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Die neue EU-Entgelttransparenzrichtlinie

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Die am 06.06.2023 in Kraft getretene EU-Entgelttransparenzrichtlinie (Richtlinie (EU) 2023/970) soll angesichts eines weiterhin erheblichen Gender-Pay-Gaps in der Europäischen Union die Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen weiter fördern. 2023 betrug der unbereinigte Gender-Pay-Gap in der EU im Durchschnitt 12% mit starken Abweichungen unter den einzelnen Ländern. Für Deutschland betrug es 17,6% (siehe hier). Obwohl der deutsche Gesetzgeber die Richtlinie erst bis zum 07.06.2026 in deutsches Recht umsetzen muss, sollten sich Unternehmen bereits jetzt intensiv mit den bevorstehenden Änderungen auseinandersetzen. Die Richtlinie bringt umfassende neue Anforderungen und Pflichten für Arbeitgeber mit sich, die eine frühzeitige Vorbereitung erfordern, um rechtliche Risiken zu minimieren und eine faire Vergütungspraxis zu gewährleisten. Etwaige Anpassungen bisheriger Entgeltstrukturen sollten bereits 2025 erfolgen, um Schadensersatzansprüchen und Imageschäden vorzubeugen.

Neue EU-Richtlinie zur Entgelttransparenz – Was Arbeitgeber beachten sollten

Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie zielt darauf ab, die Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen durch erhöhte Transparenz und erleichterte Durchsetzung von Ansprüchen zu fördern. Unternehmen müssen sich auf neue rechtliche Anforderungen einstellen, darunter:

  • Auswirkungen auf den Bewerbungsprozess: Arbeitgeber müssen Stellenbewerbern Informationen über das Einstiegsentgelt bereitstellen.
  • Mitteilungs- und Auskunftspflichten: Alle Arbeitgeber sind verpflichtet, Informationen über die Kriterien zur Festlegung des Entgelts und der Entgeltentwicklung mitzuteilen.
  • Berichtspflichten: Unternehmen mit mindestens 150 Beschäftigten müssen ab 2027 regelmäßig Berichte über ihre Entgeltstruktur im Vorjahr erstellen und veröffentlichen. Diese Berichtspflichten gelten später auch ab 100 und je nach der gewählten Umsetzung in deutsches Recht auch bei weniger als 100 Beschäftigten.
  • Mitbestimmung durch Arbeitnehmervertreter: Die Richtlinie stärkt die Rechte der Arbeitnehmervertretungen, insbesondere in Form einer gemeinsamen Entgeltbewertung.
  • Datenschutz: Arbeitgeber müssen sicherstellen, dass die Verarbeitung von Beschäftigtendaten datenschutzkonform erfolgt.

Der Einfluss der Entgelttransparenzrichtlinie auf den Bewerbungsprozess

Stellenbewerber werden das Recht haben, Informationen über das Einstiegsentgelt für die betreffende Stelle oder dessen Spanne zu erhalten (Artikel 5 der Richtlinie). Unternehmen können entweder eine konkrete Summe oder eine Gehaltsspanne angeben. Die Informationen sind bereits vor dem Vorstellungsgespräch bereitzustellen. Zudem dürfen Arbeitgeber zukünftig nicht mehr nach dem bisherigen Entgelt der Bewerber fragen. Das Verbot dient dem Zweck, geschlechtsspezifische Entgeltdiskriminierung zu vermeiden.

Transparenzmitteilungen und Auskunftsrechte erheblich erweitert

Arbeitgeber werden verpflichtet, ihrer Belegschaft Informationen über die Kriterien zur Festlegung des Entgelts und der Entgeltentwicklung zur Verfügung zu stellen (Artikel 6 und 7 der Richtlinie). Mitarbeitende haben das Recht, Auskünfte über ihre individuelle Entgelthöhe sowie die durchschnittlichen Entgelthöhen vergleichbarer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verlangen. Diese Informationen müssen innerhalb von zwei Monaten bereitgestellt werden. Die Festlegung von „Gruppen von Arbeitnehmern“ mit „gleicher oder gleichwertiger Arbeit“ wird eine Herausforderung sein, da diese nach geschlechtsneutralen Kriterien erfolgen muss und verschiedene Faktoren wie Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung und Arbeitsbedingungen berücksichtigt werden müssen.

Umfangreiche Berichtspflichten für Unternehmen ab 100 Mitarbeitenden

Umfangreiche Berichtspflichten für Unternehmen ab 100 Mitarbeitenden sieht die Richtlinie vor. Unternehmen müssen Daten über das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle und andere relevante Kennzahlen bezogen auf das Vorjahr erheben und veröffentlichen (Artikel 9 der Richtlinie). Die Berichtspflicht ist gestaffelt und beginnt für Unternehmen mit mindestens 150 Beschäftigten bereits im Jahr 2027. Die genaue Staffelung lautet:

  • Unternehmen mit mindestens 250 Beschäftigten: Bericht erstmals bis 07.06.2027, jährlich.
  • Unternehmen mit 150 bis 249 Beschäftigten: Bericht erstmals bis 07.06.2027, alle drei Jahre.
  • Unternehmen mit 100 bis 149 Beschäftigten: Bericht erstmals bis 07.06.2031, alle drei Jahre.

