ComplianceBusiness ist eine Publikation der Produktfamilie Deutscher AnwaltSpiegel

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Produktivität als neuer Compliancemaßstab

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Zunehmend sehen sich Complianceteams mit einem Widerspruch konfrontiert: Während regulatorische Anforderungen wachsen und neue Aufgaben hinzukommen, stagnieren die personellen und finanziellen Ressourcen. Um diesem Spannungsfeld zu begegnen, ist ein neuer Umgang mit Komplexität gefragt – und ein gezielter Einsatz von Technologie. Damit diese ihr volles Potential entfalten kann, müssen Unternehmen über Einzeltools oder isolierte Digitalisierungsinitiativen hinausdenken und stattdessen einen integrierten Ansatz verfolgen: Das neue Ziel muss sein, Compliance nicht nur effizienter, sondern produktiver sowie anschluss- und zukunftsfähig zu gestalten – mit klaren Strukturen, automatisierten Abläufen und datengestützter Steuerung.

Die Kluft zwischen Anspruch und Alltag: manuell, fragmentiert, ineffizient

Die strategische Debatte um die Zukunft von Compliance ist von Stichworten wie Transformation, Effektivität und Risikosteuerung geprägt. Im Arbeitsalltag vieler Complianceverantwortlicher zeigt sich jedoch oft ein anderes Bild: Prozesse sind manuell, fragmentiert und zeitintensiv und damit weit entfernt von dem Anspruch, Compliance effizient und wirksam umzusetzen.

Trotz zunehmender Digitalisierung und Automatisierung erfolgt die tägliche Arbeit in vielen Complianceteams noch über E-Mail, Exceltabellen und individuelle Erinnerungen. Maßnahmen wie Schulungen, Abfragen oder Richtlinienbestätigungen werden als Einzelaktionen durchgeführt – losgelöst von weiteren Prozessen und ohne zentrale Übersicht. Die Folge: hoher Koordinationsaufwand, fehlende Transparenz und eingeschränkte Nachvollziehbarkeit.

Besonders herausfordernd wird die Lage in international tätigen Unternehmen mit verteilten Standorten und unterschiedlichen Arbeitsmodellen. Sprachbarrieren und uneinheitliche Zuständigkeiten erschweren eine konsistente Umsetzung und Überwachung von Compliancemaßnahmen zusätzlich.

Auch das Reporting ist in vielen Fällen noch reaktiv und schwerfällig. Daten liegen verstreut in unterschiedlichen Systemen oder werden händisch zusammengeführt. Anstelle fundierter Risikoanalysen und Managementeinblicke bleibt nur die Dokumentation vergangener Aktivitäten.

Mehr Wirkung mit weniger Mitteln: Der neue Anspruch an Compliance

Diese Realität steht in klarem Widerspruch zum steigenden strategischen Anspruch an Compliance. Studien wie die Gartner CCO Leadership Vision 2025 zeigen, dass Complianceführungskräfte längst erkannt haben: Um mit gleichbleibenden Ressourcen steigende Anforderungen zu erfüllen, braucht es neue Wege – nicht nur in der Strategie, sondern in der konkreten Umsetzung. Verantwortliche stehen vor der Aufgabe, die Compliancefunktion produktiver zu gestalten.

Gefragt sind Lösungen, die nicht nur Prozesse beschleunigen, sondern auch gezielt Ressourcen entlasten, Risiken sichtbar machen und Maßnahmen steuerbar machen. Digitale Tools können genau hier ansetzen – vorausgesetzt, sie werden richtig eingesetzt. Reaktive Abläufe müssen durch proaktive, datenbasierte Prozesse ersetzt werden, die mit der richtigen technologischen Basis ermöglicht werden.

Von der Einzelmaßnahme zur integrierten Struktur

Compliancetechnologie gilt längst nicht mehr nur als unterstützendes Werkzeug, sondern als zentraler Hebel für eine wirksame und skalierbare Funktion. Laut einer aktuellen PwC-Studie konnten 43% der befragten Compliance-Professionals höhere Produktivität sowie Kosteneinsparungen durch den Einsatz von Technologie bestätigen (siehe hier).

Der Schlüssel liegt jedoch nicht allein in der Implementierung, sondern in der gezielten und wirksamen Anwendung. Anstatt auf einzelne Tools oder punktuelle Digitalisierung setzen innovative Organisationen auf Integration. Konsolidierte Plattformen ermöglichen es, einheitliche Standards zu etablieren, Daten- und Zuständigkeitssilos zu verbinden und damit für Konsistenz in der Umsetzung zu sorgen – über Abteilungen, Regionen und Rollen hinweg. Davon profitieren Unternehmen jeder Größe – besonders deutlich wird der Effekt aber in komplexen, international aufgestellten Organisationen.

