Der Europäische Betriebsrat (EBR) führt bislang in vielen Unternehmen ein Schattendasein. Bei Restrukturierungen wird er häufig – wenn überhaupt – nur beiläufig beteiligt. Der Fokus liegt auf dem jeweiligen nationalen Mitbestimmungsprozess.
Durch die anstehende Neufassung der EBR-Richtlinie könnte sich dies grundlegend ändern. Denn die Rechte des EBR werden erheblich erweitert; es drohen Unterlassungsansprüche und Bußgelder in DSGVO-Dimension. Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass in international tätigen Unternehmen erstmals ein EBR gebildet wird. Worauf müssen sich Unternehmen also einstellen?
Warum der EBR bislang oft ein Schattendasein führt
Der EBR ist eine grenzüberschreitende Arbeitnehmervertretung mit Informations- und Konsultationsrechten.
Die Hürden zur Bildung eines EBR sind vergleichsweise niedrig: Ausreichend ist, als Unternehmen oder Unternehmensgruppe insgesamt mindestens 1.000 Mitarbeiter im Europäischen Wirtschaftsraum (dazu gehören die EU sowie Island, Liechtenstein und Norwegen) zu beschäftigen, davon jeweils mindestens 150 in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine Unternehmensgruppe 750 Mitarbeiter in Deutschland, 150 in Frankreich und 100 in Polen beschäftigt. Die Bildung eines EBR erfolgt in der Regel auf Initiative der nationalen Arbeitnehmervertretungen, zum Beispiel indem der deutsche und der französische Betriebsrat einen gemeinsamen Antrag stellen.
Der EBR ersetzt nicht die nationalen Betriebsräte und deren Beteiligungsrechte, sondern ergänzt diese: Er soll ausschließlich in grenzübergreifenden Angelegenheiten ein Ansprechpartner für die zentrale Leitung des Unternehmens beziehungsweise der Unternehmensgruppe sein.
Seine Rechte beschränken sich auf die Unterrichtung (Bereitstellung von Informationen) und Anhörung (Beratung/Meinungsaustausch). Eine „echte“ Mitbestimmung nach deutschem Verständnis, also das Erfordernis einer Verhandlung über das Ob und Wie geplanter Maßnahmen mit dem Ziel einer Vereinbarung und damit einhergehender Möglichkeiten, die Umsetzung zumindest zeitweise zu blockieren, findet nicht statt.
Der EBR ist insbesondere zuständig, wenn eine geplante Maßnahme mindestens zwei Mitgliedstaaten betrifft. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn ein europaweites Sparprogramm aufgelegt wird, welches die Stilllegung von Betrieben oder Massenentlassungen in mehreren Ländern zur Folge hat. Abgesehen von derart eindeutigen Konstellationen kann jedoch im Einzelfall oftmals schwierig festzustellen sein, ob die Zuständigkeit des EBR begründet wird. Denn die aktuelle EBR-Richtlinie enthält eine allenfalls unscharfe Definition der „grenzübergreifenden Angelegenheiten“.
Ähnlich wie bei der Beteiligung der deutschen Betriebsräte muss die Unterrichtung und Anhörung des EBR – jedenfalls in der Theorie – so rechtzeitig erfolgen, dass das Unternehmen die Stellungnahmen und Anregungen des EBR bei der Entscheidung über das Ob und Wie der Maßnahmendurchführung noch berücksichtigen kann. Zudem muss der EBR spätestens gleichzeitig mit den nationalen Arbeitnehmervertretungen eingebunden werden.
In der Praxis hat sich daher etabliert, den EBR grundsätzlich als Erstes zu informieren. Gerade bei streng vertraulichen Planungen, die nicht vorzeitig publik werden dürfen, ist die Beachtung der „richtigen“ Reihenfolge indes eher ein formaler Aspekt, da zumindest die Erstinformation des EBR und der nationalen Gremien oftmals in bewusst enger zeitlicher Abfolge, wenn nicht sogar parallel durchgeführt werden.
