Konjunkturkrise
Die Zahlen des statistischen Bundesamts zeigen, dass sich die Konjunkturkrise der deutschen Wirtschaft im vergangenen Quartal fortgesetzt hat. Und die Prognosen der Wirtschaftsinstitute belegen deutlich, dass dieser negative Trend anhalten wird. Die neue Bundesregierung steht also vor einer Fülle drängender wirtschaftlicher Probleme, die kurzfristig gelöst werden müssen.
Doch so groß der akute Handlungsbedarf auch ist – Deutschland und Europa müssen auch strategische Lösungen für systemische Probleme finden. Der „Draghi-Bericht“ zeigt das Ausmaß der Probleme, und die Präsidentin der EU-Kommission hat bereits mehrere Konzepte vorgestellt, um die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit Europas gegenüber Wettbewerbern aus China oder den USA zu schließen.
Zielsetzung: Digitale Souveränität
Dass Investitionen in Schlüsseltechnologien wie künstliche Intelligenz oder Robotik dabei im Mittelpunkt stehen, ist richtig. Aber wir haben in den vergangenen Wochen gesehen, dass Wirtschaftspolitik in Europa immer auch eine Frage globaler Einflussmöglichkeiten und Abhängigkeiten ist. Das zeigt sich zum Beispiel im Umgang mit Unternehmen der IT- und KT-Industrie. Derzeit wird in Brüssel diskutiert, ob und in welchem Umfang Europa die möglichen Sanktionen beispielsweise gegen US-amerikanische Digitalkonzerne anwenden soll oder ob dies eine weitere Runde scharfer US-Reaktionen provozieren würde.
So oder so ist wichtig, dass die neue Bundesregierung und die Europäische Kommission der schwindenden Anschlussfähigkeit im Bereich der Digitalwirtschaft entgegenwirken. Dazu müssen Abhängigkeiten abgebaut und Europas digitale Souveränität nachhaltig gestärkt werden.
Eine entscheidende Rolle kommt dabei der zunehmenden Migration von Daten in die Cloud zu, und entsprechend müssen auch die Fairness und Wettbewerbsfähigkeit des Cloudmarkts in Europa stärker in den strategischen Fokus rücken. Es geht darum, die Cyber- und Datensicherheit sowie die Innovationsfähigkeit und Resilienz der in Europa verfügbaren Cloudanwendungen zu stärken. Monopole, wo immer sie bestehen, sollten aufgebrochen werden, um Nutzern eine faire und breite Auswahl zwischen europäischen, aber auch sicheren außereuropäischen Anbietern zu ermöglichen.
Derzeit sticht im Cloudgeschäft jedoch vor allem ein Unternehmen heraus, das es in den vergangenen Jahren immer wieder geschafft hat, Nutzer an sich zu binden und so strategische Abhängigkeiten zu erhöhen: Microsoft. Bereits in den 1990er Jahren verhalf der Konzern aus Redmond dem eigenen Browser Internet Explorer zu großer Reichweite, indem es ihn in das Betriebssystem Windows integrierte – zum Nachteil des Konkurrenten Netscape. Während der Coronapandemie schuf Microsoft mit der Bündelung von Teams und Office 365 ebenfalls vorzeitig Fakten, die auch durch spätere Wettbewerbsurteile kaum noch revidiert werden konnten. Heute nutzt Microsoft seine Marktdominanz im Softwaremarkt, um Kunden verstärkt zur Nutzung seiner Cloudplattform Azure zu bewegen. Durch solche Lizenzbedingungen und Bündelungstaktiken verlagert sich der Markt schleichend zugunsten eines einzelnen Anbieters. Microsoft baut damit seine Marktmacht im Cloudbereich systematisch aus – auf Kosten seiner Wettbewerber weltweit, ob in Europa oder in den USA.
