KLARTEXT ist das neue kompakte Interviewformat im Deutschen AnwaltSpiegel, das sich in loser Folge mit den disruptiven Veränderungen im Rechtsmarkt beschäftigt. Ziel ist es, einen praxisnahen Einblick in die Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung und der KI-Integration aus der Perspektive von Kanzleien und Rechtsabteilungen zu geben. Thomas Wegerich sprach mit Prof. Dr. Nils Gruske, Partner bei unserem langjährigen Strategischen Partner kallan.
Deutscher AnwaltSpiegel: KI verändert den Rechtsmarkt grundlegend. Und das disruptiv. Eine zuvor nie gesehene Veränderungsgeschwindigkeit trifft auf ein in weiten Teilen noch immer eher konservatives unternehmerisches Umfeld. Wie geht kallan damit um?
Prof. Dr. Nils Gruske: kallan begegnet dem disruptiven Wandel durch KI mit Freude, Offenheit und Neugierde. Unser Ziel ist, die Vorteile von KI zur Effizienzsteigerung und Unterstützung zu nutzen, ohne juristische Qualität und persönliche Beratung zu vernachlässigen. Wir beobachten die Entwicklungen sehr genau und haben dabei selbstverständlich insbesondere auch den nordischen Legal-Tech-/KI-Markt im Blick.
Deutscher AnwaltSpiegel: Erwarten Sie einen Paradigmenwechsel? Werden weniger Associates eingestellt, weil KI viele juristische Aufgaben übernimmt, die bisher jungen Berufsträgern vorbehalten waren? Wie verändert das die Ausbildung von Associates in Wirtschaftskanzleien? Und was bedeutet das für die Gehaltsspirale, die seit vielen Jahren – bisher – nur die Richtung nach Norden kennt?
Prof. Dr. Nils Gruske: Einen vollständigen Paradigmenwechsel erwarten wir nicht. Wir sind davon überzeugt, dass die menschliche Expertise und Erfahrung essentiell bleiben. KI wird als Werkzeug eingesetzt, ersetzt aber nicht die Bewertung, Einordnung und kreative juristische Lösungsfindung durch den Menschen, insbesondere nicht bei komplexen Mandaten. Je nach Größe und Ausrichtung der Kanzlei wird sich die Einstellung von Associates wahrscheinlich anpassen, da insbesondere Routineaufgaben stärker automatisiert werden. Technische Kompetenzen, Datenverständnis und KI-Kompetenz werden in den Fokus der Ausbildung gelangen, verbunden mit noch höherer Beratungs- und Kommunikationsfähigkeit sowie prozessorientiertem Arbeiten. Ein reines Wegautomatisieren juristischer Kompetenzen ist jedoch nicht zu erwarten.
Der über viele Jahre beobachtete Gehaltsanstieg wird sich gegebenenfalls verlangsamen, insbesondere für Positionen, deren Kernaufgaben automatisierbar sind.
Deutscher AnwaltSpiegel: Was folgt aus der absehbaren Entwicklung im Rechtsmarkt für das Geschäftsmodell von kallan? Braucht es neue Rollen, neue Qualifikationen bei den Berufsträgern? Wenn ja: Welche?
Prof. Dr. Nils Gruske: Einerseits ermöglicht KI erhebliche Effizienzsteigerungen bei Routineaufgaben, etwa durch automatisierte Dokumentenprüfungen, intelligentere Rechercheprozesse oder die Vorhersage rechtlicher Risiken. Damit rückt die hochqualifizierte, persönliche Beratung bei komplexen, interkulturellen und strategischen Fragestellungen noch stärker in den Mittelpunkt von kallan. Das bedeutet, dass Kolleginnen und Kollegen mit Erfahrung im Umgang mit KI-basierten Tools immer wichtiger werden. Für das gesamte Team bedeutet das eine kontinuierliche Weiterentwicklung technologischer, analytischer und kommunikativer Kompetenzen sowie die Bereitschaft, sich neue Arbeitsweisen und Technologien frühzeitig zu eigen zu machen.
Deutscher AnwaltSpiegel: Konkret: Welche Erwartungshaltung Ihrer Mandanten in Bezug auf den Einsatz von KI können Sie feststellen? Und was heißt das für Vergütungsmodelle im Rechtsmarkt? – Die Billable Hour ist schon sehr oft totgesagt worden. Läutet KI jetzt das Sterbeglöckchen?
Prof. Dr. Nils Gruske: Sowohl deutsche als auch skandinavische Mandanten erwarten heute, dass ihre Berater moderne Technologien wie KI ganz selbstverständlich und verantwortungsbewusst einsetzen, insbesondere um effizienter zu arbeiten. KI wird alternative Vergütungsmodelle wie Flatrates oder nutzungsbasierte Abrechnung in den Fokus rücken. Die klassische Billable Hour wird nicht sterben, aber wahrscheinlich an Bedeutung verlieren – abgerechnet wird künftig primär der individuelle Mehrwert, den eine Kanzlei für die Mandanten schafft.
Deutscher AnwaltSpiegel: Der Blick in die Glaskugel: Wie wird der zunehmende Einsatz von KI den Rechtsmarkt in zwei und in fünf Jahren verändern? – „Doomsday ahead“ oder (doch) „Business as usual“?
Prof. Dr. Nils Gruske: kallan sieht im KI-Einsatz keine Bedrohung, sondern eine Chance zur Transformation des Geschäftsmodells hin zu mehr Effizienz, Kundennähe und Innovationsfähigkeit im deutsch-skandinavischen Rechtsverkehr. In zwei Jahren wird KI in Kanzleien zum selbstverständlichen Bestandteil der Routine und Infrastruktur. In fünf Jahren verschiebt sich die Marktstruktur: Kanzleien, die KI souverän und ethisch kompetent integrieren, werden einen klaren Wettbewerbsvorteil genießen. Doomsday-Szenarien sind unwahrscheinlich; es überleben die Adaptionsfähigsten, nicht die Größten oder Billigsten.
Deutscher AnwaltSpiegel: Lieber Herr Gruske, vielen Dank für diese Einblicke, die Sie unseren Lesern gewähren. Wir werden die Transformation im Rechtsmarkt, wie schon seit Jahren, weiter aus der ersten Reihe begleiten.


