Verleihung des „eJustice Cup Hessen 2022“:
EVA hat gewonnen

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Am 25.11.2022 fand der vom Hessischen Richterbund und von IBM erstmalig veranstaltete Ideenwettbewerb „eJustice Cup“ zu weiteren IT-Einsatzmöglichkeiten in der Justiz seinen krönenden Abschluss. Im Rahmen einer Festveranstaltung zur Einführung der E-Akte in der hessischen Justiz wurde der eJustice Cup in Frankfurt am Main verliehen.

Der Wettbewerb

Begonnen hatte der eJustice Cup im Juni 2022 mit einem hybriden Kick-off-Meeting. Sodann hatten die Teilnehmer etwa drei Monate Zeit, ihre Ideen zu Papier zu bringen und sie der Jury zur Begutachtung vorzulegen. Dabei waren die Vorgaben bewusst breit angelegt: Alle Ideen, die sich mit Einsatzmöglichkeiten von IT und KI in der Justiz befassten, konnten vorgeschlagen werden; die Teilnahme von Einzelpersonen und Teams aus allen gesellschaftlichen Bereichen (nicht nur der Justiz) war möglich und erwünscht. Diese Ausrichtung spiegelte sich auch in der hochkarätigen Besetzung der Jury wider: Alisha Andert, LL.M. (Vorstandsvorsitzende Legal Tech Verband), Sina Dörr (Richterin am LG Aachen, z. Zt. BMJ), Dr. Charlotte Rau (Richterin am OLG Frankfurt am Main, stellv. Vorsitzende des Richterbundes Hessen), Rechtsanwalt Tobias Freudenberg (Schriftleiter beim C.H.Beck-Verlag), Prof. Dr. Florian Möslein, LL.M. (Gründungsdirektor des Instituts für das Recht der Digitalisierung der Universität Marburg) und Eckard Schindler (Director Government des Global Industry Teams von IBM).

Über 60 Vorschläge erreichten die Jury

Die Erwartungen der Veranstalter wurden übertroffen: Mehr als 60 Vorschläge sind eingereicht worden. Dabei zeigte sich ein äußerst breites Themenspektrum: Die Ideen reichten vom volldigitalisierten Prozesskostenhilfeverfahren über den Einsatz von Virtual-Reality-Technologie an Gerichten und die Visualisierung von gerichtlichen Vergleichsvorschlägen bis hin zu KI-gestützten Rechercheprogrammen. Unter den Einreichenden befanden sich Justizbedienstete des richterlichen und nicht-richterlichen Dienstes, Studierende, Referendarinnen und Referendare sowie Start-ups, Rechtsanwälte und Hochschullehrer.

Um den Teilnehmern die Möglichkeit zu geben, ihre Ideen zu erörtern und zu verfeinern, fand anschließend in der IBM Garage for Defense in Bonn ein Präsenzworkshop statt.

Nach einer Einführung in die Grundideen des Design Thinking bestand viel Raum für den fachlich-kollegialen Austausch.
Aus allen Vorschlägen erstellte die Jury zunächst eine Shortlist mit zwanzig Vorschlägen, aus denen sie in einem zweiten Schritt die Finalisten auswählte. Ins Finale schafften es die drei folgenden Ideen:

  • Aufbau einer hessenweiten E-Learning-Plattform (Leyla Özen)
  • Effiziente Terminierung durch ein Terminierungstool (Team „digitale richterschaft“ – Simon Heetkamp, Christian Schlicht, Christina-Maria Leeb)
  • Elektronische Verfahrensassistenz für Richter (Simon Heetkamp)

Die Finalisten

Der Vorschlag von Leyla Özen, Staatsanwältin in Frankfurt am Main, betraf den Aufbau einer hessenweiten
E-Learning-Plattform. Über eine solche Plattform soll der Erfahrungsschatz aller Richter und Staatsanwälte gesammelt und in verschiedenen Formen (unter anderem Webinare, Kurzzusammenfassungen) bereitgestellt werden. Damit könnten das Expertenwissen allen Justizangehörigen zugänglich gemacht und etwa der Berufseinstieg erleichtert werden. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn ein solches Knowledge-Management-System tatsächlich umgesetzt würde. Viel zu häufig geht zurzeit das vorhandene inhaltliche und organisatorische Wissen, zum Beispiel bei Dezernatswechseln, verloren.

