Bemerkungen zur Of-Counsel-Entscheidung des BGH [Beschluss vom 22.07.2020, AnwZ (Brfg) 3/20]

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Einführung
Anwälte sind speziell. Sie gelten als strukturiert. Sie teilen zum Beispiel die Welt in Personen und Sachen ein, aber auch in Anwälte und Nichtanwälte. Anwälte sind diejenigen, die nach zwei juristischen Examen eine Zulassung bekommen haben, aufgrund derer sie sich Rechtsanwalt nennen dürfen. Die anderen sind die anderen. Sicherlich alles nette Leute, die anderen, aber wenn es um die berufliche Zusammenarbeit geht, sind es eben die anderen. Nach § 59a Abs. 1 BRAO dürfen Anwälte sich nur mit ganz bestimmten Berufsgruppen zur gemeinsamen Berufsausübung zusammenschließen, im Wesentlichen mit Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und Patentanwälten. Es geht sogar so weit, dass Anwälte neben ihrer Zulassung nicht jeden weiteren Beruf ergreifen dürfen, zum Beispiel nicht Makler oder Professor. Es ist eben alles sehr speziell.

Gemeinschaftliche Berufsausübung ist ein sehr weitreichender Begriff. Praktizieren als Gesellschafter in einer anwaltlichen Berufsausübungsgemeinschaft gehört dazu, oder auch in einer Bürogemeinschaft, verstanden als gemeinsam genutzte Räume und sonstige Ressourcen, so dass der eine mitbekommen kann, was beim anderen läuft (§ 59a Abs. 3 BRAO), aber auch außerhalb von Sozietäten oder Bürogemeinschaften, etwa aufgrund eines Rahmenvertrags. Nur wenn es darum geht, wer bei einem Rechtsanwalt als Angestellter arbeiten darf, gibt es kaum gesetzliche Grenzen.
Zusammenarbeit und Verschwiegenheit

Das ist nicht die gesetzliche Zementierung des Andersseins von Anwälten oder gar gesetzgeberische Willkür, sondern hängt mit der Verschwiegenheitspflicht von Anwälten zusammen. Diese Pflicht – oder besser das Recht und der Anspruch eines Mandanten, dass seine vertraulichen Informationen auch vertraulich bleiben – ist essentiell für die Rechtspflege, denn ohne diese Sicherheit würden sich Mandanten ihrem Anwalt nicht anvertrauen. Das Vertrauen zwischen Anwalt und Mandant ist die zentrale Grundlage des Mandatsverhältnisses – ohne dieses Vertrauen funktioniert es nicht. Die Schweigepflicht des Anwalts ist berufsrechtlich normiert, und darüber hinaus macht der Anwalt sich strafbar, wenn er diese Pflicht verletzt. Verletzt der Anwalt seine Verschwiegenheitspflicht, riskiert er überdies seine Zulassung. Diese Pflicht gilt auch für Mitarbeiter des Anwalts (oder, in der Sprache des Gesetzes: die berufsmäßig tätigen Gehilfen).

Hinzu kommt: Mandanteninformationen sind beim Anwalt in sicheren Händen. Weder er noch seine Mitarbeiter müssen als Zeugen über Mandanten aussagen, Mandanteninformationen und -unterlagen sind beim Anwalt vor polizeilicher Beschlagnahme geschützt.

Dies ist der Grund für die Einschränkungen der Zusammenarbeitsmöglichkeiten – es soll vermieden werden, dass die Sicherung der Vertraulichkeit dadurch unterlaufen wird, dass jemand von ihnen Kenntnis erhält, der mit dem Anwalt zusammenarbeitet, ohne selber einer strafbewehrten Verschwiegenheitspflicht zu unterliegen oder ohne sein „berufsmäßig tätiger Gehilfe“ zu sein. Denn dann könnte die Staatsanwaltschaft diese Person als Zeugen über das vernehmen, was er über einen Mandanten oder aus einem Mandat erfahren hat, und bei Durchsuchungen in gemeinsamen Aktenräumen bestünde vielleicht doch die Gefahr, dass an sich beschlagnahmefreie Dokumente von der Polizei mitgenommen werden.

