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Das Thema der Produktverantwortung, die in allen drei Rechtsgebieten geregelt ist, stellt für Unternehmen aufgrund der potentiellen Haftungsrisiken immer wieder eine Herausforderung dar. Der Beitrag soll einen Überblick über aktuelle Gesetzgebung, Diskussionen und Rechtsprechungen in Bezug auf das Thema der Produktverantwortung geben, wobei der Fokus auf der zivilrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Produktverantwortung liegt.

Zivilrechtliche Produktverantwortung

Die zivilrechtliche Produktverantwortung regelt das Verhältnis zwischen geschädigtem Produktverwender und dem schadensverursachenden Unternehmen. Neben vertraglichen Ansprüchen aus dem Sachmängelgewährleistungsrecht spielen die gesetzliche Produkthaftung nach dem Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) und die deliktische Haftung nach § 823 BGB eine bedeutende Rolle.

Produkthaftungsrecht – Haftung nach ProdHaftG

Das ProdHaftG ist ein Umsetzungsgesetz, das die Richtlinie zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (85/374/EWG; Produkthaftungsrichtlinie, ProdHaftRL) in deutsches Recht transferiert.

Aktuell unterliegt die ProdHaftRL einer Revision durch die Europäische Kommission, bezogen auf ihre Wirksamkeit und Effektivität hinsichtlich der Herausforderungen der Digitalisierung. Nach Veröffentlichung einer Evaluation und eines Weißbuchs der Europäischen Kommission zur ProdHaftRL wurde von Oktober 2021 bis Anfang dieses Jahres eine Konsultation zur Anpassung der Haftungsregeln an das digitale Zeitalter durchgeführt, in der die betroffenen Akteure aus Wirtschaft und Recht unter anderem die andauernde Diskussion der Anwendbarkeit der ProdHaftRL auf Software erneut aufgegriffen haben.

Ob reine Information als Produkt zu qualifizieren ist und damit unter den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt, hat zuletzt der EuGH in seinem Urteil vom 10.06.2021 – C 65/20 – entschieden und die Produkteigenschaft verneint. Der beklagte österreichische KRONE-Verlag, der in einer Kolumne seiner Regionalausgabe einen fehlerhaften Gesundheitstipp veröffentlicht hatte, haftet laut EuGH nicht gegenüber der geschädigten Klägerin, die den fehlerhaften Gesundheitstipp befolgte und dadurch Gesundheitsschäden erlitt. Eine Zeitung, die einen falschen Inhalt enthält, erfülle nicht die Voraussetzungen eines fehlerhaften Produkts im Sinne der Richtlinie. Zur Begründung verwies der EuGH auf den Wortlaut der Norm, der als Auslegungsgrenze lediglich bewegliche Sachen erfasse, worunter eine Information als reine Dienstleistung nicht falle. Auch nach der Systematik der Vorschrift, unter Verweis auf die Erwägungsgründe 2 und 4 sowie auf Art. 1 der Richtlinie, die allesamt von Fehlerhaftigkeit des Endprodukts, eines Grundstoffs oder eines Teilprodukts sprechen, sei eine Dienstleistung nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst. Zwar könne eine fehlerhafte Dienstleistung, die in eine bewegliche Sache aufgenommen wurde, zur Fehlerhaftigkeit des Produkts führen, indem sich die Dienstleistung als innewohnender Faktor des Produkts auf dessen Darbietung oder Gebrauch beziehe, doch sei dies vorliegend nicht der Fall.

Ob sich die Entscheidung auf die aktuelle Diskussion der Anwendbarkeit des Produkthaftungsrechts auf Software auswirken wird, bleibt abzuwarten. So könnte sich die Ansicht, die gegen eine Anwendbarkeit des Produkthaftungsrechts auf Software plädiert und ebenfalls auf den Wortlaut der Norm als absolute Auslegungsgrenze verweist, die Argumentation des EuGH zu eigen machen. Die Gegenansicht dazu begreift den Gesetzeswortlaut lediglich als Ausgangspunkt einer Auslegung und die explizite Nennung von Elektrizität nicht als Ausnahme, sondern als beispielhafte Nennung nichtkörperlicher Produkte. Entscheidend sei nach dieser Ansicht das Telos des Produkthaftungsrechts, das Inverkehrbringen von fehlerhafter Ware und das damit verbundene Gefährdungspotential effektiv zu verhindern, wobei Ware als verkehrsfähiges Wirtschaftsgut definiert wird, worunter auch Software, die gerade ein hohes Gefahrenpotential mit sich bringen kann, fallen soll. Danach sind die Entwicklungen und Risiken des digitalen Informationszeitalters innerhalb der Auslegung zu berücksichtigen, was auch im Revisionsverfahren der Richtlinie Beachtung finden sollte. Klarstellende Regelungen bezüglich des Anwendungsbereichs der Richtlinie wären wünschenswert.

