BVerfG zur Erbschaftsteuer: Derzeitige Ausgestaltung der Begünstigungen für Unternehmensvermögen ist verfassungswidrig
Von Peter Fabry

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Mit Urteil vom 17.12.2014 hat der I. Senat des BVerfG (Az. 1 BVL 21/12) seine seit langem mit Spannung erwartete Entscheidung zur Erbschaftsteuer verkündet. Dabei hat das Gericht die derzeitige Grundstruktur des Erbschaftsteuerrechts, die teilweise oder vollständige Freistellungen im unternehmerischen Bereich zulässt, im Grundsatz akzeptiert.

Allerdings sieht das BVerfG die Ausgestaltung der Privilegien für betriebliche Vermögen in wesentlichen Teilen als unverhältnismäßig an und hat deshalb die entsprechenden Vorschriften der §§ 13a, b ErbStG sowie die Tarifvorschrift von § 19 Abs. 1 ErbStG für verfassungswidrig erklärt. Die Vorschriften sind aber weiter anwendbar. Der Gesetzgeber muss bis zum 30.06.2016 eine Neuregelung treffen.

Kernaussagen des BVerfG

Verschonungsregelung als solche im Grundsatz verfassungsgemäß

Die Regelungen zur Begünstigung von Betriebsvermögen (85%ige oder 100%ige Verschonung) sind trotz der von ihnen bewirkten Ungleichbehandlung der Erwerber von betrieblichem und privatem Vermögen verhältnismäßig. Der Gesetzgeber sei weitgehend frei in seiner Entscheidung, welche Instrumente er dafür einsetzt, eine zielgenaue Förderung sicherzustellen.

Künftig individuelle Bedürfnisprüfung bei Übertragung großer Unternehmensvermögen

Das BVerfG unterscheidet hinsichtlich der Schutzwürdigkeit nun erstmals nach der Größe des zu beurteilenden Unternehmens. Unverhältnismäßig sei eine Privilegierung betrieblicher Vermögen, soweit sie über kleine und mittlere Unternehmen ohne eine Bedürfnisprüfung hinaus greife. Alternativ bringt das Gericht eine Einführung einer Verschonungshöchstgrenze ins Spiel, jenseits derer die Steuerverschonung enden und beispielsweise eine Steuerstundungsregelung eingeführt werden kann. Diese Bedürfnisprüfung birgt durchaus Sprengkraft, insbesondere was deren konkrete Ausgestaltung angeht. Dazu hat sich das Gericht nicht geäußert. Dem Gesetzgeber ist damit eine schwierige, hoffentlich nicht unlösbare Aufgabe aufgebürdet worden, wie er in diesem Fall Rechtssicherheit erzielen soll. Dem Vernehmen nach geht das Finanzministerium derzeit von der Schaffung einer Regelung mit einer Wertobergrenze von 100 Millionen Euro Umsatz aus, bis zu der keine Bedürfnisprüfung notwendig sein soll. Des Weiteren soll es erste Überlegungen geben, eine pauschale Regelung dergestalt einzuführen, Unternehmen, die über dieser Grenze liegen, entsprechende Verschonungen nur zu gewähren, wenn diese deutlich länger als die jetzt vorgesehenen fünf bis sieben Jahre im bisherigem Umfang fortgeführt werden. Es darf aber, gerade auch im Hinblick auf die Verlautbarungen der drei Richter mit Sondervoten, bezweifelt werden, ob das Verfassungsgericht hiermit seine Anforderungen an eine Bedürfnisprüfung als ausreichend erfüllt ansehen würde.

Beanstandung von Teilen der Ausgestaltung der Verschonungsregelungen

Nicht beanstandet wird in dem Urteil die Festlegung der begünstigten Vermögensarten. Das Gericht bestätigt sogar nochmals ausdrücklich die 25%-Grenze für die Beteiligung an Kapitalgesellschaften und stellt klar, dass es für die Einhaltung der Quote nur auf den Erblasser oder Schenker ankommt, nicht aber auf den Erwerber.

