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EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten

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Am 19.04.2023 hat das Europäische Parlament einen Verordnungsvorschlag der Europäischen Kommission zur Verhinderung von Entwaldung angenommen, der Unternehmen weitere Compliancepflichten in ihrer Lieferkette aufgibt (Verordnung (EU) Nr. 995/2010 – COM (2021) 706 final). Die Regelungen der Verordnung sehen strenge Sorgfaltsanforderungen für die Vermarktung von bestimmten Rohstoffen und Produkten auf dem europäischen Binnenmarkt vor.

Die Einhaltung der Sorgfaltspflichten soll auch behördlich kontrolliert werden und die Missachtung der Pflichten soll nicht folgenlos bleiben: Die Verordnung sieht vor, dass im Fall von Verstößen mit abschreckenden Sanktionen zu rechnen ist. Es sollen unter anderem Geldbußen von bis zu 4% des Jahresumsatzes möglich sein.

Hintergrund

Mit den umfangreichen Pflichten verfolgt die EU das Ziel, Entwaldung und Waldschädigung zu verhindern und die Biodiversität zu erhalten. Durch die Schaffung nachhaltiger Lieferketten soll ein wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz geleistet werden.

Die EU erklärte zum Hintergrund des Gesetzgebungsverfahrens folgendes:

Entwaldung und Waldschädigung zählen zu den Hauptursachen des Klimawandels. Mehr als 20% der anthropogenen Treibhausgasemissionen stammen weltweit aus der Land- oder Forstwirtschaft. Dabei sind mehr als 10% hiervon auf die Vernichtung von Wäldern zurückzuführen. Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge wurden weltweit allein in den letzten 30 Jahren mehr als 420 Millionen Hektar Wald abgeholzt – dies entspricht einer Fläche größer als die EU.

Grund für Entwaldung und Waldschädigung ist vor allem die Nutzung landwirtschaftlicher Flächen für die Erzeugung von Rohstoffen wie etwa Rindern, Holz, Palmöl, Soja oder Kaffee. Als maßgeblicher Verbraucher von solchen Rohstoffen initiierte die EU deshalb ein Gesetzgebungsvorhaben, um den Verbrauch von Rohstoffen und Erzeugnissen zu minimieren, die mit Entwaldung und Waldschädigung in Zusammenhang stehen. Dagegen soll die Nachfrage von entwaldungsfreien Rohstoffen gefördert werden.

Stand des Gesetzgebungsverfahrens

Bereits im November 2021 legte die Europäische Kommission einen ersten Verordnungsvorschlag vor (COM (2021) 706). Nach einigen signifikanten Änderungen erzielten der Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament im Dezember 2022 eine vorläufige Einigung über den Entwurf. Am 19.04.2023 ist der Verordnungsentwurf vom Europäischen Parlament in einer ersten Lesung angenommen worden. Nunmehr finden Beratungen im Rat der Europäischen Union statt. Dieser muss die Verordnung noch förmlich annehmen. Mit einem Inkrafttreten ist in den nächsten Monaten, jedenfalls aber noch dieses Jahr zu rechnen.

Das Instrument der Verordnung ist gewählt worden, um eine vollumfängliche Harmonisierung sicherzustellen, denn nach Inkrafttreten gilt die Verordnung unmittelbar in allen Mitgliedstaaten der EU. Hierdurch kann eine schnelle und einheitliche Umsetzung der Ziele gewährleistet werden.

Anwendungsbereich

Betroffen sind Unternehmen, die bestimmte Rohstoffe oder Produkte, die die relevanten Rohstoffe enthalten, oder aus diesen hergestellt werden, in der EU in den Verkehr bringen oder aus der EU ausführen.

Die betroffenen Rohstoffe sind vor allem Rindfleisch, Kakao, Kaffee, Palmöl, Soja, Holz und Kautschuk. Unter die betroffenen Folgeerzeugnisse fallen insbesondere Schokolade, Möbel, Leder, Holzkohle und Druckerzeugnisse. In den Anwendungsbereich fallen demnach Unternehmen unterschiedlicher Branchen.

Zu berücksichtigen ist, dass sowohl die Rohstoffe als auch die Erzeugnisse regelmäßig überprüft und aktualisiert werden sollen. Vor diesem Hintergrund ist regelmäßig zu kontrollieren, ob Unternehmen in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen.

Wesentliche Regelungen der Verordnung

Nach der Verordnung wird das Inverkehrbringen oder die Ausfuhr der relevanten Rohstoffe und Erzeugnisse an drei Bedingungen geknüpft:

  • Die Rohstoffe und Erzeugnisse müssen entwaldungsfrei hergestellt werden,
  • sie müssen unter Achtung der einschlägigen Rechtsvorschriften des Erzeugerlands produziert worden sein und
  • das Unternehmen muss eine „Sorgfaltserklärung“ abgeben, mit der die Entwaldungsfreiheit und Legalität bestätigt wird.