Zunehmende Monopolisierung: Was zu tun ist
Diese zunehmende Monopolisierung hat jedoch nicht nur Auswirkungen auf den Markt, sondern auch auf Verbraucher. Ein Beispiel: Unsere Studie mit 190 öffentlichen Unternehmen hat gezeigt, dass der unfaire Markt für Softwarelizenzen allein in diesem Bereich Schäden von bis zu 120 Millionen Euro im Jahr erzeugt. Das entspricht den Kosten für 2.000 Pflegekräfte in Krankenhäusern und Altenheimen. Umso alarmierender ist, dass sich auch der Bund in dieser Daten- und Kostenfalle von Microsoft befindet und seine Abhängigkeiten zuletzt sogar weiter ausgebaut hat. So wuchsen die Ausgaben der Bundesverwaltung für Microsoft-Lizenzen im Jahr 2024 auf nun 204,5 Millionen Euro (+3,44% gegenüber dem Vorjahr), wie Heise Ende Februar unter Berufung auf eine Übersicht aus dem Bundesinnenministerium berichtete.
Entsprechend ist zu begrüßen, dass das Bundeskartellamt Microsoft im vergangenen Jahr seine marktübergreifende Bedeutung attestiert und damit den Weg frei für weitere wettbewerbsrechtliche Untersuchungen gemacht hat. Ermöglicht wurde dieser Schritt durch eine 2021 verabschiedete Reform des Gesetzes gegen Wettbewerbsverstöße, die der Bundesoberbehörde ein leichteres Vorgehen gegen global agierende Digitalkonzerne eröffnen sollte. So steht beispielsweise auch Apple perspektivisch unter verstärkter Aufsicht, nachdem es 2023 als Unternehmen mit „überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb“ eingestuft worden ist. Zwar geht das Unternehmen aktuell vor dem Bundesgerichtshof gegen diese Einstufung per Berufung vor, doch auch wenn das abschließende Urteil wohl erst im März fallen wird, deutet sich laut Reuters bereits jetzt eine Bestätigung der auf fünf Jahre befristeten Einstufung an.
Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts in Deutschland, warnt vor der zunehmenden Marktkonzentration im Cloudmarkt. Dennoch reagieren die Regulierungsbehörden in anderen Ländern wie dem Vereinigten Königreich, Spanien und Dänemark viel schneller und entschlossener, um die Marktmacht einiger weniger Technologieunternehmen, die den Nutzern restriktive Praktiken der Cloudlizenzierung aufzwingen, zu kontrollieren und gegebenenfalls zu begrenzen. So leitete die britische Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde (Competition and Market Authority, CMA) im Oktober 2023 eine Untersuchung des britischen Cloud-Computing-Markts ein, nachdem die Medienaufsichtsbehörde Ofcom unter anderem auf die marktbeherrschende Stellung von Microsoft hingewiesen hatte. Im Februar 2025 stellte die CMA vorläufig fest, dass das Verhalten von Microsoft, das seine erhebliche Marktmacht (unter anderem) bei Produktivitätssoftware ausnutzt, den Wettbewerb bei Clouddiensten in ganz Europa beeinträchtigt. Damit Deutschland hier nicht ins Hintertreffen gerät, ist es notwendig, die Handlungsfähigkeit des Bundeskartellamts zu stärken und die Verfahren zu beschleunigen. Nur so können die erheblichen Belastungen für öffentliche Unternehmen gemindert und die digitale Transformation nachhaltig gefördert werden.
Die Stärkung der Wettbewerbsaufsicht wird jedoch nicht ausreichen. Es liegt an der Bundesregierung, gemeinsam mit der EU-Kommission und den europäischen Partnern die Weichen für die digitale Zukunft Deutschlands und der EU zu stellen. Die technologische Abhängigkeit von einzelnen US-amerikanischen Unternehmen muss kritisch überprüft werden – gerade im Zuge des voranschreitenden Fortschritts bei KI- und Cloudlösungen. Es braucht eine entschlossene Wirtschaftspolitik, die den Aufbau einer souveränen digitalen Infrastruktur in Europa vorantreibt und einen offenen Wettbewerb für die besten Cloudlösungen fördert. Denn nur eine nachhaltige und unabhängige Digitalisierung kann Deutschlands Zukunft in einer vernetzten Welt sichern.
Autor

Prof. Dr. Torsten Oltmanns
torsten.oltmanns@quadriga-hochschule.com
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