DisputeResolution ist eine Publikation der Produktfamilie Deutscher AnwaltSpiegel

DisputeResolution ist eine Publikation der Produktfamilie Deutscher AnwaltSpiegel

Aktuelle Ausgabe

Post-M&A-Disputes – Expect the unexpected: Die Käufer- und Verkäufer­perspektive

Artikel anhören
Artikel zusammenfassen
Teilen auf LinkedIn
Teilen per Mail
URL kopieren
Drucken

Schnell wechselnde Marktbedingungen, divergierende Interessen der Vertragsparteien und die tendenziell komplexer werdenden Unternehmenstransaktionen erhöhen das Risiko von Post-M&A-Streitigkeiten. Mit welchen Bewältigungsstrategien Post-M&A-Streitigkeiten begegnet und wie ungeahnte Konfliktsituationen nach einem Deal bewältigt werden können, sind Gegenstand der Roundtable-Veranstaltung, die das Online-Magazin DisputeResolution gemeinsam mit unserem Partner Deloitte am 27.06.2024 im F.A.Z. Tower veranstaltet. Der Roundtable bietet ein zweistündiges Fachprogramm mit anschließendem Get-together und Diskussion. Zur Einstimmung haben wir ein Interview mit den Referenten Irina Novikova (Partner, Financial ­Advisory | SPA and Dispute Advice, Deloitte GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft), Christian Atzler (Partner, Chair of EMEA M&A Group, Baker McKenzie) und Dr. Kai Hasselbach (Group General Counsel, HOCHTIEF Aktiengesellschaft) geführt.

 

DisputeResolution:
Frau Novikova, Sie leiten den Bereich Financial Advisory SPA and Dispute Advice bei Deloitte. ­Welche spezifischen Herausforderungen sehen Sie in der ­aktuellen Marktdynamik für M&A-Transaktionen, und wie kann Ihr Team Unternehmensjuristen und M&A-Verantwortlichen helfen, diesen zu begegnen?

Irina Novikova:
Der M&A-Markt hat in den vergangenen Monaten deutlich gezeigt, dass das M&A-Geschäft derzeit stark von der Käufernachfrage dominiert wird. Trotz der teilweisen teuren Finanzierungen ist die Kaufbereitschaft groß – erschwerte Rahmenbedingungen aufgrund geopolitischer Spannungen und der damit verbundenen konjunkturellen Auswirkungen, wie beispielsweise erhöhte Rohstoffpreise, unkalkulierbare Folgen wie auch gestörte Lieferketten, sind Faktoren, die einen enormen Einfluss auf die Bewertung des Zielunternehmens haben und folglich die Kaufpreiskalkulation bestimmen, insbesondere bei der Vereinbarung von Earn-out-Klauseln oder bei Anwendung von Completion-Accounts.

Wir beobachten, dass Transaktionen immer komplexer werden (wie z.B. jene, die mit einer Locked-Box + Earn-out-Klausel versehen sind, oder Locked-Box-Verfahren + Assetsdeal, unterschiedliche Gruppenstrukturen, Assets + Insolvenzverfahren usw.), was eine umfassende Expertise und ein gutes Verständnis auf mehreren Ebenen erforderlich macht, das haben wir vor allem bei komplexen Carve-outs beobachtet. Verschiedene Jurisdiktionen aufgrund der Beteiligung mehrerer Länder müssen berücksichtigt werden, alle für die Transaktion relevanten Informationen müssen detailgenau erfassunt, gründlich beleuchtet und zusammengeführt werden.

Aufgrund der zunehmenden Unvorhersehbarkeit von Ereignissen ist die Wahl des richtigen Kaufpreismechanismus im SPA essentiell. Welcher Mechanismus deckt welche Risiken ab und eignet sich für die M&A-Transaktion? – Das muss letztlich klar und präzise in einen SPA gegossen werden. ­Dabei kommt es im SPA darauf an, die Regelungen möglichst exakt und eindeutig zu formulieren, so dass es keine unterschiedlichen Interpretationen oder Unklarheiten bei Eintritt bestimmter Ereignisse gibt. Im Falle eines Post-M&A-Disputes dient das Regelwerk im SPA als Kompass für die Konfliktregulierung im Falle einer nachträglicher Kaufpreis­anpassung.

