KLARTEXT ist das neue kompakte Interviewformat im Deutschen AnwaltSpiegel, das sich in loser Folge mit den disruptiven Veränderungen im Rechtsmarkt beschäftigt. Ziel ist es, einen praxisnahen Einblick in die Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung und der KI-Integration aus der Perspektive von Kanzleien und Rechtsabteilungen zu geben. Thomas Wegerich sprach mit Dr. Martin Vorsmann, Managing Partner von CMS.
Deutscher AnwaltSpiegel: KI verändert den Rechtsmarkt grundlegend. Und das disruptiv. Eine zuvor nie gesehene Veränderungsgeschwindigkeit trifft auf ein in weiten Teilen noch immer eher konservatives unternehmerisches Umfeld. – Wie geht CMS damit um?
Dr. Martin Vorsmann: Erst einmal zur Ausgangshypothese Ihrer Frage: Ja, KI verändert den Rechtsmarkt. Die Veränderungen sind bereits sichtbar. Wie grundlegend und wie disruptiv sie sich mittel- und langfristig entwickeln werden, muss sich aber erst noch zeigen. Nachdem unserer Branche vor zwei oder drei Jahren schon der Untergang prophezeit wurde, sehen wir nun mancherorts bereits einen publizistischen Gegentrend, der vor allem die Limitierungen der KI-Technologien beleuchtet. Ich persönlich erwarte in den kommenden Jahren eine durchaus tiefgreifende Veränderung des anwaltlichen Berufsbilds, dessen Kern aber erhalten bleiben und das sich in manchen Bereichen auch erweitern wird.
Wir wissen nicht im Detail, wie diese Veränderung auf längere Sicht aussehen wird, aber wir wissen, dass sie kommt, und wir müssen und werden vorbereitet sein. CMS war und ist unter den großen Wirtschaftskanzleien schon immer sehr technikaffin mit einem der größten Legal-Tech-Teams im deutschen Markt. Angesichts der Bedeutung der Thematik haben wir daneben jüngst ein partnerbesetztes AI-Board installiert, das das Management bei strategischen Entscheidungen und der Priorisierung der zahlreichen AI-bezogenen Projekte und Maßnahmen unterstützt.
Es geht nun darum, die technische KI- und die fachliche Expertise in allen Bereichen unserer Unternehmensorganisation noch stärker als bisher miteinander zu verschmelzen und den richtigen Mindset breit zu implementieren. Wir verwenden derzeit erhebliche Ressourcen auf die fachspezifische Aus- und Fortbildung und die Erhöhung der praktischen Verfügbarkeit und mandatsbezogenen Anwendung von KI. Dabei ist unser breites fachliches Portfolio mit sehr unterschiedlichen Use-Cases gleichermaßen eine Herausforderung wie ein Wissens- und Anwendungsvorteil.
Zu guter Letzt ist hier neben zahlreichen Kooperationen mit Legal-AI-Anbietern auch unser Investment bei Noxtua als Begleiter der ersten Stunde zu nennen.
Deutscher AnwaltSpiegel: Erwarten Sie einen Paradigmenwechsel? Werden weniger Associates eingestellt, weil KI viele juristische Aufgaben übernimmt, die bisher jungen Berufsträgern vorbehalten waren? Wie verändert das die Ausbildung von Associates in Wirtschaftskanzleien? Und was bedeutet das für die Gehaltsspirale, die seit vielen Jahren – bisher – nur die Richtung nach Norden kennt?
Dr. Martin Vorsmann: Auch hier kommen derzeit mehrere Entwicklungen zusammen. Der ganz große Druck auf die Gehälter hat in der jüngsten Vergangenheit etwas nachgelassen, und die Einstellungszahlen gehen zurück. Ob das an einem marktbreiten Strategiewechsel bei der Einstellung von Berufsanfängern wegen KI liegt, wie vielfach angenommen wird, ist aus meiner Sicht allerdings nicht ganz klar. Es spielt sicher eine Rolle. Wir sehen aber vor allem auch, dass sich der Markt in einigen sehr personalintensiven Bereichen jüngst nicht mehr ganz so dynamisch entwickelt hat wie zuvor über viele Jahre hinweg.
Die Frage nach der Zukunft der Ausbildung der jungen Kolleginnen und Kollegen stellt sich bei uns nicht anders als in allen anderen wissensbasierten Dienstleistungsbranchen. Es gibt nach meinem Eindruck im Wesentlichen zwei Theorien. Zum einen, KI werde die jungen Kolleginnen und Kollegen ertüchtigen, viel schneller in die „hochwertigen“ Beratungsfelder einzudringen, und das Lernen massiv beschleunigen. Zum anderen, genau das werde viel schwieriger, weil es dort vor allem um Erfahrung gehe, die aufzubauen durch die „KI-Konkurrenz“ erschwert und verzögert werde. Ich stehe der letzten Position näher, weil gerade das hochwertige Erfahrungswissen nicht durch Technikanwendung erworben werden kann. Aber da gibt es auch bei uns unterschiedliche Auffassungen.