Rein tatsächlich wird die Beteiligung des EBR daher häufig als zweitrangiges Anhängsel des nationalen Mitbestimmungsprozesses wahrgenommen, ohne dass dem EBR-Unterrichtungs- und Anhörungsprozess eigenständige Bedeutung beigemessen wird. Vielmehr gerät der EBR nach dem Kick-off schnell in Vergessenheit, da die Verhandlungen über Interessenausgleich und Sozialplan mit den nationalen Gremien für alle Beteiligten relevanter sind.
Dies mag dazu führen, den EBR in manchen Konstellationen von vornherein nicht einzubinden. Zumal Unternehmen in Deutschland bislang wenig zu befürchten haben: Bei unzureichender Unterrichtung des EBR droht ein Bußgeld von höchstens 15.000 Euro, was manchen dazu verleiten könnte, die Zahlung sehenden Auges als „Transaktionskosten“ einzukalkulieren. Ein Anspruch auf Unterlassung der geplanten Maßnahmen ist von den Arbeitsgerichten zudem nicht anerkannt worden. Ernstzunehmende Sanktionen für die stiefmütterliche Behandlung des EBR drohen somit bislang nicht.
Neue EBR-Richtlinie als Gamechanger?
All dies könnte sich zukünftig grundlegend ändern. Denn die EU arbeitet – weitgehend unbeachtet –an einer Neufassung der EBR-Richtlinie, um die Rolle des EBR zu stärken. Die Neufassung könnte bereits im Sommer 2025 verabschiedet werden.
Der von der EU-Kommission vorgelegte Richtlinienvorschlag befindet sich seit Februar 2025 auf der Zielgeraden, den sogenannten Trilogverhandlungen. Dabei handelt es sich um ein Vermittlungsverfahren zwischen den EU-Institutionen. Auf den letzten Metern geht es insbesondere um erhebliche Verschärfungen des ursprünglichen Entwurfs, auf die gewerkschafts- und arbeitnehmernahe EU-Parlamentarier gedrängt haben.
Die Neufassung der EBR-Richtlinie hat daher das Potential, das Schattendasein des EBR in der Praxis zu beenden und die Komplexität von Restrukturierungsvorhaben zu erhöhen – auch bei Projekten, die auf den ersten Blick rein nationalen Charakter haben. Dies durch insbesondere folgende Änderungen:
Erweiterung des Zuständigkeitsbereichs
Als grenzüberschreitende Angelegenheit gelten zukünftig auch solche Maßnahmen, die ausschließlich Mitarbeiter in einem einzelnen Mitgliedsstaat betreffen, wenn Mitarbeiter in einem anderen Mitgliedsstaat von den Folgen dieser Maßnahme betroffen sein können.
Ausdrücklich soll dies beispielsweise jene Konstellationen erfassen, in denen ein Personalabbau (etwa in Deutschland) lediglich mittelbar organisatorische Auswirkungen, zum Beispiel im Hinblick auf Lieferkette und Produktion, an einem ausländischen Standort haben kann.
Entscheidend wird auch nicht mehr sein, ob Mitarbeiter der Maßnahmenplanung zufolge betroffen sein werden, sondern ob dies „nach vernünftigem Ermessen zu erwarten“ ist. Es geht also nicht mehr darum, worauf die Maßnahme abzielt, sondern auf die Prognose, welche mittelbaren Effekte sich aus der Maßnahme ergeben können.
Damit droht eine erhebliche Ausweitung des EBR-Zuständigkeitsbereichs, ohne dabei für eine klare Abgrenzung zu sorgen. Unternehmen werden zukünftig bei jeder Restrukturierungsmaßnahme – auch bei einer an sich rein inländisch konzipierten – zu prüfen haben, ob durch indirekte Auswirkungen im Ausland die Unterrichtungs- und Beratungspflicht gegenüber dem EBR ausgelöst wird.