Der von den Verfassern als Team „digitale richterschaft“ (mehr Informationen siehe hier) eingereichte Vorschlag eines Terminierungstools zielte darauf ab, die gerichtliche Terminierung effizienter auszugestalten. Dabei sollte ein entsprechendes Tool nach individuellen, richterlichen Vorgaben zum benötigten Zeitumfang mögliche Termine aus dem Sitzungskalender auslesen, diese reservieren und – ähnlich wie bei einer Doodle-Umfrage – den Verfahrensbeteiligten vorlegen. Nach den entsprechenden Rückmeldungen würde das Terminierungsprogramm automatisch den für alle möglichen Termin festlegen, die Beteiligten laden und die übrigen Reservierungen aufheben. Dadurch sollte das Terminierungsprozedere für alle Beteiligten effizienter ausgestaltet und Terminverlegungsanträge möglichst vermieden werden.

Die vom Verfasser Simon Heetkamp eingereichte Idee einer „Elektronischen Verfahrensassistenz für Richter (EVA)“ zielte darauf ab, mögliche zivilprozessuale und materiell-rechtliche Probleme IT-gestützt zu erkennen und dem Richter oder der Richterin einen entsprechenden Hinweis nebst einer Vorlage für eine etwaige Verfügung zu geben. Damit würde ein in der E-Akte schlummerndes Potential der weiteren Unterstützung der richterlichen Tätigkeit gehoben. Beispielhaft kann hier die Angabe einer c/o-Adresse durch die Klägerpartei genannt werden. Die elektronische Verfahrensassistenz würde die entsprechende Stelle in der E-Akte markieren und zugleich eine Pop-up-Nachricht generieren. Darin würde der Hinweis auf das mögliche Zulässigkeitsproblem unter Verlinkung auf entsprechende Rechtsprechung (etwa das BGH-Urteil vom 06.04.2022 – Az. VIII ZR 262/20) und weitere Fundstellen erfolgen.

Hierdurch würde ein gegebenenfalls nicht vorhandenes Problembewusstsein geweckt werden, und eine Recherche könnte unmittelbar und zeitsparend erfolgen. Ein anderes Beispiel wäre die Markierung von (Befangenheits-)Anträgen. So könnte die Gefahr minimiert werden, dass diese in umfangreichen Schriftsätzen übersehen werden – wie etwa in einem dem Beschluss des OLG Karlsruhe vom 11.05.2022 zugrundeliegenden Verfahren (Az. 9 W 24/22).

Die Preisverleihung

Der Tag der Preisverleihung begann mit einer Eröffnungsrede des Vorsitzenden des Hessischen Richterbundes, RiOLG Dr. Johannes Schmidt, in der er die neben der Digitalisierung drängenden Fragen der Besoldung und Nachwuchsgewinnung in den Mittelpunkt stellte. Sodann folgte die Festrede des hessischen Ministers der Justiz, Prof. Dr. Roman Poseck, der als Schirmherr des eJustice Cup auch später den Pokal überreichte.

Vor dem großen Finale stand noch der fachliche Austausch: Im Rahmen eines von Richterin am OLG Dr. Charlotte Rau (stellvertretende Vorsitzende des Richterbundes Hessen) moderierten Fachpodiums erörterten der Präsident der IT-Stelle der hessischen Justiz, Sven Voss, und der Präsident des Landgerichts Limburg, Manfred Beck, den aktuellen Stand und die Perspektiven der Einführung der E-Akte in Hessen.

Nach der Präsentation der Siegervorschläge durch die Finalisten in Form von fünfminütigen Pitches zog sich die Jury zur abschließenden Beratung zurück. Sodann kürte Justizminister Poseck die Siegeridee der „Elektronischen Verfahrensassistenz für Richter (EVA)“ von Simon Heetkamp. Die Jurorin Alisha Andert begründete den Juryentscheid damit, dass die vorgeschlagene elektronische Verfahrensassistenz geeignet sei, die richterliche Arbeit durch einen IT-gestützten Workflow effizienter zu gestalten, und einen weiteren Vorteil der E-Akte offenbare.

Fazit: Viel Digitalisierungspotential in der Justiz

Mit der Frankfurter Festveranstaltung geht ein spannender und für alle Beteiligten hochinteressanter Ideenwettbewerb zu Ende, für dessen Konzeption und Durchführung dem hessischen Richterbund zu danken ist. Der Wettbewerb hat gezeigt, welches Digitalisierungspotential in der Justiz steckt und dass viele Justizbeschäftigte sich aktiv in die Digitalisierung mit eigenen Ideen einbringen können und wollen.

Ob die Siegeridee der elektronischen Verfahrensassistenz tatsächlich ihren Weg in die Justiz finden wird, ist offen. Jedenfalls will das IBM Client Engineering Team die Idee im Rahmen eines Garage-Projekts als Prototyp umsetzen.

 

simon.heetkamp@th-koeln.de

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