Sinn und Zweck des Produkthaftungsrechts ist es, den Nutzern eines Produkts einen Schadensersatzanspruch zur Verfügung zu stellen, mit dem die Kompensation für Schäden, die aus der Benutzung eines fehlerhaften Produkts resultieren, sichergestellt werden soll. Einen solchen Anspruch enthält § 1 des ProdHaftG, der als Gefährdungshaftung ausgestaltet ist. Entscheidende Voraussetzung ist die Fehlerhaftigkeit des Produkts, die zu einer Rechtsgutverletzung und damit zu einem kausalen Schaden geführt haben muss. Den Verantwortlichen treffen dabei Konstruktions-, Fabrikations- sowie Instruktionspflichten.

Zu der Fehlerhaftigkeit eines säurehaltigen Felgenreinigers hat zuletzt das OLG Karlsruhe in einem Hinweisbeschluss vom 04.06.2021 – 9 U 117/19 – ausgeführt und einen Konstruktions- sowie einen Instruktionsfehler verneint. Der Kläger, der einen von der Beklagten vertriebenen säurehaltigen Felgenreiniger zur Reinigung seines Motorrads nutzte und aufgrund der Konstruktion des Reinigers als Sprühflasche durch den Sprühnebel Lackschäden an säureempfindlichen Teilen des Fahrzeuges erlitt, verlangte vor dem LG Freiburg Schadensersatz und verfolgte nach Klageabweisung sein Begehren im Berufungsverfahren vor dem OLG Karlsruhe weiter. Das OLG wies darauf hin, dass die Berufung keinen Erfolg haben dürfte, da dem Kläger keinerlei Ansprüche zustünden. Ein Anspruch nach ProdHaftG scheitere, da der Felgenreiniger nicht fehlerhaft sei. Ein Konstruktionsfehler scheide aus, da das Produkt zur Felgenreinigung geeignet sei, was sich nach dem allgemein anerkannten Sicherheitsstandard richte. Die Umstände, dass es andere, nicht säurehaltige Produkte auf dem Markt gebe und dass zur Reinigung mit dem säurehaltigen Produkt besondere Vorsichtsmaßnahmen bei der Reinigung beachtet werden müssten, stünden der Geeignetheit des Produkts nicht entgegen. Gleichzeitig verneinte das OLG auch einen Instruktionsfehler, da der Hersteller zwar dazu verpflichtet sei, den Verwender vor Gefahren des Produkts hinsichtlich der gefährdeten Rechtsgüter des Verwenders (Gesundheit und Eigentum) zu warnen, diese Verpflichtung durch die Anwendungshinweise auf dem Produkt jedoch erfüllt habe. Mangels Fehlerhaftigkeit scheiterten auch ein deliktischer Schadensersatzanspruch (§ 823 Abs. 1 BGB) sowie ein vertraglicher Schadensersatzanspruch aus Mängelgewährleistungsrecht.