Drastische Sanktionen
Die Neufassung der Richtlinie sieht zudem „abschreckende“ Sanktionen für Unternehmen vor, die sich nicht an die Vorgaben halten.
Diese sollen sich insbesondere auch an der Größe und finanziellen Situation des Unternehmens orientieren. Das Europäische Parlament fordert sogar eine Orientierung an der DSGVO. Diese sieht drakonische Geldbußen in Millionenhöhe – bis zu 4% des weltweiten Jahresumsatzes – vor. Jedenfalls der bisherige, sehr überschaubare Bußgeldrahmen von 15.000 Euro dürfte damit Geschichte sein.
Die Richtlinie legt zudem einen Fokus darauf, dem EBR die rasche und wirksame Rechtsdurchsetzung vor den zuständigen Gerichten zu ermöglichen. Hier dürfte die EU-Kommission zwar ursprünglich vor allem Länder wie Irland im Blick gehabt haben, in denen Europäische Betriebsräte jahrelang erfolglos um die Anerkennung einer Klagebefugnis gerungen haben.
Mittlerweile geht es jedoch um viel mehr: Zur Diskussion steht ein Unterlassungsanspruch, der es dem EBR ermöglichen soll, per einstweiliger Verfügung die Maßnahmenumsetzung vorübergehend gerichtlich stoppen zu lassen, bis das Unterrichtungs- und Anhörungsverfahren vollständig abgeschlossen ist.
Damit würde das Risiko für Unternehmen in finanzieller und rechtlicher Hinsicht drastisch steigen. Unternehmen könnten gehalten sein, den EBR schon aus Gründen der Vorsicht auch in den Fällen einzubinden, in denen Zweifel an seiner Zuständigkeit bestehen.
Wann treten die Änderungen in Kraft?
Die Neufassung der Richtlinie wird absehbar im Laufe des Jahres 2025, möglicherweise bereits im Sommer, verabschiedet. Nach Inkrafttreten der Richtlinie haben die Mitgliedsstaaten voraussichtlich nur ein Jahr Zeit, diese in nationales Recht umzusetzen. Somit könnte bereits im Lauf des Jahres 2026 mit dem Inkrafttreten der entsprechenden nationalen Vorschriften zu rechnen sein.
Fazit
Bei der Konzeptionierung der Restrukturierung müssen zukünftig noch sorgfältiger als bisher grenzübergreifende Fragen berücksichtigt werden, einschließlich nur mittelbarer Auswirkungen. Der Blick darf nicht auf die inländische Einheit beschränkt werden. Selbst die nationale Restrukturierung muss künftig grenzübergreifend gedacht werden, um frühzeitig zu identifizieren, inwieweit Mitarbeiter im Ausland betroffen sein könnten.
Unternehmen müssen sich zudem darauf einstellen, die Beteiligung des EBR zukünftig als eigenständigen, ernstzunehmenden Prozess mit entsprechenden zeitlichen und personellen Ressourcen einzuplanen, um finanzielle und rechtliche Risiken zu vermeiden.
Zudem sollten Unternehmen, die über einen EBR verfügen, bereits jetzt prüfen, ob die zugrundeliegende Vereinbarung über den Beteiligungsprozess den rechtlichen Anforderungen der neugefassten Richtlinie noch gerecht wird oder aktualisiert und neuverhandelt werden muss.
Unternehmen, die derzeit (noch) nicht über einen EBR verfügen, aber mit mindestens 1.000 Beschäftigen in Europa tätig sind, müssen sich darauf einstellen, dass die Bildung eines EBR künftig deutlich an Attraktivität gewinnt. Daher ist es sinnvoll, sich frühzeitig damit zu befassen, welche Reaktions- und Gestaltungsmöglichkeiten bestehen – und nicht erst dann, wenn eine EBR-Bildung tatsächlich initiiert wird.