Alte Geschichten
Der jetzt vom BGH entschiedene Fall hat ein älteres Geschwisterkind, und dass er den vorliegenden Fall so entschieden hat, wie er es nun mal getan hat, war deshalb nicht überraschend. Im Mai 2017 entschied der AGH Celle (der auch hier die Vorinstanz war) über die Sozietät zwischen einem Anwalt und einem nichtanwaltlichen Mediator und kam zu dem Ergebnis, dass das gegen § 59a BRAO verstoße (AGH Niedersachsen vom 22.05.2017 – AGH 16/16, ZKM 2017, 196, 198 f. mit Anmerkung des Verfassers). Das ältere Geschwisterkind für den vorliegenden Fall war das damalige Urteil des BGH vom 29.01.2018, mit dem die Berufung zurückgewiesen wurde [BGH vom 29.01.2018 – AnwZ (Brfg) 32/17, NJW 2018, 1095 mit Anmerkung des Verfassers].

Das alles geschah vor dem Hintergrund lebhafter Diskussionen über die Liberalisierung der interprofessionellen Zusammenarbeit und angesichts der sogenannten „Horn“-Entscheidung des BVerfG vom 12.01.2016, in der entschieden worden war, dass Anwälte auch mit Ärzten und Apothekern in einer Partnerschaftsgesellschaft zusammenarbeiten dürften; § 59a BRAO, der das nicht erlaube, sei jedenfalls insoweit verfassungswidrig (Hartung, Die Sache Horn – Beobachtungen aus einem berufsrechtlichen Kartenhaus, Deutscher AnwaltSpiegel 03/2016, 10.02.2016, S. 15 ff.)

Damals wurde prognostiziert, dass die minimalinvasive Vorgehensweise des BVerfG zu einer Reihe weiterer Verfahren führen würde, denn nun müssten alle diejenigen Berufe, mit denen Anwälte sich verbinden wollten, durchgekämpft werden, und das angesichts einer Norm, die schon seit 2006 eigentlich abgeschafft oder jedenfalls erheblich geändert werden solle. Ganz so schlimm kam es dann nicht. Aber wer erwartet hatte, der BGH werde nun großzügiger entscheiden, wurde enttäuscht, und wenn man die damalige Entscheidung nicht rechtspolitisch, sondern juristisch betrachtet, war das nicht völlig falsch. Eins der Hauptargumente war, dass die Verschwiegenheitsverpflichtung sowie das Beschlagnahmeverbot verwässert und gefährdet würden, wenn sich Anwälte mit Berufen, die ihrerseits keiner berufsspezifischen Verschwiegenheitspflicht unterliegen, in einer Berufsausübungsgemeinschaft befänden. Das war nicht unvertretbar, denn es kam noch eine weitere Besonderheit dazu: Die BGH-Entscheidung von Januar 2018 wurde auf Basis des alten § 203 StGB getroffen. Nach dem alten Rechtszustand des § 203 StGB war es durchaus vertretbar, wenn man die interprofessionelle Zusammenarbeit mit solchen Berufen verhinderte, die ihrerseits keine berufsspezifische Verschwiegenheitspflicht hatten. Erst seit der Neufassung des § 203 StGB im November 2017 muss man das differenzierter sehen, aber das ist eine andere Geschichte (Hartung, Outsourcing geregelt? So einigermaßen … Eine Betrachtung der Neuregelung in § 203 StGB und von § 43e BRAO, Deutscher AnwaltSpiegel 25/2017, 13.12.2017, ­S. 13 ff.).