Eine besondere Fehlerkategorie stellt der in der Praxis häufig unbekannte Fehlerverdacht dar. In einer Entscheidung über den Schadensersatzanspruch einer gesetzlichen Krankenkasse für die Heilbehandlungskosten ihres Versicherungsnehmers, der ein von der Beklagten vertriebenes Implantat für kardiale Resynchronisationstherapien (CRT-D) zunächst einsetzen und nach Warnung des Herstellers des Implantats vor der Gefahr vorzeitiger Batterieentladung entgegen der Warnung austauschen ließ, hat das LG Essen in seinem Urteil vom 14.01.2021 – 6 O 209/20 – einen Fehler aufgrund eines Fehlerverdachts bejaht. Nach Entscheidung des LG kann ein Produkt bereits dann fehlerhaft sein, wenn zwar nicht feststeht, dass es selbst fehlerhaft ist, es aber zu einer Produktgruppe oder -serie gehört, die ein Ausfallrisiko aufweist. Zur Begründung führte das LG aus, dass bei medizinischen Produkten die erwartete Sicherheitsanforderung besonders hoch sei, was aus der Funktion der Medizinprodukte, der besonderen Schutzbedürftigkeit der Patienten und dem außergewöhnlichen Schadenspotential folge (siehe auch EuGH, Urteile vom 05.03.2015, Boston Scientific Medizintechnik, Az. C-503/13, C-504/13; BGH, Urteil vom 09.06.2015 – VI ZR 284/12). In dem konkreten Fall bejahte das LG ein Ausfallrisiko und damit einen potentiellen Produktfehler des CRT-D, da bei einer signifikanten Anzahl der Produkte der Serie vom Hersteller selbst die mitunter lebensbedrohliche Fehlfunktion der vorzeitigen Batterieentladung positiv festgestellt worden sei. Entscheidend ist nach dem OLG allein die signifikante Anzahl der fehlerhaften Serienprodukte und nicht ein höheres Ausfallrisiko im Vergleich zu Produkten anderer Hersteller. Zur Beurteilung eines „durch Körperverletzung verursachten Schadens“ i.S.v. § 1 ProdHaftG entschied das OLG im Hinblick auf den „freiwilligen“ Geräteaustausch entgegen der Herstellerwarnung, dass der Wortlaut der Norm, entsprechend dem Gesetzeszweck, weit auszulegen sei. Der Patient habe sich aufgrund des außergewöhnlichen Schadensrisikos nicht auf eine bloße Überprüfung der Funktionsfähigkeit des Geräts verweisen lassen müssen. Der Schadensumfang umfasse alles Erforderliche zur Wiederherstellung des erwartbaren Sicherheitsniveaus, eine Kürzung „neu für alt“ komme mangels Zumutbarkeit nicht in Betracht.

Deliktsrecht

Die deliktische Haftung nach § 823 BGB ist entgegen der Haftung nach ProdHaftG eine Verschuldenshaftung. Eine Besonderheit stellt die Produzentenhaftung dar, deren Haftungsgrund in der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht liegt. Die Verkehrssicherungspflicht betrifft die Pflicht, beim Inverkehrbringen eines Produkts alles Erforderliche und Zumutbare zu tun, um etwaige Gefährdungen Dritter zu verhindern, was dem Fehlerbegriff aus dem ProdHaftG gleichkommt. Anders als das ProdHaftG beschränkt das Deliktsrecht die Verkehrssicherungspflichten nicht auf den Zeitpunkt der Inverkehrgabe, so dass neben der Konstruktions-, Fabrikations- und Instruktionspflicht auch eine Produktbeobachtungspflicht gilt.

Zuletzt hat das OLG Rostock in einem Berufungsverfahren zweier Versicherungen eines Landwirts, dessen aus dem Jahre 2010 stammender und von der Beklagten hergestellter Ackerschlepper samt angehängter Quaderballenpresse während Erntearbeiten in Brand geriet, unter Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils des LG Schwerin einen Anspruch nach der Produzentenhaftung mangels Verletzung von Konstruktions- und Instruktionspflichten mit Urteil vom 16.12.2021 – 5 U 21/18 verneint. Ein Konstruktionsfehler liege nicht vor, da der Ackerschlepper in seiner Konzeption dem gebotenen Sicherheitsstandard zum Zeitpunkt seines Inverkehrbringens entsprochen habe. Der Maßstab des geltenden Sicherheitsstandards richte sich nach dem Stand der Wissenschaft und Technik, der zum Zeitpunkt der Inverkehrgabe gegolten habe. Entgegen der Rüge der Klägerinnen dürfe zur Ermittlung des damaligen neuesten Stands der Wissenschaft und Technik zwar nicht auf die damalige Branchenüblichkeit abgestellt werden, doch sei eine Heranziehung von Vergleichsmodellen in der Branche zur fraglichen Zeit nicht zu beanstanden. Im Ergebnis verneinte das Gericht das Vorliegen einer mit der Verwendung des Ackerschleppers verbundene und nicht durch konstruktive Maßnahmen vermeidbare Brandgefahr. Klarstellend, lehnte das OLG auch einen Instruktionsfehler der Beklagten ab. Eine Instruktionspflicht der Beklagten, die sich grundsätzlich aus den mit der Verwendung des Produkts besonderen Gefahren ergebe, habe nicht bestanden, da zuvor keine mit der Verwendung des Ackerschleppers verbundene Brandgefahr festgestellt werden konnte und die allgemeine Gefahr von Bränden landwirtschaftlicher Fahrzeuge bei Erntearbeiten zum allgemeinen Gefahrenwissen der Verwender gehöre, so dass es diesbezüglich keiner Warnung bedürfe.

