ComplianceBusiness ist eine Publikation der Produktfamilie Deutscher AnwaltSpiegel

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Wenn Algorithmen Verantwortung übernehmen

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KI verändert die DNA der Compliancefunktion

Die Einführung künstlicher Intelligenz verändert Compliance nicht schrittweise, sondern strukturell. Prozesse, die über Jahre manuell und kleinteilig liefen – Third-Party-Screenings, Hinweisgeberanalysen, ESG-Reportings oder Lieferkettenüberwachung – werden zunehmend automatisiert. Effizienz und Geschwindigkeit steigen, der Ressourcenaufwand sinkt.

Doch damit verschiebt sich auch der Charakter der Funktion: Compliance wird digitaler, datengetriebener, dynamischer – und verliert gleichzeitig an Übersichtlichkeit. Entscheidungen entstehen in Systemen, deren Logik nicht mehr von Juristen programmiert worden ist. Aus einer Kontrollfunktion wird eine Steuerungsaufgabe.

Die entscheidende Frage lautet nicht: Wie viel KI brauchen wir? Sondern: Wer steuert sie – und wer trägt die Verantwortung, wenn sie irrt?

Zwischen Fortschritt und Überforderung

Viele Heads of Compliance erleben derzeit einen doppelten Druck. Auf der einen Seite stehen sie unter Effizienzerwartung: schlankere Strukturen, automatisierte Abläufe, messbare Ergebnisse. Auf der anderen Seite wächst der Anspruch, neue Technologien, regulatorische Risiken und interne Prozesse in Einklang zu bringen.

Die Rolle ist komplexer geworden – und gleichzeitig strategischer. Der moderne Chief Compliance Officer ist nicht mehr nur Hüter der Regeln, sondern Gestalter von Strukturen. Er übersetzt regulatorische Anforderungen in Systeme, Datenströme und Entscheidungslogiken. Das verlangt mehr als juristische Exzellenz: technologische Neugier, Führungsstärke und interdisziplinäres Denken.

In Gesprächen mit Unternehmen und Kandidaten zeigt sich ein klarer Trend: Die Erwartung an Complianceführungskräfte ist gewachsen – in Tiefe, Tempo und Tragweite. Wer diese Entwicklung verschläft, riskiert, dass die Funktion zur Formalie verkommt.

Der Markt reagiert – neue Profile entstehen

In der Besetzung von Führungsrollen sehen wir, dass sich der Talentbedarf deutlich verschiebt. Gesucht werden keine reinen Juristen mehr, sondern Persönlichkeiten mit breitem Verständnis für Technologie, Governance und Kommunikation.

Neue Rollen entstehen: AI Compliance Officer, Data Governance Lead, Ethics Counsel, ESG & Risk Director.

Sie alle stehen für eine Entwicklung, in der Compliance zunehmend zum Knotenpunkt zwischen Recht, Datenmanagement und Unternehmensstrategie wird.

Unternehmen fragen heute gezielter nach Kompetenzen, die früher als „nice to have“ galten: Erfahrung in IT-Projekten, Kenntnisse in Datenanalyse, Changemanagement-Kompetenz. Wer diese Schnittstellen versteht, wird zum unverzichtbaren Partner für den Vorstand.

Die klassische Karriere über die Rechtsabteilung reicht nicht mehr aus. Zunehmend werden auch Kandidaten aus Audit, Risk oder Sustainability für Compliancepositionen berücksichtigt – ein Zeichen dafür, dass die Funktion breiter, strategischer und operativ näher an den Geschäftsprozessen ausgerichtet wird.

Recruiting mit Weitblick – was jetzt zählt

Aus Sicht der Personalberatung erleben wir eine klare Verschiebung: Unternehmen wollen keine Kontrolleure, sondern Gestalter. Der Fokus liegt auf Haltung, Kommunikationsstärke und technologischem Verständnis.

Viele Organisationen erkennen erst jetzt, dass die richtigen Köpfe über den Erfolg ihrer KI-Strategie entscheiden. Ein Tool ist nur so gut wie derjenige, der seine Ergebnisse interpretieren und verantworten kann. Genau dort trennt sich Kompetenz von Komfortzone.

Die Anforderungsprofile, die wir heute besetzen, spiegeln diesen Wandel deutlich wider: Führungskräfte, die Governance verstehen und Technologie einordnen können; Juristen, die mit Daten umgehen und Risiken priorisieren können: Complianceleiter, die interdisziplinäre Teams führen und Entscheidungen übersetzen können – für Vorstände, Aufsichtsräte und operative Einheiten.

Diese Profile sind selten – und sie entscheiden zunehmend über den Unterschied zwischen formaler und wirksamer Compliance.

Der kulturelle Faktor: Verantwortung bleibt persönlich

Trotz aller Automatisierung bleibt eines unverändert: Verantwortung lässt sich nicht digitalisieren. Systeme können Risiken erkennen, aber sie können sie nicht einordnen.

In einer KI-basierten Compliancearchitektur gewinnt der menschliche Faktor an Bedeutung. Vertrauen, Klarheit und Kommunikation sind keine „Soft Skills“, sondern Führungsinstrumente. Wer heute Compliance leitet, muss Vertrauen in komplexe, teilweise undurchsichtige Systeme schaffen – nach innen wie nach außen.

Dabei zeigt sich: Die erfolgreichsten Complianceführungskräfte sind nicht die, die alles wissen, sondern die, die bereit sind, über den Tellerrand zu denken. Sie vereinen Struktur mit Intuition, Datenverständnis mit Menschenkenntnis. Sie können Ambiguität aushalten – und trotzdem entscheiden.

Ausblick – Die Zukunft gehört den Übersetzern

Die juristische Welt steht an einem Punkt, an dem technologische Entwicklung und persönliche Verantwortung neu austariert werden müssen.

Compliance wird in den nächsten Jahren zu einem zentralen Steuerungsinstrument der Unternehmensführung – vorausgesetzt, sie entwickelt sich mit. Dafür braucht es Führungskräfte, die Recht, Risiko und Technologie verbinden können.

Die nächste Generation von Heads of Compliance wird keine Kontrollinstanz mehr sein, sondern Teil des strategischen Nervensystems eines Unternehmens. Sie wird nicht fragen: Was ist erlaubt? – sondern: Was ist verantwortbar?

KI verändert die Arbeit, aber nicht das Prinzip. Verantwortung bleibt menschlich. Und genau das macht diese Funktionen – richtig verstanden – so entscheidend für die Zukunft. 

Autor

Isabell Stoffers Indigo Headhunters, Frankfurt am Main Partnerin

Isabell Stoffers

Indigo Headhunters, Frankfurt am Main
Partnerin


isabell.stoffers@indigo-headhunters.com
www.indigo-headhunters.com