Bindung an eine Stimmabgabe in der Personengesellschaft
BGH, Urteil vom 22.10.2024 – II ZR 64/23
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat sich mit der Frage befasst, ob ein Gesellschafter an seine Stimmabgabe im Rahmen eines zeitlich gestreckten Beschlussverfahrens in einer Personengesellschaft gebunden ist. Im Schrifttum war umstritten, ob die abgegebene Stimme bis zum Ende der Abstimmungsfrist widerrufen werden kann.
Ausgangspunkt des BGH war die rechtliche Einordnung der Stimmabgabe als empfangsbedürftige Willenserklärung, die mit Zugang beim Adressaten wirksam wird (§ 130 Abs. 1 BGB). Der Zugang kann nach dem BGH auch dann als erfolgt gelten, wenn die Erklärung in eine elektronische Liste eingetragen wird, auf die ein Empfangsbevollmächtigter jederzeit Zugriff hat – unabhängig davon, ob dieser tatsächlich Einsicht genommen hat.
Der BGH entschied, dass eine einmal zugegangene Stimmabgabe grundsätzlich nicht mehr frei widerrufen werden kann. Dies gelte jedenfalls dann, wenn keine abweichende vertragliche Regelung oder ein ausdrücklich oder konkludent erklärter mangelnder Bindungswille des Abstimmenden vorliegt. Die Stimmabgabe sei Teil eines kollektiven Willensbildungsprozesses, der auf die Bildung eines rechtsverbindlichen Organwillens gerichtet ist. Eine freie Widerruflichkeit würde die Rechtssicherheit und Verlässlichkeit dieses Prozesses gefährden.
Die §§ 145 ff. BGB, die für Vertragsangebote gelten, seien nicht anwendbar. Der BGH betonte, dass ein Gesellschafterbeschluss kein Vertrag im Sinne dieser Vorschriften ist, sondern ein mehrseitiges Rechtsgeschäft eigener Art. Die Stimmabgabe entfalte ihre Wirkung nicht isoliert, sondern nur im Zusammenspiel mit den übrigen Stimmen. Auch eine analoge Anwendung der Vorschriften über die Widerruflichkeit von Einwilligungen (§ 183 BGB) oder anderer schuldrechtlicher Regelungen lehnte der Senat ab. Es existieren im Personengesellschaftsrecht keine speziellen gesetzlichen Regelungen zur Widerruflichkeit von Stimmabgaben.
Letztlich ergebe sich der Ausschluss freier Widerruflichkeit aus der Funktion der Stimmabgabe als Element der kollektiven Willensbildung und das gemeinsame Verbandsinteresse an einer raschen und rechtssicheren Beschlussfassung.
Der BGH betonte, dass die Gesellschafter die ihnen eingeräumte Abstimmungsfrist nutzen können, um sich umfassend zu informieren. Wer seine Stimme frühzeitig abgebe, trage daher das Risiko nachträglich eintretender Umstände bewusst selbst. Ob es ausnahmsweise wichtige Gründe für eine andere Beurteilung geben könnte, ließ der BGH offen.
Wollen Gesellschafter einer Personengesellschaft ihre Abstimmungspraxis flexibilisieren und eine Änderung bis zur endgültigen Abstimmungsfrist zulassen, empfiehlt es sich, eine entsprechende Bestimmung in den gemeinsamen Gesellschaftsvertrag aufzunehmen.
Haftung der Gründungs- bzw. Altgesellschafter einer Publikumsgesellschaft für Prospektfehler
BGH, Beschluss vom 04.06.2024 – II ZB 17/22
Der Bundesgerichtshof hat dazu Stellung bezogen, unter welchen Voraussetzungen Gründungs- oder Altgesellschafter einer Publikumsgesellschaft für fehlerhafte oder unvollständige Angaben in einem Verkaufsprospekt haften. Im Zentrum der Entscheidung steht die Abgrenzung zwischen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung – insbesondere nach dem Verkaufsprospektgesetz a.F. (§ 13 VerkProspG a.F.) und dem Börsengesetz a.F. (§§ 44 ff. BörsG a.F.) – und der allgemeinen zivilrechtlichen Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsschluss (§§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB).