Öffentlich-rechtliche Produktverantwortung: Produktsicherheit

Ein wesentlicher Teil der öffentlich-rechtlichen Produktverantwortung wird durch das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) geregelt.

Das ProdSG in seiner ursprünglichen Form (ProdSG a.F.) fand als Umsetzungsgesetz seine Grundlage in der europäischen Richtlinie über die allgemeine Produktsicherheit (2001/95/EG; Produktsicherheitsrichtlinie). Zur Durchführung der europäischen Verordnung (EU) 2019/1020 über Marktüberwachung und Konformität von Produkten (Marktüberwachungsverordnung, MÜ-VO) gilt seit 16.07.2021 zusammen mit dem Gesetz zur Marktüberwachung und zur Sicherstellung der Konformität von Produkten (Marktüberwachungsgesetz, MüG) ein reformiertes ProdSG (ProdSG n.F.). Die Regelungen zur Marktüberwachung wurden aus dem ProdSG a.F. in das MüG und die Regelungen zum sicheren Betrieb von Anlagen in ein eigenes Gesetz über überwachungsbedürftige Anlagen (ÜAnlG) überführt; insbesondere Letzteres ist von Seiten der Rechtsanwender zu begrüßen, da das Recht der überwachungsbedürftigen Anlagen immer arg systemwidrig quer zum Inverkehrgaberecht des ProdSG stand. Auf europäischer Ebene wird aktuell auch die Produktsicherheitsrichtlinie reformiert. Nach Veröffentlichung von Beurteilungen zur Wirksamkeit und Effektivität der Richtlinie und der Durchführung von Feedbacks und Konsultationen hat die Europäische Kommission im Juni 2021 den Entwurf einer neuen Produktsicherheitsverordnung (GPSR-E) vorgelegt, die die Sicherheit von Non-Food-Verbraucherprodukten regeln soll, die nicht sektoralen Sicherheitsvorschriften unterliegen.

Parallel dazu werden Spielzeugverordnung, Maschinenverordnung und auch die Verordnung zu künstlicher Intelligenz (KI-V) einer Revision beziehungsweise einer Neuauflage unterzogen. Dies hat erheblichen Einfluss auf das ProdSG, das sicherheitsrechtliche Anforderungen an ein Produkt enthält, die bei dessen Bereitstellung auf dem Markt erfüllt sein müssen. Der Grundsatz des ProdSG besagt, dass nur sichere Produkte auf dem Markt bereitgestellt werden dürfen. Neben der präventiven Wirkung als öffentliches Sicherheitsrecht regelt das Produktsicherheitsrecht auch die repressive Funktion der Marktüberwachung durch Behörden. Marktüberwachung ist eine der Hauptsäulen des New Legislative Framework (NLF), dessen Ziel die Gewährleistung einer effektiven EU-weiten Marktüberwachung und des freien Verkehrs sicherer Waren auf dem Binnenmarkt ist. Ursprünglich befanden sich die Regelungen zur Marktüberwachung in den §§ 26 ff. ProdSG a.F. Nach Reformierung des ProdSG und Durchführung der EU-MÜ-VO (s.o.) enthält nun das nationale MüG die relevanten Vorschriften zur Marktüberwachung, womit eine einheitliche Marktüberwachung für harmonisierte und nichtharmonisierte Non-Food-Produkte sichergestellt werden soll.