Entwaldungsfreiheit
Die Voraussetzung der Entwaldungsfreiheit ist an einen Stichtag geknüpft. Rohstoffe und Erzeugnisse sind nach der Definition der Verordnung entwaldungsfrei, wenn sie auf Flächen erzeugt worden sind, die nach dem 31.12.2020 nicht entwaldet worden sind und auf denen es seit diesem Stichtag auch nicht zu Waldschädigungen gekommen ist. Diese Voraussetzung verkörpert das Kernziel der europäischen Gesetzesinitiative.

Legalität
Darüber hinaus bezweckt die Verpflichtung zur legalen Herstellung insbesondere die Achtung der Menschenrechte und die Rechte indigener Völker. Erfasst werden aber auch Vorschriften zur Biodiversität sowie Steuer- und Antikorruptionsvorschriften.

Sorgfaltsprüfung und -erklärung
Die dritte Voraussetzung ist die Abgabe einer Sorgfaltserklärung hinsichtlich der Rohstoffe und Erzeugnisse. Durch diese Verpflichtung werden die Compliance-Anforderungen an die betroffenen Unternehmen konkretisiert.

Die Erstellung der Sorgfaltserklärung hat drei Schritte: Erstens müssen Informationen gesammelt werden, zweitens müssen die Risiken bewertet werden und drittens müssen Maßnahmen für die Risikominderung erklärt werden.

Zunächst sind die Unternehmen verpflichtet, die für die Sorgfaltserklärung erforderlichen Informationen und Daten hinsichtlich der Rohstoffe und Erzeugnisse zu sammeln. Zu den Daten zählen zum Beispiel die Koordinaten zur Geolokalisierung. Hierdurch soll eine Rückverfolgbarkeit für höhere Transparenz ermöglicht werden.

In einem weiteren Schritt ist dann eine Risikobewertung hinsichtlich der Entwaldungsfreiheit und Legalität vorzunehmen. Nur sofern die Rohstoffe oder Erzeugnisse die Anforderungen der Verordnung erfüllen, kann die Sorgfaltserklärung abgegeben werden. Die Risikoanalyse soll durch ein Benchmarking-System für Erzeugerländer vereinfacht werden. Hierfür wird die EU-Kommission alle Staaten weltweit in eine Risikokategorie (gering, normal, hoch) betreffend Entwaldung und Waldschädigung einstufen. Für Unternehmen, die Rohstoffe oder Erzeugnisse aus Erzeugerländern mit niedrigem Entwaldungsrisiko beziehen, bestehen dann vereinfachte Sorgfaltspflichten.

In einem dritten Schritt müssen die Unternehmen darlegen, wie sie Risiken mindern und bewältigen. Solche Maßnahmen können zum Beispiel Lieferkettenkodizes sein.

Die Sorgfaltsanforderungen treffen alle Unternehmen in der Lieferkette. Die Informationen sind deshalb allen nachfolgenden Unternehmen zugänglich zu machen. Ausnahmeregelungen gelten jedoch für kleine und mittlere Unternehmen, die auf die durchgeführten Due-Diligence-Prüfungen von Lieferanten verweisen dürfen. Kleinstunternehmen können auch die Übermittlung der Sorgfaltserklärung einem nachgeordneten Unternehmen auferlegen.

Erst nach Abgabe der Sorgfaltserklärung dürfen die relevanten Rohstoffe und Erzeugnisse in der EU in Verkehr gebracht oder ausgeführt werden. Dies soll von den jeweiligen Behörden der Mitgliedstaaten kontrolliert werden.

Sanktionsrisiken
Die Mitgliedstaaten werden durch die Verordnung verpflichtet, für Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten Sanktionen festzulegen. Als Mindestanforderungen nennt die Verordnung insbesondere Geldstrafen in Höhe von bis zu 4% des Jahresumsatzes, die Einziehung der relevanten Rohstoffe und Erzeugnisse, die Einziehung der Einnahmen und den vorübergehenden Ausschluss von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge. Es besteht damit ein erhebliches Sanktionsrisiko bei Verstößen gegen die Verordnung.

Fazit und Ausblick

Nach Inkrafttreten der Verordnung haben die betroffenen Unternehmen 18 Monate Zeit, die Vorschriften umzusetzen. Für Kleinstunternehmen gilt eine verlängerte Frist von 24 Monaten. Für die Compliance-Praxis bedeutet dies, dass die neuen Sorgfaltspflichten in das Compliance-Management-System einzuarbeiten sind. Um sicherzustellen, dass ein ununterbrochener Handel möglich bleibt und Sanktionen vermieden werden, sind die erforderlichen Sorgfaltsprüfungen ordnungsgemäß durchzuführen und die Sorgfaltserklärungen zeitnah vorzubereiten und abzugeben.

Die Verordnung verpflichtet Unternehmen zu einer strengeren Überwachung ihrer Zulieferer, wodurch die Lieferketten noch transparenter gemacht werden. Im Hinblick darauf, dass die EU weltweit der zweitgrößte Verursacher von Entwaldung ist, stellt das Vorhaben einen sinnvollen Beitrag zum Klimaschutz dar. Allerdings begegnet der Verordnung auch Kritik: Die umfassenden Dokumentationspflichten werden als Handelsbarrieren gesehen, die vor allem Kleinbauern träfen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Verordnung ihr ambitioniertes Ziel erreichen kann.

 

c.rosinus@rosinus-partner.com