Das Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivil- und in den Fachgerichtsbarkeiten

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Die Digitalisierung hat in den vergangenen Jahren – unter anderem vor dem Hintergrund der Coronapandemie – enorm an Fahrt aufgenommen. Nun steht auch die Justiz (hoffentlich) vor einem weiteren Schritt im Zuge ihrer digitalen Transformation. Ein Entwurf für ein Gesetz (siehe hier) zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und in den Fachgerichtsbarkeiten soll die Justiz modernisieren sowie den Zugang zur Justiz einfacher gestalten. Der Gesetzentwurf hat das Ziel, den Einsatz von Videokonferenztechnik in Gerichtsverfahren zu erleichtern und zu fördern. Der von der Bundesregierung beschlossene Entwurf ist bereits an den Bundesrat weitergeleitet, dort aber noch nicht beraten worden.

Der Einsatz von Videokonferenztechnik in der Justiz bietet eine Vielzahl von Vorteilen. Ein wesentlicher Aspekt ist die damit einhergehende zeitliche und örtliche Flexibilität: Gerichtstermine via Videokonferenz sparen Reisekosten und Zeit und erleichtern die Terminabstimmung. Personen, die aufgrund der Entfernung, aus gesundheitlichen Gründen oder wegen anderer Verpflichtungen an der Wahrnehmung eines Termins gehindert sind, können so gegebenenfalls doch teilnehmen. Der Grundsatz der gleichberechtigten Teilhabe an der Justiz wird verwirklicht. Auch entfällt die Stellung von unzähligen Terminverlegungsanträgen.
Durch eine Optimierung der zeitlichen Abläufe und der Terminierung kann zugleich die Verfahrensdauer reduziert werden, so dass man sich eine Entlastung der Justiz erhofft.

Mit dem Gesetzentwurf sollen die bestehenden Regelungen für die Nutzung von Videotechnologie in der Justiz ergänzt werden. Die geplanten Änderungen sollen für die Gerichte aller fünf Gerichtsbarkeiten gelten.

 

Aktuelle Rechtslage

Die Möglichkeit, mündliche Verhandlungen per Bild- und Tonübertragung als sogenannte Videoverhandlung durchzuführen und auch Beweispersonen auf diese Art und Weise zu vernehmen, besteht nach § 128a ZPO schon seit dem 01.01.2002. Die aktuelle Fassung von § 128a ZPO vom 01.11.2013 sieht vor, dass das Gericht den Beteiligten „auf Antrag oder von Amts wegen gestatten kann, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen“.

Diese Vorschriften zur Möglichkeit der Videoverhandlung fristeten bis zum Beginn der Coronapandemie ein Schattendasein. Um Verfahren, die nicht im schriftlichen Verfahren entschieden werden konnten, während der Pandemie weiterbetreiben zu können, gewann § 128a ZPO jedoch an Bedeutung. Und auch nach Ende der Kontaktbeschränkungen besteht die Alternative, mündliche Verhandlungen per Bild- und Tonübertragung durchzuführen, fort. Richter und Richterinnen hingegen müssen sich nach derzeitiger Rechtslage gemäß § 219 ZPO auch im Fall einer Videoverhandlung weiterhin im Sitzungssaal befinden, wo die Öffentlichkeit an der mündlichen Verhandlung grundsätzlich teilnehmen kann.

 

Geplante Änderung von § 128a ZPO

§ 128a ZPO als zentrale Norm für Verhandlungen per Bild- und Tonübertragung soll nun neu gefasst werden. Der Regierungsentwurf schafft dabei die Möglichkeit einer vollständig online stattfindenden Gerichtsverhandlung, bei der das Gericht ebenfalls nicht im Sitzungssaal anwesend sein muss (§ 128a Abs. 4 ZPO-E).

§ 128a Abs. 2 Satz 2 ZPO-E soll gemäß dem Regierungsentwurf zukünftig regeln: „Wenn alle Prozessbevollmächtigten ihre Teilnahme per Bild- und Tonübertragung beantragen, soll der Vorsitzende diese anordnen.“ Die neue Norm soll also verhindern, dass ein Gericht die Videoverhandlung pauschal und ohne Angabe von Gründen ablehnt. Die Parteien sollen so die Möglichkeit erhalten, das Gericht übereinstimmend zur Videoverhandlung anhalten zu können. Lehnt ein Gericht die Videoverhandlung dennoch ab, so muss diese Ablehnung sachlich begründet werden. Insbesondere der Deutsche Richterbund wandte sich in seiner Stellungnahme zum Entwurf (siehe hier) gegen diese „Sollvorschrift“, da sich nicht jedes Verfahren für die Durchführung als Videoverhandlung eigne und die Norm einen Eingriff in die Entscheidungshoheit über die Verfahrensleitung bedeute.

