Die gute Nachricht vorweg:
Es erwartet Sie viel Rechtsarbeit
Die Klärung von Rechtsfragen wird weiter Konjunktur haben, vielleicht sogar mehr denn je. Bisher schon aktuelle Themen (etwa Compliance und Datenschutz) bleiben weiterhin wichtig, und es gibt auch einen gewissen Nachholbedarf (zum Beispiel bei M&A). Überdies kommen wieder neue Tätigkeitsfelder dazu (etwa Nachhaltigkeit beziehungsweise ESG und Cybersicherheit). Um zeitnah und richtig zu beraten, sind diese Gebiete stets mitzuberücksichtigen. Dieser zusätzliche Fokus wird nicht nur mehr Ressourcen erfordern, sondern die neuen Herausforderungen werden auch die Rolle der verschiedenen Rechtsdienstleister weiter klären. Und all das geschieht weiterhin in einem sich laufend verändernden Umfeld, das die Vorgesetzten vor allem in ihrer Leadership zusätzlich fordern wird. In dieser VUCA-Welt (volatility, uncertainty, complexity, ambiguity) wird deshalb die Kundennähe und -betreuung noch wichtiger. Die Kunden werden vermehrt einen klar wahrnehmbaren Nutzen und Wertbeitrag erwarten, was übrigens mehr als nur die Lieferung eines korrekten Rechtsrats bedeutet.
Alternative Legal Service Provider:
Der Markt wird sich konsolidieren
Die ursprünglich primären Rechtsdienstleister, die Anwaltskanzleien, haben über die letzten Jahrzehnte hinweg substantiell Boden an die Rechtsabteilungen verloren. Über die Gründe mag man gerne spekulieren. Tatsache bleibt jedoch, dass die Rechtsabteilungen massiv aufgerüstet haben und heute den Großteil der juristischen Arbeiten selbst, günstiger und aus Kundensicht besser erledigen (Stichwort: Insourcing). Seit ein paar Jahren werden diese beiden traditionellen Rechtsdienstleister von neuen Rechtsdienstleistern (sogenannten Alternative Legal Service Provider, ALSP) herausgefordert, die mit einer anderen Value Proposition am Markt auftreten und darauf aus sind, sich eine Scheibe vom Kuchen abzuschneiden. Bisher kamen diese „neuen Wilden“ zwar mehr einer Start-up-Community gleich, aus der sich gefühlt fast täglich neue Unternehmen mit viel Energie, Innovation und großartigen Ideen und Produkten sowie Services am Markt präsentierten. Diese Angebote wirken aber oft isoliert und sind schwierig im Kontext zu erfassen und zu verstehen. Dies fordert vom potentiellen Kunden ein großes Maß an Aufwand und Verständnis, weshalb am Ende das Risiko einer falschen Entscheidung hoch bleibt. Dieser noch etwas unstrukturierte Markt beginnt nun jedoch, sich weiter zu konsolidieren. Vor allem mobilisieren sich die Rechtsarme der Big 4, die in Sachen Technologie und integrierte Beratung den Takt angeben wollen. Es werden Kräfte gepoolt, die sich zu einer stärker wahrnehmbaren Positionierung im Markt entwickeln. Ferner beginnen sich die Demarkationslinien zwischen den einzelnen Rechtsberatern zu verwischen. Anwaltskanzleien und Rechtsabteilungen kooperieren vermehrt mit ALSPs, und Kanzleien kaufen bereits direkt bei ALSPs ein. Die Digitalisierungsbestrebungen bei Geschäftskunden und bei Rechtsdienstleistern gepaart mit dem steigenden Wettbewerb durch neue Anbieter werden den Rechtsmarkt weiter verändern.
War for Talent – ein Evergreen
Europäische Kanzleien haben während der Pandemie, anders als ihre amerikanischen Kollegen, vorsichtig gehandelt und nicht sofort mehr Anwälte angestellt. Das ist sowohl dem generellen Geschäftsmodell von Anwaltskanzleien, das keine große Akkumulierung von Reserven für Investitionen vorsieht, als auch der Arbeitskultur in Europa geschuldet, die keine „Hire-and-fire“-Mentalität kennt. Nachdem für Kanzleien – trotz oder gerade wegen der Pandemie – finanziell gesehen bereits 2020 ein gutes Jahr war und 2021 voraussichtlich ein noch besseres werden wird, ist zu erwarten, dass auch der europäische Markt nach mehr Anwälten verlangen wird. Auf dem Rekrutierungs- und Lateralmarkt wird die Nachfrage steigen, erst recht für sogenannte Talente. Um im Rennen um die Besten erfolgreich zu sein, wird gegenwärtig eine Maßnahme eingesetzt, die schnell umsetzbar ist und für genügend Visibilität am Markt sorgt: Gehaltserhöhungen. Erste Kanzleien in Deutschland bezahlen bereits Jahressaläre von 160.000 Euro für Berufseinsteiger (vgl. JUVE 12/2021). Das ist kein Problem für Kanzleien mit wenigen Beginnern, wo das wohl eher als Marketinginvestment verbucht wird. Herausfordernd ist diese Lohnspirale nach oben jedoch sowohl für Kanzleien mit jährlich vielen Berufseinsteigern als auch für die kleinen und mittelgroßen Einheiten, die so hohe Gehälter bereits vorher nicht mehr bezahlen konnten.
