Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) ist deutschen Rechtsanwendern seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge. Die Tatsache, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die AGB-Kontrolle auch auf den Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen („B2B“) Anwendung findet und dass der Bundesgerichtshof bei der Strenge der Anwendung dieser Maßstäbe auch im rein unternehmerischen Verkehr keine Abstriche macht, führt dazu, dass zwischen unternehmerischen Parteien geschlossene Verträge nach deutschem Recht immer wieder unter dem Damoklesschwert des AGB-Rechts stehen. Die Folge ist, dass wesentliche Kautelen eines Vertrags etwa zur Haftungsbeschränkung möglicherweise nicht wirksam sind. Für den Rechtsstandort Deutschland ist das ein veritabler Nachteil. Denn auch wenn wir über eine moderne und leistungsstarke Justiz verfügen, die sich seit neuestem sogar mit sogenannten Commercial Courts schmückt, bleibt es doch dabei, dass Parteien üblicherweise diejenigen Gerichte in ihren Verträgen als die streitentscheidenden Gerichte aussuchen, deren Recht sie auch wählen. Nicht umsonst hat die Verbreitung beispielsweise des englischen Rechts zur häufigen Nutzung der englischen Gerichte geführt. Und die viel zitierte Neutralität der Schweiz und des schweizerischen Rechts sind die wesentliche Voraussetzung und Grund dafür, dass immer wieder die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte und Schiedsgerichte vereinbart wird. Selbst deutsche Unternehmen gehen so weit, in grenzüberschreitenden Verträgen eher das schweizerische Recht zu wählen, das eine strenge AGB-Kontrolle nicht kennt, als sich ihrem deutschen Heimatrecht zu unterwerfen. In der Praxis spricht man bei diesem Phänomen von der „Flucht aus dem deutschen Recht“.
Entsprechend vielfältig sind die Vorschläge, die in den vergangenen Jahren dazu vorgebracht wurden, wie man das deutsche AGB-Recht reformieren und seine breite Anwendung zurückdrängen könnte. Keiner dieser Vorschläge hat bislang Unterstützung durch den Gesetzgeber gefunden. Das hängt auch damit zusammen, dass der Unternehmerbegriff im deutschen (und europäischen) Recht nicht nur die am Aktienmarkt notierte Kapitalgesellschaft erfasst, sondern eben auch den Einzelhandwerker. Während man dem einen den Schutz durch das AGB-Recht insbesondere gegenüber dem anderen nicht verwehren will, scheint es widersinnig, dass sich zwei große Kapitalgesellschaften durch das AGB-Recht vorschreiben lassen sollten, was sie miteinander vereinbaren können und was nicht. Bemühungen um eine Reform des AGB-Rechts oder zumindest um praktische Lösungen, die Anwendung des deutschen AGB-Rechts zurückdrängen, sind dementsprechend lange erfolglos geblieben.
Bewegung durch die neue Bundesregierung und den BGH
Jetzt aber keimt Hoffnung. Denn aus zwei völlig unterschiedlichen Richtungen und mit unterschiedlichen Ansätzen gibt es zwei jüngere Entwicklungen, die den jahrelang perpetuierten Rechtszustand aufbrechen könnten:
Ein Ansatz kommt von der neuen Bundesregierung. Die Koalitionsparteien haben miteinander im Koalitionsvertrag vereinbart, das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen reformieren zu wollen. Dabei haben sie nach eigener Aussage große Kapitalgesellschaften nach § 267 Abs. 3 HGB vor Augen. Diese sollen sich, so heißt es in Zeilen 2.784 bis 2.787 des Koalitionsvertrages, darauf verlassen können, dass das „im Rahmen der Privatautonomie“ von ihnen „Vereinbarte auch von den Gerichten anerkannt wird“. Bei diesen Gesellschaften handelt es sich um solche, die zwei der drei folgenden Merkmale auf sich vereinigen:
- eine Bilanzsumme von 25 Millionen Euro
- ein Umsatzerlös in den letzten zwölf Monaten von 50 Millionen Euro
- im Jahresdurchschnitt 250 Arbeitnehmer
Mit diesem Ansatz greift die Koalition eine Lösung auf, die der Gesetzgeber bereits an anderer Stelle herangezogen hat, um die Anwendung des AGB-Rechts in bestimmten Bereichen auszuschließen. Die Rede ist von § 310 Abs. 1a BGB. Nach dieser Vorschrift unterfallen bestimmte Finanzdienstleistungsverträge der AGB-Kontrolle unter anderem dann nicht, wenn der Klauselgegner, also das Unternehmen, demgegenüber die AGB verwendet werden, ein „großer Unternehmer“ ist. Das setzt voraus, dass er zwei der drei folgenden Voraussetzungen erfüllt: Er hat im Jahresdurchschnitt mindestens 250 Arbeitnehmer. Er erzielt einen Umsatzerlös von mehr als 50 Millionen Euro. Und seine Bilanzsumme beläuft sich auf mehr als 43 Millionen Euro.
