Der 4. Digital Justice Summit öffnete am 24. und 25.11.2025 im Berlin Marriott Hotel am Potsdamer Platz seine Türen für über 300 Expertinnen und Experten aus Justiz, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. In einer Zeit, in der der Rechtsstaat mit steigenden Anforderungen und wachsendem Reformdruck konfrontiert ist, standen zwei Tage lang die Modernisierung der Justiz und der digitale Zugang zum Recht im Mittelpunkt.
Ein Forum für Austausch und Innovation
Der Summit bot den Teilnehmenden ein dichtes Programm aus über 30 Foren, Workshops und Best-Practice-Vorträgen. Ziel war es, Wege zu diskutieren, wie eine moderne, digitale und zugleich bürgernahe Justiz gestaltet werden kann. Dabei zeigte sich deutlich: Die Digitalisierung der Justiz ist längst kein technisches Zukunftsprojekt mehr, sondern eine dringliche strategische Aufgabe.
Besondere Aufmerksamkeit galt dem Besuch der Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz, Dr. Stefanie Hubig, die in einem exklusiven Dialog über die Zukunft der digitalen Justiz sprach. Zu den weiteren Referierenden gehörten unter anderem Staatsminister Georg Eisenreich, Ministerin Prof. Dr. Kerstin von der Decken, Ministerialdirektor Elmar Steinbacher, Dr. Beatrix Schobel, Minister Dr. Benjamin Grimm und Staatssekretärin Dr. Daniela Brückner. Internationale Perspektiven brachte Michele DeStefano ein, Professorin an der Harvard Law School und Gründerin von LawWithoutWalls, die die Digitalisierung in der US-Justiz beleuchtete.
Zentrale Themen und Erkenntnisse
Die Diskussionen des Summits konzentrierten sich in diesem Jahr vor allem auf die folgenden Themen:
- Pakt für den Rechtsstaat und seine Rolle als Modernisierungspakt,
- bundeseinheitliche Justizcloud und die Konsolidierung föderaler IT-Strukturen,
- Einsatzmöglichkeiten von künstlicher Intelligenz,
- Rulemapping als Tool zur Entscheidungsunterstützung,
- Fachkräftemangel und neue HR-Strategien für die Justiz,
- Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Digitalisierungsstrategie.
Schnelligkeit vor Tradition – Bürgerorientierung als Leitprinzip
Ein zentrales Learning: Bürger bevorzugen schnelle, KI-gestützte Empfehlungen mit Einspruchsmöglichkeit gegenüber langwierigen analogen Verfahren. Gleichzeitig zeigte sich, dass die Modernisierung der Justiz nur gelingt, wenn digitale Prozesse konsequent gestaltet werden – nicht als Nachbildung papierbasierter Abläufe, sondern als echte Transformation.
Die Justizcloud wurde als Schlüsselprojekt hervorgehoben. Sie erlaubt eine funktionale Harmonisierung des föderalen Systems und schafft die Basis für einheitliche Standards, gemeinsame Datenflüsse und digitale Souveränität. Die Referierenden betonten, dass Digitalisierung nicht vorrangig eine technische, sondern eine organisatorische Herausforderung ist: Fehlende Entscheidungsfreude, langwierige Pilotprojekte und Angst vor Innovation bremsen Fortschritte mehr als die Technologie selbst.
Effizienz als Kern des Rechtsstaats
Die Debatten machten deutlich: Die größte Gefahr für den Rechtsstaat sind ineffiziente Strukturen. Millionen offene Verfahren, Rückgänge bei Zivilprozessen aufgrund langer Bearbeitungszeiten, fehlende digitale Kommunikation zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten – all das unterstreicht die Notwendigkeit einer Modernisierung.
Hier setzt der Pakt für den Rechtsstaat an. Er besteht aus drei Säulen: Digitalisierung, personelle Stärkung und Beschleunigung der Verfahren. Besonders die dritte Säule – die Reform von Prozessordnungen und Verfahrensabläufen – kostet kein zusätzliches Geld, könnte aber enorme Effizienzgewinne bringen. Ziel ist ein maschinenlesbarer Parteivortrag, moderne Kommunikationsmöglichkeiten und eine klare, bürgerfreundliche Prozessgestaltung.