Zum ProdSG. a.F. hat zuletzt das VG Minden mit Urteil vom 22.03.2021 – 3 K 3087/19 – zu der Frage, ob der Kläger, dessen Enkelkind sich die Hand in einer Küchenschublade, die von der Beigeladenen zu 2. hergestellt und von der Beigeladenen zu 1. verkauft wurde, eingeklemmt hatte, von der beklagten Bezirksregierung ein Einschreiten gegenüber beiden Beigeladenen im Rahmen der Marktüberwachung verlangen könnte, ausgeführt und im Ergebnis verneint. Das VG wies die Klage als unzulässig ab, da dem Kläger die erforderliche Klagebefugnis fehle. Die Marktüberwachungsmaßnahmen würden nicht dem individuellen Interesse eines Marktteilnehmers dienen und damit kein einklagbares subjektives Recht eines Einzelnen auf Einschreiten der Marktüberwachungsbehörde vermitteln. Das VG betonte, dass Marktüberwachungsmaßnahmen nach dem ProdSG a.F. ausschließlich dem Schutz des Markts, also einem öffentlichen Interesse, dienten und verwies zur Begründung unter anderem auf die Begriffsbestimmung von Marktüberwachungsmaßnahmen, wonach die Sicherheit und Gesundheit von Personen aufgrund der alternativen Verknüpfung „oder“ mit anderen im öffentlichen Interesse geschützten Bereichen rein im öffentlichen Interesse liege. Das VG stellte auch die Unbegründetheit der Klage klarstellend fest, da die Voraussetzungen zu weiteren Marktmaßnahmen nicht gegeben seien. Aufgrund der angemessenen Risikobewertung der Bezirksregierung anhand des RAPEX-Leitfadens bestünde kein ernstes Sicherheitsrisiko, das einen Produktrückruf rechtfertigen könnte. Auch bedürfe es keiner Anordnung weiterer niederschwelliger Marktüberwachungsmaßnahmen, da es an einem begründeten Verdacht eines Sicherheitsrisikos fehle und hinsichtlich der fehlenden CE-Kennzeichnung bereits ein Verwaltungsverfahren laufe, wobei das VG hinweisend betonte, dass der bloße formale Verstoß mangels Verhältnismäßigkeit noch keine der begehrten Maßnahmen rechtfertigen könnte.

Mittelfristig ist aus unserer Sicht die Meinung des VG nicht aufrechtzuerhalten, dass zwischen dem öffentlichen und dem individuellen Interesse ein Unterschied bestehe. Soweit die Produkte generell unsicher und damit nicht verkehrsfähig sind, ist das Interesse des Einzelnen an der Einstellung von Vertrieb und Bereinigung des Markts ein Abbild der öffentlichen Interessen, demzufolge die Behörde richtigerweise wegen ein und desselben Sachverhalts einzuschreiten hätte.

Über die Rechtmäßigkeit von Marktüberwachungsmaßnahmen hatte das VG Freiburg in seinem Urteil vom 14.12.2021 – 9 K 3417/20 – aufgrund der Klage eines Unternehmens, das Totfangtierfallen über einen Onlinehandel vertreibt und mittels Ordnungsverfügung verpflichtet wurde, eine EG-Konformitätserklärung, eine Betriebsanleitung in deutscher Sprache sowie eine Risikobeurteilung vorzulegen und bis dahin den Vertrieb der Produkte zu unterlassen, zu entscheiden. Die Klage blieb ohne Erfolg, das VG bestätigte die Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung. Das ProdSG a.F. sei parallel neben dem Übereinkommen über internationale humane Fangnormen zwischen der Europäischen Gemeinschaft, Kanada und der Russischen Föderation (Fangnormen-Übereinkommen) anwendbar, da beide Regelwerke unterschiedliche Schutzrichtungen verfolgten. In der Sache entschied das VG, dass die Totfangtierfallen aufgrund des beweglichen Fangmechanismus durch eine Federspannung Maschinen seien, die nicht den Vorschriften des ProdSG a.F. in Verbindung mit der Richtlinie über Maschinen (2006/42/EG; Maschinen-Richtlinie) entsprächen. Aufgrund des automatischen Fangmechanismus bestünden sowohl für den Verwender als auch für Dritte oder etwaige Haustiere erhebliche Verletzungsgefahren, so dass es einer Risikobeurteilung und einer Bedienungsanleitung in deutscher Sprache bedürfe, um vor den Gefahren hinreichend zu warnen. Auch das Vertriebsverbot sei daher aufgrund der sicherheitsrechtlichen Mängel bis zur Vorlage der erforderlichen Dokumente zur Gewährleistung der Sicherheit und Gesundheit der Verwender, unbeteiligter Dritter und etwaiger Haustiere erforderlich und angemessen gewesen.

Auch wenn das Produktsicherheitsrecht öffentlich-rechtliches Recht darstellt, können über die Vorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) Verstöße gegen das ProdSG als unlautere Handlung im Sinne einer Zuwiderhandlung gegen Marktverhaltensregeln in Zivilverfahren geahndet werden. Ein Unternehmen, das gegen produktsicherheitsrechtliche Vorschriften verstößt, muss daher nicht nur behördliche Marktüberwachungsmaßnahmen, sondern auch lauterkeitsrechtliche Klagen anderer Marktteilnehmer befürchten.

