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Klimaklage gegen RWE erfolglos

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Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 28.05.2025 (Az. 5 U 15/17) über die Klage des peruanischen Landwirts Lliuya („Kläger“) gegen den deutschen Energiekonzern RWE AG („RWE“) ist mit großer Spannung erwartet worden und sorgt seit der Verkündung für Diskussionen. Obwohl das OLG Hamm die Berufung des Klägers knapp zehn Jahre nach der Klageerhebung mangels konkreter Gefahr für dessen Eigentum zurückgewiesen hat, betont es, dass eine zivilrechtliche Haftung einzelner Großemittenten für weltweite Klimafolgeschäden dem Grunde nach möglich sei. Die 91 Seiten umfassende Entscheidung ist ein Novum nach deutschem Recht und verdient eine kritische Würdigung.

Sachverhalt und erste Instanz

Der von der Umweltorganisation Germanwatch unterstützte Kläger begehrte mit seinen Hauptanträgen zuletzt die Feststellung der Pflicht von RWE zur anteiligen Kostenerstattung sowie die anteilige Kostenerstattung für Schutzmaßnahmen gegen eine potentielle Flutwelle aus einem Gletschersee oberhalb seines Grundstücks in Peru. Diese Anträge stützte er auf § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB. Danach kann ein Grundstückseigentümer die Unterlassung von drohenden Beeinträchtigungen verlangen, die zukünftig von einer Störquelle für sein Grundstück ausgehen. Der Kläger argumentierte, RWE habe durch ihre erheblichen historischen CO₂-Emissionen einen messbaren Beitrag von 0,38% (bei Klageerhebung im Jahr 2015 bezifferte der Kläger den Beitrag noch mit 0,47%) zum weltweiten Klimawandel geleistet. Die Treibhausgasemissionen von RWE hätten eine Kausalkette in Gang gesetzt, die zu einer Gletscherschmelze und damit zu einem Flutrisiko für sein Grundstück führen würde.

In erster Instanz wies das Landgericht Essen (Az. 2 O 285/15) die Klage im Dezember 2016 ohne Beweisaufnahme ab und folgte in zentralen Punkten der Argumentation von RWE: RWE sei mangels kausaler Verursachung der möglichen Beeinträchtigung keine Handlungsstörerin. Auch seien die Emissionsbeiträge aller weltweiten Emittenten ununterscheidbar vermischt, weshalb einzelne Beeinträchtigungen den Verursachern nicht individuell zugeordnet werden könnten. Zudem fehle es an der Adäquanz, weil ein einzelner Emittent die möglichen Folgen des Klimawandels nicht in erheblicher Weise erhöhe. RWE könne deswegen nicht individuell für die globalen Auswirkungen des Klimawandels haftbar gemacht werden.

Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm

Mit Urteil vom 28.05.2025 wies das OLG Hamm die Berufung des Klägers zurück und verneinte Ansprüche gegen RWE, weil es dem darlegungs- und beweisbelasteten Kläger nicht gelungen sei, eine künftige Beeinträchtigung seines Eigentums im Sinne des § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB nachzuweisen. Denn der gerichtlich bestellte Sachverständige – dessen Gutachten sich der Senat anschloss – bewertete die Gefahr einer ernsthaften Beeinträchtigung des Grundstücks des Klägers durch eine Überflutung oder Schlammlawine in den nächsten 30 Jahren mit nur einem Prozent und stellte zudem fest, dass selbst eine Flutwelle die Bausubstanz des Grundstücks des Klägers nicht beeinträchtigen würde.

Entsprechend kurz hätte das Urteil ausfallen können. Das Gericht ließ es sich jedoch nicht nehmen, als Vorspann der Klageabweisung über mehr als 60 Seiten zur Schlüssigkeit der Klage und insbesondere dazu auszuführen, dass und warum es eine quotenmäßige Haftung einzelner Emittenten für Klimafolgeschäden für möglich hält. Dazu setzte sich das Gericht mit allen von RWE vorgebrachten Einwänden gegen eine zivilrechtliche Haftung auseinander und wies sie allesamt zurück:

Das OLG Hamm hält RWE für eine unmittelbare Handlungsstörerin und eine Haftung nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. §§ 667 ff., § 812 BGB somit grundsätzlich für möglich. Schlüssig dargelegt sei insbesondere, dass die behauptete drohende Beeinträchtigung des klägerischen Grundstücks durch die von RWE freigesetzten CO₂-Emissionen äquivalent kausal mitverursacht worden sei. Denn jeder Bruchteil eines Grades an Erderwärmung führe zu einem schnelleren und stärkeren Abschmelzen des Gletschers. Nach dem Vortrag des Klägers seien die CO₂-Emissionen auch adäquat kausal für die konkrete Gefährdung seines Eigentums, weil ein optimaler Betrachter schon seit Mitte der 1960er-Jahre erkennen konnte, dass ein deutlich gesteigerter industrieller CO₂-Ausstoß zur Klimaerwärmung führen würde. Daneben bejaht der Senat auch die Erheblichkeit des Beitrags von RWE für die Erderwärmung und betont, dass eine zivilrechtliche Haftung auch sogenannte Summations-, Distanz- und Langzeit(folge)schäden umfasse. Eine Duldungspflicht des Klägers aus § 906 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB oder § 14 BImSchG bestehe nicht, weil es sich um eine wesentliche Beeinträchtigung handele und es an dem erforderlichen nachbarlichen Verhältnis fehle. Auch die behördliche Genehmigung für das Betreiben der emittierenden Anlagen, die Zertifikate nach dem Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz oder der Energie-Versorgungsauftrag von RWE begründeten keine Duldungspflicht. Die zivilrechtliche Haftung sei jedoch an die jeweilige Verursachungsquote anzupassen, also an den jeweiligen Beitrag zum Klimawandel.

Die Revision zum Bundesgerichtshof hat das OLG Hamm nicht zugelassen. Die Wertgrenze für eine Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht erreicht. Das Urteil ist damit rechtskräftig.

Rechtliche Einordnung der Entscheidung

Der Senat positioniert sich mit dem Urteil sehr deutlich: Lösungen für den Klimawandel müssten nicht nur auf der staatlichen und der politischen Ebene gefunden werden. Vielmehr sei eine zivilrechtliche Haftung eines Großemittenten für den Klimawandel auch mit den Mitteln des individuellen deutschen Haftungsrechts möglich. Der Senat setzt damit auf eine Verhaltenssteuerung durch Privatrecht. Dies ist im Zusammenhang mit klimabedingten (drohenden) Beeinträchtigungen ein Novum.

Bemerkenswert ist dabei, dass das OLG Hamm aus der Rechtsprechung des BGH in dem sogenannten Waldschadensfall (Az. III ZR 220/86) den Schluss ableitet, eine zivilrechtliche Haftung für Umweltschäden sei nach deutschem Recht möglich. In dem Waldschadensfall lehnte der BGH eine zivilrechtliche Haftung des Staates für Schäden ab, die einem Waldbesitzer an seinem Wald durch sogenannte „saure Regenfälle“ entstanden waren. Der BGH begründete dies mit der fehlenden Zurechenbarkeit und der kumulativen Wirkung der Immissionen. Diese Rechtsprechung übertrug das OLG Hamm nicht, weil nach der Auffassung des Senats kein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag. Dies hätte auch anders gesehen werden können, weil auch zwischen der Tätigkeit von RWE und einer vermeintlich vom peruanischen Gletschersee ausgehenden Flutgefahr wegen der Vielzahl von Emissionsquellen und dem Zusammenwirken vieler Faktoren im Klimasystem keine lineare Verursachungskette besteht. Zweifel sind zudem an der bejahten Adäquanz und daran angebracht, ob RWE die Umstände, die zu der Gletscherschmelze führen, beeinflussen konnte. Ob die Folgen für RWE bei dem Betrieb der Kraftwerke vorhersehbar waren, hängt letztlich davon ab, ob man als Anknüpfungspunkt auf den allgemeinen Klimawandel oder die Schmelze des konkreten Gletschers abstellt.

Die von dem Senat bejahte zivilrechtliche Haftung entsprechend der „Verursachungsquote“ wirft auch die Frage auf, wo die Grenze zwischen einem haftungsrelevanten und einem haftungsirrelevanten Emissionsbeitrag zu ziehen ist. Dieses Problem erkennt der Senat und betont, dass auf Basis seines Urteils keine Klagewelle „Jeder gegen jeden“ drohe, weil nicht jeder einzelne Bürger wegen seiner Emissionen rechtlich belangt werden könne. Die Verursachungsbeiträge einzelner Privatpersonen zum Klimawandel seien nicht erheblich und somit auch nicht adäquat kausal für einzelne Schäden oder Beeinträchtigungen. Eine konkrete Erheblichkeitsschwelle nennt die Entscheidung jedoch nicht und überlässt die Beantwortung der Frage, wer als relevanter Emittent von CO₂ anzusehen ist, der künftigen Rechtsprechung.