Der BGH stellte klar, dass die spezialgesetzliche Prospekthaftung die allgemeine zivilrechtliche Haftung zwar nicht vollständig verdrängt. Allerdings bestehen vorvertragliche Aufklärungspflichten nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen nur für solche Altgesellschafter, die entweder selbst aktiv am Vertrieb der Beteiligungen mitwirken oder in sonstiger Weise Verantwortung für den Vertrieb übernehmen. Die bloße Gesellschafterstellung – auch in Verbindung mit der Funktion als Treuhandkommanditist – genügt hierfür nicht. Entscheidend bliebe, ob der betreffende Gesellschafter in irgendeiner Weise für den Vertrieb verantwortlich ist. Ist dies nicht der Fall, besteht auch keine Haftung wegen unterlassener Richtigstellung fehlerhafter Prospektangaben. Dies sei keine eigenständige Haftungsgrundlage.
Diese Entscheidung grenzt die Haftung für Prospektfehler klar auf diejenigen Personen ein, die tatsächlich Einfluss auf den Vertrieb genommen haben oder diesen organisiert haben.
Nachrangigkeit von Gesellschafterdarlehen im Insolvenzfall
BGH, Urteil vom 07.11.2024 – IX ZR 216/22
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte an der Schnittstelle von Gesellschafts- zum Insolvenzrecht (InsO) eine bislang unterschiedlich beurteilte Frage zu entscheiden: Ist ein Darlehen, das ein Gesellschafter der Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG über eine andere Gesellschaft an die KG vergibt, als Gesellschafterdarlehen im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 InsO zu behandeln – und damit im Insolvenzfall nachrangig –, obwohl die Komplementärin selbst gar nicht am Haftkapital an der KG beteiligt ist?
Nach § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 InsO sind nicht nur unmittelbare Gesellschafterdarlehen an die Schuldnergesellschaft nachrangig, sondern auch sonstige Rechtshandlungen Dritter, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechen. Die Frage war, wie weit diese Ausdehnung der Regelungen reicht. Im vorliegenden Fall war der Darlehensgeber nur an der Komplementärin der GmbH & Co. KG beteiligt, diese aber nicht an der KG. Es gab also nicht mal eine mittelbare gesellschaftsrechtliche Beteiligung des Darlehensgebers an der KG.
Der BGH entschied, dass es für die Anwendung des Gesellschafterdarlehensrechts darauf nicht ankomme. Er erteilte damit einer in der Literatur verbreiteten gegenteiligen Auffassung eine Absage. Entscheidend sei, ob der Gesellschafter der Komplementär-GmbH gleichzeitig auch maßgeblichen Einfluss auf die darlehensgebende Gesellschaft ausüben kann. Denn über diese Verknüpfung von Darlehensgeber und Darlehensnehmer entstehe eine Situation, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entspreche. Eine Kapitalbeteiligung der Komplementär-GmbH sei hierfür nicht zwingend erforderlich. Es reiche aus, wenn der Gesellschafter auf die Entscheidungen der darlehensgebenden Gesellschaft bestimmenden Einfluss hat. Der BGH verwies auf die Systematik des Gesetzes: Nach § 39 Abs. 5 InsO unterliege auch ein geschäftsführender Gesellschafter dem Gesellschafterdarlehensrecht, selbst wenn er keinen Kapitalanteil hält. Daraus folge, dass auch bei fehlender Kapitalbeteiligung der Komplementärin eine Nachrangigkeit der Forderung in Betracht kommt.
Neugläubigerhaftung des ausgeschiedenen Geschäftsführers
BGH, Urteil vom 23.04.2024 – II ZR 206/22
Ebenfalls an der Schnittstelle zum Insolvenzrecht bewegt sich die nachfolgende Entscheidung des II. Zivilsenats. Er entschied, dass die Haftung eines Geschäftsführers wegen Insolvenzverschleppung nicht automatisch mit dem Ende seiner Organstellung endet. Vielmehr kann ein ausgeschiedener Geschäftsführer auch für Schäden haften, die sogenannten Neugläubigern – also Gläubigern, die erst nach seinem Ausscheiden in vertragliche Beziehungen zur Gesellschaft treten – entstehen, wenn die durch seine Pflichtverletzung geschaffene Gefahrenlage im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch fortbesteht.
Die rechtliche Grundlage für diese Haftung bilde § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 15a InsO. Zwar ende mit dem Ausscheiden aus dem Amt die Insolvenzantragspflicht ex nunc, doch bereits begangene Pflichtverletzungen bleiben haftungsrechtlich relevant. Sinn des Insolvenzantrags sei auch, dass insolvente Gesellschaften vom Markt genommen würden, um potentielle neue Vertragspartner – eben die „Neugläubiger“ – zu schützen. Der BGH betont, dass die durch die unterlassene Antragstellung geschaffene Gefahrenlage fortwirken und damit auch nach dem Ausscheiden des Geschäftsführers noch kausal für Schäden sein kann, die durch neue Vertragsabschlüsse entstehen.