So hatte das OLG Hamm in seinem Beschluss vom 15.12.2020 – I-4 W 116/20 – im Rahmen einer sofortigen Beschwerde über lauterkeitsrechtliche Ansprüche der Antragstellerin und damit verbunden über die Medizinprodukteigenschaft von „Stoffmasken“, die die Antragsgegnerin vertreibt, sowie über eine Hinweispflicht zur fehlenden Produkteigenschaft zu entscheiden. Das OLG wies die sofortige Beschwerde zurück, da der Antragstellerin ein Verfügungsanspruch fehle. Ein lauterkeitsrechtlicher Unterlassungsanspruch wegen Verletzung produktsicherheitsrechtlicher Vorschriften scheitere an der fehlenden Eigenschaft der Stoffmasken als Medizinprodukt. Das OLG führte aus, dass sich die Medizinprodukteigenschaft nach der Bestimmung des Produkts, einem medizinischen Zweck zu dienen, richte, was primär anhand der subjektiven Bestimmung des Herstellers, wie sie aus dessen Produktangaben erkennbar sei, zu beurteilen sei. So seien keinerlei Angaben des Herstellers diesbezüglich vorhanden gewesen. Auch die Gestaltung der Maske als Stoffmaske mit aufgedruckter Comiczeichnung spreche gegen eine Bestimmung als Medizinprodukt. Die Angaben aus der geltenden Coronaschutzverordnung bezüglich der Schutzwirkung von Stoffmasken zur Virenabwehr seien zur Zweckbestimmung der Produkte irrelevant. Das Gericht verneinte auch einen lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruch, da es keines klarstellenden Hinweises auf die fehlende Eigenschaft der Stoffmasken als Medizinprodukt bedürfe. Zuletzt stehe der Antragstellerin auch kein Unterlassungsanspruch aus UWG in Verbindung mit den Bestimmungen des ProdSG zu, da die Stoffmasken – im Gleichlauf zur Prüfung der Medizinprodukteigenschaft – nicht der Verwendung zu medizinischen Zwecken dienten, womit keine Verpflichtung nach § 3 Abs. 4 ProdSG zur Mitlieferung einer Gebrauchsanweisung bestünde.

Auch das LG Dortmund hatte zuletzt in seinem Urteil vom 26.01.2021 – 25 O 192/20 – über eine UWG-Klage wegen einer fehlenden deutschsprachigen Bedienungsanleitung zu entscheiden. Der Beklagte betreibt eine Vertriebsplattform, auf der er ein Produkt in deutscher Sprache mit fehlerhaften Hinweisen auf dessen Wirkungsweise bewirbt und auf das Vorliegen einer Bedienungsanleitung in englischer Sprache hinweist. Der Kläger, dem mehrere Unternehmen angehören, die gleiche Waren auf demselben Markt vertreiben, verlangte mit seiner Klage die Unterlassung des Vertriebs des Produkts ohne deutschsprachige Bedienungsanleitung und wegen der fehlerhaften Bewerbung des Produkts. Das LG gab der Klage statt. Dem Kläger stünde ein Unterlassungsanspruch gegen den Vertrieb des Produkts ohne Bedienungsanleitung in deutscher Sprache nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) zu. Der Beklagte sei nach § 3 Abs. 4 ProdSG dazu verpflichtet, dem Produkt eine deutsche Gebrauchsanweisung beizufügen, da bei Verwendung des Produkts Regeln zum Sicherheits- und Gesundheitsschutz zu beachten seien, was sich aus der englischen Gebrauchsanweisung, die zahlreiche Warn- und Sicherheitshinweise enthalte, ergebe. Allein anhand der Symbole werde deutlich, dass bestimmte Gefahren bei der Verwendung des Produkts zu berücksichtigen seien. Das LG bestätigte ebenfalls den Anspruch des Klägers auf Unterlassung der Werbeaussagen nach UWG. Die Werbeaussagen in Bezug auf die Wirkungsweise des Produkts enthielten unwahre Angaben über die nicht bestehende gesundheitskosmetische Wirkung auf die Haut.