Beachtenswert ist auch die Annahme, die Emissionen der Konzerntöchter seien RWE aufgrund der bestehenden Beherrschungsverträge und der Eingliederung in den Organisationsbereich zuzurechnen, weil die Konzerntöchter Verrichtungsgehilfinnen der Konzernmutter seien. Eine allgemeine Haftung für Töchter im Konzernverbund ist dem deutschen Recht eigentlich fremd und widerspricht dem gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzip.

Schließlich positioniert sich das OLG Hamm mit dem Urteil konträr zu den bisherigen Klimaurteilen anderer Oberlandesgerichte. So lehnte z.B. das Oberlandesgericht München (Az. 32 U 936/23 e) in einem Verfahren gegen einen deutschen Automobilhersteller zivilrechtliche Ansprüche wegen der Herstellung und des Inverkehrbringens von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren ab. Das OLG München hielt den klägerischen Vortrag zu den Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB bereits nicht für schlüssig, weil das Allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht den Schutz des Einzelnen vor den Folgen des Klimawandels umfasse und der Automobilhersteller die öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingehalten habe. Auch seien die Automobilhersteller keine Störer im Sinne des § 1004 BGB, weil dieser Begriff nicht an punktuellen Emissionen Einzelner festzumachen und der Anteil von ca. 0,2% an den globalen Emissionen ein so geringer Anteil der für den Klimawandel verantwortlichen Emissionen sei, dass sich auch bei einer tatsächlichen Ersparnis dieser Emissionen nichts ändern würde. Auch das OLG Stuttgart (Az. 12 U 170/22) verneinte in einem ähnlichen Fall einen Anspruch aus § 1004 BGB, weil weder die Handlung noch der hierdurch verursachte Zustand rechtswidrig sei. Ein Verhalten innerhalb der geltenden gesetzlichen Regelungen indiziere lediglich eine unwesentliche Beeinträchtigung, deren Duldung dem Kläger zumutbar sei. Diese Rechtsauffassung teilte auch das OLG Braunschweig in einem vergleichbaren Fall (bislang nicht veröffentlichter Beschluss, Az. 2 U 8/23).

Ausblick

Das OLG Hamm hat die Klimaklage gegen RWE auch in der zweiten Instanz abgewiesen. Die Urteilsbegründung macht jedoch deutlich, dass der Senat mit seinen Ausführungen zur quotenmäßigen zivilrechtlichen Verantwortlichkeit von Großemittenten für Klimafolgeschäden einen Präzedenzfall für weitere Klimaklagen schaffen wollte. Ob sich die Argumentation des OLG Hamm durchsetzen wird, ist angesichts der vielen rechtsdogmatischen Fragestellungen zweifelhaft. Jedenfalls führt das deutsche Haftungsrecht – auch auf Basis des Urteils aus Hamm – nicht automatisch zu einer privatrechtlichen Verantwortung von Großemittenten für Klimaschäden.

Fürs Erste bleibt das Risiko für emissionsstarke Unternehmen jedoch bestehen, wegen der eigenen Beiträge zum weltweiten Klimawandel in Deutschland zivilrechtlich in Anspruch genommen zu werden. Denn es ist zu erwarten, dass Umweltorganisationen und NGOs das Urteil für ihre Zwecke nutzen werden. Das Urteil ist somit relevant für Mineralölunternehmen, für Automobilhersteller und Automobilzulieferer, für die Energie-, Schwer- und Chemieindustrie und für die Landwirtschaft. 

Autor

Dr. Anika Wendelstein Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH Rechtsanwältin, Partnerin Complex Disputes

Dr. Anika Wendelstein

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Stuttgart
Partner, Complex Disputes


anika.wendelstein@luther-lawfirm.com
www.luther-lawfirm.com


Autor

Stephanie Quaß Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Frankfurt am Main Counsel, Complex Disputes

Stephanie Quaß

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Frankfurt am Main
Counsel, Complex Disputes


stephanie.quass@luther-lawfirm.com
www.luther-lawfirm.com