An Traditionen anknüpfen, aber zugleich neue Wege gehen – das kennzeichnet die Arbeit des Bundesverbands der Wirtschaftskanzleien in Deutschland (BWD). Regelmäßig greifen wir in unserem Online-Magazin fourword die Idee des berühmten Proustschen Fragebogens auf. Der französische Schriftsteller war es, der einem um die Wende zum 20. Jahrhundert beliebten Gesellschaftsspiel in Pariser Salons seinen Namen gab. Wir haben das Format und die Auswahl der Fragen auf die heutige Zeit (und hier und da auch auf den Rechtsmarkt) übertragen.
Fourword: Angenommen, Sie müssten von heute auf morgen in ein Tiny House ziehen – von welchem Gegenstand trennen Sie sich auf keinen Fall?
Dr. Axel Boysen: Von meiner Musiksammlung würde ich mich niemals trennen. Über 3.000 Tonträger begleiten mich teilweise schon seit Jahrzehnten. Bisher habe ich nichts digitalisiert und nutze keine Streamingdienste, weil ich es liebe, eine Platte in die Hand zu nehmen, das Cover zu betrachten und bewusst Musik zu hören. In einem Tiny House wäre der Platz knapp, deshalb würde ich wohl beginnen, meine Sammlung zu digitalisieren, um Raum zu schaffen. Unverhandelbar bleibt jedoch: Musik in bester Qualität genießen zu können.
Welche Person inspiriert Sie?
Ich habe früher selbst E-Gitarre gespielt, und zwei Musiker haben mich besonders geprägt. Gary Moore war ein irischer Hardrock- und Blues-Gitarrist, der komplexe Stücke komponierte und spielte, ohne jemals Noten lesen zu können. Sein musikalisches Gehör war schlicht genial. Michael Schenker beeindruckt mich durch seinen unglaublichen Sinn für Ton und Melodie. Technisch brillant, aber nie nur auf Geschwindigkeit aus, er hat ein Gespür für Melodien, die im Kopf bleiben. Beide verkörpern für mich die Verbindung von technischer Perfektion und emotionaler Tiefe.
Was muss in Ihrem Vorratsschrank/Kühlschrank immer vorhanden sein?
Ehrlich gesagt HelloFresh. Ich koche gern, bin aber kein Koch-Nerd. Für mich ist es eine willkommene Abwechslung zum Beruf, etwas mit den Händen zu tun, Gemüse zu schneiden, Zutaten zu kombinieren. Es entspannt mich und erspart den Einkauf. Das Kochen selbst ist für mich eine Art Meditation, ein Gegenpol zur oft abstrakten und strategischen Arbeit im Kanzleialltag, die natürlich auch viel vor dem Bildschirm stattfindet.
Wenn X + Y = Glück ist, was sind dann X und Y?
Freiheit und Freundschaft. Freiheit bedeutet, selbstbestimmt zu denken und zu handeln, Entscheidungen über das eigene Leben zu treffen und diese bewusst zu nutzen. Doch Freiheit allein macht nicht glücklich, wir sind soziale Wesen. Freundschaft ist der Rahmen, in dem Freiheit Sinn bekommt, Menschen, auf die man sich verlassen kann, die einen unterstützen und mit denen man Erlebnisse teilt.
Gehören Sie zum Team Organisations- oder zum Team Improvisationstalent?
Beruflich bin ich klar im Team Organisation. Ich mag es, Dinge strukturiert und geordnet anzugehen. Privat hingegen gönne ich mir den Luxus, improvisieren zu dürfen. Nicht alles muss durchgeplant sein, manchmal lasse ich Dinge bewusst liegen oder entscheide spontan.
Cristiano Ronaldo betritt das Fußballfeld vor jedem Spiel mit dem rechten Fuß zuerst. Haben Sie ein „Pre-Game-Ritual“ vor wichtigen Terminen?
Ein festes Ritual habe ich nicht. Wenn ich vor einer großen Gruppe spreche, sei es ein Vortrag oder eine Town Hall, formuliere ich nicht vor. Ich nehme mir einen kurzen Moment, um in mich hineinzuhorchen, mich zu sammeln und die emotionale Schwingung zu finden, die meine Botschaft authentisch transportiert. Dieser Moment der Fokussierung ist entscheidend.
In welchem Aspekt unterscheidet sich Ihr Leben heute am meisten von dem, das Sie vor zehn Jahren geführt haben?