Eine technologische Infrastruktur schafft die Voraussetzung dafür, unter wachsendem Druck regulatorische Anforderungen zuverlässig umzusetzen: durch gezielte Maßnahmen, skalierbare Prozesse, fundierte Risikoanalysen und eine zielgerichtete Kommunikation. Drei Anwendungslogiken zeigen exemplarisch, wie zukunftsfähige Lösungen diesem Anspruch gerecht werden:

  • Segmentiertes, verhaltensorientiertes Engagement. Statt pauschaler Pflichtzuweisungen werden Maßnahmen zielgruppenspezifisch ausgespielt: Wer erhält wann welche Information? Wer muss welche Richtlinie bestätigen? Wer benötigt vertiefte Schulung? Relevanz ist der Schlüssel zur Wirksamkeit, denn sie erhöht die Akzeptanz. Maßnahmen, die als sinnvoll und rollenbezogen wahrgenommen werden, stoßen auf höhere Beteiligung. Dieses differenzierte Vorgehen ermöglicht auch eine präzise Messung der Wirksamkeit einzelner Maßnahmen und größerer Kampagnen. So wird aus einem bloßen Nachweis ein aktiver Steuerungsmechanismus.
  • Echtzeiteinblicke statt Excelexporte. Daten müssen nicht mehr manuell konsolidiert und ausgewertet werden. Dashboards, Visualisierungen und Filterfunktionen ermöglichen unmittelbare Einblicke in Risikolagen, Teilnahmequoten oder Prozesslücken. Führungskräfte benötigen zeitnahe Informationen, um im Zweifelsfall steuernd eingreifen zu können und die Wirksamkeit von Maßnahmen sowie weiteren Handlungsbedarf fundiert zu beurteilen. Echtzeitdaten machen Compliance nicht nur sichtbar, sondern steuerbar – auch für angrenzende Bereiche wie Audit, ESG oder Risikomanagement.
  • Automatisierung mit Augenmaß. Nicht jeder Prozess lässt sich vollständig automatisieren, aber viele wiederkehrende Aufgaben können effizient unterstützt werden, beispielsweise Erinnerungen, Zuweisungen, Eskalationsprozesse oder Fristenkontrollen. Die manuelle Bearbeitung solcher Abläufe ist zeitaufwendig und fehleranfällig. Automatisierung sorgt für Entlastung, ohne die Governancequalität zu beeinträchtigen. Mit wachsender regulatorischer Komplexität steigt auch der Bedarf an skalierbaren Prozessen. Automatisierung sichert Konsistenz und entlastet Ressourcen – eine zentrale Voraussetzung für Produktivität in der Compliance.

Künstliche Intelligenz: Weniger Aufwand, mehr Kontext

Diese Kernfunktionen zeigen, wie Technologie dazu beiträgt, Compliance wirksamer und ressourcenschonender zu gestalten. Auf dieser Grundlage lässt sich der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) gezielt weiterentwickeln – nicht als Selbstzweck, sondern als intelligentes Assistenzsystem, das bestehende Prozesse unterstützt und ihre Wirkung verstärkt.

Laut Gartner Leadership Vision 2025 setzen Chief Compliance Officer zunehmend auf KI und Data & Analytics zur Effizienzsteigerung, aber auch für Risikosteuerung und organisationsweite Anschlussfähigkeit. Schon jetzt können KI-basierte Lösungen Complianceteams dabei unterstützen, Meldungen zu klassifizieren, Muster zu erkennen oder Aufgaben zu priorisieren.

Zukünftig wird KI noch mehr analytische Aufgaben übernehmen: von der Identifikation von Trends (z.B. sinkende Beteiligungsraten in bestimmten Regionen) bis hin zu Handlungsempfehlungen („Ist eine zusätzliche Awarenesskampagne sinnvoll?“). Ihr strategischer Wert liegt dabei nicht in der vollständigen Automatisierung von Entscheidungen, sondern in ihrer fundierten Unterstützung: KI liefert Kontext, Geschwindigkeit und Skalierbarkeit.

Der Schlüssel zu mehr Wirksamkeit liegt in der richtigen Infrastruktur

Wie kann Compliance unter begrenzten Ressourcen wirksam und gleichzeitig strategisch anschlussfähig bleiben? Die Antwort liegt nicht in zusätzlicher Kontrolle oder neuen Prozessen, sondern in einem modernen Rollenverständnis: Compliance entwickelt sich zur Partnerin der Unternehmenssteuerung.

Technologie ist dabei der entscheidende Hebel, um die regulatorische Produktivität zu erhöhen – weniger Aufwand bei gleichzeitig mehr Transparenz und messbarer Wirksamkeit. Verhaltensorientiertes Engagement reduziert Reaktanz und erhöht Akzeptanz. Unternehmen, die heute in diese Grundlage investieren, schaffen nicht nur mehr Effizienz, sondern auch die Voraussetzungen für eine zukunftsfähige, strategisch vernetzte Compliancefunktion. Dafür braucht es keine radikale Neuausrichtung – nur den entschlossenen Schritt in eine intelligentere, produktivere Zukunft. 

Autor

Moritz Homann EQS Group, München Managing Director Corporate Compliance

Moritz Homann

EQS Group, München
Director Product Innovation & AI


moritz.homann@eqs.com
www.eqs.com