Der Fall
Der jetzt entschiedene Fall spielte wieder in Niedersachsen, betraf aber keinen Mediator, sondern einen Juraprofessor, genauer Herrn „Prof. Dr. P. von der Hochschule H“ (man kommt sich vor wie im Klausurenkurs). Bis 2005 war Herr Prof. Dr. P. als Rechtsanwalt zugelassen. Vor dem § 59a Abs. 1 BRAO spielt das aber keine Rolle, denn es gibt Anwälte und Nichtanwälte, ich erwähnte es. Nach § 59a Abs. 1 BRAO sind auch einige andere Berufsgruppen „vereinbare Berufe“, aber Juraprofessoren gehören nicht dazu, nicht einmal Universitätsjuraprofessoren (dass Professoren oft auch nicht gleichzeitig Anwalt sein dürfen, wohl aber vor obersten Bundesgerichten außer dem BGH auftreten dürfen, ist eine andere Geschichte). Gleichwohl spielte Herr Prof. Dr. P. für die Sozietät und deren Mandanten eine wichtige Rolle: Nach einem Rahmenvertrag aus dem Jahr 2013 umfasste sein „Aufgabenbereich (…) unter anderem auch die Beratung von Mandanten in arbeits- und betriebsverfassungsrechtlichen sowie auch personalwirtschaftlichen Angelegenheiten, die Fertigung von Gutachten, Schriftsätzen, Vertragsentwürfen, Betriebsvereinbarungen und Konzepten, die Mitarbeit in arbeitsgerichtlichen Verfahren (im Team) und die Begleitung und Vertretung von Mandanten bei außergerichtlichen Verhandlungen …“ (BGH, BeckRS 2020, 20732 Rn. 1). Die Sozietät durfte ihm keine Weisungen erteilen, allerdings unterlag er nach dem zwischen den Beteiligten geschlossenen Vertrag dem anwaltlichen Berufsrecht.

Es kam, wie es kommen musste: Sowohl der AGH Celle wie auch der BGH hielten das für unzulässig, nicht nur wegen § 59a BRAO. Der BGH setzte mit einem eher undezenten Hinweis auf unerlaubte Rechtsberatung nach § 3 RDG durch Herrn Prof. Dr. P. noch eins oben drauf. Und: wieder ein Altfall, was den § 203 StGB angeht, so dass die Argumentation der Sozietät mit der Neufassung nicht so recht verfangen wollte.

Bedeutung der Entscheidung
Der Beschluss ist einerseits, wie sein Vorgänger, eher von historischem Interesse, enthält aber andererseits einen interessanten Wake-up-Call.

Zur Historie: Es ist der zweite Fall auf Grundlage eines nicht mehr geltenden Rechtszustands. Es würde ja schon interessieren, wie der BGH einen solchen Fall nach dem heute geltenden § 203 StGB lösen würde. In dem Urteil von Januar 2018 hatte er ausdrücklich darauf verwiesen, dass seine Ausführungen nur für den alten Rechtszustand gelten würden. Seit November 2017 ist aber das sogenannte Non-Legal-Outsourcing zulässig, seitdem dürfen Anwälte, auch ohne ihre Mandanten zu fragen, mit externen Dienstleistern vertrauliche Mandanteninformationen teilen, wenn sie das für erforderlich halten. Auch für die Dritten gilt dann § 203 StGB, so dass die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht durch einen Nichtanwalt strafrechtlich bewehrt ist. Wenn das möglich ist, warum dann nicht auch mit einem Of Counsel? Oder einem anderen Berufsangehörigen? Interessante Fragen, aber dazu befindet der BGH jetzt eher schmallippig: „Die von dem Kläger in Bezug genommene aktuelle Rechtslage, wonach von § 203 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 3 und 4 StGB auch sonstige Personen, die an der beruflichen Tätigkeit mitwirken, umfasst sind sowie von § 53a Abs. 1 Nr. 1 StPO Personen, die im Rahmen eines Vertragsverhältnisses an deren beruflicher Tätigkeit mitwirken, spielt für das vorliegende Verfahren – wie ausgeführt – keine Rolle“ (BGH BeckRS 2020, 20732 Rn. 21). Das mag man rückwärtsgewandt finden oder nicht zeitgemäß, aber: Es ist richtig. Der BGH kann sich die Gesetze ja nicht aussuchen. Es war halt nicht der richtige Fall, um ein verfassungsrechtliches Fass aufzumachen.