Wir empfehlen immer die rechtzeitige Involvierung von ­erfahrenen Beratern aus verschiedenen Disziplinen, die ­sowohl die wirtschaftlichen, finanziellen sowie rechtlichen und steuerlichen Risiken bewerten können, das kann einen erheblichen Vorteil bringen und Risiken minimieren.

 

DisputeResolution:
Dr. Hasselbach, Sie sind Group ­General Counsel bei HOCHTIEF. Können Sie Beispiele aus Ihrer Erfahrung teilen, bei denen divergierende Interessen nach einer M&A-Transaktion zu ernsthaften Streitigkeiten geführt haben, und wie Sie diese erfolgreich bewältigt haben?

Dr. Kai Hasselbach:
Ernsthafte Streitigkeiten zwischen den Parteien ergeben sich nach meiner Erfahrung bei M&A-Transaktionen zumeist in zwei Fällen: Zum einen dann, wenn man als Käufer zu viel bezahlt, und dann versucht, Ansprüche gegen den Verkäufer geltend zu machen, um die eigene ­Position zu verbessern; dieser Fall lässt sich aber ­zumeist durch eine sorgfältige Prüfung des Unternehmens, das man erwerben will, weitestgehend vermeiden. Und zum anderen dann, wenn die Verkäufer, oder einige von ihnen, im Management des Unternehmens tätig sind, das man ­erwerben will. Treten dann nach der Akquisition erhebliche Meinungsverschiedenheiten bei der Führung und strategischen Ausrichtung des Unternehmens auf, werden nicht selten ­Ansprüche aus dem Kaufvertrag bemüht, um die eigene, davon eigentlich gar nicht berührte Position zu verbessern. In der Praxis ist das zumeist bei der Integration eines zuvor stark vom eigenen Management geführten Unternehmens in einen größeren Konzern der Fall. Hier hilft vor allem eine gute Abstimmung vor dem Erwerb und eine kluge Führung der neuen Mitarbeiter durch den Erwerber. Leider wird ­gerade dieser Punkt oftmals nicht genug beachtet. Wir ­bemühen uns ­daher bei M&A-Transaktionen immer, auch den Zeitraum nach dem Closing und die Integration des Zielunternehmens in unseren Konzern sorgfältig im Blick zu behalten, und so weit wie möglich vorauszuplanen.

 

DisputeResolution:
Herr Atzler, als Chair der EMEA M&A Group bei Baker McKenzie, welche häufigen Ursachen für Post-M&A-Streitigkeiten beobachten Sie in Ihrer Praxis, und welche proaktiven Maßnahmen können Käufer und Verkäufer ergreifen, um solche Konflikte zu minimieren?

Christian Atzler:
Ich stimme im Wesentlichen Herrn ­Kollegen Hasselbach zu. Wir haben in unserer Kanzlei eine Statistik erhoben, die zeigt, dass die meisten Streitigkeiten deshalb entstehen, weil die Käufer über die finanzielle Performance der Zielgesellschaft enttäuscht sind. Das kann etwa daran liegen, dass die Umsatz- und Gewinnerwartungen, die die Verkäufer in Aussicht gestellt haben, nicht eintreten. In den allermeisten Fällen führt eine solche Enttäuschung aber nicht zu einem Gewährleistungsanspruch der Käufer, da die Umsatz- und Gewinnerwartungen nicht garantiert werden. Anders mag der Fall dann liegen, wenn der garantierte Jahres­abschluss nicht ordnungsgemäß aufgestellt worden ist. Die Rechtsfolge der Verletzung der Bilanzgarantie sollte aus Sicht der Verkäufer – wenn in der Verhandlung durchsetzbar – auf die sogenannte Bilanzauffüllung beschränkt werden. In jedem Fall helfen klare Regelungen im Vertrag zur Haftung, etwa bei der Definition eines „Schadens“, Streitigkeiten nach Vollzug zu vermeiden.

 

DisputeResolution:
Frau Novikova, im Rahmen von Kaufpreisanpassungen und Earn-Out-Zahlungen kommt es oft zu Streitigkeiten. Welche Best-Practices empfehlen Sie, um solche Auseinandersetzungen zu vermeiden oder effizient zu lösen?

