Die Verfolgung wettbewerbswidriger Absprachen im Bereich Human Resources („HR“) rückt zunehmend in den Fokus der Wettbewerbsbehörden weltweit, da gut funktionierende Arbeitsmärkte immer mehr als entscheidend für das Wirtschaftswachstum angesehen werden. Insbesondere in Europa hat sich ein Umschwung vollzogen. In den letzten Jahren hat die Europäische Kommission („Kommission“) gleich zwei Durchsuchungen mit Fokus auf HR-Themen durchgeführt (siehe hier). Im Mittelpunkt standen jeweils der Verdacht auf mögliche Absprachen in Form von Abwerbeverboten und der mutmaßliche Austausch sensibler Geschäftsinformationen, einschließlich von Vereinbarungen zur Lohnfestlegung (Wage-Fixing).
Neue Stellungnahme der Kommission
Im Mai 2024 veröffentlichte die Kommission eine Stellungnahme, in der sie erstmals ihre rechtliche Auffassung zu wettbewerbswidrigen Vereinbarungen im Bereich HR zusammenfasste. Die Signalwirkung für die nationalen Wettbewerbsbehörden ist nicht zu unterschätzen.
Die Kernelemente der Stellungnahme besagen, dass Vereinbarungen zur Lohnfestsetzung (sog. Wage-Fixing) und zum Abwerbeverbot (sog. No-poach-Agreement) grundsätzlich als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen gemäß Artikel 101 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union („AEUV“) eingestuft werden sollten.
Wage-Fixing und No-poach-Agreement
Wage-Fixing bezeichnet Vereinbarungen zwischen Unternehmen, bestimmte Gehälter für bestimmte Positionen zu zahlen. So könnten beispielsweise die Unternehmen A und B vereinbaren, dass sie für die Stelle des Legal Counsel jeweils in Zukunft ein Maximalgehalt von 60.000 Euro bezahlen wollen. Die Folge von derartigen Vereinbarungen ist insbesondere ein gesteigerter Druck auf die gezahlten Löhne, um diese hierdurch auf einem (künstlich) niedrigen Niveau zu halten. Es besteht somit eine gewisse Vergleichbarkeit mit „herkömmlichen Preisabsprachen“ zwischen Unternehmen, die in der Regel deren Verkaufspreise betreffen.
No-poach-Agreement ist der Oberbegriff für verschiedene Formen von Abwerbeverboten, die sich in die zwei Hauptkategorien „Non-solicit-“ und „No-hire“-Vereinbarungen unterteilen lassen. Bei „Non-solicit“-Vereinbarungen wird auf das aktive Anwerben von Arbeitnehmern verzichtet, die derzeit bei einem anderen Unternehmen angestellt sind. „No-hire“-Vereinbarungen wiederum erfassen den Fall, dass sowohl auf das aktive Anwerben als auch auf das passive Einstellen von (ehemaligen) Arbeitnehmern der jeweils anderen Unternehmen verzichtet wird. Die Auswirkungen solcher Vereinbarungen sind vergleichbar mit denen von Wage-Fixing. Auch hier wird die Dynamik auf dem Arbeitsmarkt reduziert und es finden weniger Wechsel der Arbeitgeber statt. Die an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen versuchen nicht mehr (nur) durch das Bieten höherer Löhne, Arbeitnehmer abzuwerben. Auch ist eine Anhebung der Gehälter dann bei bereits eingestellten Mitarbeitenden nicht mehr erforderlich, um sich vor Abwerbeversuchen der Konkurrenz zu schützen.
Einordnung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung
Die Kommission ordnet beide Verhaltensweisen grundsätzlich als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen und somit als „Hardcore-Verstöße“ ein. Hierfür sind die Vereinbarungen dahingehend zu prüfen, ob diese den Wettbewerb „hinreichend beeinträchtigen“. Zur Ermittlung ist auf den Inhalt der Bestimmungen, die hiermit verfolgten Ziele sowie den wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang abzustellen (vgl. EuGH, Urteil v. 11.9.2014 – C-67/13 P, Rn. 53). Ist dies der Fall, ist dies für Unternehmen besonders nachteilig, da dann eine tatsächliche negative Auswirkung auf den Wettbewerb gar nicht mehr dargelegt werden muss, damit ein Verstoß vorliegt. Die Kommission sieht beide Arten von Zuwiderhandlungen als unmittelbar von Art. 101 Abs. 1 a) bzw. c) AEUV erfasst: Lohnfestsetzungen als unmittelbare Preisfestsetzungen und Abwerbeverbote als eine Form der Marktaufteilung.
Möglicherweise gibt es legitime Gründe für Unternehmen, solche Vereinbarungen einzugehen. So kann es etwa darum gehen, in die Fortbildung eines Mitarbeitenden getätigte Investitionen oder auch nicht patentierbares Know-how vor der Mitnahme zur Konkurrenz zu schützen. Allerdings sind derartige Vereinbarungen trotz solcher legitimen Ziele nicht automatisch zulässig. Es gilt zu beachten, dass Arbeitskraft den fundamentalen Faktor der Produktivität und die Anwerbung der jeweils besten Mitarbeitenden somit einen Schlüsselfaktor für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens darstellen. Zudem können diese Ziele auch durch weniger einschränkende Vereinbarungen erreicht werden, insbesondere durch individuelle Vereinbarungen mit dem jeweiligen Arbeitnehmer. So könnte dieser verpflichtet werden, im Anschluss an bezahlte Fortbildungen einen bestimmten Zeitraum im Unternehmen zu verbleiben, oder ansonsten Rückzahlungen der Fortbildungskosten zu leisten.