Lohnsummenkontrolle

Das BVerfG sieht grundsätzlich auch die Lohnsummenkontrolle als geeignetes Mittel an, um die Verschonungsregelungen zu rechtfertigen. Für verfassungswidrig hält das Gericht allerdings mangels Relevanz in der Praxis die Begrenzung der Lohnsummenkontrolle auf Betriebe mit mehr als 20 Arbeitnehmern. Die Freistellung von der Lohnsummenpflicht dürfe laut Verfassungsgericht daher allenfalls auf Betriebe mit einigen wenigen Beschäftigten begrenzt werden, was den Bedürfnissen im kleineren Mittestand aber kaum gerecht werden dürfte. Es wäre daher zu wünschen, dass der Gesetzgeber hier zukünftig nicht eine einfache Anpassung der Grenze von 20 Arbeitnehmern auf eine einstellige Zahl vornimmt, sondern kleinere Unternehmen bis zu einer bestimmten Lohnsummengrenze (etwa 1 Million Euro) vom Nachweis des Arbeitsplatzschutzes befreit.

Regelung über das Verwaltungsvermögen

Auch die technischen Regelungen hinsichtlich des Verwaltungsvermögenstests sind nicht mit Artikel 3 GG vereinbar. Mit diesem Test wird ein Unternehmensvermögen zum Zeitpunkt der Schenkung oder des Erbfalls darauf untersucht, ob es zu viel unproduktives Vermögen (fremdvermietete Immobilien, Aktien oder freie Liquidität) hat. Bei einer Größe unter 50% bleibt das gesamte Unternehmensvermögen verschont („Alles oder nichts“-Prinzip). Ebenso wie beim sogenannten Kaskadeneffekt, wonach für eine Obergesellschaft die Optionsverschonung in Anspruch genommen werden kann, obwohl Tochtergesellschaften ein Verwaltungsvermögen von bis zu 50% aufweisen, fehlt dem Gericht hier ein hinreichender Rechtfertigungsgrund für eine derartig großzügige Einbeziehung von unproduktivem Vermögen. Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber zukünftig nur noch ein gewisses Maß an Verwaltungsvermögen (maximal 20 bis 25%) dulden wird und eine darüber hinausgehende Größe unverschont besteuern wird.

Freistellung von Betrieben durch Umgehungsmodelle

Schließlich greift das Gericht Steuergestaltungen auf, die unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht gerechtfertigt werden können. Dies sei der Fall bei Gestaltungen, welche die Lohnsummenpflicht umgehen, die 50%-Regel in Konzernstrukturen im Bereich des Verwaltungsvermögens nutzen und bei sogenannten Cash-Gesellschaften. Letztere wurden allerdings bereits durch das Amtshilferichtlinienumsetzungsgesetz vom 07.06.2013 unterbunden.

Übergangsfrist und Vertrauensschutz

Die festgestellten Gleichheitsverstöße führen nach Ansicht des Gerichts zu einer Gesamtnichtigkeit des Erbschaftsteuergesetzes. Die durchaus großzügig angeordnete Weitergeltung der gegenwärtigen Rechtslage bis zum 30.06.2016 ist zu begrüßen, aber im Hinblick auf die Äußerungen des Gerichts zu exzessiven Gestaltungen auch mit Vorsicht zu genießen. Die spannende Frage wird hier sein, ob sich die Ermöglichung der rückwirkenden Regelung durch das Gericht nur auf die im Urteil erwähnten exzessiven Gestaltungen bezieht (also etwa Konzernkaskadengestaltungen) oder ob der Gesetzgeber generell vermeintlich missbräuchliche Strukturen, die nach der Verkündung des Urteils geschaffen werden, rückwirkend bekämpfen darf.

Zusammenfassung und Fazit

Es wird auch in Zukunft eine Besteuerung von Vermögensübertragungen und Erbschaften geben. Dabei darf erwartet werden, dass im Rahmen einer Reparaturgesetzgebung lediglich einzelne Aspekte der geltenden Regelungen überarbeitet werden, wovon insbesondere größere Unternehmensvermögen betroffen sein werden. Nach den ersten Verlautbarungen soll bereits vor der Osterpause ein entsprechender Gesetzesentwurf im Kabinett verabschiedet werden, so dass insbesondere Inhaber größere Unternehmen zeitnah prüfen sollten, ob eine Nachfolge noch vor einer Neuregelung geboten ist. Im Hinblick auf das über Unternehmensnachfolgen seit dem 17.12.2014 schwebende Damoklesschwert einer möglichen Rückwirkung sollten bei Übertragungen zu Lebzeiten in jedem FaIl vertragliche Widerrufsrechte für den Fall einer rückwirkenden Nichtanerkennung der Verschonungsabschläge vorgesehen werden.

peter.fabry[at]luther-lawfirm.com

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