Irina Novikova:
Das ist richtig, Streitigkeiten treten häufig im Zusammenhang mit Earn-out-Zahlungen auf. Die Verwendung einer Earn-out-Klausel kann ein gutes Mittel sein, um die Transaktion abzuschließen, wenn die Kaufpreis­einschätzungen des Käufers und Verkäufers stark auseinanderklaffen. In der Praxis werden Earn-out-Klauseln erst kurz vor Unterzeichnung des SPA vereinbart, nicht selten wenige Stunden vor Abschluss des Deals, da bleibt wenig Zeit, alle Aspekte mit entsprechender Sorgfalt zu gestalten. Insbesondere bei Eintritt von Unstimmigkeiten zwischen den Vertragsparteien sind die Rahmenbedingungen und deren Verständnis essentiell.
Eine gute Zusammenarbeit zwischen Unternehmensjuristen, den M&A-Vertretern der Verkäuferpartei und externen Juristen kann eine gute Grundlage für die Vermeidung von Disputes sein, ist aber an sich keine Garantie.

Die Gestaltung eines Earn-outs sollte getreu dem Motto ­erfolgen: „Je genauer und präziser die Berechnung des Earn-outs geregelt ist, desto mehr Ärger bleibt einem erspart“.

Eine illustrative Earn-out-Berechnung kann eine gute Hilfestellung sein, um sicherzustellen, dass alle wichtigen Punkte Berücksichtigung finden. Wichtig ist, dass der Unternehmenskaufvertrag präzise auf die relevanten kaufpreisbezogenen Aspekte analysiert wird. Der SPA bildet das Herzstück einer Transaktion und sollte auch mit entsprechender Sorgfalt behandelt werden.

Bei einem Earn-out finden häufig quantitative (die Berechnung) sowie qualitative Kriterien im Unternehmenskaufvertrag Berücksichtigung, diese sind oft miteinander verbunden. Beispielweise die Markteinführung neuer Produkte (qualitative Kriterien), die als Grundlage für die quantitative Berechnung des Earn-outs dienen. Wie genau diese qualitativen Kriterien gemessen werden sollen, ist ebenfalls im Vorfeld zu berücksichtigen zu verschriftlichen.

Bei Abschluss eines Deals machen sich wenige Gedanken über einen potentiellen Disput. Häufig entwickeln sich – wie im echten Leben auch – die Dinge anders, als sie ursprünglich geplant waren. Daher ist es empfehlenswert, vorab auch das Verfahren eines Disputes zu berücksichtigen und klar zu definieren. Welche Plattform ist für etwaige Disputes die richtige? Ein Schiedsgerichtsverfahren oder ein Independent Expert? Je nach Komplexität des Geschäftes kann man sich dem Schiedsgerichtsverfahren oder der Unterstützung eines Independent-Expert-Verfahrens bedienen.

 

DisputeResolution:
Frau Novikova, Herr Atzler und Herr Hasselbach, vielen Dank für Ihre Ausführungen, die wir gemeinsam mit dem Co-Referenten in unserem anstehenden Roundtable vertiefen werden.


Hinweis der Redaktion:

Weiterer Referent des Roundtables wird Dr. Alexander Steinbrecher, LL.M. ­(Tulane), Chefjustiziar und Stabsabteilungsleiter, Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), sein. Informationen zur Veranstaltung und Anmeldung finden Sie hier.

 

Autor

Irina Novikova Deloitte GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Frankfurt am Main Partner, Financial Advisory | SPA and Dispute Advice irnovikova@deloitte.de www.deloitte.de

Irina Novikova
Deloitte GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Frankfurt am Main
Partner, Financial Advisory | SPA and Dispute Advice

irnovikova@deloitte.de
www.deloitte.de

Autor

Christian Atzler Baker McKenzie, Frankfurt am Main Partner, Chair of EMEA M&A Group christian.atzler@bakermckenzie.com www.bakermckenzie.com

Christian Atzler
Baker McKenzie, Frankfurt am Main
Partner, Chair of EMEA M&A Group

christian.atzler@bakermckenzie.com
www.bakermckenzie.com

Autor

Dr. Kai Hasselbach HOCHTIEF Aktiengesellschaft Group General Counsel kai.hasselbach@hochtief.de www.hochtief.de

Dr. Kai Hasselbach
HOCHTIEF Aktiengesellschaft
Group General Counsel

kai.hasselbach@hochtief.de
www.hochtief.de