Union und SPD haben sich nach wochenlangen Verhandlungen auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Die Ausführungen darin zum Kartellrecht bleiben naturgemäß vage. Umso interessanter ist allerdings, was mit Blick auf die erwarteten Reformen der letzten Bundesregierung (Stichwort: 12. GWB-Novelle; GWB – Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) nicht im Koalitionsvertrag steht. Angeführt werden die kartellrechtlichen Passagen mit dem Grundsatz: „Fairer Wettbewerb ist für das Funktionieren der Sozialen Marktwirtschaft essenziell.“ Mit einer Modernisierung des deutschen Kartellrechts und effizienteren Verfahren möchte die Bundesregierung nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und Europas stärken, sondern auch den Herausforderungen durch technologische und wirtschaftliche Transformation begegnen. Doch was bedeutet diese Zielsetzung für Unternehmen, insbesondere im Hinblick auf Compliance? Ein genauer Blick zeigt: Der Koalitionsvertrag setzt einige Schwerpunkte, lässt jedoch viele Fragen offen – und birgt für Unternehmen damit sowohl Chancen als auch Unsicherheiten.
Fairer Wettbewerb ja, aber wie?
Dass das Wettbewerbsrecht modernisiert werden muss, steht nach Ansicht der Koalitionspartner außer Frage. Ziel sei es, Verfahren zu beschleunigen, regulatorische Innovationshemmnisse abzubauen und die Wettbewerbsfähigkeit deutscher und europäischer Unternehmen auf globaler Ebene zu stärken. Während dieses Ziel ambitioniert klingt, bleiben konkrete Umsetzungsmaßnahmen größtenteils im Vagen. Für Unternehmen stellt sich die Frage, wie sie ihre Kartellrechtscompliance künftig aufstellen müssen.
Wichtige Einzelpunkte des Koalitionsvertrags – was ist enthalten, was fehlt?
New Competition Tool (§ 32 f GWB): Ein flexibles, aber unsicheres Instrument für Unternehmen
Eines der kontroversesten Werkzeuge aus der letzten Kartellrechtsreform ist das sogenannte New Competition Tool. Es erlaubt dem Bundeskartellamt seit 2023, ohne konkreten Rechtsverstoß einzugreifen, wenn eine fortwährende Störung des Wettbewerbs festgestellt wird.
Für Unternehmen bedeutet dies eine erhebliche Herausforderung in der Compliance, da die Grundlage für Eingriffe durch das Bundeskartellamt nun breiter ist und auch ohne abgeschlossene Sanktionsverfahren Maßnahmen ergriffen werden können. Besonders die sogenannte Ultima-Ratio-Option der strukturellen Entflechtung kann gravierende Folgen haben. Unternehmen sollten proaktiv interne Wettbewerbskontrollen implementieren, um Risiken frühzeitig zu identifizieren, selbst wenn kein Rechtsverstoß vorliegt. Denn der Koalitionsvertrag lässt offen, ob der grundsätzliche Reformwille auch das New Competition Tool erfassen wird und, wenn ja, wie eine Reform dieses Tools aussehen könnte.
Verbraucherschutz: Kein Vorrang für Verbraucher, keine neuen Kompetenzen
Die Forderung der SPD und der Monopolkommission nach einer stärkeren Rolle des Bundeskartellamts im Verbraucherschutz blieb im Koalitionsvertrag unberücksichtigt. Dies dämpft die Erwartungen an eine Erweiterung kartellrechtlicher Kompetenzen bei der Verfolgung von Verbraucherrechtsverstößen. Dennoch bleibt für Unternehmen relevant, dass Verbraucherinteressen im Wettbewerb künftig stärker indirekt berücksichtigt werden könnten – gerade in Bezug auf Transparenz und faire Preise und Konditionen. Für Unternehmen kann es sinnvoll sein, ihre Complianceprogramme entsprechend zu erweitern, um potentielle Schnittstellen mit Verbraucherschutzfragen frühzeitig zu identifizieren.
Kartellschadensersatz: Stillstand oder Reform?
Ein weiterer oft diskutierter Reformbereich betrifft kartellrechtliche Schadensersatzklagen. Zuvor diskutierte Vorschläge zur Beschleunigung von Schadensersatzklagen haben es nicht in den Koalitionsvertrag geschafft. Insgesamt macht es den Eindruck, dass sich der Reformeifer bei diesem Thema zuletzt etwas gelegt hat. Dennoch müssen sich Unternehmen auch wegen der internationalen Dimension weiterhin frühzeitig im Zusammenhang mit Kartellrechtscompliance mit dieser Thematik befassen.
Kartellrecht und Nachhaltigkeit: Kein Reformwille?
Unter der alten Bundesregierung ist bereits die 12. GWB-Novelle erwartet worden. Diskutiert worden ist vor diesem Hintergrund auch, ob Vereinbarungen zur Förderung von Nachhaltigkeit und ESG-Zielen kartellrechtlich gesondert beurteilt werden sollen. Das Bundeskartellamt verweist in diesem Zusammenhang immer wieder auf den Gesetzgeber, und in anderen Ländern (wie zum Beispiel in Österreich) ist dies bereits gesetzlich umgesetzt worden.
Zum Thema Kartellrecht und Nachhaltigkeit liest man im Koalitionsvertrag allerdings nichts. Es bleibt deshalb zweifelhaft, ob ein solch weitreichender Reformwille tatsächlich vorliegt. Die bestehende Situation, in der sich Unternehmen, die schon vielfach mehr Rechtssicherheit gefordert haben, auf Einzelfallentscheidungen des Bundeskartellamts verlassen müssen, dürfte sich deshalb in den kommenden Jahren nicht wesentlich verändern.
