fourword ist eine Publikation der Produktfamilie Deutscher AnwaltSpiegel & Bundesverband der Wirtschaftskanzleien

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Aktuelle Ausgabe

Der Proustsche Fragebogen für Wirtschaftsanwälte

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An Traditionen anknüpfen, aber zugleich neue Wege gehen – das kennzeichnet die Arbeit des Bundesverbands der Wirtschaftskanzleien in Deutschland (BWD). Regelmäßig greifen wir in unserem Online-Magazin fourword die Idee des berühmten Proustschen Fragebogens auf. Der französische Schriftsteller war es, der einem um die Wende zum 20. Jahrhundert beliebten Gesellschaftsspiel in Pariser Salons seinen Namen gab. Wir haben das Format und die Auswahl der Fragen auf die heutige Zeit (und hier und da auch auf den Rechtsmarkt) übertragen.

Angenommen, Sie müssten von heute auf morgen in ein Tiny House ziehen – von welchem Gegenstand trennen Sie sich auf keinen Fall?

Ein Paar Turnschuhe. Meine Macke sind Air Jordans. Das ikonische Modell 1 gibt es seit Mitte der 1980er. Ich habe viele davon. Im Berufsleben trage ich seit ein paar Jahren fast keine anderen Schuhe, weil sie wirklich bequem sind. Die Air Jordans sind ursprünglich – wie sollte es anders sein – Basketballschuhe. Als Schüler habe ich Basketball gespielt. Übertragen auf mein Berufsleben, geben sie mir Standfestigkeit und Beweglichkeit. Und zum Einknicken bringen mich die Schuhe auch nicht so leicht. Ich lande quasi weich, wenn ich mal wieder hinfalle. Das Aufstehen ist für mich immer wichtiger als das Hinfallen.

Welche Person inspiriert Sie?

Alle Menschen, die ihre Talente erkennen und diese dann für sich und andere bestmöglich zum Einsatz bringen. Mir fallen ein Bäcker, ein Schreiner und eine Lehrerin ein, die inspirierende Talente haben, von denen ich und viele andere Menschen profitieren. Unter den 8,3 Milliarden Menschen auf unserem Planeten gibt es sicherlich viele Mozarts, Einsteins und Jordans, von denen ich leider nie etwas erfahren werde.

Was muss in Ihrem Vorratsschrank/Kühlschrank immer vorhanden sein?

Fukamushi-Tee, Filterkaffee, Nüsse, Äpfel, Bananen und Kefir.

Wenn X + Y = Glück ist, was sind dann X und Y?

Erfüllte Beziehungen mit anderen Menschen und Unabhängigkeit. Wenn dann noch Gesundheit hinzukäme, wäre es wohl kein Glück, sondern ein Traum, nicht wahr?

Gehören Sie zum Team Organisations- oder zum Team Improvisationstalent?

Eindeutig: Team Improvisationstalent. Andere Menschen sagen über mich, dass ich sehr spontan noch eine Idee oder ein Argument habe, doch eine Lösung finde und irgendwie immer ans Ziel komme. Ich würde das nie als improvisieren bezeichnen, sondern als Beweglichkeit. Ich denke, dass mir meine Air Jordans dabei sehr helfen. Es gibt diesen Satz, der Wilhelm Busch zugeschrieben wird: „Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.“ Weil das (Berufs-)Leben halt so ist, stelle ich mich maximal darauf ein.

Cristiano Ronaldo betritt das Fußballfeld vor jedem Spiel mit dem rechten Fuß zuerst. Haben Sie ein „Pre-Game-Ritual“ vor wichtigen Terminen?

Dank dieser Frage habe ich das erste Mal darüber nachgedacht. Ich glaube, dass ich vor wichtigen Terminen zwei Fragen innerlich beantworte: Welches Ziel wollen wir durch diesen wichtigen Termin erreichen? Welche Haltung benötigen die anderen im Termin von mir, damit wir dieses Ziel erreichen? Noch besser funktioniert das, wenn man diese Frage als Team beantwortet, bevor man gemeinsam in einen wichtigen Termin geht. Das meiste machen wir ja im Team und nicht alleine.

In welchem Aspekt unterscheidet sich Ihr Leben heute am meisten von dem, das Sie vor zehn Jahren geführt haben?

Ich fahre schnell mit dem Fahrrad ins Büro statt langsam mit dem Dienstwagen. Der Rest ist – abgesehen von glücklichen Jobwechseln – erfreulich gleich geblieben. Für diese Beständigkeit bin ich sehr, sehr dankbar!

Welche Charaktereigenschaft schätzen Sie besonders an anderen Menschen?

„Ganz bei sich zu sein“. Ich mag Menschen mit ausgeprägter Selbstverbundenheit, innerer Ruhe und Selbstakzeptanz.

Zurück in die Zukunft: Marty McFly leiht Ihnen für ein Wochenende seinen DeLorean – wohin reisen Sie zuerst?

Das ist ein Zweitsitzer, nicht wahr? Also mache ich mit meiner Frau einen Roadtrip ans Meer. Wohin möchte ich nicht verraten. Denn dort ist es so schön, dass andere idealerweise fernbleiben.

Mit welcher realen Person oder welchem fiktiven Charakter identifizieren Sie sich morgens um 8:00 Uhr und abends um 20:00 Uhr?

Mit meinem fiktiven „Alter Ego“, falls ich zu den genannten Zeiten mal nicht ganz bei mir bin.

Wenn Sie die Chance hätten, eine Woche bei einer Boulevardzeitung als Blattmacher zu arbeiten, welche Schlagzeile würden Sie produzieren?