Der bloße Wechsel in der Geschäftsführung stelle keine Zäsur dar, die den Zurechnungszusammenhang unterbreche. Vielmehr sei eine wertende Betrachtung erforderlich: Nur wenn sich die Gesellschaft zwischenzeitlich nachhaltig erholt habe und die spätere Insolvenz auf neue Ursachen zurückzuführen sei, entfalle die Haftung des früheren Geschäftsführers. Ein bloßer zeitlicher Abstand reiche hingegen nicht aus, um die Haftung zu verneinen. Auch wenn ein nachfolgender Geschäftsführer seinerseits pflichtwidrig handele, bleibe die ursprüngliche Pflichtverletzung des ausgeschiedenen Geschäftsführers haftungsrechtlich relevant, solange sie fortwirkt.
Diese Entscheidung hat erhebliche praktische Bedeutung: Sie stellt klar, dass Geschäftsführer sich nicht durch Amtsniederlegung der Haftung entziehen können, wenn sie zuvor ihre Insolvenzantragspflicht verletzt haben.
Herabsetzung der Vorstandsvergütung nach § 87 Abs. 2 AktG – auch im Insolvenzverfahren
BGH, Urteil vom 22.10.2024 – II ZR 97/23
Wenn sich die Lage einer Aktiengesellschaft nach der Festsetzung der Vorstandsvergütung verschlechtert und die Weiterzahlung in der bisherigen Höhe für die Gesellschaft unzumutbar ist, kann der Aufsichtsrat nach § 87 Abs. 2 Aktiengesetz (AktG) die Bezüge eines Vorstandsmitglieds auf ein angemessenes Maß herabsetzen. Dies gilt insbesondere, wenn das Vorstandsmitglied die Verschlechterung der Lage zu vertreten hat. Hierzu waren bislang zwei Fragen ungeklärt – ob die Herabsetzung nur im Fall eines pflichtwidrigen Verhaltens des Vorstandsmitglieds zulässig sein sollte und ob dieses Herabsetzungsrecht auch noch besteht, wenn die schlechte wirtschaftliche Lage in einem Insolvenzverfahren mündet.
Der BGH hat in seiner Entscheidung beide Fragen aufgegriffen und klargestellt, dass ein schuldhaftes oder pflichtwidriges Verhalten des Vorstandsmitglieds keine Voraussetzung für die Herabsetzung ist. Denn Zweck des § 87 Abs. 2 AktG sei, dass das Schicksal der Gesellschaft und des Vorstands – also das wirtschaftliche Wohlergehen der Gesellschaft – auch in Vergütungsfragen verknüpft sei. Eine pauschale Kategorisierung von Fällen sei deshalb nicht angemessen, sondern stets individuell im Einzelfall zu überprüfen, ob eine Herabsetzung angemessen sei, wobei eine Verantwortlichkeit des Vorstands aber als wesentlicher Umstand in der Gesamtabwägung berücksichtigt werden dürfe. Der BGH betont, bei dieser Bewertung die Grundrechte des Vorstandsmitglieds – insbesondere Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG – angemessen in Einklang zu bringen sind. Das Vertrauen des Vorstandsmitglieds in die vereinbarte Vergütung ist zu berücksichtigen. Dennoch kann das Interesse der Gesellschaft an einer Anpassung überwiegen, wenn die Weitergewährung der ursprünglichen Bezüge angesichts der wirtschaftlichen Lage nicht mehr vertretbar erscheint.
Weiter führte der BGH sodann aus, dass ein bestehendes Herabsetzungsrecht auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortbesteht. Es wird dann nicht mehr vom Aufsichtsrat, sondern vom Insolvenzverwalter ausgeübt, da die Vergütung des Vorstands aus der Insolvenzmasse zu leisten ist und somit in dessen Verwaltungsbereich fällt. Das Herabsetzungsrecht werde auch nicht durch das Sonderkündigungsrecht des Insolvenzverwalters nach § 113 InsO verdrängt. Beide Rechte bestünden nebeneinander. Während § 113 InsO dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit gebe, das Dienstverhältnis mit einer Frist von drei Monaten zu kündigen, erlaube § 87 Abs. 2 AktG eine Anpassung der Vergütung für die Zeit bis zur Beendigung des Vertrags (siehe hierzu auch den Beitrag in Deutscher AnwaltSpiegel, Ausgabe 06/2025).



