Use), einen Nachhaltigkeitsbezug haben und insoweit auf eine Stufe mit Investitionen in den Klimaschutz oder die Anpassung an den Klimawandel gestellt werden können. In diesem Fall könnte privates Anlegerkapital mit ESG-fähigen Finanzinstrumenten (etwa in Form von „Artikel-8-Produkten“, siehe hier) für die Finanzierung von Unternehmen, deren Produkte und Entwicklungen ausschließlich oder auch Verteidigungszwecken dienen, nutzbar gemacht werden. Beispielhaft sei auf die Positionen des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) und des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) auf der Befürworterseite sowie der Genossenschaftsbanken oder des FNG-Siegels auf der Kritikerseite verwiesen.

Einen ersten Schritt hat die Finanzbranche damit getan, dass sie Investitionen in Rüstung von der Ausschlussliste des sogenannten Verbände-Zielmarktkonzepts gestrichen hat. Auch die EU-Kommission hat klargestellt, dass der gesetzliche ESG-Rahmen keine Investitionen in Rüstungsfirmen unterbinden soll.

Eine positive Anerkennung von Investitionen in Verteidigung als nachhaltig ist damit indes nicht verbunden.

Das Thema entzieht sich einer einfachen juristischen Bewertung. Dafür ist die europäische ESG-Regulierung zu vielschichtig und ganz offenkundig nicht konzipiert für die Berücksichtigung von „nur“ oder „auch“ Rüstungsaktivitäten als nachhaltig. Im Einzelnen ist wie folgt zu differenzieren:

Verteidigung kann mangels sozialer Taxonomie nicht taxonomiekonform sein

Anders als für den Bereich Umwelt, für den Artikel 9 Taxonomie-VO sechs Ziele definiert (allen voran den Klimaschutz), gibt es bis heute für soziale Ziele keine Taxonomie. Es liegen zwar seit 2022 Vorschläge der Platform on Sustainable Finance für eine soziale Taxonomie vor. Diese Vorschläge sind jedoch bislang von der EU-Kommission nicht aufgegriffen worden. Die Entwicklung und Produktion von Verteidigungstechnologien als taxonomiekonform zu deklarieren, ist deshalb nicht möglich. Soll sich hieran etwas ändern, müsste der EU-Gesetzgeber einen Rechtsrahmen für eine soziale Taxonomie schaffen, in der sich militärische Verteidigung als ein soziales Ziel definieren lässt.

Finanzierung von Verteidigungstechnologie als nachhaltige Investition im Sinne der SFDR?

Anders verhält es sich mit Blick auf die EU-Offenlegungsverordnung (SFDR). Hier ist die Verfolgung eines sozialen Ziels als nachhaltiger Investitionszweck anerkannt (Art. 2 Nr. 17 SFDR). Aber lässt sich die Herstellung von Technologien, die der militärischen Verteidigung unseres westlichen Gesellschaftssystems dienen, tatsächlich als Beitrag zu einem sozialen Ziel definieren? Die Antwort lautet: Jedenfalls nicht ohne weiteres. Die SFDR buchstabiert zwar nicht im Detail aus, was unter einem sozialen Ziel zu verstehen ist. Es gibt keine diesbezüglichen Evaluierungskriterien auf Level 2. Klar ist aber, dass nach dem gängigen Verständnis soziale Ziele nicht beliebig definierbar sind, sondern sich an dem Wortlaut von Art. 2 Nr. 17 SFDR und gängigen Regelwerken, wie den UN-Sustainable Development Goals, zu orientieren haben. Zu den sozialen Zielen zählen demnach:

  • Sozialer Zusammenhalt
  • Soziale Integration
  • Förderung von benachteiligten Bevölkerungsgruppen
  • Bekämpfung von Korruption und Bestechung
  • Förderung von Meinungsfreiheit und anderen Menschenrechten
  • Förderung von fairen Arbeitsbeziehungen

Es ist offenkundig, dass die Herstellung insbesondere von Rüstungsgütern hierunter nicht unmittelbar subsumierbar ist.

Defense als „enabling activity“

Damit ist aber noch nicht das letzte Wort gesprochen. Denn blickt man in die Taxonomie-Verordnung – die für die Definition dessen, was eine nachhaltige Investition im Sinne der SFDR ist, ergänzend herangezogen werden kann – stellt man fest, dass auch ermöglichende Tätigkeiten (englisch: enabling activities) als nachhaltig angesehen werden können. Dies sind solche Tätigkeiten, die für sich genommen nicht nachhaltig sind, aber einen wesentlichen Beitrag zu einem nachhaltigen Ziel insoweit leisten, als sie unmittelbar andere nachhaltige Tätigkeiten ermöglichen (Art. 16 Taxonomie-VO). Dies setzt allerdings voraus, dass die ermöglichende Tätigkeit zu keinen Lock-in-Effekten führen darf und langfristig positive Auswirkungen auf das nachhaltige Ziel zeitigen muss. Zieht man diesen Rechtsgedanken für die SFDR ergänzend heran, ist eine Argumentation vorstellbar, wonach die Entwicklung und Herstellung von Verteidigungstechnologien als eine ermöglichende Tätigkeit für die oben genannten sozialen Ziele angesehen werden kann. Denn ohne effektive Verteidigung ist die Erreichung dieser sozialen Ziele – jedenfalls wenn man die eingangs beschriebene Bedrohungslage in den Blick nimmt – akut gefährdet.