„Die Welt hat aufgehört, sich zu drehen!“ Das wäre natürlich eine Ente. Aber es würde den Leserinnen und Lesern vor Augen führen, dass alles immer in Bewegung ist. Privat und beruflich. Anders geht es nicht. Und wir müssen beweglich im Kopf bleiben. Stillstand bringt nichts. Zustände in der Welt, in Europa und anderen Kontinenten, in Deutschland und anderen Ländern, in unseren beruflichen und privaten Umfeldern zu beklagen bringt nichts. Das Einzige, was etwas bringt, ist etwas zu tun, sich in Bewegung zu setzen – körperlich und geistig. Meine Lieblingssätze stammen aus Goethes „Wilhelm Meisters Wanderjahre“: „Es ist nicht genug zu wissen – man muss auch anwenden. Es ist nicht genug zu wollen – man muss auch tun.“

Spielen Sie gelegentlich privat den Advocatus Diaboli – oder lassen Sie den Juristen im Büro zurück?

Da ich beruflich selten ein Advocatus Diaboli und meistens ein Advocatus Angeli bin, schafft es der Advocatus Diaboli gar nicht in mein Privatleben. Ich bin aus Gründen, die ich gar nicht erklären kann, ein durch und durch positiv denkender Mensch. Vermutlich wurde mir das in die Wiege gelegt. Glücklicherweise fällt es mir leicht, nicht zu zweifeln und nicht nur die negativen Aspekte oder Argumente zu sehen. Ich habe schon häufig gehört, dass ich für einen Juristen ziemlich mutig sei. Mut ist emotional der Gegenpol von Angst. Ich würde daher eher sagen, dass ich beruflich und privat ziemlich angstfrei bin. Aber ich sehe halt auch immer nur halbvolle Gläser, während viele Juristinnen und Juristen immer halbleere sehen. In halbvollen Gläsern ist – im übertragenen Sinne – einfach mehr drin.

Wenn Sie erfahren würden, dass Sie vermutlich nur noch 365 Tage zu leben haben, was stünde ganz oben auf Ihrer Bucket-List?

Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden an fabelhaften Orten bei fabelhaftem Essen und Trinken sowie fabelhafter Hintergrundmusik. Was jeweils fabelhaft wäre, würde ich am jeweiligen Tag, in der jeweiligen Woche und im jeweiligen Monat entscheiden, wobei ich dabei eher meinem Herzen als meinem Verstand zuhören würde.

Sie treffen die Göttin Justitia zu Nektar und Ambrosia auf dem Olymp, worüber unterhalten Sie sich, während Sie zu Tische liegen?

Justitia ist ja die Göttin der Gerechtigkeit – sie steht für faire Entscheidungen. Ich würde mit ihr über Urteilsvermögen sprechen. Wir wissen seit Jahrzehnten aus der theoretischen und empirischen Forschung, dass unser Urteilsvermögen allzeit von kognitiven Verzerrungen und unerwünschter Variabilität geprägt ist. Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat dafür die englischen Begriffe Bias und Noise geprägt. Wir tragen als Juristinnen und Juristen unser angeblich hervorragendes Urteilsvermögen bisweilen wie eine Monstranz vor uns her. Dabei verkennen wir, dass die juristische Methodik nur eine von vielen Methoden ist, um auf der Grundlage von unvollständigen Informationen das Richtige zu entscheiden. Mit Justitia würde ich diskutieren, in welchen Situationen des Lebens eine Entscheidung gerecht oder richtig sein sollte. Interessanterweise heißt der Ort, an dem unabhängig und neutral nach Recht und Gesetz entschieden wird, „Gericht“. Es müsste eigentlich „Gerecht“ heißen, oder? Vielleicht kämen Justitia und ich in unserem Gespräch auch zu dem Fazit, dass Entscheidungen idealerweise „gericht“ sein sollten, nämlich „gerecht“ und „richtig“?

Wie unterscheiden sich heutige Berufseinsteiger von Ihnen, als Sie in dieser Situation waren?

Ich nehme heutige Berufseinsteiger als reflektierter und selbstbewusster wahr. Sie wägen (selbst-)kritischer ab, ob der Job ihre persönlichen und professionellen Interessen und Ambitionen erfüllt. Sie stellen häufiger Fragen über das Was, Wie und Wofür von Aufgaben und Tätigkeiten als ich seinerzeit. Ich nehme das für mich und unsere Teams als positiv wahr, weil es Haltungen, Herangehens- und Arbeitsweisen kritisch hinterfragt. Und es setzt ein Begegnen auf Augenhöhe geradezu voraus, was ich zielführend finde. Nur weil ich mehr Lebens- und Berufserfahrung habe, bedeutet das noch lange nicht, dass ich in einer konkreten beruflichen Situation die überzeugenderen Argumente oder die ergebnisorientiertere Herangehensweise als unsere Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger habe.

Hinweis der Redaktion:
Die Ausarbeitung der Fragen geht zurück auf Überlegungen der beiden ersten Praktikanten des BWD. Emma Fischer studiert inzwischen an der WHU, Matthias Bautsch an der Universität Passau. (tw)

Autor

Dr. Alexander Steinbrecher, Chefjustiziar und Stabsstellenleiter, Berliner Verkehrsbetriebe

Dr. Alexander Steinbrecher, LL.M. (Tulane)

Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), Berlin
Chefjustiziar und Stabsstellenleiter


alexander.steinbrecher@bvg.de
www.bvg.de