Gegen den Beschluss der Anordnung einer mündlichen Verhandlung per Bild- und Tonübertragung können die Beteiligten innerhalb von zwei Wochen Einspruch einlegen. Der Einspruch ist mit Ausnahme der Fristbindung an keine Voraussetzungen geknüpft, insbesondere muss der Einspruch nicht begründet werden. Mit dieser Regelung soll im Sinne des rechtlichen Gehörs sichergestellt werden, dass kein Verfahrensbeteiligter gegen seinen Willen in eine Verhandlung per Bild- und Tonübertragung gezwungen werden kann, sondern stets die Möglichkeit hat, unter Nutzung der Einspruchsmöglichkeit auch physisch im Gericht zu erscheinen. Wird der Einspruch fristgerecht eingelegt, ist die Anordnung der Videoverhandlung gegenüber allen Verfahrensbeteiligten aufzuheben (§ 128a Absatz 5 Satz 3 ZPO-E).

In Ergänzung zu § 128a ZPO-E soll ein neuer § 227 Abs. 1 ZPO-E geschaffen werden, wonach von einer Terminsverlegung immer dann abgesehen werden soll, wenn der Termin als Videoverhandlung oder als Beweisaufnahme durchgeführt werden kann und die erheblichen Gründe für eine Terminsverlegung dadurch entfallen. Nach Ansicht des Bundesverbands der Wirtschaftskanzleien in Deutschland (BWD; siehe hier) sollte jedoch aufgrund eines verspäteten Erscheinens eines Verfahrensbeteiligten die Verhandlung nicht spontan in eine Videoverhandlung umgewandelt werden können. Vielmehr sollte die Anberaumung eines neuen Termins erfolgen, der dann von Beginn an als Videoverhandlung geplant wird.

Die neuen Regelungen zum Einsatz der Videokonferenztechnik sollen ausdrücklich nur für solche Verhandlungen Anwendung finden, bei denen sich alle Verfahrensbeteiligten im Inland befinden. Die Videokonferenzzuschaltung von Verfahrensbeteiligten im Ausland, die die territoriale Souveränität des ausländischen Staates berührt, soll weiterhin nur im Rahmen der Rechtshilfe möglich bleiben.

 

Videoeinsatz bei der Beweisaufnahme

Der Regierungsentwurf sieht weiter eine Änderung des die Beweisaufnahme regelnden § 284 ZPO dahingehend vor, dass das Gericht diese nunmehr per Bild- und Tonübertragung anordnen kann. Zukünftig soll also eine Inaugenscheinnahme im Wege der Videobeweisaufnahme möglich sein. Auch Dolmetscher sollen sich per Video dazuschalten können (§ 185 GVG-E). Nur die Erhebung eines Urkundenbeweises im Wege der Videobeweisaufnahme bleibt ausgeschlossen, da nach § 420 ZPO die Urkunde dem Gericht im Original vorzulegen ist (§ 284 Abs.  2 ZPO-E).

Etwaigen Bedenken gegenüber dem Einsatz von Videoverhandlungen bei Partei- oder Zeugenvernehmungen durch eine mögliche unrechtmäßige Einflussnahme durch Dritte am Aufenthaltsort der Beweisperson begegnet der Regierungsentwurf damit, dass das Gericht zukünftig bei Bedarf anordnen können soll, dass sich Zeugen oder Zeuginnen, Sachverständige oder Parteien während der Videoverhandlung in einer vom Gericht zu bestimmenden Geschäftsstelle eines anderen ortsnäheren Gerichts aufzuhalten haben. Dieses ortsnähere Gericht hat die notwendigen örtlichen Vorkehrungen im Rahmen der Rechtshilfe in entsprechender Anwendung der §§ 156 ff. GVG zu treffen und zur Verfügung zu stellen. Dies betrifft insbesondere die Zurverfügungstellung eines für die Vernehmung geeigneten Raums, der notwendigen Videokonferenztechnik sowie des erforderlichen Personals.