Sektorspezifische Neuerungen: Lichtblicke bei Detailfragen
Der Koalitionsvertrag enthält einige sektorspezifische Ansätze, die für bestimmte Branchen von Bedeutung sind.
Die Verzahnung von Wettbewerbs- und Medienkonzentrationsrecht sowie die geplanten Bereichsausnahmen könnten die Complianceherausforderungen für Medienunternehmen deutlich verändern, insbesondere für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten und private Kooperationspartner.
Die Anpassung der Regeln für unfaire Handelspraktiken zielt auf transparente Lieferketten und faire Preise ab. Unternehmen sollten ihre Lieferverträge prüfen, um mögliche Konflikte mit kartellrechtlichen Vorschriften zu vermeiden.
Die angekündigte weitere Entflechtung innerhalb des Deutsche-Bahn-Konzerns betrifft vor allem den Schienenverkehrsmarkt. Zwar strebt die Regierung keine eigentumsrechtliche Trennung an, doch Betreiber und Wettbewerber sollten auf Änderungen der Marktstrukturen vorbereitet sein.
EU-Reformen: Bewegung auf dem globalen Spielfeld?
Die Bundesregierung fordert auf EU-Ebene eine Reform des Wettbewerbsrechts mit Blick auf Transformationserfordernisse und Europas globale Wettbewerbsfähigkeit. Es bleibt unklar, was genau darunter zu verstehen ist und ob dies tatsächlich zu einem Umdenken in der EU-Fusionskontrolle führen wird, um den Standort Europa stärker zu schützen und europäische Zusammenschlüsse anders zu bewerten als globale. Dies wird sich auch in der anstehenden Überarbeitung der Leitlinien für die Bewertung horizontaler sowie nicht-horizontaler Zusammenschlüsse durch die Europäische Kommission zeigen.
Für EU-ansässige Unternehmen birgt diese Entwicklung Risiken und Chancen zugleich. Eine geänderte Wettbewerbsstrategie mit einer Stärkung der EU auf dem globalen Spielfeld kann zu günstigeren Bewertungen bei Transaktionen führen. Allerdings kann eine Neuausrichtung ohne klare Kriterien auch zu viel Rechtsunsicherheit führen. Die Unternehmen stehen somit in der Pflicht, neue Leitlinien eng im Blick zu behalten und dies in ihre M&A-Strategien einfließen zu lassen.
Spotlight Digital: Big Tech und künstliche Intelligenz
Der Digital Markets Act (DMA) und der Digital Services Act (DSA) bilden den neuen Rechtsrahmen für Big Tech in der EU. Die Bundesregierung bekennt sich zu einer konsequenten Durchsetzung dieser Gesetzgebung. Mögliche Konflikte einer parallelen Anwendung des nationalen Pendants in § 19a GWB werden im Koalitionsvertrag nicht aufgegriffen. Vorerst bleibt es damit bei der Zweigleisigkeit. Dies erschwert weiterhin die Compliancearbeit für betroffene Unternehmen, die sich auch künftig auf die teils unterschiedlichen Regime einstellen müssen. Hier bleibt abzuwarten, wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) dies künftig bewertet.
Ebenso wachsam sollten Unternehmen Entwicklungen im Bereich künstlicher Intelligenz (KI) verfolgen. Die geplante Expertengruppe beim Bundeswirtschaftsministerium zu „Wettbewerb und KI“ könnte den regulatorischen Fokus in den kommenden Jahren entscheidend prägen. Bereits jetzt ist klar: Unternehmen, die KI entwickeln oder nutzen, sollten vorbereitet sein, neue Dokumentations- und Transparenzpflichten zu erfüllen – auch um Risiken eines kartellrechtlichen Fehlverhaltens zu minimieren.
Fazit: Compliance als Stabilitätsanker in einem unsicheren Regulierungsumfeld
Der Koalitionsvertrag 2025 steckt die Rahmenbedingungen für mögliche Reformen des Kartellrechts ab, liefert aber wenige belastbare Ansätze. Für Unternehmen bedeutet dies vor allem eines: Vorsicht und vorausschauendes Handeln bei der Compliance. Gerade die vagen und oft komplexen Neuerungen, wie das New Competition Tool oder die Fusionskontrolle auf globaler Ebene, machen es notwendig, bestehende Complianceprogramme regelmäßig zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.
Praktische Tipps für Unternehmen
- Monitoring: Verfolgen Sie aktiv die Gesetzgebung auf Bundes- und EU-Ebene, um frühzeitig auf neue regulatorische Vorgaben reagieren zu können.
- Risikobewertung: Identifizieren Sie potentielle Risiken, insbesondere bei M&A-Transaktionen, Marktmacht und Anwendung neuer Technologien wie KI.
- Schulungen: Sensibilisieren Sie Ihre Mitarbeitenden sowie Ihre Complianceteams regelmäßig für neue kartellrechtliche Vorgaben.
- Interne Audits: Nutzen Sie kartellrechtliche Schutzinstrumente wie Compliance-Audits, um mögliche Schwachstellen in Ihren Verfahren zu identifizieren und zu beheben.
Es bleibt spannend, wie sich die offenen Punkte aus dem Koalitionsvertrag in der Praxis entwickeln. Klar ist jedoch: Für Unternehmen ist eine dynamische, flexible und reaktionsfähige Compliancestrategie heute unverzichtbar, um die Herausforderungen des sich ändernden und möglicherweise weiter politisierten Wettbewerbsrechts souverän zu bestehen.


