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Verbandssanktionen ganz ohne Verbandssanktionengesetz

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Ob Dieselskandal, Wirecard oder Cum-Ex. In nahezu jedem großen Wirtschaftsskandal stellt sich früher oder später die Frage, wie beteiligte Unternehmen für die Machenschaften oder das Versagen ihrer Manager zu „bestrafen“ sind.

Während in anderen Ländern – allen voran den USA – Strafen gegen Unternehmen an der Tagesordnung sind und die Höhen scheinbar keine Grenzen kennen, gilt in Deutschland eigentlich folgender Grundsatz: Strafbar machen können sich nur natürliche Personen. Denn es kann nur bestraft werden, wer Schuld auf sich lädt und Unrechtsbewusstsein hat (sogenanntes Schuldprinzip). Das ist bei Unternehmen als juristischen Personen (= Verbänden) nicht möglich. Das hätte anders kommen können, kam es aber nicht.

Und doch geht auch in Deutschland nahezu jeder strafrechtlich relevante Wirtschaftsskandal mit einer „Strafe“ gegen die beteiligten Unternehmen einher.

Der juristische Kniff: Bei den Zahlungen, welche die Unternehmen zu zahlen haben, handelt es sich nicht um Strafen, sondern um Geldbußen. Und zwar dafür, dass es den Unternehmen, vertreten durch ihre Organe bzw. Leitungspersonen, nicht gelungen ist, Zuwiderhandlungen ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu verhindern.

Seit 1968 enthält § 130 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) eher allgemein formulierte, mehrfach ergänzte Sorgfaltspflichten bestimmter Leitungs- und Führungspersonen. Einfach gesagt: Leitungspersonen haben dafür zu sorgen, dass in dem Unternehmen keiner Straftaten begeht. Gelingt ihnen das nicht, begehen sie selbst einen Fehler – konkret eine Ordnungswidrigkeit. Und weil ihnen das als Organ des Unternehmens nicht gelungen ist, wird diese Sorgfaltspflichtverletzung dem Unternehmen zugerechnet. Und dafür kann das Unternehmen eine Geldbuße erhalten.

Das Unternehmen als gefahrgeneigter Ort für Wirtschaftsstraftaten?

Welcher rechtspolitische Grund soll aber darin liegen, ein Unternehmen für Sorgfaltspflichtverletzungen der Manager zahlen zu lassen?

Der Grund besteht darin, dass arbeitsteiliges Zusammenwirken von Personenmehrheiten, wie es regelmäßig in Unternehmen und sonstigen Verbänden vorkommt, rechtstatsächlich gefahrerhöhend für Zuwiderhandlungen wirkt.

Zudem sind Einblicke in die Binnenstruktur eines Unternehmens nicht ohne weiteres möglich. Tatsächliche Handlungsbeiträge bleiben leicht im Dunkeln, einzelne Verantwortlichkeiten lassen sich verschleiern. Daneben wirkt Arbeitsteilung objektiv gefahrverstärkend. Wenn unterschiedliche Personen, möglicherweise auf unterschiedlichen Hierarchieebenen zusammenarbeiten, dann können falsch verstandener Performancedruck, eine unklare Anweisungslandschaft oder eine dezentrale Wissens- und Aufgabenverteilung über Abteilungen hinweg die Ursache für unternehmensbezogene Verstöße oder gar Straftaten sein.

Die sprichwörtliche „organisierte Verantwortungslosigkeit“ dient daher nicht nur als bequeme Ausrede, sondern ist objektive Ursache.

Jeder einzelne Fehler lässt sich vermeiden, nicht aber das Fehlermachen überhaupt. Sie werden nicht nur über die Arbeitsstufen hinweg weitergetragen. Mehrere Fehler können sich nicht nur addieren, sondern potenzieren. Das Ahndungsbedürfnis reicht demnach über die individuelle Verantwortung weit hinaus, bis auf die Ebene des Verbands. Doch wie soll das alles zusammenpassen?

Die kurzzeitige Idee eines Verbandssanktionengesetzes und dessen Scheitern

Angesichts teils schlimmer Folgen, zuweilen verbunden mit großen wirtschaftlichen Vorteilen für den Verband, ist der Ruf nach echten Verbandsstrafen anstatt bloßer Ordnungswidrigkeiten nicht selten. Er fand Gehör im Koalitionsvertrag 2017 und mündete mit dem zusätzlichen Vorhaben, Verfahrensregeln für interne Untersuchungen zur Aufklärung von unternehmensbezogenen Verstößen zu schaffen, im Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes (VerSanG).

Das Echo teilte sich entlang der beruflichen Interessen in befürwortend oder ablehnend.

Umstritten war unter anderem, nach welchen gesetzlichen Regeln interne Untersuchungen ablaufen sollten, wenn diese – so das Gesetzesvorhaben – an die Stelle behördlicher Ermittlungen treten sollten. Manch einer sprach von einer unzulässigen „Privatisierung von Ermittlungsverfahren“. Nicht aber die zahlreichen rechtspolitischen und dogmatischen Kritikpunkte waren letztlich der Grund für das Scheitern des VerSanG.