Der Wake-up-Call: Zuarbeit ja, Zusammenarbeit nein
Abgesehen von diesen großen Fragen des anwaltlichen Berufsrechts enthält die Entscheidung einen Wake-up-Call, der einen Rezensenten schon dazu veranlasste, „Das Ende der Of Counsels in Anwaltskanzleien“ zu beschwören. Allerdings mit einem Fragezeichen, so wie Richard Susskind das bei seinem Buch „The End of Lawyers“ gemacht hatte– manche Fragezeichen sind deklamierender als Ausrufezeichen. Der BGH hatte in seiner Entscheidung daran erinnert, dass § 59a BRAO keine Sozietät voraussetzt, sondern auch andere Formen der gemeinschaftlichen Berufsausübung meint. Denn „Zweck des § 59a ist es, für die berufliche Zusammenarbeit von Rechtsanwälten in all ihren Erscheinungsformen auf örtlicher, überörtlicher und internationaler Ebene einschließlich der interprofessionellen Zusammenarbeit eine gesetzliche Grundlage zu schaffen und die Bürogemeinschaft zu regeln“ (Henssler/Prütting, 5. Aufl. 2019, BRAO § 59a Rn. 10). Der Rahmenvertrag zwischen Prof. Dr. P. und der Sozietät ließ sich so, wie er gestaltet war, ohne Zweifel unter „berufliche Zusammenarbeit“ subsumieren, denn er gewährte eine erhebliche Beinfreiheit nach innen und außen.

Ist also mit Of Counsels jetzt Schluss? Nein. Aber das, was Prof. Dr. P. und die Sozietät vereinbart hatten, war noch nie erlaubt. Natürlich kann eine Sozietät mit Of Counsels zusammenarbeiten, egal, ob es sich um Anwälte handelt oder nicht. Der BGH hat in der Entscheidung Segelanleitungen dazu gegeben, wie es geht: Zulässig ist „die bloße Zuarbeit des Of Counsel (…), bei der die Mandatsdurchführung bei der klägerischen Partnerschaftsgesellschaft verbleibt. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn der Of Counsel wissenschaftliche Gutachten erstattete und ggf. erläuterte, die Verantwortung für die Weiterleitung und Umsetzung sowie die Weiterbearbeitung des Mandats aber bei der klägerischen Partnerschaftsgesellschaft verbliebe. Auch eine Begleitung der Anwälte der klägerischen Partnerschaftsgesellschaft durch den Of Counsel im Anschluss an eine Erstattung eines Gutachtens wäre unbedenklich, da dies – ähnlich wie bei der Begleitung von Anwälten durch Privatsachverständige – die ausschließliche Mandatsverantwortung der klägerischen Partnerschaftsgesellschaft nicht in Frage stellte; der Of Counsel träte dann nur als (externer) Berater der klägerischen Gesellschaft auf“ (BGH BeckRS 2020, 20732 Rn. 11).

Was tun?
Die Kunst liegt in der Gestaltung des Verhältnisses zwischen Sozietät und Of Counsel. Dass Of Counsels, oft im Herbst ihrer Karriere, nicht mehr als Angestellte in einer Sozietät anfangen wollen, kann man irgendwie verstehen, oft geht es auch rechtlich nicht. Aber die Tätigkeit als freier Mitarbeiter ist grundsätzlich möglich. Natürlich geht auch eine Beratungsvereinbarung sui generis, wenn man sich nur an gewisse Regeln hält und den Vertrag entsprechend lebt.

Die – unbedingt zu beachtende – Besonderheit besteht immer darin, in der Bandbreite zwischen Zuarbeit und Zusammenarbeit nicht zu nah an die Zusammenarbeit zu kommen. Damit ist die Frage verbunden, für wen der Of Counsel arbeitet. Wenn er für die Sozietät tätig ist, also im Verantwortungsbereich eines Partners arbeitet, und dieser Partner aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig ist (so die Formulierung aus § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG), dann sollte es keine Probleme geben. Das nennt man eben „Zuarbeit“ – kein schöner Begriff, aber zulässig. Wenn aber die Sozietät für den Of Counsel nur eine Plattform ist, von der aus er zu eigenen und eigenverantworteten Mandatsberatungen loszieht, wird es sehr schwierig. Die Bedeutung der BGH-Entscheidung liegt darin, das wieder in Erinnerung gerufen zu haben.

markushartung@me.com

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