Herausforderung DNSH

Allerdings begegnet eine solche argumentative Herangehensweise einer weiteren Herausforderung: Denn Art. 2 Nr. 17 SFDR setzt für die Anerkennung einer Investition als nachhaltig voraus, dass die finanzierte Tätigkeit nicht zugleich andere nachhaltige Ziele – insbesondere Umweltziele – beeinträchtigt. Dieser Aspekt verbirgt sich hinter dem Kürzel DNSH: Do no significant harm. Und hier wird es schwierig. Jedenfalls der Einsatz von konventionellen Waffen (Panzer, Geschütze, Kampfflugzeuge oder Infanteriewaffen) dürfte zu ökologischen Folgewirkungen führen, die Umweltzielen wie dem Klimaschutz, der Kreislaufwirtschaft oder der Vermeidung von Umweltverschmutzung widerstreiten. Anders formuliert: Im Gefecht wird man keine Rücksicht darauf nehmen können, dass Kampfmittelrückstände entstehen, die ökologisch unverträglich sind. Eine umweltverträgliche Waffentechnik wird man vermutlich zukünftigen Entwicklungen überlassen müssen. Damit ist jedenfalls für den Bereich der konventionellen Verteidigungstechnologien schwer vorstellbar, dass das DNSH-Prinzip eingehalten werden kann. Damit fehlt es insoweit derzeit an einer Anerkennungsfähigkeit als nachhaltige Investition im Sinne der SFDR.

Etwas anderes könnte möglicherweise für den Bereich der IT-Entwicklungen gelten, die ausschließlich der Abwehr von Cyberangriffen oder der Aufklärung dienen (sogenannte 4. Streitmacht CIR). Hier wäre die Einhaltung des DNSH-Prinzips praktisch vorstellbar.

Wo „D“ draufsteht, muss auch Defense drin sein

Eine weitere Herausforderung dürfte darin bestehen, dass – ähnlich wie bei wesentlichen Beiträgen zu einem Umweltziel – die wirtschaftliche Aktivität nur insoweit als nachhaltig angesehen werden kann, als sie tatsächlich die Verfolgung eines sozialen Ziels ermöglicht. Dies bedeutet, dass jegliche Form des Exports finanzierter Militärtechnologie außerhalb der EU oder NATO-Staaten und weiterer Verbündeter kategorisch aus dem Bereich der nachhaltigen Tätigkeit ausgeschlossen werden müsste. Ebenso wäre in geeigneter Weise sicherzustellen, dass nicht über vorgelagerte Lieferketten oder die Einbindung von Wissensträgern bei der Produktentwicklung, die außerhalb des Schutzbereichs domizilieren, die Nachhaltigkeit gefährdet wird. Insoweit müsste ein Finanzmarktteilnehmer, der eine Investition in ein Unternehmen mit militärisch relevanter Produktpalette zum Beispiel als ein Art.-8-SFDR-Produkt deklarieren will, auch darlegen, inwieweit das finanzierte Unternehmen tatsächlich nur auf dem Gebiet der Verteidigungstechnologie für die vorgenannten Staaten tätig ist.

Schwierige Abgrenzungsfragen können sich bei sogenannten Dual-Use-Technologien stellen, die primär für nicht militärische Zwecke entwickelt werden, aber auch für diese Zwecke nutzbar gemacht werden können. Denn der Einsatz für zivile Zwecke wird nicht per se als ermöglichende Tätigkeit für das soziale Ziel „sozialer Zusammenhalt“ anerkannt werden können. Anders verhält es sich, wenn man die Eignung einer IT-Technologie, der Abwehr von Cyberangriffen sowohl auf private wie militärische Infrastrukturen zu dienen, in den Blick nimmt.

Nach alledem erscheint in den genannten engen Grenzen eine Einordnung von Investitionen in Verteidigungstechnologien als nachhaltig im Sinne einer „enabling activity“ argumentierbar. Von Rechtssicherheit auf diesem Gebiet ist man allerdings weit entfernt.

Anerkennung von „D“ als neue nachhaltige oder neben der Nachhaltigkeit stehende Kategorie (Rechtspolitik)

Folgt man im Ausgangspunkt der Ansicht, dass auch die Heranziehung von privatem Kapital zur Finanzierung von Verteidigungstechnologien wünschenswert ist, bietet sich an, eine entsprechende Kategorie auf gesetzlicher Ebene anzuerkennen. Gefordert wäre der europäische Gesetzgeber, im Zuge der anstehenden SFDR-Reform oder in einem separaten Gesetzespaket eine solche neue Kategorie „D(efense)“ zu schaffen. Dies würde zum einen dem Anlegerschutz dienen. So könnte sich bei entsprechenden regulatorischen Vorgaben ein Anleger, dem eine Investition in Verteidigung – aber auch nur in Verteidigung, nicht etwa in Rüstungsexporte – wichtig ist, darauf verlassen, dass ein Finanzprodukt, das mit „D“ beworben wird, auch nur Defense finanziert. Zum anderen könnte der Gesetzgeber unter „D“ fallende wirtschaftliche Aktivitäten in besonderer Weise fördern – sei es durch Steuererleichterungen oder indem finanzierenden Banken ein „supporting factor“ bei ihrer Eigenmittelunterlegung eingeräumt wird.

Das Feld für eine rechtspolitische Diskussion dürfte weit und durchaus kontrovers sein. Blickt man auf die aktuellen geopolitischen Herausforderungen, erscheint ein solcher Diskurs jedoch dringend geboten. 

Autor

Dr. Lars Röh lindenpartners, Berlin Rechtsanwalt, Co-Managing Partner

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lindenpartners, Berlin
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roeh@lindenpartners.eu
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Autor

Dr. Thomas Asmus lindenpartners, Berlin Rechtsanwalt, Co-Managing Partner

Dr. Thomas Asmus

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asmus@lindenpartners.eu
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