Vielmehr fiel der Entwurf des VerSanG fehlender politischer Kontinuität zum Opfer und wurde von der vorherigen Ampelkoalition nicht wiederaufgenommen. Die jetzige Regierung hat nur Nachschärfungen im bestehenden OWiG angekündigt. Die Diskussionen des VerSanG finden wir in der ein oder anderen Form auch bereits im geltenden Recht wieder. Aber die wesentlichsten Neuerungen, die das VerSanG mit sich gebracht hätte, nämlich ein Zwang des Staates zur Verbandssanktion und eine Sanktionshöhe orientiert am Umsatz, blieben den Unternehmen erspart. Denn während das VerSanG dem Legalitätsprinzip folgte, gilt nun weiterhin das Opportunitätsprinzip.

All das ist für die Praxis ein Segen, da sich auf diese Weise die sachwidrigen Folgen ungelöster Rechtsfragen wenigstens im Einzelfall wenn nicht lösen, so doch mindern lassen. Also kein Verbandssanktionengesetz, keine Verbandssanktion. Dann ist doch alles gut gegangen, oder?

Verbandssanktionen ohne Verbandssanktionengesetz – das Bußgeld als Sanktion

So einfach ist es nicht! Denn das für Großunternehmen und internationale Konzerne vorgesehene Höchstmaß von zehn Millionen Euro ist nur scheinbar unangemessen niedrig. Es erhöht sich nämlich um den erlangten Vorteil gemäß § 17 Abs. 4 OWiG, ist folglich nur dadurch, nicht aber zahlenmäßig gesetzlich begrenzt. Beläuft sich der wirtschaftliche Vorteil, den ein Unternehmen durch die Sorgfaltspflichtverletzungen der Manager (= das Gewährenlassen von Straftaten) hat, zum Beispiel auf 990 Millionen Euro, so ist eine Geldbuße in Höhe von einer Milliarde Euro (= zehn Millionen Euro Ahndungsanteil und 990 Millionen Euro abgeschöpfter Vorteil) möglich.

Kann keine Geldbuße festgesetzt werden, so erlaubt § 29a OWiG auch die isolierte Vermögensabschöpfung, die auf strafrechtlicher Ebene in etlichen Cum-Ex-Verfahren in Millionenhöhe auch gegen Verbände als Drittempfänger stattfindet.

Also sanktioniert wird eifrig – ganz ohne Verbandssanktionengesetz.

Mögliche Anknüpfungssachverhalte sind breit gefächert und in nahezu jeder regulierten Branche und in jedem wirtschaftlichen Betätigungsfeld denkbar.

Neben der in der Vergangenheit viel gescholtenen Automobil- bzw. Zuliefererindustrie, den Unternehmen am Kapitalmarkt bzw. im Finanzdienstleistungssektor können unternehmensbezogene Zuwiderhandlungen durch jedes Unternehmen in jeder Branche und in jedem Wirtschaftssektor begangen werden; ergo kann wohl jedes Unternehmen auch für Zuwiderhandlungen der Mitarbeiter bebußt werden. Erst im April 2025 wurde ein Unternehmen durch die Staatsanwaltschaft wegen des Vorwurfs des „Greenwashings“ mit 25 Millionen Euro bebußt (siehe hier).

Quo vadis Unternehmensstrafrecht?

Mit einem Neuanlauf eines kodifizierten und rechtssicheren Unternehmensstrafrechts im Sinne eines Verbandssanktionengesetzes ist in Deutschland – auch in Anbetracht der anhaltenden wirtschaftlichen Rezension – kaum zu rechnen. Ein solches politisches Signal an den Wirtschaftsstandort Deutschland will keine der regierenden Parteien (derzeit) aussenden.

Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sanktionen gegen Unternehmen, teilweise auch durch die Hintertür, stetig zunehmen. So sind unter dem Schlagwort „Straftaten dürfen sich nicht lohnen“ die Möglichkeiten, aus Zuwiderhandlungen erlangte Vermögenswerte auch bei Unternehmen als unbeteiligten Dritten abzuschöpfen und auch vorläufig einzufrieren in den vergangenen Jahren stetig ausgeweitet worden.

Jüngst hat die Bundesregierung mit einem Gesetzesentwurf zur „Modernisierung und Digitalisierung der Schwarzarbeitsbekämpfung“ (siehe hier) nach eigenen Worten eine härtere Gangart gegen Unternehmen eingelegt – der fiskalische Zweck heiligt also offenbar die Mittel?

Für Unternehmen und (strafrechtliche) Berater ist trotz oder gerade wegen des Fehlens eines kodifzierten VerSanG stete Wachsamkeit geboten. Starke und zuverlässige Compliance-Management-Systeme, basierend auf einer den Umständen des Einzelfalls entsprechenden Risikoanalyse, wie sie bereits zentraler Bestandteil des VerSanG waren, sind als präventive Maßnahmen gegen staatlich verhangene empfindliche „Strafen“, die weiterhin „hinter jeder regulatorischen Ecke“ lauern können, wichtiger denn je.

Und selbst wenn ein Verstoß vorgefallen ist und bereits von den Ermittlungsbehörden untersucht wird, kann die nachträgliche Implementierung eines geeigneten Compliance-Management-Systems zur Vermeidung gleichgelagerter Zuwiderhandlungen von den Behörden bußgeldmindernd berücksichtigt werden.

Autor

Dr. Christian Schmitz verte | rechtsanwälte PartG mbB, Köln Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht, Partner

Dr. Christian Schmitz

verte | rechtsanwälte PartG mbB, Köln
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