In der Regel keine zulässige Nebenabrede
Die Kommission gesteht in ihrer Einschätzung zu, dass es sich bei derartigen Vereinbarungen im Einzelfall und unter engen Voraussetzungen um eine zulässige Nebenabrede handeln kann. Als Beispiel wird eine Forschungs- und Entwicklungskooperation zwischen Wettbewerbern angeführt, die diese ohne Abwerbeverbote nicht eingehen würden. Damit eine Nebenabrede ausnahmsweise zulässig ist, müssen vier kumulative Voraussetzungen erfüllt sein, für deren Vorliegen das jeweilige Unternehmen die Beweislast trägt:
- Es gibt eine den Wettbewerb nicht beschränkende Hauptabrede,
- die vorliegende Vereinbarung muss direkt und untrennbar mit dieser verbunden sein,
- die Beschränkung durch die vorliegende Vereinbarung muss objektiv notwendig sein und
- die Beschränkung muss verhältnismäßig sein. Das jeweilige Unternehmen muss zum einen darlegen können, dass es keine andere, den Wettbewerb weniger beschränkende Vereinbarung zur Erreichung des legitimen Ziels gegeben hätte. Zum anderen darf eine solche Vereinbarung jedenfalls nicht sämtliche Mitarbeitende eines Unternehmens betreffen, sondern allenfalls die unmittelbar von einer Hauptvereinbarung betroffenen Mitarbeitenden: Bei einer Forschungs- und Entwicklungskooperation etwa leitende technische Angestellte, die durch diese Kooperation ein gewisses Know-how aufbauen.
In der Regel keine Freistellung
Schließlich könnte eine solche Vereinbarung noch ausnahmsweise nach Art. 101 Abs. 3 AEUV freigestellt sein. Hiernach wäre erforderlich, dass
eine Verbesserung der Warenerzeugung oder Förderung des technischen Fortschritts eintritt,
- eine Beteiligung der Verbraucher erfolgt,
- die Beschränkung unerlässlich ist und
- diese den Wettbewerb nicht ausschaltet.
Auch insoweit verweist die Kommission im Wesentlichen auf ihre vorherigen Erwägungen, dass wettbewerbsfördernde Auswirkungen (jedenfalls von Lohnfestsetzungen) schwierig darzulegen sein werden. Außerdem weist sie darauf hin, dass allein Kosteneinsparungen insoweit kein zu berücksichtigender Faktor sind. Im Gegenteil stellen diese gerade die Kehrseite des Wettbewerbsverstoßes dar.
Freistellung nach der Vertikal-GVO möglich?
Auf die Möglichkeit der Freistellung einer solchen Vereinbarung, wenn die beteiligten Unternehmen auf unterschiedlichen Handelsstufen in der Produktions- oder Vertriebskette tätig sind (vertikales Verhältnis) geht die Kommission nicht ein. Zwar sind in einem solchen Verhältnis bis zu einer Marktanteilsschwelle von 30% grundsätzlich bestimmte, auch wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen freigestellt. Allerdings gilt dies nicht, wenn ein tatsächliches oder potentielles Wettbewerbsverhältnis besteht. Das Vertikalverhältnis müsste dabei auf dem von der Vereinbarung tatsächlich betroffenen Markt vorliegen. Dieser Markt dürfte strenggenommen der Markt für eine bestimmte Zielgruppe an Mitarbeitenden sein. Wenn die Unternehmen daher um die „gleiche Art“ von Mitarbeitenden konkurrieren, die im Unternehmen die gleiche Position einnehmen würden (z.B. Legal Counsel), kann bereits ein relevantes Wettbewerbsverhältnis vorliegen. Eine Freistellung käme dann nicht in Betracht.
HR-Compliance: Neue Herausforderung für Unternehmen
Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass Unternehmen Lohnfestsetzungsvereinbarungen sowie Abwerbeverbote stets auf ihre kartellrechtliche Relevanz hin prüfen müssen. Dies gilt sowohl für ausdrückliche Vereinbarungen als auch für den Austausch von detaillierten Informationen über individuelle Gehälter von Mitarbeitenden. Kartellrechtliche Compliance im HR-Bereich stellt Unternehmen vor eine neue Herausforderung, und alle Mitarbeitenden müssten dafür sensibilisiert werden. Um Compliance im HR-Bereich zu fördern und effektiv zu implementieren, bieten sich folgende Verbesserungsansätze an:
- Spezielle Kartellrechtsschulungen für HR-Themen: In der Vergangenheit haben Unternehmen kartellrechtliche Compliance-Schulungen in erster Linie Außendienstmitarbeitenden angeboten, da diese am ehesten Kontakte zu Kunden und Wettbewerbern haben. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung ist es empfehlenswert, solche Schulungen auf weitere Abteilungen, insbesondere den HR-Bereich, auszuweiten.
- Überarbeitung der internen Complianceleitfäden: Zudem sollten interne Complianceleitfäden überarbeitet und gegebenenfalls um die relevanten HR-Themen ergänzt werden. Diese könnten in digitaler Form auf dem internen Portal des Unternehmens für alle Mitarbeitenden dauerhaft bereitgestellt werden.