Hört man heute Kanzleien klagen, die „Qualität“ der Einsteiger – und angeblich auch das vorhandene Talent – hätten sich verschlechtert, sprechen sie damit oft vielmehr nur den Umstand an, dass es nicht mehr genug junge Anwälte gebe, die bereit seien, das von der Kanzlei erwartete hohe Arbeitspensum zu leisten. Angesichts der substantiellen Einstiegsgehälter mag die Klage der Kanzleien zwar berechtigt sein, mit der Klage über fehlendes fachliches Talent hat das aber nichts zu tun. Diese Situation könnte meines Erachtens dadurch stark entspannt werden, wenn man einfach seitens der nachfragenden Kanzleien und Rechtsabteilungen die Anforderungen an Talente überdenken und die Arbeitsbedingungen entsprechend anpassen würde (Stichwort: Frauen). Ferner sollten meines Erachtens Kanzleien vorsichtig mit Gehalts- und Bonuszahlungen umgehen. Erstens senden sie damit klare Signale, wie sie die Werte der Anwälte einschätzen und was von ihrer Arbeitskultur zu erwarten ist. Zweitens wissen ihre Kunden natürlich, wer diese hohen Einkommen letzten Endes bezahlen wird, weshalb sie entsprechende Reaktionen nicht überraschen sollten. Kanzleien haben in der Vergangenheit bereits erlebt, dass Rechtsabteilungen mit den „Füßen wählen“ und ihre ursprünglich an Kanzleien ausgelagerte Arbeit wieder zurückgenommen und selbst erledigt haben (Insourcing). Kanzleien täten in den anstehenden Veränderungen deshalb gut daran, die Rechtsabteilungen nun nicht auch noch aktiv in die Arme der ALSPs zu treiben.
Neue Arbeitsbedingungen
Wir alle haben coronabedingt zwei Jahre unter neuen Arbeits- und Rahmenbedingungen gearbeitet. Und es hat überraschenderweise, gewissen Unkenrufen zum Trotz, bestens funktioniert, und der neue Modus hat sich gut etabliert. Warum sollten wir das also wieder ändern wollen? Sollten wir angesichts der noch immer für die Zukunft bestehenden vielen und immer wieder neuen Unsicherheiten in Form von Virusvarianten, Maßnahmen und potentiellen Lockdowns nicht eher akzeptieren, dass wir eigentlich bereits in einem „neuen Normalen“ leben? Während der Pandemie haben wir uns schnell an Homeoffice und Meetings am Bildschirm gewöhnt. Beides war noch bis vor zwei Jahren schlicht undenkbar. Beide Formen haben sich inzwischen aber bestens bewährt und werden zu einem bestimmten Grad auch bleiben – die Widerstandskräfte sind geschwunden und der Change ist damit abgeschlossen. Einerseits, weil jüngere Generationen diese neuen Freiheiten nicht mehr so schnell aufgeben wollen, stattdessen wohl vielmehr den Arbeitgeber wechseln würden. Andererseits, weil auch Arbeitgeber gemerkt haben, dass man mit den Themen Operations und Digitalisierung durchaus Kosten sparen und die Flexibilität erhöhen kann. Es wird sich für das Tagesgeschäft eine neue Routine entwickeln, wobei uns die konkreten Auswirkungen der veränderten Rahmenbedingungen noch nicht alle klar sind. Der Wunsch nach persönlichem Kontakt und der Wert von echter Facetime zu Vorgesetzten (Stichwort: Karriereplanung) sowie zu Kunden (Stichwort: Vertrauensbildung) wird noch zeigen müssen, wie sehr wir trotz technischer Fortschritte dennoch „Höhlenmenschen“ geblieben sind.
Remote Leadership verlangt nach einem Reset
Wenn wir bei Anwälten schon bisher den Mangel an guter Mitarbeiterführung beklagten, dann wird mit der seit fast zwei Jahren andauernden Führung auf Distanz noch eine weitere Schippe draufgelegt. Die Vorgesetzten leben heute in einer Zeit, auf die sie nicht vorbereitet wurden und für die die traditionellen Führungstools und -prinzipien nicht vorbehaltlos anwendbar sind. Sie müssen ihre Teams plötzlich ohne Dauerkontakt managen, das Thema Vertrauen wird einer Bewährungsprobe ausgesetzt, und das ständige On-and-Off mit Coronamaßnahmen verlangt von den Vorgesetzten fortwährendes Change- und Krisenmanagement. Gerade in Expertenteams mit Anwälten, in denen Beförderungen viel mehr nach fachlicher Exzellenz und weniger wegen hervorragender Führungsfähigkeiten erfolgen, kann das für den Zusammenhalt des Teams und die Zufriedenheit des Einzelnen gefährlich werden. Die Rekrutierung von vielversprechenden neuen Mitarbeitenden, vor allem den gesuchten Talenten, und deren möglichst langer Retention muss aus Sicht der Führung neu überdacht werden. Gewisse Kanzleien mögen gute Gründe haben, um (noch) nicht auf den Digitalisierungszug (sprich: Legal Tech) aufspringen zu wollen. Dann sollte man aber wenigstens darauf achten, die menschlichen Ressourcen richtig zu pflegen. Vernachlässigt man beides, wird es künftig schwierig werden.
Auch das Jahr 2022 wird in verschiedener Hinsicht spannend werden. Freuen wir uns darauf!