Dieser Ansatz der neuen Bundesregierung bedeutet sicherlich einen ersten guten Schritt. Allerdings erfasst er angesichts der Höhe der Schwellenwerte nur eine geringe Anzahl der Marktteilnehmer. Zwar liegen keine verlässlichen Statistiken dazu vor, wie viele große Unternehmen im Sinne von § 267 HGB es in Deutschland gibt. Allerdings erzielten lauten Statista im Jahr 2023 lediglich ca. 19.700 Unternehmen einen höheren Umsatz als 50 Millionen Euro. Und es gab lediglich 11.000 Kapitalgesellschaften, die mehr als 250 Mitarbeiter zählten. Der praktische Anwendungsbereich des Ausschlusses bleibt also eher gering. Dennoch besteht Grund zur Hoffnung. Denn falls sich der Vorstoß als praktikabel erweist und bewährt, mögen diese Schwellenwerte in Zukunft sinken – und damit der Anwendungsbereich des AGB-Rechts verkleinert werden.
Der zweite Ansatz zur Reduzierung der Anwendung des AGB-Rechts kommt aus der Literatur. Hier wird seit geraumer Zeit vertreten, dass man vor Schiedsgerichten das an sich zwingende deutsche AGB-Recht selbst dann wirksam abwählen kann, wenn der zugrundeliegende Vertrag von deutschen Unternehmen geschlossen wurde und diese im Übrigen deutsches Recht vereinbart haben. Denn vor Schiedsgerichten, so die Argumentation, gelten nicht die gleichen Regeln wie vor staatlichen Gerichten. Insbesondere gilt nicht die Rom-I-Verordnung, welche in Art. 3 Abs. 3 vorsieht, dass die zwingenden Regeln einer Rechtsordnung durch die Wahl einer anderen Rechtsordnung nicht derogiert werden können, wenn die Vertragsparteien eigentlich derselben abgewählten Rechtsordnung entstammen. Stattdessen können die Parteien nach deutschem Schiedsrecht ohne Einschränkung die Regeln wählen, nach welchen ihr Streit entschieden werden soll.
Die aktuelle Entscheidung des BGH
Diesem Ansatz hat der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 09.01.2025 (I ZB 48/24) zumindest mittelbar zugestimmt. Gegenstand seiner Entscheidung war die Frage, ob eine Schiedsvereinbarung, die vorsieht, dass deutsches Recht unter Ausschluss des deutschen AGB-Rechts zur Anwendung kommt, die ebenfalls im Vertrag enthaltene Schiedsklausel zu Fall bringe. Der Bundesgerichtshof bestätigte, dass die Schiedsklausel unabhängig von der Rechtswahlklausel besteht. Dies gelte unabhängig davon, ob die Schieds- und die Rechtswahlklausel ihrerseits in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder in einer individuellen Vereinbarung enthalten seien. Zwar äußerte sich der Bundesgerichtshof zu der Frage der Gültigkeit der Rechtswahlklausel selbst nicht. Er führte aber in einem längeren Obiter aus, dass die Rechtswahl als solche nur dann zu beanstanden sei, wenn sie im Einzelfall unter Anwendung der so entstehenden Rechtsregeln zu einem Ergebnis führe, welches mit dem deutschen Ordre public nicht zu vereinbaren sei.
Diese Rechtsprechung zeigt einen Weg auf, wie alle Parteien, unabhängig von ihrer Größe, einer AGB-Kontrolle durch die staatlichen Gerichte entgehen können – und zwar selbst dann, wenn sie deutsches Recht als anwendbares Recht wählen. Sie müssen lediglich die Schiedsgerichtsbarkeit als Streitbeilegungsmechanismus wählen. Bis zu einer endgültigen allgemeinen Lösung durch den Gesetzgeber ist dies die am meisten Erfolg versprechende Lösung.
Ironie der Geschichte: Dieser Lösungsweg bleibt verschlossen, wenn man stattdessen die neu eingeführten Commercial Courts anruft, die ja gerade eingeführt wurden, um den Rechtsstandort Deutschland attraktiver zu machen. Denn diese sind an die Rom-I-VO gebunden. Hier kann die Rechtswahl, die vor Schiedsgerichten möglich ist, nicht getroffen werden.