Die Daten sind den nationalen Stellen zu melden, die mit der Sammlung und Veröffentlichung dieser Angaben betraut sind. Diese Stellen machen die Daten unverzüglich öffentlich zugänglich. Unternehmen müssen über sämtliche Gehaltsbestandteile und das Entgeltgefälle bei Gruppen von Arbeitnehmern berichten. Das heißt, auch hier kommt es darauf an, sich frühzeitig über die Gruppeneinteilung für Arbeitnehmer mit gleicher oder gleichwertiger Arbeit Gedanken zu machen.

Entgelttransparenz und betriebliche Mitbestimmung – Neue Anforderungen an Unternehmen

Die Rechte der Arbeitnehmervertretungen werden durch die Richtlinie gestärkt. Unternehmen mit 100 oder mehr Beschäftigten sind zukünftig zur Durchführung einer gemeinsamen Entgeltbewertung in Zusammenarbeit mit der Arbeitnehmervertretung verpflichtet (Artikel 10 der Richtlinie). Diese Bewertung ist obligatorisch, wenn ein Unterschied bei der durchschnittlichen Entgelthöhe von mindestens 5% zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern besteht und nicht objektiv gerechtfertigt werden kann. Die neuen Pflichten nach der Entgelttransparenzrichtlinie gehen über die bereits bestehenden Rechte der Arbeitnehmervertretungen – insbesondere der bereits und in diesem Zusammenhang auch fortbestehenden Mitbestimmungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz – hinaus und erfordern eine detaillierte Analyse und Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretungen.

Entgelttransparenz und Datenschutz

Die Umsetzung der Richtlinie erfordert eine datenschutzkonforme Verarbeitung von Beschäftigtendaten. Unternehmen müssen sicherstellen, dass personenbezogene Daten nur zur Anwendung des Grundsatzes gleichen Entgelts verwendet werden und nicht für andere Zwecke. Dies betrifft insbesondere die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten. Herausforderungen bei der Erfassung der Arbeitnehmerdaten und der Mitteilung im Rahmen der Auskunftspflichten sind zu erwarten, insbesondere wenn die Offenlegung Rückschlüsse auf das Gehalt einzelner Mitarbeiter zulässt.

Gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen und Beweislastumkehr

Für benachteiligte Mitarbeiter sieht die Richtlinie umfassende Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche vor. Zudem wird die Beweislast bei vermuteter geschlechtsspezifischer Entgeltdiskriminierung auf den Arbeitgeber verlagert. Arbeitgeber müssen aktiv nachweisen, dass keine Diskriminierung vorliegt, wenn sie die geforderten Transparenz- und Berichtspflichten nicht erfüllen. Die konkrete Ausgestaltung der möglichen Bußgelder bleibt abzuwarten.

Fazit: Jetzt aktiv werden

Bereits jetzt sollten sich Arbeitgeber intensiv mit den kommenden Änderungen auseinandersetzen und entsprechende Vorbereitungen treffen, um die Anforderungen der Entgelttransparenzrichtlinie bei ihrem Inkrafttreten zu erfüllen und etwaige Entgeltdifferenzen gering zu halten bzw. objektiv rechtfertigen zu können. Dazu empfehlen sich folgende Maßnahmen:

Überprüfung der Entgeltstrukturen: Unternehmen sollten ihre Vergütungsstrukturen auf geschlechtsneutrale Kriterien hin überprüfen und gegebenenfalls anpassen. Dies setzt auch voraus, sich über die Gruppen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit gleicher oder vergleichbarer Arbeit klar zu werden und umfangreiche Vergütungsdaten zu sämtlichen Vergütungsbestandteilen zu sammeln und auszuwerten. Für Entgeltdifferenzen können so die näheren Gründe ermittelt und dahingehend überprüft werden, ob diese durch objektive geschlechtsneutrale Kriterien zu rechtfertigen sind.

Schulung von Führungskräften: Führungskräfte sollten im Hinblick auf die neuen Anforderungen geschult und mit eingebunden werden, um 2025 anstehende Entgelterhöhungen auch zum Ausgleich von geschlechterbezogenen Entgeltdifferenzen zu nutzen.

Zusammenarbeit mit Arbeitnehmervertretungen: Eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmervertretungen kann mögliche Konflikte vermeiden und die Umsetzung der Richtlinie erleichtern.

Durch proaktive Maßnahmen können Arbeitgeber nicht nur rechtliche Risiken minimieren, sondern auch ein positives Arbeitsumfeld schaffen, das Entgeltgleichheit fördert. Dieses hilft zugleich bei der Mitarbeitergewinnung und -bindung in Zeiten von Fachkräftemangel. 

Autor

Sabine Wahl, LL.M. Osborne Clarke, Köln Counsel, Fachanwältin für Arbeitsrecht, Maître en Droit

Sabine Wahl, LL.M.

Osborne Clarke, Köln
Counsel, Fachanwältin für Arbeitsrecht, Maître en Droit


sabine.wahl@osborneclarke.com
www.osborneclarke-arbeitsrecht.de


Autor

Karin Sültrop, LL.M. Osborne Clarke, Köln Senior Associate, Fachanwältin für Arbeitsrecht

Karin Sültrop, LL.M.

Osborne Clarke, Köln
Senior Associate, Fachanwältin für Arbeitsrecht


karin.sueltrop@osborneclarke.com
www.osborneclarke-arbeitsrecht.de