Rulemapping: Ein unterschätztes Instrument
Rulemapping-Tools zeigen, dass bis zu 80% juristischer Entscheidungen deterministisch und regelbasiert sind. Mit entsprechenden Tools können Prozesse transparent, überprüfbar und anpassbar gestaltet werden. Die menschliche Entscheidungsgewalt wird jedoch nicht ersetzt, trotzdem können enorme Zeitersparnisse erzielt werden.
Digitalisierung als HR-Strategie
Neben Technologie und Prozessen steht die Justiz vor einer personellen Herausforderung: Nachwuchskräfte wählen die Justiz zunehmend nur als „Plan B“, wenn moderne Arbeitsbedingungen fehlen. Homeoffice, digitale Tools und effiziente Prozesse sind mittlerweile Mindestanforderungen. Panels und Studien, wie jene von Talent Rocket und Wegweiser, zeigten auf, wie digitale Transformation gleichzeitig die Attraktivität der Justiz als Arbeitgeber steigern kann.
Bürgerperspektive zuerst
Alle Initiativen und Technologien sollten sich an der Perspektive der Bürger orientieren. Die Justiz muss zugänglicher werden, sei es durch leichte Sprache, automatische Übersetzungen oder digitale Services. Die Technologie selbst ist nicht der Engpass, sondern die Veränderungsbereitschaft der Organisation.
Digital Justice Award 2025: Innovationen für die Justiz
Ein Höhepunkt des 4. Digital Justice Summit war die Verleihung des 3. Digital Justice Award, der herausragende Projekte für die Modernisierung und Digitalisierung der Justiz auszeichnet. Drei Gewinnerprojekte präsentierten ihre Lösungen in fünfminütigen Live-Pitches, anschließend bestimmte das Publikum via Smartphone den Publikumsliebling.
Die Auszeichnung ging schließlich an CourtnAI, entwickelt vom Niedersächsischen Justizministerium und World of VR GmbH. Die VR-Anwendung ermöglicht realitätsnahe, KI-gestützte Gerichtssimulationen, in denen Lernende Gesprächsführung, Fragetechnik und Stressresistenz praxisnah trainieren können. Ein KI-Assistent liefert individuelles Feedback und macht die Ausbildung flexibler und praxisnäher.
Neben Publikumsliebling CourtnAI waren auch die Projekte xJuRAG und JUKION vertreten. xJuRAG vom Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut und der dida Datenschmiede GmbH entwickelt ein KI-gestütztes Assistenzsystem, das juristische Entscheidungen transparent und nachvollziehbar erklärt. So wird das „Black-Box“-Problem vieler KI-Systeme gelöst und die Nachvollziehbarkeit automatisierter Prozesse gesichert.
JUKION, ein Projekt der Codefy GmbH und des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz, demonstriert souveräne KI-Lösungen im On-Premise-Betrieb. KI-Agenten analysieren juristische Akten direkt in staatlichen Rechenzentren, Datenschutz und technologische Souveränität werden dabei gewährleistet.
Die drei Projekte zeigen, wie VR, KI und souveräne Systeme die Justiz effizienter und bürgerfreundlicher gestalten können – und unterstreichen die Innovationskraft der Branche.
Mut und Optimismus für die Zukunft
Der 4. Digital Justice Summit machte deutlich: Die Digitalisierung der Justiz ist kein optionales Zukunftsthema mehr, sondern eine Notwendigkeit. Künstliche Intelligenz und digitale Tools können Prozesse beschleunigen, die Qualität sichern und die Zugänglichkeit erhöhen – sie ersetzen jedoch nicht die menschliche Entscheidungsgewalt. Entscheidend bleibt, dass Innovation und rechtsstaatliche Kontrolle Hand in Hand gehen und die Transformation immer am Bedarf der Bürger ausgerichtet ist.
Trotz der enormen Herausforderungen herrschte zwischen den Panels ein spürbarer Optimismus. Mit einer neuen Infrastruktur für das Recht soll die Modernisierung der Justiz gelingen. Der 5. Digital Justice Summit am 23. und 24.11.2026 wird zeigen, wie schnell und entschlossen die Branche diesen Weg weitergeht.