Seit den Entscheidungen des BGH aus 2017 geht mit entsprechenden Unterlassungs- und Auskunftsbegehren regelmäßig auch ein Anspruch auf Rücknahme der betroffenen Produkte aus der Lieferkette bis hin zum Rückruf vom Endkunden einher. Somit besteht erheblicher Einfluss des Wettbewerbsrechts auf den Business-Case im Ganzen, der erst durch die Verbindung mit den produktrechtlichen Vorschriften im weiteren Sinne möglich wird.

Versicherungsrecht

Entsprechend der dargestellten Produktverantwortung und den damit verbundenen Haftungsrisiken spielt die Frage der Versicherbarkeit dieser Risiken eine entscheidende Rolle für alle beteiligten Unternehmen. Die Versicherbarkeit der genannten Haftungsrisiken lässt sich in vier Teilbereiche untergliedern: die Betriebshaftpflichtversicherung (BHV), die konventionelle Produkthaftpflichtversicherung, die erweiterte Produkthaftpflichtversicherung und die Rückrufkostenversicherung.

Zu der konventionellen Produkthaftpflichtversicherung hat zuletzt das OLG Brandenburg in seinem Urteil vom 21.04.2021 – 11 U 43/20 – entschieden, dass einer Versicherung ein Wahlrecht hinsichtlich des produkthaftungsrechtlichen Leistungsanspruchs zustehe. Mit ihrer Klage in erster Instanz verlangte die Klägerin, ein Unternehmen, das Metallstifte produziert und Versicherungsnehmerin bei der Beklagten ist, Schadensersatz, nachdem eine Abnehmerin der Klägerin wegen Lieferung fehlerhafter Metallstifte die Rechnungssummen eigenmächtig gekürzt hatte. Das LG Potsdam wies die Klage ab. Das OLG Brandenburg bestätigte das Urteil des LG und wies die Berufung zurück. Der Klägerin stünde kein unmittelbarer Leistungsanspruch aus § 100 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) in Verbindung mit dem Versicherungsvertrag zu. Die Beklagte habe ihre Vertragsverpflichtung durch den Versuch der Anspruchsabwehr erfüllt. Der Versicherer sei verpflichtet, den Versicherungsnehmer von berechtigten Ansprüchen freizustellen oder aber unbegründete Ansprüche abzuwehren. Daraus folge, dass die Klägerin als Versicherungsnehmerin nur auf Feststellung klagen könne, dass der Versicherer wegen einer Haftpflichtforderung allgemein Versicherungsschutz zu gewähren habe. Dem Haftpflichtversicherer stünde nach ständiger Rechtsprechung ein Wahlrecht zwischen Anspruchsabwehr und Anspruchsbefriedigung zu. Ein Haftpflichtversicherer habe seine Leistungsverpflichtung hinsichtlich der Abwehr von für unberechtigt gehaltene Ansprüche dann erfüllt, wenn er sie anbiete und die Abwehr gelinge. Dies sei durch ein Schreiben der Beklagten an die Abnehmerin erfolgt. Ein weitergehender Leistungsanspruch der Klägerin bestehe nicht, da ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegenüber der Abnehmerin nicht gerichtlich festgestellt worden sei. Es sei nicht unbillig oder sittenwidrig, wenn der Haftpflichtversicherer von dem Versicherungsnehmer fordere, die Haftpflichtansprüche rechtskräftig feststellen zu lassen. Gleichzeitig lehnte das OLG die in der Literatur vertretene Rechtsauffassung ab, dass der Freistellungsanspruch sich in einen Zahlungsanspruch umwandeln könne, wenn der geschädigte Dritte mit einer Forderung aufrechne und der Versicherer auf einen Prozess des Versicherungsnehmers gegen den Geschädigten verzichte. Zum einen sei diese Ansicht nicht auf die Fälle anwendbar, in denen der Versicherer sein Wahlrecht schon ausgeübt habe, zum anderen habe die Klägerin der Beklagten auch nicht die Möglichkeit eingeräumt, gegen die Aufrechnung der Abnehmerin gerichtlich vorzugehen. Zuletzt habe auch kein berechtigter Drittschaden aufgrund eines Anerkenntnisses der Klägerin vorgelegen, da dies ohne Zustimmung der Versicherung nur bei begründeten Ersatzansprüchen des Dritten möglich wäre, was die Klägerin aber nicht hinreichend dargelegt und bewiesen habe.

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