Bei der Anordnung einer Beweisaufnahme per Bild- und Tonübertragung steht ein Einspruchsrecht nach § 128a Abs. 5 Satz 1 ZPO-E ausschließlich den zu vernehmenden Parteien und Zeugen zu, nicht aber den Sachverständigen (§ 284 Abs. 2 Satz 4 ZPO-E). Grund hierfür: Die Befragung durch ein Gericht ist insbesondere für Privatpersonen Neuland. Bei Sachverständigen wird davon ausgegangen, dass sie über die für die Teilnahme an einer Videoverhandlung erforderliche Technik verfügen und mit dieser professionell umgehen können.

 

Wahrung des Grundsatzes der Öffentlichkeit und moderne Dokumentationsmöglichkeiten

Zur Wahrung des Grundsatzes der Öffentlichkeit gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 GVG muss im Fall einer vollständig online stattfindenden Gerichtsverhandlung, bei der auch das Gericht nicht im Saal anwesend ist, die Videoverhandlung jedoch zusätzlich in Bild und Ton an einem öffentlich zugänglichen Raum im Gericht übertragen werden.

Die Regelungen zur vorläufigen Protokollaufzeichnung in § 160a ZPO-E sollen dahingehend erweitert werden, dass die Möglichkeit geschaffen wird, eine Bild- und Tonaufzeichnung der mündlichen Verhandlung und der Beweisaufnahme anzufertigen. Diese Aufzeichnung würde im Anschluss transkribiert, so der Gesetzentwurf.

§ 129a Abs. 2 ZPO-E regelt die Möglichkeit, Erklärungen zu Protokoll der Geschäftsstelle per Bild- und Tonübertragung abzugeben, womit keine persönliche Anwesenheit der Rechtsuchenden in der Rechtsantragstelle mehr notwendig ist. § 129a Abs. 1 ZPO-E regelt, dass diese Erklärungen bei jedem Amtsgericht abgegeben werden können.

 

Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft

Das Ansinnen des Gesetzgebers ist begrüßenswert und überfällig, aber kann die Justiz leisten, was sich der Gesetzgeber vorstellt? Ein zentrales Thema, auf das insbesondere die Bundesrechtsanwaltskammer in ihrer Stellungnahme vom 01.01.2023 (siehe hier) hingewiesen hat, ist die defizitäre technische Ausstattung vieler Gerichte: Von 1.085 Gerichten in Deutschland sind nur 435 videokonferenzfähig. Ebenso fehlt das Personal in den IT-Abteilungen. Aus Sicht der Anwaltschaft sollte darüber hinaus ein „geschützter Raum“ zur Verfügung stehen, den die Anwaltschaft zum Austausch mit Mandanten oder auch zum Zweck von Vergleichsverhandlungen mit der Gegenseite nutzen könnten („Breakout Room“). Dieser geschützte Raum müsste sowohl während der Videoverhandlung als auch im Fall von Sitzungsunterbrechungen zur Verfügung stehen.

Unter der Voraussetzung, dass beim Einsatz der Videokonferenztechnik die Vertraulichkeit und Integrität der übertragenen Informationen gewährleistet wird, sieht der BWD in seiner Stellungnahme (siehe hier) im Einsatz von Videokonferenztechnik ein großes Potential zur Effizienzsteigerung und Kostenersparnis. Allerdings weist der Verband auch darauf hin, dass bei komplexen und umfangreichen Verfahren der persönliche Austausch zwischen Anwälten und Richtern weiterhin von großer Bedeutung ist. Dieser Aspekt betrifft ebenso die Frage der Glaubwürdigkeit von Zeugen und die Möglichkeit der Beeinflussung von außen. Es kann schwieriger sein, nonverbale Signale und Gesten zu erkennen, die zur Bewertung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen und der Glaubhaftigkeit der Aussagen beitragen können.

 

Fazit

Das Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und in den Fachgerichtsbarkeiten markiert einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Insgesamt hat Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern jedoch in Bezug auf die Digitalisierung der Justiz noch Aufholbedarf. Estland ermöglicht es beispielsweise schon jetzt, Gerichtsverfahren vollständig online abzuwickeln. Die Niederlande verfügen über ein System zur elektronischen Aktenführung, das den schnelleren Zugriff auf Gerichtsakten ermöglicht und den Prozess für Anwälte, Richter und sonstige Beteiligte vereinfacht. Im Vergleich dazu ist in der deutschen Justiz diesbezüglich noch viel zu tun – aber es gibt definitiv Fortschritte. Das allein ist schon mehr, als es in den vergangenen Jahren zu berichten gab.

 

johanna.weissbach@pinsentmasons.com

sandra.groeschel@pinsentmasons.com

 

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