Vor zehn Jahren war ich noch bei Siemens angestellt. Ein Jahr später wurde ich Partner einer internationalen Kanzlei aus den Vereinigten Staaten. Meine Arbeitswelt hat sich dadurch fundamental verändert. Die Mechanismen und die Kultur in einem deutschen Großkonzern unterscheiden sich stark von denen einer amerikanischen Kanzlei. Beruf und Privatleben sind heute viel stärker verwoben. Als Managing Partner ist es kaum möglich, beide Bereiche strikt zu trennen. Es erfordert bewusste Entscheidungen, um die Balance zu halten und nicht völlig vereinnahmt zu werden.
Welche Charaktereigenschaft schätzen Sie besonders an anderen Menschen?
Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Authentizität. Die ersten beiden sind Grundvoraussetzungen. Wenn jemand eine Rolle spielt, merkt man das schnell, und dann kann ich ihn nicht ernst nehmen.
Zurück in die Zukunft: Marty McFly leiht Ihnen für ein Wochenende seinen DeLorean – wohin reisen Sie zuerst?
Nach Woodstock! Ich habe eine CD-Kompilation mit den Gesamtaufnahmen des Festivals, aber ich würde gern sehen, wie es wirklich war, die Atmosphäre, die Energie, die Menschen. Ein Wochenende dort zu erleben wäre für mich wie ein Blick in ein Stück Musikgeschichte, das man nicht nur hören, sondern fühlen kann.
Mit welcher realen Person oder welchem fiktiven Charakter identifizieren Sie sich morgens um 8:00 Uhr und abends um 20:00 Uhr?
Eigentlich mit niemand anderem als mir selbst. Um 8 Uhr morgens brauche ich noch ein bisschen Zeit, um in den Tag zu kommen, da bin ich noch nicht besonders gesprächig. Abends um 20 Uhr sieht das ganz anders aus: Dann bin ich entspannt, kommunikativ und freue mich auf den Austausch mit anderen.
Wenn Sie die Chance hätten, eine Woche bei einer Boulevardzeitung als Blattmacher zu arbeiten, welche Schlagzeile würden Sie produzieren?
„Bevor Sie urteilen – hören Sie zu.“ Diese Schlagzeile würde ich wählen, weil sie zum offenen Diskurs einlädt und daran erinnert, dass unterschiedliche Perspektiven wertvoll sind. Wir leben in einer Zeit, in der schnelle Urteile und zugespitzte Schlagzeilen oft den Ton bestimmen. Mir ist wichtig, dass wir uns die Zeit nehmen, verschiedene Meinungen wahrzunehmen, zu diskutieren und zu verstehen, bevor wir uns festlegen.
Spielen Sie gelegentlich privat den Advocatus Diaboli – oder lassen Sie den Juristen im Büro zurück?
Für mich ist gründliches Durchdenken von Meinungen und Meldungen essentiell, unabhängig davon, ob man Jurist ist oder nicht. Ich hinterfrage, ob Schlagzeilen den Kern der Sache treffen, und höre mir gern verschiedene Perspektiven an.
Wenn Sie erfahren würden, dass Sie vermutlich nur noch 365 Tage zu leben haben, was stünde ganz oben auf Ihrer Bucket-List?
Zeit mit Freunden und Familie. Und mit meinem besten Freund aus Studienzeiten nach Kanada reisen, um Amanda Marshall noch einmal live zu erleben. Sie tourt nicht mehr international, und die Chance, sie in einem kleinen Club in ihrer Heimat zu sehen, wäre einzigartig. Ihr Konzert 1997 in der Hamburger Markthalle zählt zu den besten meines Lebens – diese Energie würde ich gern noch einmal spüren.
Sie treffen die Göttin Justitia zu Nektar und Ambrosia auf dem Olymp, worüber unterhalten Sie sich, während Sie zu Tische liegen?
Zunächst würde ich freundlich fragen, ob wir uns setzen könnten, liegend essen bekommt mir nicht. Danach würde ich ihr erzählen, welche großartige Musik sie in den letzten Jahrzehnten verpasst hat. Vielleicht würde ich ihr ein paar Aufnahmen von Gary Moore oder Amanda Marshall vorspielen und erklären, warum Musik für mich genauso viel mit Gerechtigkeit zu tun hat wie das Recht selbst: Beides lebt von Harmonie, Balance und dem richtigen Ton.
Wie unterscheiden sich heutige Berufseinsteiger von Ihnen, als Sie in dieser Situation waren?
Sie artikulieren viel klarer, was ihnen wichtig ist, und fragen schon im Bewerbungsgespräch nach Work-Life-Balance. Früher wäre das ein Ausschlusskriterium gewesen. Heute ist es zu Recht ein zentrales, wichtiges Thema.