Deutscher AnwaltSpiegel: Was folgt aus der absehbaren Entwicklung im Rechtsmarkt für das Geschäftsmodell von CMS? Braucht es neue Rollen, neue Qualifikationen bei den Berufsträgern? Wenn ja: Welche?
Dr. Martin Vorsmann: Juristische Exzellenz und Leistungsbereitschaft werden für unsere Berufsträger weiterhin das A und O ihrer Tätigkeit bleiben. Im Übrigen glaube ich, man muss unterscheiden: In unseren Tätigkeitsfeldern, die stark durch die „technische“ Rechtsanwendung geprägt sind, werden sich die Dinge neu sortieren – sei es durch neue KI-gestützte Angebote, oder sei es durch interne Effizienzgewinne. Das wird sich möglicherweise mittel- und langfristig auch breiter in den Nebenqualifikationen unserer Berufsträger niederschlagen. Im Bereich der strategischen Rechtsberatung werden sich die Dinge hingegen nicht so stark verändern. Spannend sind vor allem die Querschnittsbereiche, in denen sich diese beiden Profile sich überlagern.
Deutscher AnwaltSpiegel: Konkret: Welche Erwartungshaltung Ihrer Mandanten in Bezug auf den Einsatz von KI können Sie feststellen? Und was heißt das für Vergütungsmodelle im Rechtsmarkt? – Die Billable Hour ist schon sehr oft totgesagt worden. Läutet KI jetzt das Sterbeglöckchen?
Dr. Martin Vorsmann: Auch hier erwarte ich eine differenzierte Entwicklung. In standardisierbaren und eher technischen Leistungsbereichen wird es eine zügige Entwicklung hin zum Rechtsdienstleistungsprodukt geben, in der sich ganz eigene Preismodelle entwickeln werden. In der strategischen Rechtsberatung wird die bestehende Abrechnungspraxis aber noch eine ganze Weile tragfähig bleiben, zumal die Billable Hour vielfach nicht in Reinform abgerechnet wird, sondern häufig als Kalkulationsgrundlage für eine ganzheitlichere Preisgestaltung dient.
Die Mandantenanforderungen sind noch sehr unterschiedlich. Teils wird der Einsatz von KI – mal mit mehr, mal mit weniger Verständnis für die Materie – als nahezu selbstverständlich vorausgesetzt und eingefordert, teils wird er nach wie vor abgelehnt.
Deutscher AnwaltSpiegel: Der Blick in die Glaskugel: Wie wird der zunehmende Einsatz von KI den Rechtsmarkt verändern in zwei und in fünf Jahren? – „Doomsday ahead“ oder (doch) weiter „Business as usual“?
Dr. Martin Vorsmann: Das ist in der Tat ein Blick in die Glaskugel. Wir sprechen bei KI – sowohl im Rechtsbereich als auch ganz allgemein – von Märkten, die sich in Zukunft noch über längere Zeiträume allein aufgrund der technologischen Fortschritte sehr dynamisch entwickeln werden. Meine persönliche Erwartung ist durchaus, dass sich erhebliche Teile des Rechtsmarkts neu sortieren werden. Die wirklich spannende Frage ist, wie disruptiv diese Entwicklung tatsächlich sein wird. Wenngleich die zunehmende Verfügbarkeit praxistauglicher Legal-AI-Produkte nicht nur die Arbeit in den Kanzleien verändert, sondern voraussichtlich auch die Arbeitsverteilung zwischen Rechtsabteilungen und Kanzleien, bin ich überzeugt, dass es weiterhin einen gesunden Markt für die hochwertige externe, also anwaltliche Begleitung unserer Unternehmensklientel geben wird, wobei sich die Schwerpunkte sicherlich verschieben werden und die ganzheitliche, strategisch geprägte und natürlich rechtlich fundierte Beratung noch stärker in den Vordergrund rückt. Für die, die sich dem Thema stellen, bringen die Herausforderungen dieser vor uns liegenden Transformation dabei auch enorme Chancen.
Deutscher AnwaltSpiegel: Herr Vorsmann, vielen Dank für die wertvollen Einblicke, die Sie unseren Lesern gewährt haben.
© Autorenfoto: CMS Deutschland / Foto: Tobias Koch


